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Kairo, den 30. März 1880.
Das läßt sich nicht leugnen: wenn irgendwo nichts getan werden muß, so ist Kairo der allerbeste Platz der Welt dazu und der März die richtige Zeit. Das Hotel Shepheard ist kein glänzendes Gebäude, und es ist nicht schwer, darin zu vergessen, daß man sich in einem modernen Gasthof ersten Ranges befindet; sein größter Vorzug! Wenn ich morgens aus meinem Fenster in ein sonniges Kreuzgärtchen hinuntersehe, wo sich Bananen und Feigen, Palmen und ägyptische Akazien in dichtem Grün verschlingen, in das kein Straßen- und Gasthoflärm zu dringen scheint, so voll das Haus auch ist, so braucht's keine Phantasie, sich in ein orientalisches Kloster versetzt zu fühlen. Oder wenn ich mittags oder abends meinen Esel besteige, diese Verkörperung treuherziger Geduld und stoischer Ausdauer, und den Vierfüßler in Bewegung setze, wo in aller Welt wäre im Umkreis einer Stunde eine solche Mannigfaltigkeit des Schönen und Interessanten zu finden, wie es sich hier auf Bergeshöhen und am Wüstensaum, aus dunkeln, verfallenen Gassenwinkeln und im bunten Gewühl der Basars entfaltet? Andre Städte haben etliche Bauten und Denkmale, ihre Galerien und Museen, und manche sogar ihre kleine, hochwichtige Geschichte; Kairo und seine Umgebung erzählt die Geschichte der halben Menschheit in einem einzigen Denkmal von unerschöpflicher Mannigfaltigkeit, seinem eignen Bilde.
Seit drei Tagen ziehe ich regelmäßig durch das trutzige Bab el Nasir, das Siegestor, nach den Kalifengräbern und komme abends durch die Sekke Gedide, an deren Ende derzeit das bunte Treiben eines arabischen Volksfestes tobt, in der Dämmerung zurück. Die beiden Tore führen nach Nordosten aus der Stadt unmittelbar in die Wüste, welche hier die Stadtmauern berührt und vom Gewimmel unzähliger kleiner, weißgetünchter Grabmäler belebt ist.
Hinter diesen Friedhöfen zieht sich ein langgestreckter hoher Sandhügel hin, auf welchem Dutzende von Windmühlen ihre zerfetzten Arme schwingen und durch den an mehreren Stellen tief eingeschnittene Hohlwege führen. Den einen oder andern derselben durchreitend, sehen wir die Kuppeln und Minaretts einer zweiten Stadt, die sich, vollständig getrennt von Kairo, in einer weiten, sandigen Ebene ausstreckt. Links im Hintergrund steht der Gebel Achmar mit seinem roten vulkanischen Gestein. Rechts der Mokattam mit lichtgelben, horizontal gestreiften Wänden und senkrechten Abstürzen. Und vor uns, von Nordost nach Südwest sich ausdehnend, da und dort umdrängt von Fellahhütten und kleinen Friedhöfchen neuerer Zeit, erheben sich die vierzig Kuppeln einer Stadt der Toten, voll zerfallender Pracht, und doppelt schön in ihren Trümmern.
Weit draußen im Norden, fast verlassen von den andern, wie ein Wachtposten gegen die Dämonen der Wüste, steht das Mausoleum von Kansuwe el Ghuri. Ein Würfel mit zarten Stalaktitennischen, mit seinen Zeichnungen in Basrelief auf den glatten Flächen und von einer Kuppel gekrönt, die mit einem bunten Gewirr geradliniger, rösselsprungartiger Linien bedeckt ist, denen das Auge in einer müßigen Minute mit träumerischer Neugier folgt. Schakale schleichen ungehindert durch Tor und Fenster, und Hunde schlafen vor der heiligen Kibla. Das Grabdenkmal unter dem Stalaktitendom ist verschwunden oder ist vielleicht nie vorhanden gewesen. Denn El Ghuri, der es vom Sklaven zum Sultan gebracht und in dem die Prachtliebe des ägyptischen Kalifentums gegipfelt hat, fiel bei Aleppo 1516 nach einer verlorenen Schlacht ohnmächtig zu Boden, wurde von seinen eignen Leuten totgeschlagen und sein Kopf dem Osmanensultan Selim verehrt. Ein Ende, das bei den Königen und Fürsten, die uns hier umgeben, zu den ehrenvolleren und angenehmeren gerechnet werden muß.
Auf Kansuwes Grabmal folgen nach Süden hin drei große Grabmoscheen: Sultan el Aschraf, der älteste der Gruppe (1291), der den Christen Akka abgenommen, Emir Yusuf (1440) und Sultan Barkuk (1399). Die zwei ersten scheinen mir die schönsten Minaretts von Kairo zu besitzen. Nichts kann den Reichtum der Formen, die zarte Eleganz der Einzelheiten und zugleich das Ernste, Würdevolle des Gesamteindrucks überbieten. Und nichts kann die Farbenwirkung erhöhen, welche die scharfkantigen Steine mit ihren grellen Lichtern und tiefen Schatten auf dem blauen Hintergrund des Himmels erzielen.
Näher auf diese Bauten einzugehen, würde leicht ein Büchlein füllen und doch kein Bild geben. Zu einer solchen Verirrung könnte wohl die großartigere Grabmoschee des Sultans Barkuk verführen, in deren stillem quadratischem Hof das einzige Bäumchen der ganzen Totenstadt, eine Tamariske, grünt. Ringsum, teilweise halb eingestürzt, erheben sich die hohen Hallen der Moschee, die sich gewöhnlich an die größeren Grabstätten anschließt. In der linken Ecke, unter einer gewaltigen, mit Palmblattverzierungen bedeckten Kuppel, liegt das Grab des Sultans und seiner zwei Söhne, von denen der eine in Damaskus hingerichtet, der andre in Kairo ermordet wurde. Rechts, unter einem entsprechenden Dom, liegen seine Frauen.
Von hier aus, weiter nach Süden, werden die Bauten weniger großartig. Ein zweiter el Aschraf, Burs-Bei, Kait-Bei und andre haben mit Mausoleen Moscheen verbunden. Die meisten Sultane begnügen sich jedoch mit einer einfachen, kuppelgekrönten Grabkapelle. Eine der niedlichsten Gruppen dieser Art steht südwestlich von Barkuk, wo in einem kleinen, mauerumschlossenen Hof ein Sultan Achmed und Sultan Soliman ihre Grabkuppeln vereinigen. Neben Solimans Kapelle ist ein Grabbaldachin eines seiner Mamelucken, und der ganze Platz ist ein wahres Schmuckkästchen sarazenischer Baukunst und orientalischer Poesie; dabei doch nur eines unter Dutzenden.
Die malerischen Formen, welche der Zerfall den reizenden Bauten gegeben hat, tragen nicht wenig dazu bei, ihre phantastische Schönheit zu erhöhen. Die steinernen Teppiche, mit denen die Wände behängt sind, die Stalaktiten der Tore und Gesimse, die wunderbaren Kuppeldecken sind an sich fremdartig und merkwürdig genug. Wenn aber die stützenden Pfeiler eingefallen sind, wenn Ballone und Brüstungen in der Luft hängen, wenn die Schlußsteine gewaltiger Bogen, die klaffend ins Blaue ragen, am Boden liegen, und ganze Dome, wie von einem Riesenschwertstreich gespalten, nach rechts und links sich neigen, dann fühlt man sich in einer Zauberwelt von Genien und Gespenstern, die allein noch diese wunderbare Totenstadt erhalten und beleben.
Doch auch andre Lebewesen quillen aus Löchern und Höhlen, aus versteckten Kellern und vertrockneten Wasserbrunnen dem harmlosen Fremden entgegen. Lebendige Mumien, die mühsam ihre nackten Knochen zusammenhalten, braune Würmchen, die noch nicht gehen können, halbblinde Weiber, die mich hinter ihren Lumpenschleiern hervor mit Zärtlichkeiten überschütten, achtjährige Mädchen mit glühenden Augen voll begehrlicher Schlauheit, die mir singend versichern, daß sie meine Frau seien; all das vereinigt sich in dem Chor: »Backschisch, ya hoagah!« Es ist nicht bös gemeint, und Weniges genügt. Aber die Geduld und die gute Laune darf man nicht verlieren. Sonst wird einem der Besuch des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts durch das Eindringen des neunzehnten allzu gründlich gestört. Welche Zeit es gewesen sein muß! Wieviel Köpfe der fromme Barkuk abgeschlagen haben mag, eh' er seine stolze Grabmoschee zum ewigen Ruhm des Propheten zustande gebracht hat! Hier liegt Sultan Achmed; auch ohne seinen Kopf, Sultan Kalaun, der prachtliebende, der kaum einen Diener finden konnte, welcher seine Leiche heimlich zu verscharren wagte. El Gluris wie manches andern Grabmal wartet noch heute auf die Gebeine seines Erbauers, die in Syrien, Kleinasien oder Arabien vermodern. Es ist eine lange Geschichte von Verrat und Gewalttaten, Mord und Greueln, in der sich die Menschen hilflos durch Jahrhunderte fortwälzen, daß man müde wird, auch nur davon zu lesen. Und dabei fanden sie Zeit und Kraft und Geist, diese Wunder zu schaffen, zur Ehre Allahs, des Einzigen!
Wenn übrigens das noch eine Zeit lang so fortgeht – ich spreche nicht von dem kopflosen Sultan Achmed, sondern von meinen Maschinen, die noch immer zwischen Alexandrien und Damiette auf dem Nil schwimmen – und ich mich trotzdem nicht unter die heulenden Derwische aufnehmen lasse, so soll mich – – jasc