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Roman deutscher Juden

Stephan Lackner, Jan Heimatlos. Roman. Zürich: Verlag Die Liga (1939). 222 S.

Während in Deutschland auf unabsehbare Zeit die Bindungen vernichtet werden, die zwischen dem deutschen Volk und den deutschen Juden bestanden haben, erscheint ein Roman, der es unternimmt, die Natur dieser Bindungen darzustellen. Er hat es mit einer wohlsituierten assimilierten Familie zu tun. Der Familienvorstand ist Architekt; man muß ihn sich aus der Generation der um 1860 Geborenen denken. Seine künstlerischen Leitbilder sind die der wilhelminischen Epoche; ein Bodo Ebhardt, der als Restaurator der Hohkönigsburg wirkte, könnte für die Figur Modell gestanden haben. Die Frau ist Nichtjüdin; der Sohn, der 1933 außer Landes ging und Techniker wurde, gehört seiner Mutter, nicht aber seinem gesetzlichen Vater zu. Die Nürnberger Gesetze führen die Mutter, ohne allzu viel Schwierigkeiten, dazu, dem Sohn einen Fehltritt einzugestehen, der ihm zu einer nichtjüdischen Abkunft verholfen hat.

Der Wunsch, die Geliebte der früheren Jahre zu sich zu nehmen und die Eltern zum Verlassen der Heimat zu bewegen, führt diesen jungen Mann 1936 nach Deutschland zurück. Er kommt zur rechten Zeit, um auf die Machenschaften zu stoßen, die die Enteignung seines Vaters zum Ziele haben. Das Eingeständnis der Mutter erlaubt es ihm, sich als »Arier« zwischen den alten Mann und seine Gläubiger zu stellen. Er widmet sich ganz der geschäftlichen Zukunft. Die erotische scheint ihm verschlossen; der Geliebten wurde die Rassenkunde zu gründlich beigebracht, als daß sie sogleich zu ihren ursprünglichen Gefühlen zurückfände. Später, als Landflüchtige, wird sie sie bewähren. – Eine andere Bindung liegt in der Linie der großen Karriere, die dem Heimgekehrten nach der Aufnahme in den väterlichen Konzern winkt. Diese Bindung – hier schießt in Lackners Roman, wie Paul Heyse es nannte, der Falke auf – ist die an die Tochter eben desjenigen Finanzmagnaten, der der natürliche Vater des unternehmenden Jünglings ist. Nun scheint die banalste Verquickung nahezuliegen: der von Ahnungslosen geschürzte Knoten dürfte sich auf tragische Art entwirren. Es kennzeichnet den sicheren Griff des Verfassers und seine Loyalität, wie er solcher Konstruktion aus dem Wege geht. Die jungen Leute finden einander in unverfälschtem Bewußtsein der Sachlage. »Jan fragte tonlos: ›Dir graust nicht?‹ – ›Mir graust vor nichts auf der Welt. Was habe ich mit Tabuvorschriften der Urmenschen zu schaffen?‹« In dem rassisch gereinigten Vaterlande führen – das ist der satirische Kern der Fabel – die Anforderungen des Geschäftslebens unter Umständen ein blutschänderisches Verhältnis mit sich. Der »scharfe Wind«, der durch Deutschland weht, trägt den Sinn spielend darüber weg.

Zuletzt bleibt freilich auch diese Leistung ohne den entsprechenden Nutzeffekt. Der Heimgekehrte erkennt, daß in Deutschland seines Bleibens nicht länger ist. Er sucht die Jugendfreundin noch einmal auf, wird von einem SS-Detachement aufgespürt und rettet nichts als sein nacktes Leben. Am gleichen Tage endet mit eigener Hand der Mann, der ihm lange als Vater gegolten hat, das seine. »Meine Vorfahren«, so begrüßt er zu Beginn der Erzählung den Heimgekehrten, »saßen seit der Römerzeit am Rhein. Was die hergelaufenen Oesterreicher und Levantiner und Schlawiner, die jetzt in dem armen Reich die Macht an sich gerissen haben, über mich behaupten, das ist mir gleichgültig, es geht mich nichts an. Wir harren aus, hier im Land, bis die Deutschen wieder zu sich selbst finden, oder bis wir zugrunde gehen.« Heute, da der zweite Teil dieser Alternative sich zu erfüllen droht, hat der Roman das Gewicht eines Dokuments. Er findet seinen Abschluß in einer zweiten Heimkehr, die nicht mehr der inzwischen selbst emigrierten Jugendgeliebten gilt, sondern dem Kampf um die Befreiung aller Unterdrückten im Dritten Reich. Lackners Buch beweist, daß die Schule des Exils einem jungen Schriftsteller nicht so schlecht anschlägt, wenn er nur Entschiedenheit und Begabung mitbringt.


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