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» Je mehr ich aber die Sache nachdenke,« sagte Herr Gardiner, als sie zur Stadt hinausfuhren, »desto geneigter fühle ich mich, Johannens Ansicht über die Sache beizustimmen. Es erscheint mir höchst unwahrscheinlich, daß ein junger Mann solch einen ehrenrührigen Plan gegen ein Mädchen ausführen sollte, welches keineswegs freund- und schutzlos ist und sich im Hause seines Obersten aufhielt Er mußte doch erwarten, daß man Schritte thun würde, ihm auf die Spur zu kommen; und wie sollte er es wagen, wieder bei seinem Regiment zu erscheinen? Nein, das Vergehen gegen seinen Oberst wäre zu groß.«
»Ist dieß wirklich Ihre Meinung?« rief Elisabeth, von einer augenblicklichen Hoffnung beseelt.
»Auch ich stimme Deines Onkels Meinung bei,« sagte Mrß. Gardiner. »Es wäre in der That eine zu freche Uebertretung des Anstands und der Ehre. Ich kann unmöglich so schlecht von Wickham denken. Lizzy! bist Du im Stande, ihn so strafbar zu halten?«
»Ich traue ihm alles zu, nur nicht etwas gegen einen eignen Vortheil zu thun. Und wenn er nun auch wirklich redlichere Absichten hätte, als ich bei ihm voraussetze, warum ging er denn nicht nach Schottland, wie Lydien gesagt?«
»Erstlich,« entgegnete Gardiner, »ist es noch nicht entschieden, ob sie nicht nach Schottland gegangen sind.«
»Weshalb hätten die denn die Postkutsche gegen einen Miethwagen vertauscht! Und Sie vergessen, daß ihre Spur auf der Straße nach Barnet nicht zu finden gewesen ist.«
»Gut, so wollen wir annehmen, daß sie in London sind und sich dort aufhalten, um unentdeckt zu bleiben. Es ist nicht zu vermuthen, daß sie reichlich mit Geld versehen sein sollten; und so wird es ihm wohl einleuchten, daß sie wohlfeiler, wenn gleich nicht so schnell in London verheirathet werden können, als in Schottland.
»Aber wozu dieses Geheimhalten? Diese Furcht vor Entdeckung? Warum muß ihre Verheirathung ein Geheimniß bleiben? Ach, nein! das ist nicht wahrscheinlich. Sie hörten ja aus Johannens Brief, daß sein vertrautester Freund fest überzeugt war, daß es ihm nicht einfiele, sie zu heirathen; Wickham wird nie ein armes Mädchen heirathen; er kann sie nicht erhalten. Und welche Ansprüche hat Lydia, welche Anziehungskraft außer Jugend, Gesundheit und heiterm Sinn, die ihn vermögen sollten, solche Rücksichten aus den Augen zu verlieren. In wie fern er seine Ehre auf das Spiel setzt durch diese unvernünftige Entführung, kann ich nicht beurtheilen, denn ich weiß nicht, welche Folgen ein solcher Schritt nach sich zieht; aber andre Rücksichten werden ihn nicht verhindern, seinen schlechten Gesinnungen zu folgen. Lydia hat keine Brüder, die sich ihrer annehmen könnten, und nach dem, was Wickham von meines Vaters Indolenz und geringer Beachtung seiner Tochter gesehen hat, wird er ihn nicht für den Mann halten, der thätige Maaßregeln zur Wiederherstellung der Ehre seiner Familie zu ergreifen im Stande ist.«
»Aber kannst Du Lydien so leichtsinnig, so durch die Liebe verblendet halten, daß sie den Anstand so weit aus den Augen setzen sollte, in einem andern, als dem ehelichen Verhältnis mit ihm zu leben?«
»Es ist schrecklich,« rief Elisabeth mit Thränen, »daß man an der Tugend seiner eignen Schwester zweifeln muß: aber ich weiß nicht, was ich glauben soll. Vielleicht thue ich ihr Unrecht; jedoch sie ist so jung, so wenig gewohnt, sich mit ernsten Gedanken zu beschäfftigen, und vollends seit dem letzten Jahre so in Eitelkeit und Zerstreuungssucht versunken, daß mir wenig zu hoffen bleibt. Sie war von jeher zum Müßiggang und zu kindischen Beschäfftigungen geneigt; doch seit der Anwesenheit des Landwehrregiments ist Kopf und Herz mit nichts Anderem angefüllt gewesen, als mit Officieren, Liebeleien und dergleichen Dingen. Sie dachte an nichts anderes, sprach nur von solchen Gegenständen, und schien ihr ganzes Glück in diesem Gedankenkreis zu finden. Wie natürlich also, daß ein Mann mit so viel äußern Vorzügen, wie Wickham, leichtes Spiel mit ihr haben mußte!«
»Du siehst aber doch,« sagte die Tante, »daß Johanne viel besser von Wickham denkt, und ihn solcher Schlechtigkeit nicht fähig hält,«
»Von wem könnte Johanne je schlecht denken? Wen würde sie nicht zu entschuldigen suchen? Aber sie weiß ebenso gut wie ich, daß Wickham wirklich niedriger Handlungen fähig ist, daß er weder Ehrgefühl noch Schaam hat, daß er eben so falsch und betrügerisch als einschmeichelnd ist.!
»Und dieß weißt Du wirklich alles?« rief Mrß. Gardiner, deren Neugier im höchsten Grade erregt worden war.
»Ja, ich weiß es« entgegnete Elisabeth erröthend. »Ich erzählte Ihnen gestern von seinem schändlichen Betragen gegen Herrn Darcy, und Sie hörten es selbst in Longbourn, auf welche Weise er sich über den Mann äußerte, dessen Nachsicht und Edelmuth er unendlich viel zu danken hat. Auch giebt es noch manche andre Umstände, die ich nicht berechtigt bin – die des Erzählens nicht werth sind; aber seine Lügen in Bezug auf die Darcy'sche Familie sind nicht zu zählen. Nach dem, was er von Miß Darcy gesagt hatte, war ich darauf gefaßt, ein stolzes, hochmüthiges, unangenehmes Mädchen zu finden; und doch wußte er es selbst am Besten, wie liebenswürdig und anspruchslos sie ist.«
»Aber sollte Lydia hiervon nichts wissen? Sollte sie unbekannt mit dem sein, was Du und Johanne erfahren hatten?«
»Ach, nein! Das ist eben das Schlimmste von der Sache. Bis ich nach Kent kam und Herrn Darcys Verwandten, Oberst Fitzwilliam kennen lernte, wußte ich die Wahrheit selbst auch nicht. Und als ich nun bei meiner Zurückkunft erfuhr, daß das Regiment Meryton spätestens in 14 Tagen verlassen würde, hielten es Johanne und ich nicht für nöthig, davon zu sprechen. Warum sollten wir ihn um die gute Meinung der ganzen Nachbarschaft bringen? Und selbst als Mrß. Forster ihren Entschluß, Lydien mit nach Brighton zu nehmen, verkündete, hielt ich mich nicht berechtigt, ihr die Augen über seinen Charakter zu öffnen. daß sie in Gefahr kommen könnte, von ihm betrogen zu werden, kam mir nicht in den Sinn.«
»Du hattest also vorher keinen Grund zu vermuthen, daß ein Liebesverhältniß zwischen ihnen Statt finde?«
»Nicht den geringsten. Ich erinnere mich nichts gesehen zu haben, was auf Neigung vor einer oder der andern Seite schließen ließ. Bei seinem ersten Erscheinen war sie zwar sehr für ihn eingenommen, so waren wir aber alle. Jedes Mädchen in und um Meryton fühlte sich die ersten zwei Monate durch seine Schönheit und Liebenswürdigkeit bezaubert; aber er zeichnete Lydien nie durch besondere Aufmerksamkeit aus, weshalb sie ihm denn auch ihre Gunst sehr bald entzog und andere, sie mehr auszeichnende Officiere zu ihren Lieblingen erwählte.«
Es ist leicht zu begreifen, daß die kleine Reisegesellschaft, nur von dem einen Gedanken beseelt, von nichts Anderem sprach, und daß besonders Elisabeth, in deren Herzen sich noch Vorwürfe über ihr Schweigen einschlichen, keinen Augenblick Ruhe genoß
Sie reisten so schnell als möglich und langten den zweiten Tag gegen Mittag in Longbourn an. Es gewährte Elisen zur Beruhigung, daß Johanne sie nicht früher erwartet haben konnte. Der Anblick eines Reisewagens hatte die kleinen Gardiners vor die Thüre gelockt. Elisabeth sprang zuerst heraus und eilte, nachdem sie den Kindern einen Kuß gegeben, ins Haus, wo ihr Johanne auch schon entgegen kam. Mit heißen Thränen umarmten sich die Schwestern, und Elisens erste Frage war nach den Flüchtlingen.
»Wir haben noch nichts von ihnen gehört,« entgegnete Johanne. Doch nun, da mein lieber Onkel gekommen ist, hoffe ich, daß alles gut gehen soll.«
»Ist der Vater noch in der Stadt?«
»Ja, seit dem Dienstag.«
»Und hörtet Ihr oft von ihm?«
»Nur ein Mal. Er schrieb mir am Mittwoch ein paar Zeilen, um seine glückliche Ankunft zu melden, und mir seine Addresse zu geben, um welche ich ihn gebeten hatte. Er fügte noch hinzu, daß er nicht eher wieder schreiben würde, bis er etwas Wichtiges mittheilen könnte.«
»Und die Mutter – wie geht es ihr? wie geht es Euch Allen?«
»Die Mutter ist leidlich wohl, aber sehr niedergeschlagen. Sie ist oben in ihrem Zimmer, was sie noch nicht wieder verlassen hat, und wird sich sehr freuen, Dich zu sehen. Marie und Kitty befinden sich Gottlob recht wohl,«
»Aber Du?« rief Elisabeth. »Du siehst sehr blaß aus. Wie viel hast Du in diesen Tagen gelitten!«
Johanne suchte sie über ihren Gesundheitszustand zu beruhigen, so gut sie konnte; unterdessen waren Herr und Mrß. Gardiner, von ihren Kindern aufgehalten, auch herein gekommen und Johanne begrüßte sie mit Lächeln und Thränen. Der Anblick ihres Onkels und seine Versicherungen, das Mögliche zur Entdeckung der Flüchtlinge zu thun, bestärkten sie in ihren Hoffnungen. Sie lebte von einem Tage zu dem andern in der Erwartung, daß sich alles gut enden würde, daß der nächste Morgen einen Brief von ihrem Vater, oder von Lydien mit der Nachricht ihrer vollzogenen Heirath bringen würde.
Mrß. Bennet empfing die Reisenden mit Thränen und Klagen, mit Verwünschungen über Wickham und dessen Schändlichkeit, und mit Erzählungen ihrer eignen Leiden; jedermann anklagend, nur nicht sich selbst; da doch ihre unzeitige Nachsicht und fehlerhafte Erziehung die hauptsächlichste Veranlassung zu Lydiens Irrthümern war.
»Wenn ich nur im Stande gewesen wäre, meinen Plan, mit der ganzen Familie nach Brighton zu gehen, auszuführen, so würde dieses Unglück nicht geschehen sein; aber die arme Lydia hatte keine Aufsicht, war sich zu sehr selbst überlassen. Forsters hätten sie keinen Augenblick unbewacht lassen sollen; ich bin fest überzeugt, daß sie nur deshalb auf solche Abwege gerathen ist: denn Lydia würde nimmermehr an Entführung gedacht haben, wenn sie unter strengerer Aufsicht gewesen wäre. Ich sagte es gleich, daß Forsters sich hierzu nicht eigneten, wurde aber wie gewöhnlich überstimmt. Armes, liebes Kind! Und nun ist mein Mann ihnen nachgereist, und wird sich mit Wickham schlagen oder schießen, sobald er ihn trifft; und wenn dieser ihn nun tödtet, was soll dann aus uns werden? Dann kommt Collins mit seiner Frau, ehe er noch kalt ist, um uns aus dem Hause zu jagen. O, Bruder, wenn Du Dich unserer nicht annimmst, weiß ich nicht, was wir beginnen sollen!«
Herr Gardiner bemühete sich, sie zu beruhigen, und versprach gleich den nächsten Tag nach London zu reisen, um seinem Schwager beizustehen, und ihm zu helfen, Lydien zu finden.
»O, geliebter Bruder,« rief Mrß. Bennet, »Du erfüllst meine kühnsten Wünsche. Eile in die Stadt, suche sie auf, wo sie sich auch verborgen halten, und besorge, daß sie gleich copulirt werden, wenn sie es wirklich noch nicht sein sollten. Wegen der Hochzeitskleider brauchen sie nicht zu warten. Sag Lydien, daß sie nach der Hochzeit so viel Geld dazu haben sollte, wie sie nur verlangte. Und vor allen Dingen verhindere, daß sich mein Mann nicht mit Wickham schlägt. Sage ihm, daß ich mich in einem schrecklichen Zustand befände, daß ich Krämpfe, Seitenstechen, Kopfweh und so gewaltiges Herzklopfen hätte, daß ich Tag und Nacht keine Ruhe finden konnte. Und meiner lieben Lydia präge es ein, sich keine neuen Kleider anzuschaffen, bevor sie mich gesehen, weil sie nicht weiß, wo sie am besten zu haben sind. O, Bruder! wie bist Du so gut! Ich wußte wohl, daß Du gewiß Rath schaffen würdest.«
Herr Gardiner sah sich nach diesem Ausbruch ihrer chimärischen Hoffnungen genöthigt, sie zu ermahnen, sich weder der Erwartung noch der Furcht auf eine so gewaltsame Weise hinzugeben, indem sie hierdurch nichts bessere, ihren Gesundheitszustand wohl aber verschlimmern könne.
Während dieser Unterhaltung war die Mittagsstunde herangekommen und die Haushälterin erschien, ihr Gesellschaft zu leisten, da ihre Töchter die Gäste in das Eßzimmer begleiteten. Obgleich sie es alle für unnöthig erkannten, sich so ängstlich in ihr Zimmer einzuschließen, suchte doch niemand sie zum Herunterkommen zu bereden, da sie wohl wußten, wie wenig sie sich und ihre Zunge zu beherrschen verstand. Und so war es freilich besser, sie den lauschenden Ohren der aufwartenden Dienstboten zu entziehen.
Marie und Kitty fanden sich jetzt auch bei der Gesellschaft ein, der sie sich noch nicht gezeigt hatten. Die Eine kam von ihren Büchern, die Andre von der Toilette; beide sahen höchst ruhig aus, als ob gar nichts vorgefallen wäre, und Kitty verrieth nur durch einen noch verdrießlichern, unmuthigern Ton den Verlust ihrer Lieblingsschwester, und ihren Zorn über deren Vergehen. Marie flüsterte Elisen, sobald sie sich an den Tisch gesetzt hatten, mit dem Ausdruck ruhiger Ueberlegung zu:
»Dieß ist eine sehr unglückliche Geschichte, von der wahrscheinlich viel gesprochen werden wird. Doch wir müssen uns bemühen, den Strom der Bosheit und Verläumdung zu hemmen, und uns gegenseitig durch schwesterliche Trostgründe aufzurichten.
Da Elisabeth keine Miene machte, hierauf etwas zu erwiedern, fuhr sie im salbungsreichen Ton fort:
»So trostlos diese Begebenheit für Lydien auch ist; müssen wir doch die nützliche Lehre daraus ziehen, daß der Verlust des weiblichen Rufs unersetzlich ist – daß ein falscher Schritt ins Elend führt, und daß man nicht genug auf seiner Hut sein kann im Benehmen gegen die Unwürdigen des andern Geschlechts.«
Elisabeth richtete ihre Blicke voll Erstaunen auf die moralisirende Schwester, und war keiner Antwort fähig.
Marie aber fuhr noch lange fort, die guten Folgen, die dieses Unglück für den aufmerksamen Beobachter haben müßten, heraus zu heben?
Als sich die beiden ältesten Schwestern im Verlauf des Abends einen Augenblick allein sahen, bat Elise, sie von allem zu unterrichten, was sie bis jetzt noch nicht erfahren hatte. »Was sagte Oberst Forster dazu? Hatte er keine Ahnung von diesem Liebesverständniß vor ihrer Flucht? Er muß sie doch immer zusammen gesehen haben.«
»Er behauptet, nichts bemerkt zu haben, was zu einem solchen Verdacht Veranlassung gegeben. Er dauert mich sehr. Sein Benehmen gegen uns war äußerst theilnehmend und gütig. Er unternahm die Reise hierher bloß in der Absicht, uns zu trösten, und als er kurz vorher die Vermuthung erhielt, daß Wickham wahrscheinlich nicht nach Schottland gegangen sei, beschleunigte er sie nur desto mehr«.
»Und war Denny wirklich überzeugt, daß Wickham Lydien nicht heirathen würde? Wußte er von ihrer Flucht? Hat Oberst Forster Denny selbst gesprochen?«
»Ja; aber als dieser ihn darüber befragte, läugnete er sein Mitwissen ab, und wollte seine wahre Meinung nicht aussprechen. Er wiederholte seinen Zweifel nicht, und deshalb bin ich immer noch geneigt zu hoffen.«
»Und hegte keiner von Euch einen Zweifel an ihrer Verheirathung, bis Oberst Forster kam?«
»Wie hatten wir auf einen solchen Gedanken kommen sollen! Ich fühlte mich ein Bischen unruhig und besorgt wegen meiner Schwester Aussichten auf häusliches Glück, da ich wußte, daß sein Betragen nicht immer ganz recht gewesen war. Die Eltern ahneten hiervon nichts und fanden diese Heirath nur sehr unvernünftig. Kitty gestand, mit einem triumphirenden Blick, daß sie mehr gewußt als wir, daß Lydiens letzter Brief sie auf diesen Schritt vorbereitet hätte. Sie schien schon seit mehreren Wochen von dem Liebesverständniß unterrichtet gewesen zu sein.«
»Doch nicht, ehe sie nach Brighton gingen?«
»Nein, ich glaube nicht.«
»Und kam es Dir vor, als ob Oberst Forster mit seinem wahren Charakter bekannt wäre? glaubst Du, daß er ihn für schlecht hält?«
»Ich muß gestehen, daß er nicht mehr so gut von Wickham sprach, wie er früher gethan. Er nannte ihn leichtsinnig und ausschweifend. Und seit diese Geschichte ruchbar geworden ist, hört man, daß er bedeutende Schulden in Meryton zurückgelassen haben soll; doch ich hoffe, dieses Gerücht ist falsch.«
»Ach, Johanne! wären wir weniger verschwiegen gewesen, hätte sich dieses Unglück vielleicht nicht zugetragen!«
»Vielleicht wäre es besser gewesen;« entgegnete ihre Schwester. »Aber die frühern Vergehen eines Menschen aufzudecken, der sich seitdem gebessert haben konnte, erschien mir doch ungerecht. Wir unterließen es aus der besten Absicht.«
»Weißt Du nicht, was Lydiens Brief an Mrß. Forster enthielt?«,
»Ihr Mann brachte ihn mit hierher,« sagte Johanne und reichte ihrer Schwester das Blatt, welches sie in ihrer Brieftasche bei sich führte. Es lautete folgender Maaßen:
Geliebte Henriette!
»Du wirst lachen, wenn Du erfährst, wohin ich gegangen bin, und ich muß selbst lachen, wenn ich mir Dein Erstaunen, mich morgen früh nicht zu finden, vorstelle. Ich bin im Begriff nach Gretna Green zu reisen, und wenn Du nicht erräthst mit wem, muß ich Dich für einfältig erklären: denn es giebt nur einen Mann in der Welt, den ich liebe, und dieser ist ein Engel. Ich kann ohne ihn nicht glücklich werden, deshalb muß ich mit ihm fortgehen. Du brauchst diese Neuigkeit nicht nach Longbourn zu berichten, wenn Du sonst nicht dazu aufgelegt bist; das Erstaunen der Meinigen wird nur desto größer sein, wenn ich ihnen schreibe und mich Lydia Wickham unterzeichne. Das wird einen Spas geben! Ich kann vor Lachen kaum fortschreiben. Sei doch so gut, mich bei Pratt zu entschuldigen, daß ich mein Engagement nicht halten und heute Abend mit ihm tanzen kann. Sage ihm, ich hoffte, er würde mir vergeben, wenn er alles wüßte, und ich wäre bereit, desto mehr auf dem nächsten Ball, wo wir zusammen träfen, mit ihm zu tanzen. Ich werde meine Kleider und übrigen Sachen holen lassen, sobald ich wieder in Longbourn bin; erinnere das Mädchen daran, den Riß in meinem Mouslinkleid zuzumachen, ehe sie es einpackt. – Und nun lebe recht wohl. Empfiehl mich Deinem Mann. Ich hoffe, Ihr trinkt heute Mittag auf unsre glückliche Reise.
Deine
Dich zärtlich liebende Freundin
Lydia Bennet.«
»O! leichtsinniges, gedankenloses Geschöpf!« rief Elisabeth, nachdem sie gelesen. »Welch ein Brief! wie kann man so in einem solchen Augenblick schreiben? Aber er beweißt wenigstens, daß sie an dem Zweck ihrer Reise nicht zweifelte. Was er ihr auch späterhin vorgelogen haben mag, so ist sie doch von dieser ärgsten Schuld freigesprochen. Mein armer Vater! wie wird er gelitten haben!«
»Ich sah ihn noch nie so ergriffen. Er konnte in den ersten zehn Minuten kein Wort hervorbringen. Die Mutter wurde gleich krank und so gerieth das ganze Haus in Unruhe.«
»Ach, Johanne!« rief Elisabeth mit einem Seufzer – »und gewiß blieb kein Mensch darin in Ungewißheit über die Sache?«
»Ich weiß es nicht, hoffe aber, daß noch nicht Jedermann von der traurigen Geschichte unterrichtet ist. Es war nicht möglich, alle Mittheilungen in diesem Augenblick zu verhindern. Die Mutter bekam ihre Zufälle, und so sehr ich auch bemüht war, ihr beizustehen, fühlte ich mich doch selbst so angegriffen von Schreck und Angst, daß ich weniger thun konnte, als ich wünschte.«
»Du hast schon über Deine Kräfte gethan, Das beweißt Dein krankes Aussehen. O, daß Ich bei Dir gewesen wäre, um alle Angst und Sorge mit Dir zu theilen!«
»Marie und Kitty waren sehr freundlich und würden mir gewiß treulich beigestanden haben; aber ich hielt es nicht für Recht, sie dazu aufzufordern. Kitty ist noch so jung und zart und Marie studirt so viel, daß ich ihr ihre Ruhestunden nicht gern rauben wollte. Die Tante Philips kam am Dienstag, nachdem der Vater abgereist, und war so gut, bis Donnerstag bei mir zu bleiben. Ihr Besuch gereichte, uns allen zum Trost. Auch Lady Lukas, kam sogleich, uns ihr Mitleid zu bezeigen, und bot ihre oder ihrer Töchter Dienste an, wenn wir sie brauchen könnten.«
»Sie hätte besser gethan, zu Hause zu bleiben,« rief Elisabeth; »es ist möglich, daß sie es gut meinte; aber bei solchen traurigen Gelegenheiten thut man am Besten, die Nachbarn sich selbst zu überlassen. Beistand ist unmöglich Theilnahme, unerträglich. Sie mögen in der Ferne über uns triumphiren und sich damit begnügen.«
Johanne erzählte nun auf ihrer Schwester Verlangen, daß der Vater zuerst nach Epsom, wo Wickham zuletzt Pferde gewechselt, gegangen sei, um zu versuchen, ob er von dem Postillion nichts Genaueres erfahren könne. Ihm lag hauptsächlich daran, die Nummer des Miethwagens zu wissen, in welchem sie nach Clapham gefahren. Dieser war von London mit Reisenden gekommen, und da Herr Bennet glaubte, daß eines Herrn und einer Dame Aussteigen aus dem einen, und Einsteigen in den andern Wagen, auf der Station nicht unbemerkt bleiben können gedachte er in Clapham Erkundigungen einzuziehen. Wenn dort nur das Haus erfahren könne, woselbst der Kutscher seine Reisenden aus der Stadt abgesetzt, so hoffte er auch, den Stand und die Nummer des Miethwagens herauszubringen, ohne welche Kenntniß seine Nachforschungen in London ganz zwecklos sein würden. Ob er nun noch andre Pläne gehabt, wußte Johanne nicht zu sagen, indem er beim Abschied in einer solchen Hast gewesen war, daß sie nur mit Mühe so viel aus ihm herausgebracht hatte.