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Rolland de Renéville, L'expérience poétique.

Paris: Gallimard (1938). 196 S.

Der romantischen Dichtung der Deutschen ist eine säkulare Erfüllung wie sie der der Franzosen in Victor Hugo wurde, versagt geblieben. Der einzige E. T. A. Hoffmann ist mit seinem Werk über Deutschland hinausgedrungen. Seine Rezeption in Frankreich war eine stürmische und sie hat nicht lang auf sich warten lassen. Länger brauchten jene Motive, die gleichsam den glühenden bewegten Kern in der deutschen Romantik bildeten, ehe sie ins Bewußtsein Europas eintraten. Er lebt in den poetischen Theorien, die ihre erste Generation entwickelt hatte. Sie erreichten nicht immer die geprägte Form. Und unter den Produkten der deutschen Romantik kann man kaum eines nennen, das ihnen genuggetan hätte. Dennoch sind es am ehesten diese Theorien, dank denen die deutsche Romantik in der Weltliteratur ihre Stelle hat. Dem entspricht es, daß unter den romantischen Meistern Novalis dem Auslande der Vertrauteste ist. Die blaue Blume, die Heinrich von Ofterdingen sucht, wurde zum Inbegriff der Bewegung. Ihr Glanz, der durch den germanischen Nebel dringt, ist der Glanz von Novalis mystischer Theorie.

»Die Poesie ist der Held der Philosophie. Die Philosophie erhebt die Poesie zum Grundsatz. Sie lehrt uns den Wert der Poesie kennen. Philosophie ist die Theorie der Poesie. Sie zeigt uns, was die Poesie sei; daß sie eins und alles sei.« (Novalis, Schriften, hrsg. von J. Minor, Bd. 2, Jena 1907, p. 301.) Diese Worte definieren erschöpfend, was Renéville unter der poetischen Erfahrung verstanden wissen will. Er zitiert Novalis mehrfach, und mit besonderem Glück im einundsiebenzigsten Aphorismus der Fragmentenfolge »Blütenstaub«: »Dichter und Priester waren im Anfang Eins, und nur spätere Zeiten haben sie getrennt. Der echte Dichter ist aber immer Priester, so wie der echte Priester immer Dichter geblieben.« (l.c., p. 126) Hiermit ist der Kreis der esoterischen Poesie abgesteckt. In Nervals rätselhaftem Sonettzyklus »Les Chimères« hätte Novalis wohl wie in wenigen anderen Werken eine Verkörperung seines poetischen Ideals erkannt. Der Kommentar zum dreizehnten Gedicht dieser Folge bildet einen der Höhepunkte bei Renéville.

Eine Geschichte der esoterischen Poesie gibt es noch nicht. Renéville legt Prolegomena zu ihr vor. Er befaßt sich mit den diese Dichtung fundierenden Korrespondenzen und geht ihnen so gut im Tibetanischen Totenbuch wie in der Kabbala, bei Johannes vom Kreuz wie in den Visionen über Katharina Emmerich, bei William Blake wie bei Walt Whitman nach. Er berücksichtigt die Begriffsbildung von Lévy-Bruhl wie die neuen Forschungen in der Kinderpsychologie. Seine Theorie der Bilder ist der der Archetypen von Jung verwandt. Besonderes Gewicht legt er auf die prophetischen Qualitäten des Unbewußten. Die Bilderwelt, aus der die Inspirationen stammen, ist eine ewig gegenwärtige; sie erlaubt es dem Geist, die Schranken von Vergangenheit und Zukunft zu überfliegen. »Der Primitive, das Kind, der Mystiker und der Dichter bewegen sich in einer ewigen Gegenwart.« Wieder wird man an Novalis erinnern dürfen: »Nach Innen geht der geheimnisvolle Weg. In uns, oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft.« (l.c., p. 114) Das Schlußkapitel des Buches, das überschrieben ist »Die Funktion des Dichters«, klingt in das Bild einer »Kommunikation der himmlischen Sphären« aus, an deren Schauspiel der Dichter als vates hängt.

Die historischen Kontingenzen spielen in diesen Entwurf nicht hinein. Das brachte eine programmatische Haltung mit sich, die sich an manchen Stellen zur Konfession erhebt. Eine eigentliche Geschichte der esoterischen Dichtung würde im Reich der Inspiration allein nicht verweilen können. Sie dürfte am Handwerklichen, ja der Konvention nicht vorübergehen. Von der provenzalischen Minnedichtung, die durch und durch esoterisch bestimmt ist, sagt einer ihrer ersten Kenner, Erich Auerbach: »Alle Dichter des Neuen Stils besitzen eine mystische Geliebte, ihnen allen geschehen ungefähr die gleichen sehr sonderbaren Liebesabenteuer, ihnen allen schenkt oder versagt Amore Gaben, die mehr einer Erleuchtung als einem sinnlichen Genuß gleichen, sie alle sind einer Art geheimer Verbindung angehörig, die ihr inneres und vielleicht auch ihr äußeres Leben bestimmt.« Kurz, es hat, neben der Inspiration, gerade in der esoterischen Dichtung die Faktur ihr gewichtiges Wort mitzusprechen. Nichts könnte das schlagender illustrieren als der kleine unschätzbare Bericht, den Renéville von Mallarmés Vorgehen gibt.

Die nächsten Freunde des Dichters wußten, daß er ein poetisches Arbeitsinstrument in Gestalt einer Kartothek sein eigen nannte. Sie bestand aus sehr kleinen Zetteln. Man ahnte nicht, was auf ihnen stand; es war auch durch Fragen nicht zu ermitteln. Eines Tages trat Viélé-Griffin in Mallarmés Arbeitszimmer. Er überraschte den Dichter dabei, wie er ein Blatt seines Zettelkastens zu Rate zog. Einen Augenblick verweilte Mallarmés Blick darauf, dann murmelte er nachdenklich vor sich hin: »Ich wage nicht mehr, ihnen auch nur das zu sagen: ich liefere ihnen damit noch zuviel aus.« Viélé-Griffin trat hinzu und fand, dem Dichter über die Schulter blickend, auf dem Zettel die einzige Silbe ›Quel‹.

Dieser Bericht stammt aus mündlicher Tradition. Er ist eine negative Theologie in nuce. Renéville erkannte mit klarem Blick, daß die Welle, die sich als l'art pour l'art in der Mitte des vorigen Jahrhunderts erhebt, eine esoterische Dichtung ans Licht befördert. Mit einem Buch über Rimbaud hat er begonnen. Er stellt eine Abhandlung über die Weltanschauung von Stéphane Mallarmé in Aussicht. Man darf hoffen, daß seine Untersuchungen sich in Bälde zu einer Geschichte der esoterischen Dichtung in ihrer jüngsten Periode zusammenschließen.


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