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Briefe von Max Dauthendey

Max Dauthendey, Ein Herz im Lärm der Welt. Briefe an Freunde. München: Albert Langen/Georg Müller 1933. 231 S.

»Ich bin deutscher Schriftsteller und habe in Europa in Petersburg, Berlin, München, London, Stockholm, Paris, Venedig und Sizilien Literatur, Malerei und Musik studiert.« So schreibt, Oktober 1897, Dauthendey – und zwar aus Mexiko, das die Reihe seiner außereuropäischen Reiseziele eröffnet. Japan und Neu-Guinea, Colorado und Niederländisch-Indien sollten folgen.

Also ein Reisebrief-Buch? Kaum. Denn eine andere Exotik spricht aus ihm viel kräftiger als die entlegener Länderstriche, welche dieser Dichter gern in den gleichen satten Farben schildert, mit denen schon die Heimat ihn berauscht. Was diesem Buch den Hauptreiz gibt, das ist, um es mit einem Wort zu sagen, die Exotik des Jugendstils. Die Briefe, die es bekannt macht, sind ein außerordentlich wertvolles Dokument dieser von den Historikern noch vernachlässigten Geistesbewegung. Bereits die Namen, die in ihnen – wenn auch selten als Adressaten eine Rolle spielen, deuten darauf hin: Klinger und Munch, Sattler und Böcklin unter bildenden Künstlern und unter Dichtern Wille und Dehmel, Schlaf und Scheerbart, Strindberg und Przybyszewski.

Gelegentlich taucht auch George auf, mit einer kurzen Bemerkung, die die Wiedergabe lohnt: »Stefan George« – so heißt es 1893 – »lebt meist in Paris und ist auf der Durchreise von Wien hier. Er sagte mir unter anderem, meine Sachen wären das einzige, was jetzt in der ganzen Literatur als vollständig neu dastehe. Es wäre eine eigenartige Kunst, die reicher genießen lasse als Musik und Malerei, da sie beides zusammen sei.« Derart naive Formeln sind durchaus nicht ohne Wert – von dem der Seltenheit ganz abgesehen. Man begegnet ihnen nur an versteckten Stellen, in der Frühzeit von geistigen Bewegungen. Sie sagen vieles von dem, was später zu verdecken die Aufgabe gereifterer Formeln ist.

So sammelte sich damals unterm Zeichen der neuromantischen Bewegung nicht nur die wiederkehrende Bereitschaft für die Sprache der großen Dichtung – Klopstocks, Hölderlins – und mithin nicht nur die Revolte gegen Plattheiten der Naturalisten, sondern auch ein starkes Aufgebot des Bürgertums, mit dem zum letzten Mal der Versuch gemacht wurde, die Dichtung in dem Kreis der übrigen Reiz- und Genußprodukte festzuhalten. Daher denn das Paradoxon des Jugendstils, in dem ein hoher idealischer Elan sich nur in üppigen und schwelgerischen oder morbiden und gebrochenen Situationen und Stimmungen zum Ausdruck bringen kann: ein Paradoxon, das sowohl am Drama von Ibsen sich bewährt wie an der Lyrik Georges. In ihrer Haltung und im Lebensstil entspricht dem die Boheme, in deren Kreis Max Dauthendey heraufkam und die heute in Nebeln einer Vorzeit zu liegen scheint. »Euch Lieben hätte ich«, so schildert er ein abendliches Fest bei Dehmel, »gern das Vergnügen gegönnt, diese Tafel zu sehen, wie sie angebrochen war, und in der schwellenden Üppigkeit die strotzende silberne Bowle wie eine schwere Silberdolde in der Mitte, und die Rubingläser und die grünen venezianischen Drachengläser und dazwischen die satten, roten Orangen auf dem Kristall und dem Damast, und mitten zwischen dem Metall und Glas hohe bleiche Orchideen, blaßlila und in feuchtem Schmelz und stolz aufgestiegen und schwer gebeugt.« Die Flammenlinie des Jugendstils ist's, die in diesen Blüten aufzüngelt und nicht anders muß die Tafel gewesen sein, an der Ejlert Lövborg »in Schönheit sterben« wollte.

Dauthendey aber, der bei aller Feinnervigkeit gewichtige Reserven an Lebenskraft und Lebenslust besaß, fand einen Ausweg, der ihn bald in klarere Gesellschaft und in bessere Luft entrückte. Er fand ihn als der Träumer, der er war, indem er seinem Traum zu Schiffe folgte. So sah er weit mehr als die halbe, so schrieb er die »geflügelte« Erde und kam in die Gesellschaft jenes großen Planetenbürgers, der Paul Scheerbart hieß und der in einer Sprache, die so klar und farblos ist wie Glas, die größten Linsen zur Vorschau in die Zukunft geschliffen hat. Nun blieb zwar Dauthendey ein Träumer, während Scheerbart bei seiner Linsenschleiferei – wie einst Spinoza – Weiser wurde. Doch viel von den Geschöpfen, welche jener in der Zukunft oder im Weltraum sichtete, spricht aus den Sätzen, die, in einem dieser Briefe, die mexikanische Reise vorbereiten: »Ihr habt mir immer gesagt, daß Mexiko zu heiß sei. Für eine tiefe und ernste Kunst kann wohl keine noch so große Hitze ein Hindernis sein. Die Abende und Nächte auf den Bergen werden uns große Eingebungen schenken, und wir werden von den Bergen auf die Erde niederbücken wie Könige im Reich der Kunst. Und wir sind dann Kinder vom Herz des Weltalls. Ich kann mir auf diesen Bergen nur große Bauten und breite einfache Architektur und große Statuen denken. Und dort kann nichts Kleines sein.«

So kündet der noch ungestalte Wunsch, Werke zu schaffen, die weiter reichen als Werke einzelner, sich an. Er greift noch taumelnd aus, nach Plänen einer »neuen Religion für die Massen«, einer »neuen Sprache«. Das heißt nur, daß die Zeit für die Erfüllung noch nicht gekommen war und das erklärt die weiten Fahrten, auf denen der Dichter die eigene Sehnsucht zu betäuben suchte. Bei einer dieser »Studienfahrten« wurde er durch den Krieg, der ausgebrochen war, von seiner Heimat abgeschnitten. Mehr als drei Jahre harrte er auf Java, bald auf das Ende jenes Krieges, bald auf eine Chance, nach Europa zu gelangen. Die Briefe dieser Jahre sind durchzogen von dem Verlangen, seine Frau und Würzburg, seine Vaterstadt, zu sehen. Die zeitgenössischen Ereignisse in ihrem Wechsel spiegeln sich in ihnen kaum. Doch desto schärfer werfen kommende bisweilen ihren Schatten auf die Blätter.

»Aus diesem Krieg ersteht Europa nie mehr zur alten Macht ... Die Erde häutet sich. Das alte Europa verblutet. Der alte Erdteil Asien ist an der Reihe, aufzuleben und die Führung der Erde zu übernehmen. Was hilft es, wenn Deutschland auch siegt! Die Welt ist nicht bloß ein Futterplatz. Wir haben kein leitendes Ideal mehr. Das Christentum ist abgestorben. Hier in Asien feiert man wenigstens das Leben als ein geräuschloses tägliches heiliges Fest.«

Zwei Monate vor Waffenstillstand ist dann Dauthendey gestorben. Als er auf seine Reise ging, da war die Erde eine Farbenkugel, um die die luftigen Schleier neuer Sprache und neuer Dichterinbrunst flatterten. Doch als die Reise endete, da war die gleiche Erde rot gefärbt und in der Luft standen die Fluggeschwader, Bomben auf sie herabzuwerfen. Das Leben hatte aufgehört, geräuschlos zu sein und selbst der Tod, es sei denn, daß man ihm in den Bergwäldern Tosaris begegnete, wo die Erde dies schwärmerische Leben mütterlich mit einem frühzeitigen Ende lohnte.


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