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Sechzehntes Capitel.

Anstatt einen Entschuldigungsbrief von seinem Freund zu erhalten, wie Elisabeth halb und halb gefürchtet, war Bingley nach einigen Tagen im Stande, Darcy mit nach Longbourn zu bringen. Die Herrn kamen sehr früh, und ehe Mrß. Bennet Zeit hatte, ihm von dem Besuch seiner Tante zu erzählen, was Elisabeth im Stillen gefürchtet, schlug Bingley, der sich sehnte, mit Johannen ungestört sprechen zu können, einen Spaziergang vor. Mrß. Bennet war keine sonderliche Fußgängerin, Marie konnte sich nicht von ihren Büchern trennen; aber die fünf Andern begaben sich auf den Weg.

Bingley und Johanne blieben bald langsamer zurück und so mußten denn Elisabeth und Kitty die Unterhaltung mit Darcy führen. Es ward jedoch nur sehr wenig von allen Dreien gesprochen. Kitty fürchtete sich vor ihm; Elisabeth hoffte im Stillen einen verwegenen Entschluß, und Darcy vielleicht desgleichen.

Sie gingen in die Richtung nach Lukas-Lodge, weil Kitty Marien etwas zu sagen wünschte; und da Elisabeth zur Ausführung ihres Entschlusses der Schwester Entfernung bedurfte, suchte sie sie nicht zurückzuhalten, sondern ging vielmehr ganz kühn allein mit ihm weiter. Der große Augenblick, die drückende Last von ihrem Herzen zu wälzen, war gekommen, und sie benutzte die erste Aufwallung des Muths, um zu ihm zu sagen –

»Herr Darcy, ich bin ein sehr eigennütziges Geschöpf; indem ich meinem eignen Gefühl Erleichterung zu geben suche, laufe ich Gefahr, das Ihrige zu verwunden. Ich kann nicht länger anstehen, Ihnen für Ihre beispiellose Güte gegen meine arme Schwester zu danken. Seit ich davon unterrichtet bin, habe ich mich darnach gesehnt, Ihnen meinen Dank auszudrücken. Wäre Ihr Edelmuth den übrigen Gliedern meiner Familie bekannt, würde ich nicht allein meine eigne Dankbarkeit auszusprechen haben.«

»Es ist mir sehr unangenehm,« erwiederte Darcy im Ton des Erstaunens und der innern Bewegung, »daß Sie von einer Handlung unterrichtet sind, die im falschen Licht betrachtet Ihnen vielleicht Pein verursacht hat. Ich wußte nicht, daß man sich auf Mrß. Gardiners Wort so wenig verlassen dürfte.'

»Sie müssen Die Wendung wird damals noch gern im Sinne von »dürfen nicht« verwendet. meine Tante nicht tadeln. Lydiens Sorglosigkeit verrieth mir zuerst, daß Sie Antheil an der Sache hatten; und hierauf konnte ich natürlich keine Ruhe finden, bis ich die genauern Umstände erfahren. Erlauben Sie mir, Ihnen von Herzen zu danken für diese edle Theilnahme, die Sie bewog, sich so vieler Unannehmlichkeiten zu unterziehen, um das flüchtige Paar zu entdecken.«

»Wenn Sie mir danken wollen,« entgegnete er,« so thun Sie es allein. daß der Wunsch, Ihren Gram zu mildern, den übrigen Beweggründen neue Stärke verlieh, versuche ich nicht zu läugnen. Aber Ihre Familie ist mir keinen Dank schuldig. So sehr ich sie achte und ehre, dachte ich hierbei doch nur an Sie

Elisabeth fühlte sich zu sehr befangen, um ein Wort erwiedern zu können. Nach einer kurzen Pause fügte Darcy hinzu: »Sie sind zu edel, um mich zum Spielwerk Ihrer Laune zu machen. Wenn Ihre Gefühle noch dieselben sind, wie im April, so sagen Sie mir es freimüthig. Meine Neigung und meine Wünsche haben sich seitdem nicht verändert; aber ein Wort von Ihnen wird mir für immer Schweigen über diesen Gegenstand auflegen.«

Ueberrascht durch eine solche Wendung des Gesprächs war Elisabeth im ersten Augenblick nicht fähig, etwas darauf zu erwiedern; doch der Gedanke an die Angst und Verlegenheit seines Zustandes, gab ihr bald die verlorene Geistesgegenwart wieder, und sie gestand ihm mit hoher Schaamröthe, welch eine große Veränderung seit dieser Zeit in ihrem Herzen vorgegangen sei, und daß sie jetzt mit Freude und Dankbarkeit vernommen habe, was damals die entgegengesetzte Wirkung in ihr hervorgebracht.

Darcy's Glückseligkeit über diese Antwort, sein Entzücken, die Empfindungen seines Herzens erwiedert zu sehen, sprachen sich so deutlich aus, wie man es nie von diesem Mann erwartet hätte. Elisabeth wagte es nicht, seinem Auge zu begegnen, sonst würde sie bemerkt haben, wie wohl ihn der Ausdruck beglückter Liebe kleidete; aber obgleich sie nicht zu sehen vermochte, konnte sie doch hören, und er wußte ihr so viel von seinen Gefühlen zu sagen, daß sie ihm mit stillem Entzücken zuhörte.

Sie waren immer weiter gegangen, ohne selbst zu wissen wohin. Es gab so viel zu denken, zu empfinden und zu sagen, um Aufmerksamkeit für Nebendinge behalten zu können. Elisabeth erfuhr jetzt, daß sie die schnellere Entscheidung der Sache Lady Katharinens Bemühungen zu verdanken habe, welche wirklich auf ihrer Rückreise durch London dem Neffen den Zweck ihres Besuchs und den Inhalt ihres Gesprächs mit Elisen mitgetheilt hatte. In der Hoffnung, von ihm das Versprechen zu erhalten, welches sie zu geben verweigere, hatte Ihro Herrlichkeit ihm jeden Ausdruck wiederholt, der, wie sie glaubte, Elisens Anmaaßung und Widerspenstigkeit im abschreckendsten Licht zeigen mußte, hierdurch jedoch gerade das Gegentheil bewirkt.

»Ich schöpfte daraus die Hoffnung,« sagte er, »die ich selbst vorher kaum zu hegen gewagt. Ihr Charakter war mir hinlänglich bekannt, um zu wissen, daß wenn Sie fortwährend so unwiderruflich fest gegen mich entschieden gewesen waren, Sie es Lady Katharinen offen und unverholen gesagt haben würden.«

Elisabeth erwiederte lachend, indem ein höheres Roth ihre Wangen überflog: »Ja, Sie sind hinlänglich bekannt mit meiner Offenheit, um mich auch eines solchen Geständnisses fähig zu halten. Nachdem ich Ihnen ins Gesicht die härtesten Dinge gesagt, ließ sich wohl erwarten, daß ich keinen Anstand nehmen würde, minder aufrichtig gegen Ihre Verwandten zu sein.«

»Was sagten Sie, was ich nicht verdient hätte? Und wenn gleich Ihre Beschuldigungen ungegründet, auf Irrthümern beruhend waren, hatte mein Benehmen gegen Sie doch den strengsten Tadel verdient. Es war unverzeihlich. Ich kann nicht ohne Entsetzen daran denken.«

»Wir wollen uns nicht darüber streiten, wessen Betragen an jenem Abend tadelnswerther war,« sagte Elisabeth. »Doch hoffe ich, daß wir Beide seitdem an Höflichkeit zugenommen haben.«

»Ich kann mich nicht so leicht mit mir selbst aussöhnen. Die Erinnerung dessen, was ich gesagt und wie ich es gesagt, hat mir mehrere Monate große Pein verursacht. Nimmer werde ich Ihren so wohlverdienten Vorwurf vergessen: ›hätten Sie sich auf eine geziemendere Weise dabei benommen.‹ Dieß waren Ihre Worte. Sie wissen nicht, Sie können es nicht begreifen, wie sie mich gequält haben; – obgleich erst einige Zeit verstrich, bis ich vernünftig genug war, einzusehen, wie sehr Sie Recht hatten, so zu sprechen.«

»Ich war allerdings weit davon entfernt, meinen Worten einen solchen Eindruck auf Sie zuzuschreiben; es fiel mir nicht ein, daß Sie sie so aufnehmen würden.«

»Ich kann es begreifen. Sie hielten mich damals eines solchen Gefühls nicht fähig. Ich werde den Ausdruck Ihrer Züge nie vergessen, als Sie mir sagten, daß Sie meinen Antrag, auch wenn er auf eine andre Weise gemacht worden wäre, nimmermehr angenommen haben würden.«

»O, wiederholen Sie nicht, was ich damals sagte. Solche Erinnerungen sind nicht wohlthätig. Ich gestehe offen, daß ich mich meiner Worte schon oft und recht herzlich geschämt habe.«

Darcy erwähnte seines Briefs. »Brachte er bald eine bessere Meinung von mir in Ihnen hervor? Würdigten Sie seinem Innhalt Glauben Siehe Anm. 9.?!«

Sie erzählte, welchen Eindruck er auf sie gemacht, und wie er nach und nach ihre frühern Vorurtheile überwunden.

»Ich wußte, sagte er, »daß das, was ich schrieb, Ihnen Schmerz verursachen würde; aber es war nothwendig. Ich hoffe, Sie haben den Brief verbrannt. Er enthielt zum Eingang eine Stelle, die ich nicht gern noch ein Mal von Ihnen gelesen wüßte. Ich erinnere mich noch einiger Ausdrücke, die mich Ihres Hasses würdig machen könnten.«

»Der Brief soll augenblicklich verbrannt werden, wenn Sie es zur Erhaltung meiner Achtung für nöthig erklären; aber ich glaube nicht, daß irgend ein Ausdruck darin im Stande ist, meinen jetzigen festen Glauben an Sie zu erschüttern.«

»Ich hielt mich für vollkommen ruhig und kalt, als ich diesen Brief schrieb, doch ist es mir später klar geworden, daß ich mich während des Schreibens in einer sehr bittern Stimmung befand.«

»Der Anfang war bitter, das Ende aber nicht. Das Lebewohl ist die Milde selbst. Doch denken Sie nicht mehr an den Brief. Die Gefühle des Schreibers und der Empfängerin haben sich seitdem so gänzlich verändert, daß jeder unangenehme Umstand dabei von beiden Seiten vergessen werden muß. Sie sollen meine Philosophie kennen lernen. Ich halte es für das Beste, nur an diejenigen Erinnerungen zu denken, die uns Freude gewähren.«

»Ich kann solcher Philosophie keinen Glauben beimessen: Ihre Rückblicke sind so frei von jeder Art von Vorwurf, daß sie Ihnen auch ohne Philosophie Freude gewähren können. Aber dieß ist bei mir nicht der Fall. Es drängen sich mir fortwährend schmerzliche Erinnerungen auf, die nicht zurückgedrängt werden können und sollen. Ich bin von frühester Jugend an ein eigennütziges Geschöpf gewesen, das heißt im Punkt der Ausübung, nicht der Grundlage. Als Kind ward mir gelehrt, was Recht sei, aber nicht wie ich meine Launen beherrschen könne. Ich erhielt gute Grundsätze, ward aber nicht gehindert, meinen Stolz zu zeigen; als einziger Sohn (mehrere Jahr sogar einziges Kind) ward ich von meinen Eltern, besonders von meinem Vater auf eine unglaubliche Weise verzogen. Mir wurde nicht allein alles gestattet, sondern ich wurde sogar aufgemuntert, selbstsüchtig und übermüthig zu sein, mich um niemanden, außer dem Familienkreis zu bekümmern, gering von der ganzen übrigen Welt zu denken, und fremder Menschen Werth im Vergleich mit dem meinigen für unbedeutend zu halten. So war ich vom achten bis zum acht und zwanzigsten Jahre; und so würde ich noch sein, wenn ich Sie, meine theure, geliebte Elisabeth, nicht kennen gelernt hätte! Was verdanke ich Ihnen alles! Sie gaben mir eine sehr harte aber heilbringende Lehre! Durch Sie ward ich auf eine Weise gedemüthigt, wie ich es früher nie für möglich gehalten. Ich kam zu Ihnen, ohne den leisesten Zweifel eine günstige Aufnahme zu finden. Sie zeigten mir, wie unzulänglich meine Ansprüche auf die Liebe eines wahrhaft achtungswerthen Mädchens waren.«

»Hatten Sie denn wirklich geglaubt, mit zu gefallen?!«

»Allerdings. Was werden Sie von meiner Eitelkeit denken, wenn ich Ihnen sage, daß ich sogar glaubte, Sie wünschten und erwarteten meinen Antrag.«

»So muß mein Benehmen fehlerhaft gewesen sein. Denn ich kann mit gutem Gewissen versichern, daß es nie meine Absicht war, Sie zu hintergehen; doch meine Lebhaftigkeit führt mich oft irre. Wie müssen Sie mich gehaßt haben nach der Erklärung dieses verhängnißvollen Abends?«

»Gehaßt! Nein, ich war anfänglich wohl erzürnt; aber mein Unmuth lößte sich bald in ein besseres Gefühl auf.«

»Fast fürchte ich mich zu fragen, was Sie von mir dachten, als wir uns in Pemberley begegneten. Sie tadelten mich gewiß?«

»Nein, ich empfand nichts als Erstaunen.«

»Ihr Erstaunen konnte nicht größer sein als das meinige, von Ihnen bemerkt zu werden. Mein Gewissen sagte mir, daß ich keine außerordentliche Höflichkeit von Ihnen erwarten dürfte; und ich gestehe, daß ich auch auf nichts mehr gefaßt war, als was mir zukam.«

»Es war meine Absicht,« entgegnete Darcy, »Ihnen durch alle mir zu Gebote stehende Artigkeit zu beweisen, daß ich nicht niedrig genug dachte, Sie für das Vorgefallene bestrafen zu wollen. Ich hoffte Ihre Vergebung zu erhalten und Ihre falsche Meinung von mir zu berichtigen, indem ich Ihnen zeigte, daß Ihre Vorwürfe gewirkt hatten. Wie bald dieser bescheidene Wunsch durch einen andern, lauter sprechenden verdrängt wurde, kann ich nicht genau bestimmen; doch glaube ich, daß hierzu nur eine halbe Stunde nöthig war.«

Er erzählte ihr nun von Georginens Freude über ihre Bekanntschaft, und wie sie sich betrübt hätte, durch ihre plötzliche Abreise um die Fortsetzung derselben gebracht worden zu sein. Bei Erwähnung der Umstände, die sie zu dem schnellen Aufbruch vermocht, erfuhr sie, daß sein Entschluß, ihr nachzufolgen, um ihre Schwester aufzusuchen, schon im Wirthshause gefaßt worden sei, woraus der ungewöhnliche Ernst und das tiefe Nachdenken entstanden, worin er sie verlassen.

Elisabeth wiederholte nochmals und mit verdoppelter Herzlichkeit ihren Dank für alles, was er an Lydien gethan; doch war dieß ein zu unangenehmes Capitel, um lange dabei verweilen zu können.

Nachdem sie mehrere Stunden die Kreuz und Quere gegangen waren, erinnerte sie die Uhr an die Rückkehr.

»Was ist aus Bingley und Johannen geworden?« Diese Frage führte sie zu deren Angelegenheiten zurück. Darcy war erfreut über seines Freundes Glück, wovon dieser ihm sogleich Nachricht gegeben.

»Darf ich fragen, ob Sie sich darüber verwundert haben?«

»Ganz und gar nicht. Als ich fortging, wußte ich, daß es so kommen würde.«

»Das heißt, Sie gaben Ihre Erlaubniß dazu. Ich vermuthete es fast.«

»Wenn auch das nicht,« erwiederte Darcy lachend, »so beförderte, ich seine Erklärung doch durch ein Geständniß, welches ich ihm am Abend vor meiner Abreise ablegte. Ich erzählte ihm freimüthig, was ich früher gesagt und gethan, um diese Verbindung zu verhindern. Er war erstaunt. Sein argloses Herz hatte keine Ahnung davon gehabt. Ich bekannte ihm ferner, daß ich mich hinsichtlich der vermeintlichen Gleichgültigkeit Ihrer Schwester geirrt hätte, und da ich deutlich sah, daß sein Gefühl für sie noch dasselbe war, zweifelte ich nicht, daß sie glücklich werden würden.«

Elisabeth mußte lächeln über die Leichtigkeit, womit er seines Freundes Handlungen leitete.

»Führten Sie als Beweis der Liebe meiner Schwester Ihre eignen Beobachtungen an, oder beriefen Sie sich auf das, was Sie im Frühjahr von mir erfahren hatten?«

»Es bedurfte hierzu nur meiner eignen Beobachtungen. Nachdem ich Ihre Schwester nach Bingley's Zurückkunft einige Mal mit ihm zusammen gesehen und sie genauer beobachtet hatte, war ich von der Aufrichtigkeit ihrer Neigung vollkommen überzeugt.«

»Und diese Ihre Ueberzeugung war auch hinreichend, Ihrem Freund Gewißheit zu geben?«

»Ja. Bingley ist von einer seltenen Bescheidenheit. Sein Mißtrauen in sich selbst gestattete ihm nicht, in einer so wichtigen Sache seinem eignen Urtheil zu vertrauen; aber seine Zuversicht zu mir entschied die Sache schnell. Ich sah mich genöthigt, ihm etwas zu gestehen, was ihn anfänglich, und mit Recht gegen mich erbitterte. Ich sagte ihm nämlich, daß Ihre Schwester vorigen Winter drei Monate in der Stadt gewesen sei, daß ich es gewußt, es ihm aber absichtlich verschwiegen habe. Er war sehr böse; doch dauerte dieser Zorn nicht länger, als bis er sich selbst von den Gesinnungen Ihrer Schwester überzeugt hatte. Jetzt ist alles vergeben.«

Elisabeth hätte ihm gern gesagt, daß Bingley einen vortrefflichen Freund in ihm besäße, dessen Gunst man zu erwerben suchen müsse, um bei diesem etwas auszurichten. Aber sie bezwang ihren Spott und schwieg. Sie wußte, daß er es nicht liebte, ausgelacht zu werden, und so wollte sie nicht zu früh damit anfangen. Bingley und Johannens Glück diente ihnen zum Gegenstand des Gespräche, bis sie das Haus erreichten. Auf dem Vorsaal trennten sie sich.


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