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Grete de Francesco, Die Macht des Charlatans.

Basel: Benno Schwabe und Co. (1937). 238 S., 69 Abb.

Mit welchen Mitteln Personen oder Gruppen Einfluß auf Massen ausüben können, das ist ein verhältnismäßig neuer Gegenstand des Nachdenkens. Vom Altertum bis zum Beginn des vorigen Jahrhunderts war die Redekunst unter diesen Mitteln das einzige eines näheren Studiums gewürdigte. Im Laufe des genannten Jahrhunderts wurde es durch die Photographie, die Rotationspresse, den Film und den Rundfunk möglich, Aufforderungen, Informationen und Meinungen nebst Bildern zu ihrer Bekräftigung immer schneller unter eine immer größere Zahl von Leuten zu bringen. Das kam unter anderem der Reklame zugute. Je mehr sie sich verbreitete, desto sinnfälliger wurde, daß die Redekunst ihr Monopol im früheren Umfang verloren hatte. Wer im Werbefilm für einen Industrieartikel einzutreten hat, kann vom Marktschreier mehr lernen als von Cicero.

Im Zuge dieser technischen und wirtschaftlichen Entwicklung ist die Frage: Wie beeinflußt man Massen? akut geworden. Die Politik sorgt dafür, daß sie es bleibt. Die Untersuchung, welche Grete de Francesco veröffentlicht, nimmt an dieser Aktualität teil. Sie hat es mit den Mitteln zu tun, dank deren der Scharlatan seine Macht ausübt. Ist das Monopol der Redekunst erst einmal eingeschränkt, so richtet sich der Blick gleich auf Formen der Massenbeeinflussung, die von je her neben ihr bestanden haben. Die Geschichte des Scharlatans schreiben heißt, die Vorgeschichte der Reklame darstellen. Die instruktiven, zu einem großen Teil bisher unbekannten bildlichen Dokumente, mit denen de Francesco ihr Buch illustriert hat, beweisen das. Der Scharlatan begegnet auf ihnen als ein Mittelding zwischen Zauberkünstler und Komödiant; die Bretterbank, auf der er sich produziert, ist halb Podium, halb Schaubühne. Herolde und Harlekins sind sein Stab; Fahnen und Baldachine begleiten ihn; Prozessionen führen ihn durch die Stadt.

Die Verfasserin macht den Leser mit den Gestalten bekannt, die in diesem Rahmen erschienen sind, welcher heute so bemerkenswerte Bereicherungen erfahren hat. Charakterstudien der Alchimisten Bragadino und Thurneißer stehen neben dem Porträt Mondors, des Quacksalbers, dessen Ruhm im Namen seines Spaßmachers Tabarin überdauert; an sie reiht sich die Darstellung Eisenbarths; die Kapitel über die Scharlatane des dix-huitième siècle, die Cagliostro und Saint-Germain bilden in dem Werke einen Höhepunkt. Die Entwicklung des Scharlatans bringt, gewissermaßen versuchsweise, Motive zur Geltung, die die kommende industrielle und politische Publizität mit gesteigertem Nachdruck entfaltet hat. Damit ist die Perspektive gekennzeichnet, in der der Figur des Scharlatans ihr historischer Umriß gesichert ist.

Nicht ganz ohne Gefahr für die Bildschärfe unternahm die Verfasserin es, ihn noch unmittelbarer an uns heranzurücken. Ein polemisches Interesse bestimmte sie. Sie gedachte, den irregeleiteten Massen unter den Heutigen ein Spiegelbild in der Masse derer zu präsentieren, welche in den vergangenen Jahrhunderten der Macht des Scharlatans unterlegen sind. So kam sie, aus aktuellen Motiven, dazu, den Scharlatan als Fälscher zu kennzeichnen. »Die Macht des Charlatans bestand ... darin, daß er alle Unsicherheiten einer ... Situation durch mannigfaltige Fälschungen so auszunützen ... wußte, daß eine Wertwelt entstand, in der seine eigenen Unwerte zu Werten wurden.« (S. 97) Diesen Fälschern fällt die »große Mehrheit der Menschen« (S. 18) anheim – die Halbgebildeten, heißt es gelegentlich (S. 24); aber hat der Begriff vor Einführung des allgemeinen Schulzwanges einen rechten Sinn? Als Pendant dieser Masse tritt »die kleine Minderheit der Immunen« (S. 18) auf den Plan. »Die Immunen«, so heißt es, »waren immer in der Minderzahl und dennoch gelang es nur ihnen, die unheilvolle Macht des Charlatans zu erschüttern ..., indem sie ... das Faktum ihres Lebens und ihrer Handlungen als konkretes Wahrzeichen einer Wertwelt setzten, über der unangetastet die Wahrheit thront.« (S. 245)

Der Historiker kennt keine Apotheose und kennt daher auch nicht den im Vordergrund solcher Darstellungen zu Boden getretenen, unschädlich gemachten Bösewicht, als der hier der Scharlatan figuriert. Die Beeinflussung der Massen ist keine Schwarzkunst, gegen die an die weiße Magie der Eliten zu appellieren wäre. Sie ist eine geschichtliche Aufgabe, und vieles in dem aufschlußreichen und sachkundigen Buch de Francescos spricht dafür, daß der Scharlatan ihr zu seiner Zeit und auf seine Weise entsprochen hat. Gewiß nicht immer auf eine säuberliche. Aber die Versuche, profanes Wissen an die Massen heranzubringen, sind noch niemals desinteressiert gewesen. Dennoch stellten sie einen Fortschritt dar. Oft hat ihm der Scharlatan selbst noch da gedient, wo er am rücksichtslosesten seinem Vorteil nachging. Ein Cagliostro und Saint-Germain rächten den dritten Stand an der Herrenkaste. Sie waren authentische Zeitgenossen von Beaumarchais.


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