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Gisèle Freund, La photographie en France au dix-neuvième siècle.

Essai de sociologie et d'esthétique. Paris: La Maison des Amis du Livre 1936. 154 S.

Vor acht bis zehn Jahren hat man begonnen, die Geschichte der Photographie zu erforschen. Man kennt eine Anzahl, meist illustrierter Arbeiten über ihre Anfänge und ihre frühen Meister. Es ist dieser jüngsten Publikation vorbehalten geblieben, den Gegenstand im Zusammenhang mit der Geschichte der Malerei zu behandeln. Gisèle Freunds Studie stellt den Aufstieg der Photographie als durch den Aufstieg des Bürgertums bedingt dar und macht diese Bedingtheit in glücklicher Weise an der Geschichte des Porträts einsichtig. Von der unter dem ancien regime am meisten verbreiteten Porträttechnik, der kostspieligen Elfenbeinminiatur ausgehend, zeigt die Verfasserin die verschiedenen Verfahren auf, die um 1780, das heißt sechzig Jahre vor Erfindung der Photographie, auf eine Beschleunigung und Verbilligung, damit auf eine weitere Verbreitung der Nachfrage nach Porträts hinzielten. Die Beschreibung des Physiognotrace als eines Mittelgliedes zwischen Porträtminiatur und photographischer Aufnahme zeigt mustergültig, wie technische Gegebenheiten gesellschaftlich transparent gemacht werden können. Die Verfasserin legt dann weiter dar, wie die technische Entwicklung ihren der gesellschaftlichen angepaßten Standard in der Photographie erreicht, durch die das Porträt breiten Bürgerschichten erschwinglich wird. Sie führt aus, wie die Miniaturisten die ersten Opfer der Photographie in den Reihen der Maler wurden. Sie berichtet endlich über die theoretische Auseinandersetzung zwischen Malerei und Photographie um die Jahrhundertmitte.

Die Frage, ob die Photographie eine Kunst sei, wurde damals mit dem leidenschaftlichen Anteil eines Lamartine, Delacroix, Baudelaire verhandelt, die Vorfrage wurde nicht erhoben: ob nicht durch die Erfindung der Photographie der Gesamtcharakter der Kunst sich verändert habe. Die Verfasserin hat das Entscheidende gut gesehen. Sie stellt fest, wie hoch dem künstlerischen Niveau nach eine Anzahl der frühen Photographen gestanden haben, die ohne künstlerische Prätentionen zu Werke gingen und mit ihren Arbeiten nur einem engen Freundeskreise vor Augen kamen. »Der Anspruch der Photographie, eine Kunst zu sein, wurde gerade von denen erhoben, die aus der Photographie ein Geschäft machten.« (S. 49) Mit andern Worten: der Anspruch der Photographie eine Kunst zu sein, ist gleichzeitig mit ihrem Auftreten als Ware. Das stimmt zu dem Einfluß, welchen die Photographie als Reproduktionsverfahren auf die Kunst selber nahm. Sie isolierte sie vom Auftraggeber, um sie dem anonymen Markte und seiner Nachfrage zuzuführen.

Die Methode des Buches ist an der materialistischen Dialektik ausgerichtet. Seine Diskussion kann ihre Ausbildung fördern. Darum sei ein Einwand gestreift, der nebenher den wissenschaftlichen Ort dieser Forschung näher bestimmen mag. »Je größer«, schreibt die Verfasserin, »das Genie des Künstlers ist, desto besser reflektiert sein Werk, und zwar gerade kraft der Originalität seiner Formgebung, die Tendenzen der ihm gleichzeitigen Gesellschaft.« (S. 4) Was an diesem Satze bedenklich scheint, ist nicht der Versuch, die künstlerische Tragweite einer Arbeit mit Rücksicht auf die gesellschaftliche Struktur ihrer Entstehungszeit zu umschreiben; bedenklich ist nur die Annahme, diese Struktur erscheine ein für alle Mal unter dem gleichen Aspekt. In Wahrheit dürfte sich ihr Aspekt mit den verschiedenen Epochen ändern, die ihren Blick auf das Werk zurücklenken. Seine Bedeutung mit Rücksicht auf die gesellschaftliche Struktur seiner Entstehungszeit definieren, kommt also vielmehr darauf hinaus, seine Fähigkeit, zu der Epoche seiner Entstehungszeit den ihr entlegensten und fremdesten Epochen einen Zugang zu geben, aus der Geschichte seiner Wirkungen zu bestimmen. Solche Fähigkeit hat Dantes Gedicht für das zwölfte Jahrhundert, Shakespeares Werk für das elisabethanische Zeitalter an den Tag gelegt.

Die Klarstellung der hier angedeuteten Frage ist umso wichtiger als die Formulierung von Freund auf eine These zurückzuführen droht, die ihren drastischsten und zugleich fragwürdigsten Ausdruck bei Plechanow gefunden hat. »Je größer ein Schriftsteller ist«, so heißt es in Plechanows Polemik gegen Lanson, »desto stärker und einsichtiger hängt der Charakter seines Werkes vom Charakter seiner Epoche ab, oder mit anderen Worten (Sperrung vom Referenten): desto weniger läßt sich in seinen Werken jenes Element ausfindig machen, das man das ›persönliche‹ nennen könnte.«


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