Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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41.

Leeds, den 4. Juni 1871.

Der Sonnenschein über den Bergen von Wales hat mir wieder auf die Beine geholfen.

Ich verschwand hier am Samstag früh vor Pfingsten mit Hinterlassung aller Sorgen und alles chronisch gewordenen Ärgers sowie etlicher halbfertiger Arbeiten. Wenn man in einem derartigen Trubel auf einen Abschluß warten will, kommt man nie zu Ende.

Vier Tage standen mir zur Verfügung. Der erste brachte mich über Manchester und Chester durch Nordwales nach Dolgelly. Es war alles Sonnenschein und frischer, junger Sommer. Dolgelly ist ein kleines Nest, zehn englische Meilen vom Meer, am Fuß des Cadre-Idris in einem reizenden Tal. Noch am Abend bestieg ich einen Hügel, auf dessen wilder Höhe ein Lager altkeltischen Ursprungs liegt; zu meinen Füßen, zwischen dämmerigen Bergen, ein stiller Bergsee, die kecken Felsenspitzen des Cadre-Idris in Gold und Blau vor mir, durch die lange, grüne Talspalte am Horizont der blaue Meeresspiegel, und Bergluft und Bergesstille ringsum. Es war doch wieder ein Atemzug für Leib und Seele.

Der folgende Tag (Pfingsten) war für den Cadre-Idris selbst bestimmt. Natürlich mit der Schweiz kann man diese Berge nicht vergleichen. Der höchste Gipfel meines Zieles ist nur dreitausendeinhundert Fuß hoch. Doch bringt die Nähe des Meeres, aus dem die Berge emporsteigen, diese Höhe zur vollen Geltung. Der Tag war prachtvoll, obgleich so dunstig, daß ich auf dem kecken Felsengipfel des alten wälischen Zauberers soviel wie nichts sehen konnte. »Cadre« heißt nämlich »Stuhl« auf wallisisch, und Idris war ein riesenhafter Astronom der Vorzeit, der sich auf diesen Höhen der Wissenschaft ergab. Das Zauberhafteste auf den einsamen, kahlen Bergen sind die kleinen Seen, von denen ich mich kaum losreißen konnte. Tiefes, kristallhelles Wasser; mächtige Felsenwände ringsum; Moos und ärmliches Gras das einzige Zeichen von Leben; wenn's viel ist, ein paar Schafe ohne Hirten an einem fernen Felshange grasend. Ich lag eine volle Stunde auf einem Felsblock am Rand des sanftbewegten Wassers und horchte, wie still es war. Übrigens war es ein Marsch von dreißig englischen Meilen, der mir das Blut nicht schwer werden ließ.

Am Montag wanderte ich das reizende Tal hinunter nach Barmouth. Die Gegend hat einige Ähnlichkeit mit den Tälern, welche von den Alpen nach den italienischen Seen führen. Abends fand ich noch Zeit, in einer benachbarten Schlucht einen Wasserfall aufzusuchen, an dessen Rand ich die Dämmerung erwartete.

Am nächsten Tag ging's nach Leeds zurück. Der Ausflug, so kurz er war, hat mir gut getan. Auch der arme Kulturmensch saugt seine Kraft noch aus dem Boden und seinen Mut aus der Luft.


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