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Der eingetunkte Zauberstab
Zu Max Kommerells »Jean Paul«

Max Kommerell, Jean Paul. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann (1933). 420 S.

Als Stefan George für seinen Kreis die maßgebliche Auslese aus der Überlieferung deutscher Dichtung in drei Bänden zusammenstellte, bestimmte er einen von diesen Bänden Jean Paul. Die Anwartschaft der deutschen Leser auf das Bild Jean Pauls, das diese Wahl regiert hat, hat sich jahrzehntelang gedulden müssen. Gestalten, deren Bedeutung für das Deutschtum mittelbarer ist als Jean Paul, besitzen längst ihr Standbild in der vielumstrittenen Folge von Werken, welche von Georges Schülern errichtet wurden. Kommerell zählt zu diesen nur noch mittelbar. Im engeren Sinne ist sein Lehrer Friedrich Wolters. Und ein gewisser Abstand von dem Gründer der Schule mag eine unerläßliche Bedingung für eine gültige Darstellung von Jean Paul gewesen sein. Spröder als andere erweist sich dieser Dichter dem Kanon von Begriffen und von Bildern, nach dem die Schüler (nicht selten allzu wendig) verfahren sind.

Mit einem Buche über den »Dichter als Führer in der deutschen Klassik« hat Kommerell schon vor zwei Jahren unverkennbar die Distanz bezeichnet, die seine Arbeit nicht nur von der der Gesinnungsfreunde, sondern nicht weniger von der zünftigen trennt. Und so bedenklich jenes frühere Unternehmen erscheinen mußte, sofern es den Versuch darstellte, die Klassiker zu Stiftern eines heroischen Zeitalters der Deutschen zu machen, so hat es dem Verfasser doch verschafft, worauf seit langem unter den deutschen Literarhistorikern kaum einer Anspruch machen konnte: Autorität. Am unverkennbarsten bewährte sie sich in der Meisterschaft physiognomischer Darstellung, in der Spannkraft einer Erkenntnis, die nicht nur die Charaktere, sondern auch, und vor allem, die geschichtlichen Konstellationen ausmaß, in denen sie einander begegneten. Solcher Konstellationen gibt es nun im Leben Jean Pauls nur eine einzige. Darum bedeutet für das Können des Verfassers dieser sein neuer Gegenstand die stärkste Belastungsprobe. Er hat sie bestanden. Und sein Werk erhebt, zumal an einen Referenten, der auch hier entscheidend sich von der Gesinnung des Verfassers geschieden sieht, den Anspruch, getreu in seinen großen Linien kopiert zu werden. Das wird nicht hindern, einen anderen Umriß Jean Pauls mit leichten Strichen anzudeuten.

Jene einmalige geschichtliche Konstellation im Leben von Jean Paul war seine Begegnung mit den Herren und Dichtern Weimars. Vorahnend mag er sie in der Vorrede zur »Unsichtbaren Loge« als seine »schönern Leser« angeredet haben, »deren geträumte, zuweilen erblickte Gestalten ich wie Genien auf den Höhen des Schönen und Großen wandeln und winken sah«. Es ist bekannt, daß man ihn wenig gastlich am Fuße dieser Höhen empfangen hat. Nicht viele seiner Weimarer Begegnungen haben Gestalt gewonnen; die handlichste, nicht zufällig, diejenige mit Goethe, der als Tischnachbar des Dichters auf eine Äußerung, welche sich Jean Paul über das Tragische erlaubte, eine Viertelstunde verstimmt den Teller drehte. Kommerell geht wenig auf das anekdotische Beiwerk dieser Lebensperiode ein. Der alte Nerrlich ist da ausführlicher gewesen und hat Züge festgehalten, die einem heutigen Betrachter Stoff zu triftigen Gedanken geben könnten. Hier einer dieser Züge: »Zu den Hofconcerten durften im Saal nur Edelleute erscheinen, während für die Bürgerlichen die Galerie reserviert war; als nun Jean Paul bedeutet wurde, daß auch er Zutritt zum Saale erhalten würde, falls er einen Degen anlege, weigerte er sich, da er hierin eine Degradierung sah.« Solche Züge wird man bei Kommerell vergeblich suchen. Doch ist er gleich in seinem Element, wo er Gestalten im Pathos ihrer Distanz, im Feuer ihres Gespräches darzustellen hat. »Wer heute«, schreibt er, »von den Schöpfungen ausgehend, geneigt ist, den Schüler über den Lehrer zu setzen, vergegenwärtige sich beider Gestalt, wie sie in Herders Studierstube auf Stühlen sitzen und Gespräch führen: der eine von moloch-artiger Beweglichkeit, wenig seiner Würde achtend, wässerigen Auges und riesiger Kinderstirn, der andere mit dem Ausdruck angeborenen Priestertums im Gesicht, der durch die fast weibliche Lieblichkeit des Mundes und durch die Musik in allem, was aus diesem Munde kam, gemildert war ... und mit den dunklen Augen, deren unheilbare Traurigkeit schon damals an den Blick eines trauernden Demeterhauptes erinnert haben mag.«

In unmittelbarer Nähe solcher Vergegenwärtigungen ist im Verfasser der Gedanke entsprungen, der vor allen anderen der Keim zu seiner bedeutungsvollen Konzeption gewesen sein mag. Es handelt sich um die Idee des Humoristen, auf welchen das Kapitel »Vorgänger« eine perspektivische Rückschau eröffnet. Der Humorist ist ein anthropologischer Typus, und das über ihm waltende Gesetz das »der unpassenden Verkörperung«. Er ist das Geschöpf des ersten Witzes, »den diese Witzbolde nicht machen, sondern der sie macht«. Die falsche Verkörperung ist das Erlebnis des Humoristen, das, als verhängnisvolle Schickung, hinweggescherzt werden muß. »Für den Philosophen«, setzt der Verfasser hinzu, »ist das im-Leib-Stecken kein Schicksal, sondern ein Schein ... Hätte da ... der Humorist als lachender Philosoph den tiefern Welternst von beiden?« Das geht auf Fichte. Die Philosophie der »Wissenschaftslehre« hat Jean Paul in ein und demselben ungeheuren Witz zu sprengen und sich zuzueignen gesucht. Leibgeber sei ihr Schöpfer (eine seiner Romanfiguren also). Der habe nämlich den Fichte selbst erst »setzen« müssen, der dann Verfasser der Wissenschaftslehre geworden sei. Drei Dinge wären es, die im Humoristen zusammentreten: das Ausquartiertsein aus dem eigenen Leib, die Versatilität des Ich, das in jedem Fremden Quartier beziehen kann, und das Denken, das Rahmen und Inhalt dieses Vorgangs Zugleich ist. »Das Erlebnis der Unentrinnbarkeit des Ich und das Erlebnis der verfänglichen Dehnbarkeit des Geistes sind nur scheinbar Widersprüche.« Diese Dehnbarkeit geht in das Grenzenlose. Nicht nur die vielfältigen Bälge, die das Ich als Humorist bezieht, nicht nur die schönen Traumgestalten, in denen es sich für die Ewigkeit Quartier bereitet, ohne je in der Zeit in ihnen zu Hause zu sein, nehmen den Dichter auf. Der Weltraum selbst liegt ihm nicht ferner, ist ihm auch nicht unwirtlicher als sie. Denn »Jean Paul dachte sich nicht, wie manche Denker, in die Welt, sondern weg von der Welt«. Mit dem Luftschiffer Giannozzo gewinnt er seinen größten Abstand von ihr.

In dieser dünnen Atmosphäre hat später Paul Scheerbart, der Verfasser des »Kometentanzes« und der »Astralen Novelletten«, sich heimisch gemacht. Und dessen Freund Mynona hat in der exzentrischen Spannung des Ich als »schöpferische Indifferenz« den Ruhepunkt erblickt, um den die Weltwaage balanciert. Nicht umsonst hat er in einer brauchbaren Auswahl »Jean Paul als Denker« sprechen lassen. Es wäre ungerecht zu leugnen, daß auch Kommerell diese Dimension des Humors gesichtet hat. »Jean Paul entdeckt«, so sagt er, »in der alles in sich ziehenden, brechenden, sich selbst ausmessenden Ichheit die bejubelte Unendlichkeit der neuen Dichtung.« Jedoch nicht diese Räume, die der Fernblick, sondern die dunkleren, die sich der Tiefsinn am liebsten wählt, sind der Betrachtung des Verfassers die gelegeneren. Und sehr bezeichnend deutet er das Schicksal des Humoristen, das Jean Paul für sich niederkämpfte, auf eine deutsche Gefahr: »die Gefahr einer philosophisch überreizten Selbstbesinnung, also die Gefahr eines Jahrhunderts. Bewußtseinsfrevel ist die Sache, zu der Jean Paul ... die Gestalt erfand.«

Von hier ist's nur ein Schritt – wenn auch ein Fehltritt – bis zur Diffamierung des Denkens selbst. Zwar ist, wie man erst kürzlich sehr mit Recht bemerkt hat, K[arl] J[ustus] Obenauer, Die Problematik des ästhetischen Menschen in der deutschen Literatur. München 1933. jene Bewußtheit, aus welcher der deutsche Idealismus und Jean Paul mit ihm spekuliert, »nicht geschärfter Verstand oder Helle der Vernunft ..., sondern Lust und Qual ästhetischer Selbstbespiegelung«. Aber wie nahe liegt nicht die Verwechslung! Wie doppelt nah dem Autor, dreifach nah der Zeit! Kommerell ist ihr nicht anheim gefallen. Er schließt sie auch nicht aus. Er scheint zu zögern. Er sucht die Überwindung dieses Zweifels in der heroischen Geisteshaltung. »Die Traumgestalten Jean Pauls«, so schrieb er schon vor Jahren, »scheinen nur solange blutlos bis ihre irdischen Brüder über unsern Boden gehen.« Und nun rückt er entschlossener seinen Dichter in die Nähe Nietzsches. So gelingt ihm zum mindesten das eine: dem Humor nach seiner destruktiven Seite gerecht zu werden. Es fallen scharfe Worte über jene bequemen Geister, die Aussicht haben, »in den ewigen Vorrat deutschen Humors zu kommen, und noch den dürftigsten Scherz bejauchzt zu sehen«, weil sich ›ja hinter ihm ein goldenes Gemüt verbirgt‹. Solche bequemen Geister haben es aufgebracht, daß dieser Humor dem Dichter »das Schicksal eines Kleist oder Hölderlin erspart habe. Näher gemustert, war dieser Humor selbst etwas, vor dem sich Jean Paul zu schützen hatte, und lange nicht die gelindeste unter seinen innern Vernichtungskräften.« Schoppe, der Denker, den der Irrsinn packt, lehrt, »was ein Denkerlebnis ist«, und stiftet seinem Dichter, nach Kommerell, die Verwandtschaft mit Nietzsche.

So führt der Verfasser die Geschichte des Lachens bis zu Nietzsche herab. Weit unanfechtbarer und hochbedeutend ist die Wendung, mit der er sie bis zu Sokrates heraufführt. Tragweite und Niveau des Werkes sind kürzer kaum zu vermitteln als mit folgendem Zitat, das lang ist: »Man mag Sokrates den ersten Humoristen nennen, von dem die Welt weiß. Darin daß er sich selbst mit Humor behandelte, lag das Empörende seiner Erscheinung für die Griechen. Nicht daß es ihm an Schätzung seiner selbst gefehlt hätte ... Aber die Selbstachtung der Griechen bezog sich auf die Gestalt ... Sokrates stellte das Ehrwürdige in sich weit von sich weg: mit ›sich‹ im griechischen Sinn: nämlich mit seiner Gestalt spielte er, ja gab sie preis.« Das war unerhört ... Sokrates in Athen und Jean Paul in Weimar. Zwei große Störenfriede und enfants terribles, umso unausstehlicher, je mehr sie bewegten und bedeuteten! Einen Menschen, der von sich selbst absah, konnte die attische Herrenschicht oder konnten die Weimarer Herren-im-Geist als Hofnarren um sich leiden – wenn er aber die andern übersah und aufwog? Niemand liebt die geistige Aufhebung des Raumes in dem er sich selbst befindet, noch weniger, wenn er selbst ihn unter Mühen geschaffen hat, am wenigsten, wenn dieser selbe Johann Wolfgang Goethe heißt. Und auch die Weimarer waren, da sie sich zu einer Art geistigen Herrentums erzogen hatten, betont humorlos. So bot die Geschichte den Stoff zu zwei großen Komödien ... die eine ist geschrieben worden und heißt: die Wolken des Aristophanes. Die andre wurde bloß gelebt.«

Gelebt aber wurde sie im Biedermeier. Das ist, für den Verfasser, der Augenblick, in dem das Bürgertum aufhört »Symbole zu haben, und der reinen Innerlichkeit anheimfällt ... Erst mit dieser gibt es auch die reine Äußerlichkeit. Zwischen beidem liegt der Stil. Man mag das Biedermeier lieben oder schelten: es ist das Bürgertum als Stil – nach ihm besteht es ohne solchen weiter.« Das ist nun eine sonderbare Perspektive auf die letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts: Zeitraum eines »stillosen« Bürgertums. Lassen wir sie beiseite, um zu fragen: was sagt denn Kommerell, wenn er das Biedermeier mit einem warmen und mit einem kalten Worte einen »Stil« nennt? Nichts Entschiedenes und nichts Entscheidendes. Er steht hier an der Grenze des Bereichs, das der heroischen Geschichtsbetrachtung faßlich ist. Der Zeitgeist, den Jean Paul wie keiner sonst beim Namen rief, muß hier als Lückenbüßer sein Dasein fristen. Kommerell läßt ihn nicht zu Worte kommen. Er scheut, ihn zu vernehmen, und er hat recht. Was dieser Zeitgeist anzusagen hat, ist der Zusammenbruch der Forderung, die die Klassik an das deutsche Bürgertum gestellt hat. Diese Forderung hieß: Versöhnung mit dem Feudalismus durch ästhetische Erziehung und im Kult des schönen Scheins. Daß nicht der Trotz des Bürgertums, vielmehr der Anspruch der Reaktion es war, an welchem die klassischen Forderungen zunichte wurden, tut zu dieser Sache nichts. Das klassische Gesetz der Menschenbildung hat Goethe Mignon ins Lied gelegt: »So laßt mich scheinen, bis ich werde.« Der Lebenslauf des Apothekers Henoch Marggraf, der letzte, den Jean Paul geschildert hat, ein undurchdringliches Gewebe aus Betrug und Wahn, das er um sich und andere spinnt, erscheint als böses Zerrbild jenes Beschwörungsverses. Und nicht umsonst ist es ein Fürstenthron, welchen der Apotheker sich vorgaukelt und den anderen. Die Goetheschen Schutzgöttinnen des Scheins – Ottilie, Mignon, Helena – sind versunken, und eine ganz andere Scheinwelt ist es, in der das Bürgertum des Biedermeier unter Jean Pauls Protektorat sich einrichtet. Als Protektor hat es ihn in der Tat empfunden, und sein Erfolg, dem bei Kommereil keine Deutung zuteil wird, hat hier seinen Grund. Freilich ist es dem Verfasser gelungen, dieser Scheinwelt des Biedermeier von einer Seite sich zu nähern. Daß alles Geistige hier ins Geisterhafte überzugehen trachtet, Spiegel- und Wachsfigur, nicht nur in den Ritter- und Räuberbüchern, sondern auch bei Jean Paul zu Gerätschaften des Verhängnisses werden, spricht er aus. Diese Zersetzungserscheinungen, die dem Aufschwung des spekulativen Idealismus der oberen in den niederen Ständen entsprechen, hat er im Werk Jean Pauls auf das geistvollste nachgewiesen. Aber die Tagseite des Scheins, die innigst zu dieser seiner Nachtseite gehört, der schöne Schein, der im Biedermeier nicht mehr, wie in der Klassik, sich selbst genug tut, sondern als Gegenstück zum Blendwerk dies zerstreut, der Schein des Zaubermärchens berührt ihn kaum. Vielleicht weil dieser tröstliche aus Schichten kam, an welche die heroische Geschichtsbetrachtung ungern sich verliert. Es sind die volkstümlicher Überlieferung.

Die Kunst des Biedermeier ist von solchen Überlieferungen durchdrungen, und Jean Pauls Zettelkasten war deren Archiv. Kommerell hat die offenkundige Verwandtschaft dieses gewiß barocken Dichters mit der Barockzeit der deutschen Dichtung keiner Ausdeutung gewürdigt. Und doch ist hier ein Tatbestand gegeben, an welchem weder die Betrachtung seines Werks noch seiner Zeit vorübergehen kann. Das Biedermeier sah die Auferstehung der blutigen oder geisterhaften Vorgänge der barocken Bühne im Schicksalsdrama. Es sah die Nachblüte der die Dinge verwandelnden, dem eigenen Wesen zu sinnbildlichem Gebrauch sie entfremdenden Allegorie im Zauber- und Feenmärchen. Es hörte die opernhafte Sprache der Barockpoeten in einer Art Spieldosen-Lyrik nachklingen. Das alles vereinigt sich in Jean Paul. »Ein Nachzügler über Jahrhunderte weg« – so folgt nicht nur der Apotheker Marggraf dem Don Quichote, sondern Jean Paul dem Genius der deutschen Barockdichtung. Nur daß, wie im Märchen von »Schwan kleb an«, eine unabsehbare Kette von kleinen Leuten und vor allen Dingen Kleinbürgerinnen Deutschlands sich an ihn gehängt hat. Ins Blumige, Anspruchslose und Gefällige haben sich die Motive des Barock, die einst in der gelehrten Dichtung prunkten, umgebildet. Das hindert nicht, daß sie der Zeit als Erbe, als Überlieferung zugefallen sind. Keiner hat üppiger mit ihr geschaltet als Jean Paul. Dies breite souveräne Schaffen macht den Blick in seinen Fundus unerläßlich.

Nicht die Gestalt, der Wandel ist's, dessen Geschöpfe unerschöpflich sich der Dichtung aus diesem Fundus zur Verfügung stellen. Sein Wesen ist das der Phantasie, die die Gestalt der Umgestaltung zuführt. Dies nicht ohne sie dabei zu entstalten. Entstaltendes Geschehen ist der Stoff Jean Paulscher Dichtung. Es ist die Stelle, an der sie mit der Traumwelt sich berührt. So viel die Ahnung von diesem wolkigen Kern vermitteln kann, so viel – nicht mehr – enthüllt sich dem Verfasser. Er streift die Sache und spricht von »zarten, buntgefärbten Grenzen«, welche die Wirklichkeit des Dichters hat. Er sagt sie, wenn auch nur im Bilde, aus: »Die kleinste seiner Dichtungen ist erschaffen, sobald eine Farbe des Gefühls das Gewebe eines Vergleiches tränkt.« Und in der Tat: die Phantasieanschauung – der Gegensatz aller gestaltenden Einbildung – ist in der Welt der Farbe zu Hause. Aller Form nämlich, allem Umriß, den der Mensch wahrnimmt, entspricht er selbst mit dem Vermögen, ihn hervorzubringen. Der Körper im Tanz, die Hand in ihren Gesten bildet ihn nach und eignet ihn sich an. Dies Vermögen aber hat an der Farbe seine Grenze; der Menschenkörper kann die Farbe nicht erzeugen. Er entspricht ihr nicht schöpferisch, sondern empfangend: im farbig schimmernden Auge. Reine Farbe ist das Medium der Phantasie, nicht der strenge Kanon des gestaltenden Künstlers. Ihre Wolkenheimat, in der Formen sich weniger gestalten als entstalten, ist das Reich des Wandels. »Wo ist denn das hin«, sagt Jean Paul, »das gefärbte Gewölk, das seit dreißig Jahren an diesem Ich vorüberzog und das ich Kindheit, Jugend, Leben hieß?« Was aber auf der einen Seite Spiel scheint, neigt sich auf der anderen zum Heiligen. Die Kunst, die unterm Walten reiner Phantasie sich der Gestalt entfremdet, nimmt damit vielleicht nur Bilder des tausendjährigen Reichs vorweg. Kommereil irrt sich nicht, wenn er erklärt: »Im Ganzen genommen sind Jean Pauls Urteile chiliastisch, weshalb Herder es liebte, seine Namen Johannes und Richter sinnbildlich zu nehmen.« Und, unverwischbar in der Prägung, bezeichnet der Verfasser Zuletzt als das Verhältnis Jean Pauls zu Goethe dies: »Wo bleibt Jean Paul? Er behielt anders Recht – nicht wie ein Führer, sondern wie ein weises Kind oder eine heilige alte Frau.«

Jean Paul war ein Geschöpf, welches »mit Staat, Sitte, Beruf, Weib und Geschäft bloß in der Form der Niederlage bekannt werden konnte«. Dafür ist ihm »der eingetunkte Zauberstab« zuteil geworden, der »die Form an der materiellen Welt mit einem Schlage« ändert. Der Zauberstab, von dem die Rede ist, ist der der Phantasie; die Feuchte, die ihn benetzt, die des Humors, den man aus unergründlicher Quelle sprudelnd sich denken mag. Zu Füßen eines biedermeierlich geblümten Felsens springt sie auf. Gelehnt an eine himmelblaue Göttin lagert dort der Dichter mit den melodischen Händen. Was ihm die Muse eingibt, zeichnet ein Flügelkind neben ihm auf. Verstreut umher liegen Harfe und Laute. Zwerge im Schoß des Berges blasen und geigen. Am Himmel aber geht die Sonne unter. So hat Lyser einmal die Landschaft gemalt, in deren buntem Feuer die Gestalten Jean Pauls wandeln und sich verwandeln. Bei Kommerell zeichnet das Dichterhaupt nackt von dem grauen Hintergrund der Ewigkeit sich ab.


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