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Hans Liebstoeckl, Die Geheimwissenschaften im Lichte unserer Zeit. Zürich, Leipzig, Wien: Amalthea-Verlag (1932). 432 S.
Verhältnismäßig langsam tastet sich die Tagespresse auf den okkulten Gebieten vorwärts; sie bekommt gewöhnlich erst recht spät Kenntnis vom Wandel der Dinge, dem Ehemann gleichend, der von der Untreue seiner Frau zuletzt erfährt, ist (sie) über das Wesen übersinnlicher Erkenntnis, ganz im Widerspruch zu sonstiger journalistischer Fixigkeit und Tüchtigkeit, noch immer sehr mangelhaft informiert.
Liebstoeckl, a. a. O., S. 9.
Von jeher gab es eine Literatur, die neben dem Bildungsdrang zugleich dem Glückshunger breiter Volksschichten Befriedigung versprach. Man fand sie in den Papierläden der Kleinstadt so gut wie in denen engbevölkerter Großstadtviertel. Sie führten in die »Geheimnisse der Liebeskunst«, das »Siebente Buch Mosis«, den »Schlüssel zum Erfolge« oder die »Ägyptische Traumdeutung« ein. Aus namenlosem Dunkel hat sie im Laufe der letzten Jahrzehnte ihren Weg in die erleuchteten Auslagen von anspruchsvollen Sortiments gefunden, die den Vertrieb okkulter Schriften zu ihrer Spezialität machen. Einige Veränderungen brachte diese Rangerhöhung mit sich. Denn wenn die kleinen Hefte, welche unseren Blick als Jungen auf sich zogen, für Schichten bestimmt gewesen waren, welche, von der höheren Bildung ausgeschlossen, eben darum glaubten, durch die Magie des Blicks oder die Kunst, mit Glück in der Lotterie zu spielen, mit einem Schlage sich über sie hinausschwingen zu können, so wenden sich die neueren an Kreise, welche an ihrer Bildung irre wurden. Die Dummheit, die Gerissenheit und Roheit, die beide Gattungen von Schriften teilen, hindert nicht, daß sie in dem sich gründlich unterscheiden, wessen sie ihre Leserschaft versichern: den kleinen Mann nämlich des Aufstiegs in höhere Schichten, den gemachten dagegen der alleinigen Realität des Geistigen und der Bedeutungslosigkeit der Wirtschaftskämpfe. Nicht jeder freilich wagt in dieser Hinsicht sich so sehr ins Detail wie der Verfasser der »Geheimwissenschaften im Lichte unserer Zeit«, der erklärt, es könne, »seit die Menschheit dank dem Spiritismus wieder um okkulte Dinge weiß, doch wohl sein, daß solch ein armer, durch seinen Zwangsbeitrag an die Genossenkassa, an den Bolschewismus gefesselter Proletarier, eines Tages in seiner elenden Stube klopfen hört ... Das Klopfen an der Wand des armen Mannes will seit jenem Tage nicht aufhören. Es wird sogar immer schlimmer und dadurch ganz besonders unheimlich, daß es, wenn man den Klopfgeist etwas fragt, ganz präzise mit Ja oder Nein antwortet ... Bei hellichtem Tage zupft es am Ärmel, kneift am Ohr oder wirft plötzlich Gegenstände scharf vorbei; ein Tisch schwebt in der Luft, allen Behauptungen der Wissenschaft zum Trotze, die von Schwerkraft spricht; ein Buch blättert sich von selbst auf, ein Lichtschein wird sichtbar, die Schritte eines Unsichtbaren schlürfen durch die Stube, eine Tür geht ganz von selbst auf, und es scharrt an der Schwelle, als ob ein Pudel Einlaß suchte. Fragt der Genosse heimlich die Madame oder die Kartenaufschlägerin ..., so bekommt er meist eine Antwort, die er nicht versteht ... Der Herr Betriebsrat aber lacht laut auf; er lacht allerdings nicht lange, denn schließlich kann auch der freisinnigste Herr Betriebsrat, der die höchsten Freidenkergrade mühelos erreicht hat, nicht anders, als zugeben, daß hier, wahrhaftig, bei vollem Licht und voller Besinnung, etwas wie ein Spuk am Werke ist. Ich habe Arbeiter kennengelernt, die, obzwar parteigetreue Sozialisten, heimlich spiritistische Zirkel besuchten und sich nicht davon abbringen ließen, mich zu benachrichtigen, wenn neue Phänomene und Kundgebungen zu verzeichnen waren.« (S. 351 f.) Wieviel Verlaß auf die Geister ist, die derart in der Mietskaserne gegen den Betriebsrat aufgeboten werden, darüber wird sich freilich der Unternehmer keine Illusionen machen, vielmehr geneigt sein, im stillen Wolfskehls melancholische Frage zu wiederholen: »Sollte man von den Spiritisten nicht sagen, daß sie im Drüben fischen?« Mit noch größerem Geschick tun das die Anhänger Steiners, welche den Verfasser jener bemerkenswerten Zeilen zu den ihren zählen. Zugleich setzen sie ein weit höheres Bildungsniveau voraus, als der nackte Spiritismus es tut, und eben darum konnten sie ihn im Verlauf der letzten Jahre in den Kreisen überflügeln, die neuerdings ins Obskurantentum ihr Hoffen setzen. Denn wenn die »Magie« der guten, alten Groschenhefte ein letztes, kümmerlichstes Abfallprodukt bedeutenderer Überlieferungen war, so hängt die »Anthroposophie« samt den ihr nahestehenden Charlatanerien vielmehr mit der »allgemeinen Bildung« der neueren Zeiten zusammen, und zwar als deren Zersetzungsprodukt.
Wer unternimmt, sich von der Krise Rechenschaft zu geben, in welche die allgemeine Bildung in den letzten Jahrzehnten eingetreten ist, wird inne werden, daß die Entfremdung Europas von den Werken und den Traditionen seiner Blütezeit, die Verkümmerung der Geisteswissenschaften, das Aussterben der Kenntnis der alten Sprachen den Vorgang doch nur unzureichend charakterisieren. Denn die allgemeine Bildung verschwindet nicht spurlos, sondern unterliegt, genau betrachtet, vielmehr der Zersetzung. Sie ist zur Zeit an einem Punkte angekommen, wo die Zerfallsprodukte, mit denen sie die geistige Atmosphäre schwängert, schon bestimmbar sind. Der Blut- und Strahlenzauber in seinen hundertfältigen Spielarten ist nur das eine von zwei Elementen, die im Zerfall zutage treten und von denen keines für sich allein sich recht verstehen läßt. Das salbungsvolle Kauderwelsch der falschen Propheten – um zunächst bei diesen zu verbleiben – ist unschwer als Rückstand der großen humanistischen Philosophie erkennbar, die im Programm der allgemeinen Bildung mit der exakten Forschung sich verbunden hatte. Unter diesen Propheten sind die der Anthroposophie weitaus die anspruchsvollsten. Sie haben es nicht nur wie der Spiritismus mit Geisterwelten, nicht nur wie die Mystik mit übersinnlichen Anschauungsformen und nicht nur wie die Astrologie mit Gestirnen zu tun, sondern mit allen Wissenschaften insgesamt. Und daß sie zu neuen Resultaten auf der ganzen Linie kommen, ist nicht zu bestreiten. So als Anthropologen: »War der physische Leib des Menschen auf dem alten Saturn ein Wärmeleib, so ist er zur alten Sonnenzeit ein Luftleib geworden, der, gashaft, einen weiteren Zustand der Verdichtung darstellt.« (S. 61.) So als Historiker: »Ohne Sinn sind diese grandiosen Platzsuchen und Platzwechsel der Völker (d. i. die Völkerwanderung) keineswegs gewesen, schon deshalb nicht, weil sie mit der Ätherverteilung auf der Erde zusammenhingen.« (S. 228.) So als Physiker: »Einstein hat ihm (dem Äther) die Türe der Physik wohl vor der Nase zugeschlagen, aber das Vorhandensein von Molekeln, das Einstein, Smoluchowsky und Soedberg als erwiesen annahmen, macht den Leuten, die den Äther aus der Physik hinauswarfen, wenigstens, soweit ihr logisches Denken in Frage kommt, wenig Ehre.« (S. 297.) Wenn nun auch, wie man sieht, Plänkeleien, hier mit Einstein, dort mit Eduard Meyer, dann wieder mit Dessoir unterlaufen, so ist bei Steiner so gut wie bei Krishnamurti oder Bo-Yin-Ra die große Harmonie das Ein und Alles, in dem die Einzelheiten untertauchen. Will man nun dieser Einzelheiten in den bizarren Formen habhaft werden, in welche der Verfall der allgemeinen Bildung sie versetzt hat, muß man sich an den Gegenpol verfügen. Daß er nicht weniger magnetisch auf die Massen wirkt als die verschiedenen magischen Initiationen, kann man aus dem beliebten »Frag mich was« entnehmen, auch aus der Rubrik »Wissen Sie eigentlich, daß ...«, welche seit Jahren zum eisernen Bestände gewisser Tagesblätter gehört. Die Streuung und das Durcheinander der exakten Tatsachen, wie sie in solchen Spielereien zum Vorschein kommt, ist nicht so sinnlos, wie es auf den ersten Blick erscheint. Zumindest gibt es eine große Wirtschaftsmacht, die sie in ihren Dienst stellt: die Reklame. Man durchblättere den Inseratenteil der illustrierten Wochenschriften: auf jeder Seite schlagen einem berühmte Männer und Landschaften, kulturhistorische und technische Daten, klassische Lebensregeln und statistische Tabellen, chemische und physiologische Sätze entgegen. Es ist die Ware, die auf solche Weise die Welt des Wissens und des Geistes sich als Hintergrund drapiert, um desto lockender auf ihm sich abzuheben. Kein Wunder, daß das merkantile Amerika es war, das hier den ersten Schritt ins Große tat, indem es seine Sender stundenweise einzelnen großen Firmen und Konzernen vermietet, die auf ihre Kosten die größten Virtuosen, die beliebtesten Humoristen sich produzieren lassen – zum höheren Ruhme ihrer Fabrikate. In Europa begnügt die Warenproduktion sich noch mit billigeren Kräften: sie stellt die allgemeine Bildung in ihren Dienst, um ihr Erzeugnis nicht allein in dem Bedürfnis, sondern auch im Geistesleben ihrer Kundschaft zu verankern. So viel über das unterirdische Wechselspiel der neueren Reklametechnik und Geheimwissenschaft, die beide mit dem Zerfall der allgemeinen Bildung ihren Aufschwung nahmen. Wenn die eine die Kunst versteht, die Ware zum Arkanum zu machen, so weiß die andere das Arkanum als Ware abzusetzen: so gut wie eine Zigarette als der beste Seelenarzt kann Steiners »Goetheanum« als solides Unternehmen angesehen werden und die von ihm in Umlauf gesetzte Geheimwissenschaft ist ein Markenartikel, der keineswegs verlegen ist, die gesamte Weltgeschichte zu seiner Propaganda heranzuziehen.
Damit fällt vielleicht auch ein Licht auf den zunächst gewiß befremdlichen Eifer, mit dem die Geheimwissenschaft über ihren Platz in der Presse wacht. Man beginnt zu verstehen, warum der Meister sich »über die Presse und ihre Bedeutung für die Geisteswissenschaft« Gedanken machte, sofern nämlich »die Journalisten nur die Kraft hätten, sich von Vorurteilen und ihrem Hang zu Flüchtigkeiten freizumachen« (S. 369). Da nun, wie der Verlagsprospekt bekannt gibt, mit diesem Buche ein Mann auf den Plan tritt, »der als Musik- und Theaterkritiker europäischen Ruf genießt«, mag die Geheimlehre dieses neuen journalistischen Verbindungsmannes sich freuen. Der Leser aber wird mit einiger Wehmut an die veralteten Broschüren zurückdenken, die für zehn Pfennig Glück im Spiele oder in der Liebe in Aussicht stellten und sich gestehen, wieviel lauterer sie erscheinen als ein Schrifttum, das Ophir und Atlantis, Buddha und Christus, Totenbuch und Sohar aufbietet, um die Barbarei an jenen Platz zu stellen, den vor hundert Jahren die Bildung einnahm.