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» Liebste Lizzy, wohin hat Dich Dein Spaziergang geführt?«. Mit dieser Frage ward sie von Johannen beim Eintritt in das Zimmer empfangen, und mußte sie bei Tische von jedem einzelnen Familienglied wiederholen hören. Sie erwiederte erröthend, daß sie in Gedanken immer weiter gegangen wären, ohne sich nach den Zurückbleibenden umzusehen. Doch weder diese Antwort noch das erhöhte Colorit erregten bei irgend jemand einen Verdacht der Wahrheit.
Der Abend verstrich ruhig, ohne sich durch etwas Außerordentliches auszuzeichnen. Die anerkannten Liebesleute schwatzten und lachten; die geheimer schwiegen. Es lag nicht in Darcy's Natur, die innere Glückseligkeit durch laute Fröhlichkeit auszudrücken; und Elisabeth, bewegt und verwirrt, fühlte ihr Glück durch manche kleine Besorgnisse gestört. Sie sah im Voraus, welche Verwundrung die Bekanntmachung ihres Verhältnisses in der Familie hervorbringen würde; sie wußte, daß nur Johanne ihn leiden mochte, und fürchtete, daß selbst sein bedeutendes Vermögen und sein Rang nicht hinreichend sein mochten, die Abneigung der übrigen Familienglieder zu überwiegen.
Um Abend, als sie sich allein mit ihrer ältesten Schwester befand, eröffnete sie dieser ihr Herz. Doch so geneigt Johanne sonst auch was alles zu glauben, so ungläubig bewies sie sich bei dieser Nachricht.
»Lizzy! Du scherzest. Es kann nicht möglich sein! Versprochen mit Darcy! – Nein, so leicht lasse ich mich nicht anführen. Ich weiß, daß es unmöglich ist.«
»Beim Himmel! das ist ein trostloser Anfang! Meine ganze Hoffnung beruhte auf Dir; und ich bin überzeugt, wenn Du mir nicht glaubst, wird es kein andrer Mensch thun. Liebe Johanne, ich bin vollkommen ernsthaft, und spreche nichts als lautere Wahrheit. Er liebt mich immer noch, und wir sind versprochen.«
Johanne sah sie zweifelhaft an, »O, Lizzy! es kann nicht sein. Ich weiß, wie fatal er Dir ist.«
»Du weißt nichts von der Sache. Das ist alles längst vergessen. Ich habe ihn vielleicht nicht immer so geliebt, wie ich es jetzt thue; aber bei solchen Gelegenheiten ist ein gutes Gedächtniß unerträglich. Dieß ist das lebte Mal, daß ich selbst daran denke.«
Miß Bennet konnte sich von ihrem Erstaunen nicht erholen. Elisabeth versichert ihr wiederholt und mit vielem Ernst, daß sie die Wahrheit gesagt habe.
»Guter Gott! ist dem wirklich so? Ja, nun muß ich Dir wohl glauben. Liebste, liebste Lizzy! Ich wollte – ich wünsche Dir Glück – aber bist Du auch gewiß? verzeih die Frage – bist Du auch ganz gewiß, glücklich mit ihm zu werden?«
»Daran ist kein Zweifel. Wir sind fest überzeugt, daß es kein glücklicheres Paar in der Welt giebt. Aber freust Du Dich nicht, Johanne? Ist er Dir als Bruder lieb?«
»Sehr, recht sehr. Nichts könnte Bingley'n und mir größere Freude machen. Aber wir betrachteten es als eine Unmöglichkeit. Und liebst Du ihn auch wirklich? O, Lizzy, nur nicht ohne Neigung geheirathet. Bist Du gewiß für ihn zu fühlen, was Du fühlen mußt?«
»O, ja! Wenn ich Dir alles erzählt habe, wirst Du fürchten, daß ich mehr fühle, als ich sollte.«
»Wie meinst Du das?«
»Je, nun! ich muß gestehen, daß er mir noch weit lieber ist, als Bingley. Nimm es ja nicht übel.«
Nochmals mußte Johanne ihre Schwester bitten, ernsthaft zu sein, und so erhielt sie denn endlich die feierliche Versicherung ihrer Liebe, die jeden Zweifel lößte.
»Nun bin ich ganz glücklich,« sagte Johanne, »denn nun weiß ich, daß Du eben so glücklich werden wirst, wie ich. Ich schätzte ihn immer und schon seine Liebe zu Dir gab ihm in meinen Augen Werth; doch jetzt als Bingley's Freund und Dein Verlobter können nur Bingley und Du selbst mir lieber sein als er. Aber Lizzy, Du bist sehr verschlossen gegen mich gewesen. Wie wenig hast Du mir von dem erzählt, was sich in Pemberley und Lambton zugetragen! Alles, was ich davon weiß, verdanke ich einer andern Quelle.«
Elisabeth sagte ihr die Gründe ihres Schweigens. Sie hatte angestanden, Bingley's Namen zu erwähnen; und bei dem schwankenden Zustand ihrer eignen Gefühle war es ihr eben so unangenehm gewesen, von seinem Freund zu sprechen. Jetzt aber theilte sie ihr auch Darcy's Antheil an Lydiens Heirath mit. Alles ward erzählt und die halbe Nacht im Gespräch zugebracht.
»Gütiger Himmel!« rief Mrß. Bennet, als sie am andern Morgen am Fenster stand und Darcy mit seinem Freund ankommen sah, was kann dieser unangenehme Mann hier nur immer zu thun haben? Ich hoffte, er würde auf die Jagd gehen oder sich die Zeit auf eine andre Art zu vertreiben suchen, ohne uns mit seiner langweiligen Gesellschaft zu belästigen. Was sollen wir mit ihm anfangen? Lizzy, Du mußt wieder mit ihm spazieren gehen, damit er nur unserm lieben Bingley nicht im Wege ist.«
Elisabeth konnte nur mit Mühe ein Lächeln unterdrücken bei diesem gelegenen Vorschlag; doch that es ihr zugleich auch weh, daß ihre Mutter seinen Namen nicht ohne einen beleidigenden Zusatz auszusprechen vermochte.
Bingley's vielsagende Blicke und sein herzlicher Händedruck überzeugten sie bald, daß er von allem unterrichtet war; und er sagte bald darauf zu Mrß. Bennet: »Giebt es nicht noch mehr Spaziergänge in der Gegend von Longbourn in welche sich Lizzy heute verirren könnte?«
»Ich rathe Herrn Darcy mit Lizzy und Kitty heute morgen den Berg bei Oakham zu besteigen. Es ist ein angenehmer Weg dahin, und Herr Darcy kennt die Aussicht noch nicht.«
»Das möchte für die Andern wohl gut sein,« erwiederte Bingley; »aber ich fürchte, der Weg ist zu weit für Kitty. Was meinen Sie, Kitty?«
Diese gestand, daß sie lieber zu Hause bliebe. Darcy äußerte großes Verlangen, die Aussicht auf dem Berg zu sehen und Elisabeth willigte schweigend ein. Als sie hinauf ging, ihre Sachen zu holen, folgte ihr Mrß. Bennet und sagte:
»Es thut mir leid, daß Du immer gezwungen bist, Dich mit diesem unangenehmen Mann zu unterhalten; aber da es Johannens wegen geschieht, wirst Du es hoffentlich gern thun. Auch hast Du ja nicht nöthig, viel mit ihm zu sprechen, nur dann und wann ein Paar Worte; das ist schon genug.«
Auf dem Spaziergang ward abgemacht, das Darcy noch an diesem Tage dem Vater seine Wünsche vortragen sollte; das Geschäfft, die Mutter von dem Vorgefallenen zu unterrichten, behielt sich Elisabeth vor. Sie wußte nicht, wie sie solche Nachricht aufnehmen würde, und ob sein Reichthum und Rang ihren Widerwillen gegen den Besitzer aufzuheben im Stande sein würden. Doch sowohl ihre Abneigung gegen diese Verbindung als ihre Freude darüber waren in ihrer gewöhnlichen Manier zu erwarten; und diese, wenigstens den ersten Ausbruch derselben, wünschte sie dem Geliebten zu ersparen.
Nachmittags, bald nachdem Herr Bennet sich in seine Studirstube zurückgezogen, sah Elisabeth ihren Freund aufstehen und ihm folgen. Ihr Herz schlug hörbar; sie befürchtete keinen Widerstand von Seiten ihres Vaters; aber sie wußte, daß ihn diese Nachricht unglücklich machen würde. Und daß sie, sein liebstes Kind, ihn durch ihre Wahl betrüben, ihn mit Sorge und Kummer erfüllen sollte, war ihr ein sehr peinlicher Gedanke, und sie saß in ängstlicher Erwartung, bis sie ihn mit einem heitern Blick wieder eintreten sah. Nach einigen Minuten näherte er sich dem Tisch, an welchem sie mit Kitty saß; und unter dem Vorwand, ihre Arbeit zu bewundern, neigte er sich zu ihr herab, und flüsterte ihr zu: »Gehen Sie sogleich zu Ihrem Vater; er erwartet Sie in der Bibliothek.« Sie ging.
Ihr Vater maaß das Zimmer mit großen Schritten; seine Mienen waren ernst und sorgenvoll. – »Lizzy,« sagte er, »Was hast Du gethan? Bist Du von Sinnen, die Anträge dieses Mannes anzunehmen? Hast Du ihn nicht immer gehaßt?«
Wie bereute sie es jetzt, ihre Meinung so unüberlegt ausgesprochen, ihre Ausdrücke so wenig gemäßigt zu haben! Eine größere Vorsicht hätte ihr nun Erklärungen und Geständnisse erspart, die ihr sehr schwer wurden; sie waren jedoch nothwendig, und so versicherte sie ihrem Vater mit einiger Verwirrung, daß sie Herrn Darcy liebe.
»Oder, mit andern Worten, daß Du entschlossen bist ihn zu heirathen. Er ist reich; Du wirst in Zukunft schönere Kleider und glänzendere Equipagen haben wie Johanne. Aber ist das hinreichend zum Glück?«
»Haben Sie, außer dem Glauben an meine Gleichgültigkeit, noch irgend etwas Andres gegen diese Verbindung einzuwenden?« fragte Elisabeth.
»Ganz und gar nichts. Wir kennen ihn Alle als einen stolzen, unangenehmen Mann; aber dieß würde nichts zu bedeuten haben, wenn Du ihn wirklich liebtest.«
»Ich liebe ihn, ich liebe ihn von ganzem Herzen,« erwiederte Elisabeth mit Thränen. »Ich liebe ihn unbeschreiblich. Er ist es werth, geliebt zu sein. Sein Stolz ist edler Art. Sie kennen ihn nicht, wie ich ihn kenne; darum bitte ich Sie, mich nicht durch solche Aeußerungen über ihn zu kränken.«
»Lizzy« sagte ihr Vater, »ich habe ihm meine Einwilligung gegeben. Er ist nicht der Mann, dem ich etwas abzuschlagen wage, was er von mir zu bitten sich herabläßt. Ich überlasse Dir die Entscheidung, rathe Dir aber, alles wohl zu überlegen. Ich kenne Dich, Lizzy: ich weiß, daß Du nicht wahrhaft glücklich werden kannst, wenn Du Deinen Mann nicht achtest, an ihn nicht heraufblickst wie an einem höhern Wesen. Deine Lebhaftigkeit wird Dich in die größten Gefahren bringen, Du wirst, Du mußt unglücklich werden. Erspare mir den Gram, Dich einen Lebensgefährten wählen zu sehen, den Du nicht achten kannst. Du weißt nicht, was Du thust.«
Elisabeth war erschüttert. Die Liebe ihres Vaters, seine Sorge für ihr zukünftiges Glück rührten sie. Mit dem Ernst der Wahrheit wiederholte sie die Versicherung ihrer Liebe, und erzählte ihm, daß dieses Gefühl von seiner Seite nicht das Werk eines Tages, sondern mehrerer Monate sei, und daß ihre Gesinnungen sich gradweis geändert, bis sie endlich jetzt zur innigen Neigung geworden. Sie zählte alle seine guten Eigenschaften auf, rühmte seinen Edelmuth, pries seine geistigen Vorzüge und wußte des Vaters Ungläubigkeit zuletzt in so weit zu besiegen, daß er sich mit dem Gedanken dieser Verbindung aussöhnte.
»Gut, liebes Kind,« erwiederte er, nachdem sie geendet, »ich habe nichts mehr zu sagen. Wenn er wirklich so ist, wie Du ihn schilderst, ist er Deiner werth. Ich hätte mich nicht von Dir trennen können, wenn von mir verlangt worden wäre, Dich unwürdigen Händen zu übergeben.«
Um den günstigen Eindruck, den ihre Schilderung seiner Vorzüge, auf ihn hervorgebracht, bleibend zu machen, erzählte Elisabeth jetzt, was Darcy aus freiem Antrieb für Lydien gethan. Bennet vernahm es mit Erstaunen.
»Das ist ein Tag der Wunder,« sagte er. »Also Darcy that dieß alles; er nöthigte Wickham, sie zu heirathen, gab ihm Geld, bezahlte seine Schulden und verschaffte ihm die Officiersstelle! Nun, desto besser. Diese Nachricht erspart mir viel Sorge und Einschränkung. Hätte Dein Onkel alles gethan, würde ich ihn, und wenn es mir auch noch so schwer geworden, bezahlt haben; aber solche leidenschaftliche junge Liebhaber gehen immer ihren eignen Weg. Ich werde ihm morgen anbieten, seine Auslagen zu erstatten; er wird dagegen eifern, auch wohl etwas stürmen und versichern, aus Liebe für Dich noch weit mehr thun zu wollen, und damit ist die Sache abgemacht.«
Er erinnerte sich jetzt ihrer Verlegenheit, als er ihr vor einigen Tagen Collins Brief vorgelesen; und nachdem er sie etwas darüber ausgelacht, gestattete er ihr, zur Gesellschaft zurückzukehren, rief ihr aber in der Thür noch zu: »Wenn irgend ein junger Mann Verlangen nach Kitty oder Marien haben sollte, so schick ihn nur herauf; ich fühle mich heute aufgelegt, dergleichen Geschäffte abzumachen.«
Elisabeths Herz war einer schweren Sorge entnommen; und nachdem sie eine halbe Stunde in ruhiger Ueberlegung in der Einsamkeit ihres Zimmers zugebracht hatte, glaubte sie die nöthige Fassung errungen zu haben, um wieder zu der Familie zurückkehren zu können.
Am Abend, als ihre Mutter hinauf in ihr Schlafzimmer ging, begleitete sie sie, um ihr zu verkünden, was sich in den letzten Tagen zugetragen. Der Eindruck, den diese Nachricht auf Muß. Bennet machte, ist durch Worte nicht zu schildern. Sie saß mehrere Minuten ganz still, unfähig das Gehörte zu glauben und etwas darauf zu erwiedern. Als aber Elisabeth ihren Bericht wiederholte, begann sie den Gebrauch ihrer Sinne wieder zu erhalten. Sie rückte auf ihrem Stuhl hin und her, stand auf, setzte sich wieder, verwunderte sich und rief aus:
»Gütiger Himmel! Gott steh mir bei! Bedenke nur! Herr Darcy! Wer hatte das gedacht! Und ist es denn wirklich wahr? Lizzy, mein liebstes Kind! Wie reich und vornehm wirst Du werden! Welch ein Nadelgeld, was für Juwelen, wie viel Equipagen wirst Du haben! Johanne ist nichts, im Vergleich mit Dir – gar nichts! Ich bin so erfreut, so glücklich. Und welch ein allerliebster Mann! – so hübsch, so schlank! – theure Lizzy! entschuldige mich bei ihm, daß ich ihn früher nicht ausstehen konnte. Ich hoffe, er hat es nicht bemerkt. Liebste liebste Lizzy! Ein Haus in der Stadt. Alles was Dein Herz begehrt. – Drei Töchter verheirathet! Zehntausend des Jahrs! O, Gott! wie glücklich bin ich! Was wird aus mir werden! Ich komme von Sinnen.«
Diese Beweise ihrer Zustimmung waren Elisen hinreichend, und sie freute sich, daß keine andern Zeugen bei ihren Ausbrüchen der Freude zugegen gewesen waren. Sie verließ ihre Mutter, hatte aber kaum ihr eignes Schlafzimmer erreicht, als Mrß. Bennet ihr dorthin nachfolgte.
»Liebstes Kind,« rief sie. »Ich kann an nichts Andres denken. Zehntausend des Jahrs! So viel hat mancher Lord nicht! Aber ich wollte Dich nur fragen, welches Gericht Darcy am Liebsten ißt, damit ich es ihm morgen Mittag vorsetzen kann.«
Dieß war ein böses Omen für den folgenden Tag; sie fürchtete ihrer Mutter Zudringlichkeit, und fühlte, daß der Besitz seiner Liebe sie nicht vor andern Besorgnissen zu schützen vermochte. Doch es ging alles besser, als sie erwartet hatte. Mrß. Bennet empfand glücklicher Weise einen solchen Respekt vor ihrem zukünftigen Schwiegersohn, daß sie nicht wagte, das Wort an ihn zu richten, außer um ihm eine Aufmerksamkeit zu erweisen oder seiner ausgesprochenen Meinung beizustimmen.
Elisabeth hatte die große Freude zu bemerken, daß ihr Vater sich noch um Darcy's genauere Bekanntschaft bemühte, und ihr bald versicherte, daß er täglich in seiner Achtung stiege.
Ich verehre meine sämmtlichen Schwiegersöhne,« sagte er. »Wickham ist vielleicht mein Liebling; aber ich kann Dir zu Deiner Beruhigung sagen, daß mir Dein Auserwählter eben so gut gefällt als Johannens.«