Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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34.

Leeds, den 2. Januar 1871.

Es ist fast zu kalt, um der Welt ein frisches, fröhliches »Glück zum neuen Jahre!« zuzurufen. Und wenn das nur alles wäre! Aber es ist auch neblig und trüb, wohin man sieht. Hat die Welt je eine so gedrückte Weihnachtszeit gefeiert seit den bitteren Tagen des ersten Napoleon? Für einen Junggesellen, der täglich älter wird, ist sowieso Weihnachten einer der schwersten Tage des Jahres. Am liebsten hab' ich's, wenn ich ihn auf dem Gipfel einer Pyramide oder in den Eingeweiden der Erde zubringen kann. Pyramiden und Mammuthöhlen sind jedoch nicht immer zur Hand, und wenn man die einen nur in Gedanken besteigt und von ihrem Gipfel herab sein eignes kleines Dasein betrachtet, oder gar, wenn man im Innern des lieben Ichs herumkriecht, in Ermanglung von etwas Besserem – Puh!

Auch Eure Weihnachten waren trüb und ernst und einsam. Vermutlich habt Ihr noch keine weiteren Nachrichten. Und doch ist unser Kummer kleiner als der von tausend andern. Gefangen sind schon viele brave Leute gewesen. Daß Eduard nicht außer dem Bereich aller Gefahren ist, versteht sich; doch ist er wahrscheinlich besser daran, als wenn er in diesem Hundewetter auf Vorposten stünde. Beim Licht kühler Vernunft bleibt uns nichts Besseres übrig, als um unsre eigne Ruhe und Kraft zu bitten.

»Der Frühling kommt ja wieder,
Wenn man's nur glauben will;«

siehe Volckmar Seite soundsoviel. Es ist, glaub' ich, das erstemal, daß ich meine eignen Werke zitiere. Die großen Zeiten, die alles auf den Kopf stellen, müssen auch alles entschuldigen.

Und deshalb trotz allem: »Glück zum Neuen Jahre!« Mögen wir uns alle wiedersehen, fröhlich, gesund und bald, mit oder ohne Elsaß. Mögen wir einen deutschen Kaiser bekommen und eine deutsche Flotte und größer werden – was wir eigentlich schon sind – als alle andern Völker der Erde; möge aber dann Friede sein – »Friede auf Erden«, wenigstens auf etliche Jahre, bis mein Brüderlein zum Landsturm gehört! Gehöre ich doch zu gar nichts und muß auch leben.

Es ist mir in diesem Augenblick in der Tat wieder fröhlicher und hoffnungsvoller zumut; ich wollte nur, ich könnte Euch diese Stimmung zublasen. Sie rührt wohl davon her, daß ich meinen Stuhl mit dem Rücken gegen das Kaminfeuer gestellt habe. Meine Nase ist freilich rot vor Kälte, aber von hinten wird mir warm. Was ist die Seele doch für ein wunderliches Ding!

Im übrigen fahret fort, auch in meinem Namen etliche Scherflein auf den Altar des Vaterlandes zu legen, wie dies jedermann zu tun verpflichtet ist. Der alte Gellert hat gesungen:

»Genieße, was dir Gott beschieden,
Entbehre gern, was du nicht hast;« –

Und ich fahre fort:

»Des Mammons Sorgen gab der Frieden,
Der Krieg erleichtert seine Last.«


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