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Georg Ellinger, Geschichte der neulateinischen Literatur Deutschlands im sechzehnten Jahrhundert. Bd. 3, Abt. 1: Geschichte der neulateinischen Lyrik in den Niederlanden vom Ausgang des fünfzehnten bis zum Beginn des siebzehnten Jahrhunderts. Berlin und Leipzig: Walter de Gruyter u. Co. 1933. VIII, 334 S.
Das vorliegende Werk stellt die erste Abteilung des dritten Bandes von Ellingers »Geschichte der neulateinischen Literatur Deutschlands im sechzehnten Jahrhundert« dar. Es weist also einerseits zurück auf die beiden umfangreichen Bände, deren erster die Geschichte dieser Lyrik in Italien und im deutschen Humanismus, deren zweiter sie insbesondere in dem Deutschland der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts verfolgt; es weist dann andererseits voraus auf seine zweite Abteilung, in der der Autor die neulateinische Lyrik des älteren und des jüngeren Scaliger einer gesonderten Betrachtung unterziehen will. Wie man sieht, ist die Kontinuität dieser Darstellungen eine durchaus imponierende. Man wünschte, von ihrer wissenschaftlichen Haltung das gleiche sagen zu können. Leider ist das nicht möglich. Nirgends gelingt es dem Verfasser – ja, nirgends hat er auch wohl nur geplant – in dem entlegenen Stoffgebiet, das er behandelt, eigene Wege zu bahnen. Die ausgetretenen aber, die er bis hinein in jenes zu verlängern sich bemüht, erweisen sich auf diesem steinigen Gelände noch bündiger als auf anderem als die falschen. Ellinger glaubt, es mit mehr oder minder vollkommener Lyrik im modernen Sinn – besser: im Sinn des vorigen Jahrhunderts – zu tun zu haben; mit Gedichten, in denen sich ein individuelles Erlebnis oder eine individuelle Stimmung derart niedergeschlagen habe, daß sich der Leser mit dem eigenen Gefühl in das Gedichtete des Dichters zu versetzen, es innerlich sich anzueignen vermöge. Ob eine solche Auffassung von Lyrik sich im allgemeinen als stichhaltig erweist, kann hier außer Betracht bleiben. Denn daß sie angesichts der neulateinischen der Humanisten untauglich ist, ergibt sich schon aus deren Funktion. Diese war keine dichterische, sondern im strengsten Sinne literarisch: bildungs-, Staats- oder religionspolitisch. Es ist ein Unding, so wie der Verfasser es hier versucht, an diese Produktionen gewissermaßen unverbindlich, mit der Haltung des Schöngeistes, der in einer Blütenlese blättert, heranzutreten, um sodann ein Urteil nach eigenem Geschmacke über sie zu fällen. Ein Unding ferner, zu glauben, daß mit einigen sehr summarischen Hinweisen auf die niederländische Geschichte dieses Zeitraums das wissenschaftlich Angezeigte geleistet sei.
Erfahrungsgemäß will ein Problem, je spröder es sich darstellt, desto entschiedener nach jenen eigentümlichen Methoden studiert sein, die sich mit der strengsten Anpassung an seine besonderen Gegebenheiten bilden. Diese besonderen Gegebenheiten aber erweisen gerade bei den sprödesten Materien sich stets als die von Grenzgebieten. Ein Grenzgebiet ist auch die neulateinische Dichtung der Humanisten. Ihre Geschichte liegt an der Stelle, wo die Grenzen einer Geschichte der klassischen Philologie, einer Geschichte der politischen und theologischen Ideen, einer Geschichte des gelehrten Unterrichts, einer Geschichte der Hochschulen und – gewiß erst an letzter Stelle – einer Geschichte der Dichtung ineinanderlaufen. Pragmatisch sie abzuhandeln, ist ein hoffnungsloses Unternehmen. Wie vielmehr Bachofen das Mutterrecht, Riegl die spätrömische Kunstindustrie, Giehlow die Emblematik der Renaissance und kürzlich erst Hertz den Faust zweiter Teil behandelt hat – nämlich als Konfinium, als Grenzgebiet – so einzig wäre auch die neulateinische Lyrik der Humanisten zu erfassen.
Das hätte zur Voraussetzung, daß sie, bevor sich die Betrachtung einzelnen Poeten zuwendet, als ein kollektives Phänomen gesichtet würde. Den Nachdruck auf die »Würdigung« der einzelnen Dichter zu verlegen, ist genau so abwegig wie den Prüfstein der Erlebniswahrheit oder der Natürlichkeit des Ausdrucks an ihre Produktionen anzulegen. Abwegig aber nicht nur im Zusammenhang dieser Forschungen. Ellingers Werk ist vielmehr überhaupt, sowohl methodisch wie auch gegenständlich hinter dem heutigen Stand der Wissenschaft zurückgeblieben. Es geht nicht an, die Darstellung der großen geistigen Bewegung, die die Allegorik ausmacht und zu der wir Studien gründlicher Kenner haben, durch den Hinweis auf »die Figuren an den Gebäuden und auf den Plätzen«, durch die »die Bürger ... an allegorische und mythologische Vorstellung gewöhnt worden« waren, zu ersetzen. Genau so wenig geht es an, nach dem was Cysarz, Hübscher, Günther Müller gezeigt haben, in dem Barockstil weiterhin nur die Entartung klassischer Vollkommenheit zu sehen.
So bleibt der wissenschaftliche Ertrag der fleißigen, gewiß auf umfangreiche Quellenstudien gestützten Arbeit unbeträchtlich und nur das melancholische Gefühl, so zwecklos einen großen Aufwand vertan zu sehen.