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Zweites Capitel.

Elisabeth vermuthete, daß Darcy ihr seine Schwester den andern Morgen nach ihrer Ankunft in Pemberley bringen würde, und beschloß deshalb, sich zu dieser Zeit nicht vom Wirthshause zu entfernen. Ihre Vermuthung war indessen falsch; denn schon denselben Morgen, wo sie angekommen, fand sie sich mit ihrem Bruder in Lambton ein. Gardiners waren eben mit ihrer Nichte von einem kleinen Ausflug zurückgekehrt, und im Begriff, Toilette zu machen, um in Gesellschaft einiger befreundeten Familie auswärts zu Mittag zu essen, als das Rasseln eines Wagens sie an das Fenster lockte, und sie einen Herrn und eine Dame in einem Curricle Carrick, Carrik oder Curricle ist der Name einer Kutsche, die zu Beginn des 18. Jh. beliebt war. Sie ist zweirädrig, wird zweispännig gefahren und wirkt sehr elegant, wurde aber bald von anderen Kutschenarten wie Cabriolet oder Phaeton abgelöst, weil sie höchst unfallträchtig war. die Straße heraufkommen sahen. Elisabeth erkannte die Livree und theilte ihren Verwandten die ihnen bevorstehende Ehre mit. Onkel und Tante blickten sie voll Erstaunen an. Eine solche Auszeichnung verbunden mit Elisens zunehmender Verlegenheit und manchem andern, ihnen schon gestern aufgefallenen Umstand, schien ihnen plötzlich Licht über die Sache zu geben. Bis jetzt war ihnen kein Gedanke dieser Art eingefallen; doch nun glaubten sie plötzlich, den Schlüssel zu Herrn Darcy's unbegreiflichem Betragen gefunden zu haben. Während sie sich mit dieser neuen Idee vertraut zu machen suchten, nahm Elisens Unruhe mit jedem Augenblick zu. Sie kannte sich selbst nicht wieder in diesem fremden Gefühl und strebte vergebens nach äußerer Ruhe. Eine gewisse Angst hatte sich ihrer bemeistert; sie fürchtete, daß des Bruders Vorliebe für sie der Schwester einen allzugünstigen Begriff von ihr beigebracht haben möchte, und der Wunsch, demselben zu entsprechen, gab ihrem Wesen etwas Unsicheres,

Sie entfernte sich vom Fenster, um nicht gesehen zu werden, und ging eiligen Schritts im Zimmer auf und ab; doch auch hier fand sie keine Ruhe, und die auf sie gerichteten, halb erstaunten, halb neugierigen Blicke ihrer Verwandten machten das Uebel nur noch ärger.

Indem trat Herr Darcy mit seiner Schwester ein und die Vorstellung ging in aller Form vor sich. Voll Verwundrung gewahrte Elisabeth, daß ihre neue Bekanntin nicht minder verlegen als sie selbst war. Sie hatte sie als stolz schildern hören; doch eine Beobachtung von wenigen Minuten reichte hin, sie zu überzeugen, daß diese Zurückhaltung nicht Hochmuth, sondern der höchste Grad von Schüchternheit sei. Es war kaum möglich, mehr als einzelne Worte aus ihr herauszubringen.

Miß Darcy war größer wie Elisabeth, sehr elegant und obgleich erst sechszehn Jahr, doch schon vollkommen ausgebildet. Ihre Gesichtszüge hatten einen freundlichen angenehmen Ausdruck und ihre ganze Erscheinung etwas sehr Anmuthiges, Weibliches. Elisabeth, die sich gefürchtet, in ihr eine eben so scharfe und strenge Beobachterin zu finden, wie in ihrem Bruder, fühlte sich angenehm überrascht durch Georginens anspruchsloses, sanftes Benehmen.

Darcy erzähltet ihr sogleich, daß Bingley an diesem Morgen ebenfalls seine Aufwartung zu machen gedenke; und kaum hatte sie Zeit, ihre Freude darüber auszusprechen, als ein rascher Fußtritt auf der Treppe seine Ankunft verkündete. Elisens Zorn gegen ihn war längst verschwunden; und selbst, wenn auch noch ein kleiner Theil im Hintergrunde ihrer Seele zurückgeblieben wäre, hätte er jetzt weichen müssen vor der herzlichen, freundlichen Begrüßung. Er erkundigte sich angelegentlich nach dem Befinden ihrer Familie, drückte seine Freude, sie wieder zu sehen, auf eine so natürliche Weise aus, und verrieth so viel Unbefangenheit, daß sie ihn von aller Schuld freisprechen mußte.

Für Herrn und Mrß. Gardiner war er nicht minder eine erfreuliche Erscheinung; sie hatten längst schon gewünscht ihn kennen zu lernen. Beide Männer erregten ihre Aufmerksamkeit in einem hohen Grade, besonders Darcy, von dessen Neigung für ihre Nichte sie sich immer mehr und mehr überzeugten. Ueber Elisens Gefühle waltete noch ein kleiner Zweifel ob; doch daß Darcy nur Liebe und Bewundrung athmete, war deutlich zu sehen.

Auch Elisabeth war nicht unbeschäfftigt. Sie bemühte sich, die Gefühle ihrer verschiedenen Gäste zu ergründen, ihr eigenes zu beruhigen, und sich allen angenehm zu machen, welches Geschäfft ihr nicht schwer wurde. Bingley war bereit, Georgine willig und Darcy entschlossen, sie und alles, was sie that und sagte, liebenswürdig zu finden. Bingley's Anblick erregte natürlich eine Erinnerung an ihre Schwester; und o! wie wünschte sie zu wissen, ob auch seine Gedanken auf dieselbe Weise beschäfftigt wären! Manchmal kam es ihr vor, als wenn er weniger spräche wie sonst, und ein Mal ruhte sein Blick so forschend auf ihr, als ob er in ihren Zügen eine Aehnlichkeit mit Johannen gesucht hatte. Aber wenn dieß auch nur Einbildung war, konnte sie doch bei der genauesten Beobachtung nichts bemerkten, was auf ein Verhältniß zwischen ihm und Miß Darcy schließen ließ. Kein Blick, kein Wort von seiner oder ihrer Seite, was die Hoffnungen Miß Bingley's zu rechtfertigen schien. Hierüber fühlte sie sich vollkommen beruhigt; und es ereigneten sich, ehe sie schieden, mehrere kleine Umstände, die eine Erinnerung an Johannen aussprachen, so wie den Wunsch, mehr über sie zu sagen, wenn er es gewagt hätte. Als er sich einen Augenblick unbemerkt glaubte, sagte er in einem Ton, der Bedauern ausdrückte – »Es ist sehr lange, daß wir uns nicht gesehen haben – über acht Monate. Ich habe Sie nicht wieder gesehen seit dem 26. November, wo wir alle zusammen in Netherfield tanzten.«

Elisabeth freute sich, sein Gedächtniß so treu zu finden; und er benutzte später noch ein Mal die Gelegenheit, sie zu fragen, ›ob alle ihre Schwestern in Longbourn wären?‹ Die Frage an und für sich war eben so wenig bedeutungsvoll, als die vorhergegangene Bemerkung, aber der sie begleitende Ton und Blick gab ihnen die wahre Auslegung.

Sie wagte es nicht, oft ihre Blicke auf Darcy zu richten; doch wenn sie es that, sah sie seine Züge von einem heitern, freundlichen Ausdruck belebt; und alles, was er sagte, verrieth so wenig Hochmuth und Stolz, daß sie sich überzeugte, der höhere Grad von Artigkeit, den sie gestern an ihm bemerkt, habe wenigstens bis jetzt noch Stand gehalten. Sie glaubte zu träumen, wenn sie sein Bestreben sah, die gute Meinung derjenigen Menschen zu erhalten, deren Umgang er erst noch vor wenigen Monaten für eine Schande gehalten hatte; wenn sie seine ausgezeichnete Höflichkeit nicht allein gegen sie selbst, sondern gegen dieselben Verwandten, über welche er sich bei ihrem letzten Zusammentreffen in der Pfarrwohnung zu Hunsford so offen erklärt hatte, bemerkte. Der Unterschied war zu groß, die Verwandlung zu unbegreiflich, als daß sie ihren Einfluß nicht auf sie geäußert haben sollten. Nie, selbst nicht in der Gesellschaft seiner lieben Freunde in Netherfield oder seiner hohen Verwandten in Rosings hatte sie ihn so augenscheinlich bemüht zu gefallen, so frei von Selbstgefühl und Zurückhaltung gesehen, als hier, wo nichts auf sein Betragen ankam, ja wo selbst seine Artigkeit und Aufmerksamkeit den Tadel und Spott der Damen von Netherfield und Rosings nothwendig nach sich gezogen haben würde.:

Nach einer halben Stunde erhob sich die Gesellschaft zum Abschied und Darcy forderte seine Schwester auf, seine Bitte, Herrn und Mrß. Gardiner nebst Miß Bennet einen Mittag bei sich in Pemberley zu sehen, bevor sie die Gegend verließen, zu unterstützen. Miß Darcy gehorchte, obgleich mit einer Schüchternheit, welche deutlich bewies, wie wenig sie noch geübt war, solche Einladungen zu geben. Mrß. Gardiner sah ihre Nichte an, um zu erfahren, ob sie, der diese Höflichkeit hauptsächlich galt, geneigt sei, sie anzunehmen; doch Elisabeth hatte sich abgewandt und schien nichts gehört zu haben. Da sie aber dieses geflissentliche Vermeiden sehr richtig für Verlegenheit und nicht für Abneigung gegen den gemachten Vorschlag erkannte, und ihr Mann sich sehr bereitwillig dazu erklärte, wurde die Einladung mit Dank angenommen und der übermorgende Tag dazu festgesetzt.

Bingley freute sich der Aussicht, Elisen wieder zu sehen, da er noch viel mit ihr zu sprechen, noch manche Frage nach seinen Freunden in Hertfordshire zu thun hatte. Elisabeth übersetzte sich dies in den Wunsch, noch mehr von ihrer Schwester zu hören, und war sehr befriedigt von ihm, so wie von dem ganzen Besuch, obgleich ihr der Genuß desselben durch Anstrengung verbittert worden war. Sie sehnte sich allein zu sein, und fürchtete die Anspielungen ihrer Verwandten; deshalb hörte sie nur noch Bingley's Lob und eilte dann in ihr Zimmer, sich anzukleiden.

Aber von Herrn und Mrß. Gardiners Neugier hatte sie nichts zu befürchten; sie wollten ihr Vertrauen nicht erzwingen. Fest überzeugt, daß ihre Nichte Herrn Darcy besser kannte, als sie bis jetzt geglaubt, und daß er ihr wahrhaft ergeben war, wußten sie genug, um sich aller Fragen zu enthalten. Ob er aber wirklich den vortrefflichen Charakter besaß, das hohe Lob verdiente, welches ihm die Haushälterin beigelegt, blieb noch zu ergründen übrig. Die Nachforschungen, die sie darüber bei ihren Freunden in Lambton angestellt, waren nicht zu seinem Nachtheil ausgefallen. Man wußte ihn nichts vorzuwerfen als Stolz; stolz war er, und mußte er schon deswegen sein, weil er außer allem Verkehr mit den Einwohnern des kleinen Marktstädtchens lebte, und keinen Menschen besuchte. Zugleich ward er aber auch für einen freigebigen Mann erklärt, der den Armen viel Gutes erwiese.

Ueber Wickham lauteten die Nachrichten nicht allzugünstig, und die Reisenden fanden, daß er nicht in dem besten Ruf stand; denn obgleich man die meisten Klagen, die er über den Sohn seines verstorbenen Gönners führte, für gegründet hielt, war doch der Umstand, daß er viel Schulden in Derbyshire hinterlassen, welche Herr Darcy sämmtlich bezahlt hatte, nicht minder unbekannt geblieben.

Elisens Gedanken verweilten an diesem Tage noch mehr wie in dem vorigen in Pemberley, und der Nachmittag, so lang er ihr auch wurde, war dennoch nicht lang genug, um zu entscheiden, wie sie gegen den Besitzer desselben gesinnt sei. Sie haßte ihn nicht. Nein; dieses Gefühl war längst aus ihrem Herzen gewichen, und sie schämte sich, je eine Abneigung gegen ihn empfunden zu haben. Die Achtung, die sie seinen bessern Eigenschaften anfänglich nicht gern gezollt, fand jetzt ungehinderten Eingang, besonders seit er sich gestern und heute in dem ihr ganz fremden, liebenswürdigen Licht gezeigt. Doch mehr noch als durch die Achtung und Hochschätzung für seinen Charakter fühlte sie sich durch Dankbarkeit an ihn gefesselt. Ja, sie war ihm dankbar, daß er sie einst geliebt hatte, und jetzt noch so viel Liebe für sie empfand, um alle die Härten und Bitterkeiten vergessen zu können, womit sie seinen Antrag abgewiesen. Er, von dem sie überzeugt gewesen, daß er sie wie seinen bittersten Feind fliehen würde, war jetzt, bei ihrem zufälligen Zusammentreffen, bemüht, die Bekanntschaft fortzusetzen, sich ihren Verwandten gefällig zu beweisen, und seine Schwester mit ihr bekannt zu machen. Eine solche Veränderung in einem Mann von diesem Stolz erregte nicht allein Verwundrung, sondern heischte auch Dankbarkeit – denn nur der Liebe, der heißesten Liebe konnte sie zugeschrieben werden. Sie schätzte, sie achtete ihn, sie war ihm dankbar, sie nahm innigen Antheil an seinem Wohlergehen, und wünschte nur zu wissen, in wie fern es von ihr abhing, Letzteres zu befördern.

Es war zwischen der Tante und Nichte verabredet worden, in Erwiederung der unerwarteten Höflichkeit Miß Darcy's, die sie auf keine andre Weise zu vergelten im Stande waren, an folgenden Morgen ihren Gegenbesuch zu machen. Gardiner verließ die Damen gleich nach dem Frühstück, um Darcy's Aufforderung, mit ihm und einigen andern Herrn zu fischen, zu folgen, und so begaben sie sich allein nach Pemberley.


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