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Sechzehntes Capitel.

Es war in der zweiten Woche des May's, als die drei jungen Damen London verließen. In einer kleinen Stadt in Hertfordshire sollten sie die Bennet'sche Equipage finden, und als sie sich dem bezeichneten Wirthshause näherten, fanden sie Kitty und Lydia ihrer wartend an einem Fenster in der obern Etage stehen. Sie waren schon vor einer Stunde angelangt, und hatten sich die Zeit unterdessen durch einen Besuch in dem nächsten Kaufladen, und mit der Zubereitung eines Sallats zu vertreiben gesucht.

Nachdem sie die Schwestern bewillkommt, zeigten sie ihnen triumphirend einen gedeckten Tisch mit allerhand kalten Speisen. »Ist das nicht eine allerliebste Ueberraschung?« sagte Lydia. »Und wir hatten die Absicht, Euch Alle zu bewirthen; nun aber müßt Ihr uns das Geld zu diesem Gastmahl borgen, denn wir haben das unsrige eben in dem nächsten Laden ausgegeben. Schaut her, was wir gekauft. Diese Haube ist zwar nicht sehr schön, ich habe sie aber doch genommen, und will sie nun zu Hause auseinander nehmen, und ihr eine andre Gestalt geben.«

Und als die Schwestern sie für ausnehmend häßlich erklärten, fügte sie lachend hinzu: »O, es waren noch viel häßlichere im Laden. Ich denke, wenn ich neuen Atlas kaufe und sie damit aufputze, kann sie doch noch recht leidlich werden. Auch kömmt ja nichts darauf an, wie man diesen Sommer aussieht, wenn das Landwehrregiment Meryton verlassen hat, was in 14 Tagen geschieht.«

»Ist das gewiß?« rief Elisabeth mit dem Ausdruck der Freude.

»Es ist in die Nähe von Brighton verlegt; und ich werde Papa bitten, daß er diesen Sommer mit uns dorthin geht! Es ist ein charmanter Plan, der auch wenig oder gar nichts kosten kann. Ich bin überzeugt, Mamma geht gern mit. Bedenkt nur, was für einen elenden Sommer wir hier verleben würden!«

»Ja,« dachte Elisabeth, » das wäre ein charmanter Plan, ganz für uns gemacht. Großer Gott! Brighton und ein ganzes Lager voll Offiziere für uns, deren Köpfe schon durch ein einziges armes Landwehrregiment und einige wenige Bälle in Meryton verrückt worden sind.«

»Ich habe noch einige andre Neuigkeiten für Euch,« sagte Lydia, indem sie sich zu Tisch setzten. »Was glaubt Ihr wohl? Herrliche, vortreffliche Neuigkeiten! und von einer gewissen Person, die wir alle sehr lieben.«

Johanne und Elisabeth sahen sie an, und geboten hierauf dem Aufwärter fortzugehen, Lydia sagte lachend:

»Daran erkenne ich Deine Förmlichkeit und Vorsicht. Der Aufwärter sollte wohl nicht hören, was ich eben erzählen will! Mir ist es lieb, daß er fort ist – ich sah noch nie ein so häßliches Gesicht, ein solches ellenlanges Kinn! Doch wieder auf meine Nachrichten zu kommen, sie betreffen unsern Liebling, Wickham. Merk wohl auf, Lizzy! Er ist der Gefahr, Marie King zu heirathen, entgangen. Sie ist nach Liverpool zu ihrem Onkel gereist, um dort zu bleiben. Wickham ist gerettet.«

»Und Maria King ist gerettet!« fügte Elisabeth hinzu; »gerettet aus der Gefahr, eine unvernünftige Heirath zu schließen.«

»Wenn sie ihn wirklich gern hat, ist sie eine große Thörin, jetzt gerade wegzureisen.«

»Hoffentlich findet von beiden Seiten keine besondere Neigung Statt,« bemerkte Johanne.

»Von seiner Seite gewiß nicht,« entgegnete Lydia. »Dafür will ich einstehen; er bekümmerte sich nie viel um sie. Wer kann sich auch um solch ein kleines, garstiges, dickes Ding bekümmern?«

Elisabeth entsetzte sich über die Rohheit ihrer Schwester, schwieg jedoch, um dem Gespräch keine neue Nahrung zu geben. Nachdem die kleine Gesellschaft ihre Mahlzeit beendet, und die älteren Schwestern die Zeche bezahlt hatten, wurden alle Packete und Schachteln, nebst der unwillkommenen Zugabe von Kitty's und Lydiens Einkäufen, wieder eingepackt, worauf der Wagen fortfuhr.

»Wie eng sitzen wir hier eingepreßt!« sagte Lydia. »Es ist nur gut, daß ich die Haube kaufte, damit wir noch eine Schachtel mehr mit im Wagen haben. Jetzt wollen wir aber recht lustig sein, und schwatzen, und lachen, bis wir nach Longbourn kommen. Zuerst müßt Ihr erzählen, was sich mit Euch zugetragen, seit Ihr fort seid. Habt Ihr liebenswürdige junge Herrn kennen gelernt? Ist Euch die Cour gemacht worden? Ich glaubte, Johanne würde sich vielleicht unterdessen in London verheirathen und uns damit überraschen, daß sie als junge Frau zurückkäme. Das wäre ein Spaß gewesen! Alt genug ist sie dazu – schon 23 Jahr! – Meine Tante Philips sagte neulich, Lizzy würde besser gethan haben, den Vetter Collins zu heirathen! aber ich sehe nicht ein, was das für ein Glück gewesen wäre! Himmel! wenn ich mich früher verheirathete als Ihr, und Euch dann unter meinem Schutz mit auf die Bälle nähme! ich könnte mir keinen größern Spas denken! – Neulich hatten wir einen sehr vergnügten Tag bei Oberst Forsters – Ihr müßt nämlich wissen, daß Mrß. Forster und ich intime Freundinnen sind – Kitty und ich waren erst allein dort; da uns Mrß. Forster aber zum Abend einen kleinen Tanz versprochen hatte, lud sie noch die beiden Harringtons ein. Henriette war krank und so mußte ihre Schwester allein kommen. Um uns die Zeit zu vertreiben bis zur Ankunft der Herrn, verkleideten wir den einzigen, der bei uns war, Chamberleyne, als Dame. Niemand wußte um das Geheimniß als Oberst Forster und seine Frau, Kitty und ich und die Tante Philips, die ihre Kleider dazu hergeben mußte. Er sah allerliebst aus, und als nun Denny, Wickham, Pratt und noch mehrere andre Officiere kamen, begriffen sie ihn als eine Dame, und würden ihn sicher nicht so bald erkannt haben, wenn wir nicht fast vor Lachen gestorben wären, und dadurch den Spas verrathen hätten.«

Mit diesen und ähnlichen Geschichten suchte Lydia, von Kitty unterstützt, ihre Schwestern zu unterhalten, bis sie Longbourn erreichten. Elisabeth achtete so wenig wie möglich auf ihr Geschwätz, ward aber dennoch oft unangenehm durch die Erwähnung von Wickhams Namen berührt.

Der Empfang im älterlichen Hause war sehr liebevoll. Mrß. Bennet freute sich, Johannen in unverminderter Schönheit wieder zu sehen, und Herr Bennet äußerte während des Mittagsessens mehrere Mal seine Freude über Elisens Zurückkunft.

Die Gesellschaft im Eßzimmer war ziemlich groß geworden, indem sich fast die ganze Familie Lukas eingefunden hatte, Marien abzuholen, und die neuesten Nachrichten von Charlotten zu hören. Lady Lukas fragte Marien über den Tisch herüber nach dem Befinden ihrer ältesten Tochter und ihres Federviehs; Mrß. Bennet war auf doppelte Weise beschäfftigt. Auf der einen Seite erforschte sie von Johannen die neuesten Moden, und auf der andern theilte sie das eben Gehörte der jüngern Miß Lukas mit, während Lydia, alle andern überschreiend, die Abentheuer und Freuden des heutigen Morgens berichtete.

»Marie!« sagte sie zu ihrer Schwester, »ich wollte, Du wärst mit uns gewesen! Erstlich machten Kitty und ich alle Fenster zu, damit man glauben sollte, es sei niemand im Wagen; und wäre Kitty nicht übel geworden, hätten wir den Spas noch länger fortgetrieben. Im Gasthof bewirtheten wir die drei Ankömmlinge mit dem ausgesuchtesten kalten Frühstück, wovon Du ebenfalls Deinen Antheil bekommen hättest, wenn Du mit gewesen wärst. Als es nun zum Einsteigen kam, war der Wagen so voll Schachteln und Pakete, daß wir kaum sitzen konnten; wir zwängten uns aber doch hinein, und waren unterwegs so lustig, erzählten und lachten so laut, daß man uns gewiß zehn Meilen weit gehört hat.«

»Fern sei es von mir, meine liebe Schwester!« entgegnete Marie mit feierlichem Ernst, »solche Vergnügungen herabsetzen zu wollen; sie sind ohne Zweifel von der Beschaffenheit, dem gewöhnlichen weiblichen Charakter zuzusagen. Doch muß ich für meinen Theil gestehen, daß Freuden dieser Art keinen Reiz für mich haben, und daß ich ein gutes Buch weit vorziehe.«

Von dieser salbungsreichen Antwort hörte Lydia indessen kein Wort. Sie pflegte selten länger als eine halbe Minute zuzuhören, und Mariens Reden nie.

Nach dem Essen schlug sie einen Spaziergang nach Meryton vor, den die andern jungen Mädchen auch bereitwillig annahmen. Elisabeth aber widersetzte sich demselben standhaft; es sollte nicht heißen, daß die Miß Bennets kaum einen halben Tag zurückgekehrt sein konnten, ohne die Gesellschaft der Officiere zu suchen. Auch hatte sie noch einen geheimen Grund. Sie fürchtete, Wickham wieder zu sehen, und wollte dies so lange als möglich vermeiden. Die bevorstehende Verlegung des Regiments erfüllte sie mit Freude. Nur noch 14 Tage sollte es in Meryton bleiben, und diese, kurze Frist hoffte sie glücklich zu überstehen.

Ehe der Tag zu Ende ging, hatte sie schon Gelegenheit zu bemerken, daß der Plan mit Brighton, dessen Lydia schon unterwegs erwähnt, bereits mehrere Mal zwischen ihren Eltern zur Sprache gekommen war. Sie sah deutlich, daß ihr Vater keineswegs gesonnen schien, darauf einzugehen; doch pflegte er seine Antworten immer so unbestimmt und zweideutig einzurichten, daß Mrß. Bennet, obgleich manchmal muthlos gemacht, dennoch die Hoffnung, ihn endlich noch dazu zu bestimmen, nicht ganz aufgegeben hatte.


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