Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Roger Caillois – Julien Benda – Georges Bernanos – G. Fessard

Roger Caillois, L'aridité. In: Mesures. Cahiers trimestriels. 15&#7497; avril 1938, No. 2. Paris: Librairie José Corti. S. 7-12.

Julien Benda, Un régulier dans le siècle. Paris: Gallimard (1937). 254 S.

Georges Bernanos, Les grands cimetières sous la lune. Paris: Librairie Plon 1938. V, 361 S.

G. Fessard, La main tendue? Le dialogue catholique-communiste est-il-possible? Paris: Editions Bernard Grasset 1937. 248 S.

Der Aufsatz von Caillois im Aprilheft von »Mesures« bestätigt, in wie hohem Maße die Vorbehalte, mit denen Adorno vgl. dieses Heft, S. 410 [T. W. Adorno, Bespr. von Roger Caillois, La mante religieuse, Paris 1937, in: Zeitschrift für Sozialforschung 7 (1938), S. 410 f. die »Mante religieuse« versieht, berechtigt sind. Diese dialectique de la servitude volontaire beleuchtet, unheimlich, verschlungene Gedankengänge, in denen ein Rastignac herumlungert, der nicht mit dem Hause Nucingen, sondern mit der Clique autoritärer Propagandachefs zu rechnen hat. Die namhafte Begabung von C[aillois] hat in diesem Essai einen Gegenstand, an dem sie sich nicht mehr anders bekunden kann als in der Gestalt der Frechheit. Es ist abstoßend, wie die historisch bedingten Charakterzüge des heutigen Bourgeois durch ihre metaphysische Hypostasierung zu einer mit elegantem Griffel umrissenen Remarque am Rande des Zeitalters zusammentreten. Die gedrängten Striche dieses Dessins tragen alle Merkmale pathologischer Grausamkeit. Sie gibt nun einmal die unabdingbare Grundlage für die Erschließung des »höheren Sinnes« ab, der der Praxis des Monopolkapitals innewohnt, welches seine Mittel »lieber der Zerstörung verschreibt als sie dem Nutzen oder dem Glück zuzuwenden« (S. 9). Wenn C[aillois] sagt, »on travaille à la libération des êtres qu'on désire asservir et qu'on souhaite ne voir obéissants qu'envers soi« (S. 12), so hat er ganz einfach die faschistische Praxis gekennzeichnet. – Es ist traurig, einen schlammigen breiten Strom aus hochgelegenen Quellen gespeist zu sehen.

Gerät man auf Formulierungen, wie sie C[aillois] in dem Text von »Mesures« zum besten gibt: »Il faut ... rappeler que le royaume des cieux et de la connaissance n'appartient qu'aux violents, que les portes ne s'en ouvrent pas par un mot magique et qu'il est nécessaire de les forcer« (S. 10), so kann man sich nicht erwehren, mit Vergnügen an einen Appell von Benda zurückzudenken: »Clercs de toutes les nations ... allez au fond de vous-mêmes et vous reconnaîtrez que l'idée de création implique nécessairement l'idée de violence, de discontinuité, de chose imposée au monde par un acte arbitraire. Le dieu créateur qu'adore la Bible devait devenir nécessairement le dieu des armées... Vous ne ferez une terre de paix qu'en proclamant, avec les Grecs, que la sublime fonction des dieux n'est pas d'avoir créé le monde, mais, sans plus rien créer, d'y avoir porté de l'ordre, d'avoir fait un Cosmos.« (Benda, Discours à la Nation Européenne, Paris 1933.)

In dem soeben erschienenen Buch sucht B[enda] die vorbildlichen und die typischen Züge des clerc an seinem eigenen Leben zu statuieren. Exemplarisch erscheint ihm ein Konflikt, in den die oben berufenen griechischen Ideale des clerc mit den jüdischen treten. Während ihm die ersten die mönchische Lebensführung als Leitbild vor Augen stellen, nötigen ihn die andern, sich innerhalb des Säkulums für die Gerechtigkeit einzusetzen. Da in der Welt ohne Kompromisse nichts zu erreichen ist, so beeinträchtigt der Kampf für die moralischen Werte die präzise Formulierung der intellektuellen. – Hiernach ist es kaum nötig anzumerken, daß B[enda] von jeder dialektischen Konzeption weit entfernt ist. Die Freude an der Etablierung reinlicher Gegensätze kommt auf die kindlichste Art zu Geltung und entschädigt den Denker reichlich für alle Unstimmigkeiten, welche sie in sein Leben tragen. Es geht so beschaulich in diesem Leben zu, daß seine Darstellung fast unausweichlich einige Selbstgefälligkeit in sich schließt. Ihrerseits vermehrt die letztere seine Bereitschaft, die inneren Widersprüche seines Denkens in Kauf zu nehmen. In der Tat ist die Virtuosität seines Stils der Fadenscheinigkeit seines Denkens verpflichtet. Indem er beide an seinem Lebenslauf zur Schau stellt, hat das Buch, wie nicht oft eines, seinen Lohn und seine Strafe zugleich dahin.

Ziemlich spaßhaft ist zu verfolgen, wie die weitausgreifenden Veranstaltungen zur Schärfung des intellektuellen und des moralischen Gewissens auf die Feststellung hinauslaufen, daß für den clerc ein Sonderfall existiere: ein Land, in dem er, ohne seinem Beruf allzu untreu zu werden, seine Nation akzeptieren kann. Es trifft sich, daß es die französische ist (S. 143). Will man sich vergewissern, wie das zu verstehen ist, so hat man nur eine Seite zurückzublättern, um zu erfahren, daß – sollte Frankreich eines Tages dem Faschismus verfallen – B[enda] niemals, wie es die Art der Emigranten ist, im Ausland, in das er sich alsdann begeben wolle, gegen die Regierung seines Landes wirken werde. Diese Behutsamkeit der eigenen Regierung gegenüber hat ihr Komplement in der etwas rauheren Behandlung des fremden Volkes. »Je tiens que, par sa morale, la collectivité allemande moderne est une des pestes du monde et si je n'avais qu'à presser un bouton pour l'exterminer tout entière, je le ferais sur-le-champ.« (S. 153.) Der Köhlerglaube an »peuples qui, en tant que peuples, sont avides d'expansion« (S. 170), geht bei B[enda] mit dem Anspruch auf mathematischen Rigorismus des Denkens Hand in Hand. Kurz, die Dialektik kommt ohne sein Zutun zu ihren Ehren, indem dieses ritterliche, ja donquichotteske Eintreten für die unbefleckten Prinzipien sich als der umständlichste Konformismus der Welt entpuppt. B[enda] lehnt es der herrschenden Klasse gegenüber ab, demagogische Aufgaben zu übernehmen; er zieht es vor, sich bei ihr um den Posten eines chef du protocole zu bewerben.

Dazu stimmt, daß der Verfasser, der angeblich an Personen gar kein Interesse nimmt – denn für ihn zählen nur Ideen! – sein Buch mit einer Fülle von Anekdoten ausstattet. Sie sind wertvoller als seine Gedankengänge und manchmal sehr aufschlußreich. Wenn er z.B. von dem culte de la blague bei Sorel spricht, so trifft er auf eine Ader, die man heute bei einem Adepten des Faschismus wie Céline ebenso deutlich zutage liegen sieht wie bei seinen Wortführern Rosenberg oder Goebbels. – Die Animosität gegen die Romantik, die Findigkeit, die ihren wirklichen, die Hypochondrie, die ihren vorgeblichen Einfluß aufspürt, verbindet B[enda] mit dem Baron Seillière.

Zu erwähnen ist, daß Georges Bernanos, dessen katholische Romane einen nicht nur für die Orthodoxie bedenklichen Geruch an sich trugen, mit einem großen Pamphlet gegen Franco »Les grands cimetières sous la lune« hervorgetreten ist. Das Buch hat besonders an den Stellen politisches Gewicht, an denen B[ernanos], der bis Ende 1936 auf Mallorca gelebt hat, sich mit dem Erzbischof von Palma beschäftigt.

Der Jesuitenpater Fessard hat letzthin eine Schrift »Le dialogue catholique-communiste est-il possible?« veröffentlicht. F[essard] modelliert seine Haltung an der des Intellektuellen, und man kann sagen, daß er von Hause aus dem Faschismus mit einiger Animosität gegenübersteht. Wie weit die Mittel, die er zur Begründung der »existenziellen Entscheidung« in politicis aufbietet, ernstlich für ihn gutsagen können, darüber zu reden erübrigt sich. Ein Vortrag, der die Position seines Buches zu befestigen hatte, entwickelt Folgendes: Die Gewalt stellt die niederste Stufe der sozialen Relationen dar, die Rechtsordnung die Antithesis der Gewalt und die höhere Stufe; die Eucharistie die Synthesis spontaner Gewalt und durchdachter Ordnung. Es ist demnach die Gewalt der Liebe, die das Ideal der menschlichen Gesellschaft verwirklicht. (Das muß ihm die Erotologie illustrieren: Thesis – geschlechtlicher Besitz; Antithesis – Ehe; Synthesis – Liebe.) Der Christ müsse sich überall versagen, wo nicht diese eucharistische Ordnung der menschlichen Verhältnisse ins Werk gesetzt werde. Sein »double refus« gelte beiden Lagern. – Die Antinomie zwischen materialistischer und idealistischer Dialektik wird synthetisch durch die materialistisch-spiritualistische Konzeption der Fleischwerdung Christi überwunden. Dem entspricht es, daß das Problem der Familie seine Lösung bei Gelegenheit der Auferstehung erfahren soll.


 << zurück weiter >>