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Hätte Elisabeth sich nach dem, was sie in der eignen Familie sah, ein Bild ähnlicher Glückseligkeit und häuslichen Lebensgenusses machen wollen, würde sie ein sehr trauriges erhalten haben. Ihr Vater hatte, durch Jugend und Schönheit und die damit so häufig verbundene heitere Gemüthsstimmung gefesselt, ein Mädchen geheirathet, dessen schwacher Verstand und leichtfertiger Sinn sehr bald jede Spur von Liebe in ihm erloschen mußten. Na ja, zur Zeugung von immer fünf Kindern innerhalb von acht Jahren hat's zumindest dann doch gereicht, Miss Austen! Achtung, Vertrauen und Neigung waren für immer verschwunden, so wie alle Aussicht auf häusliche Glückseligkeit. Nicht geneigt, Trost und Ersatz in solchen Freuden und Ergötzlichkeiten zu finden, wodurch sich so viele seiner Leidensgefährten zu entschädigen suchen, beschränkte er sich einzig auf sich selbst und seine Bibliothek. Die Gesellschaft und Unterhaltung seiner Frau konnte ihn höchstens auf kurze Zeit amüsiren, doch sehr diese Freude ward ihm sehr oft durch ihre unglaubliche Geschwätzigkeit vergällt, und so zog er sich immer mehr und mehr wie ein wahrer Philosoph von der kleinen Welt des eignen Hauses zurück.
Elisabeth war nie blind für die Fehler ihrer Eltern gewesen, und hatte es schmerzlich gefühlt, wie unrecht ihr Vater als Ehemann gehandelt, wie Vieles er schlimmer gemacht, wie Manches er hätte ändern können. Doch aus Achtung für seine mannigfachen vortrefflichen Eigenschaften, und aus Dankbarkeit für die ihr von frühester Jugend an bezeigte Liebe suchte sie zu vergessen, was sie nicht zu übersehen vermochte, und so wenig wie möglich an das zu denken, was zu ändern nicht in ihrer Macht stand. Doch noch nie waren ihr die Nachtheile, die den Kindern aus einer so unpassenden Ehe nothwendig entspringen müssen, so deutlich erschienen als gerade jetzt, wo Uebereinstimmung der Gesinnungen mehr als je erfordert wurden, um ihre Erziehung zu vollenden. Sie sah dieses wichtige Werk den Händen einer Mutter überlassen, die weder hinsichtlich des Verstandes noch des Gefühls einem solchen Geschäfft gewachsen war; während der Vater, mit allen Hülfsmitteln und Talenten dazu ausgestattet, sich demselben aus Egoismus und Bequemlichkeit entzog, und selbst da nicht durchgriff, wo unvermeidliche Uebel zu erwarten standen, wie bei Lydiens Aufenthalt in Brighton.
Außer der Freude über Wickhams Entfernung fand Elisabeth keinen andern Grund, ihre Zufriedenheit über den Abgang des Regiments zu äußern. Die auswärtigen Gesellschaften waren weniger belebt als sonst, und die zu Hause von ihrer Mutter und Kitty geführten Klagen über das ewige Einerlei und die kaum zu ertragenden Langweiligkeiten des Lebens, machten den häuslichen Cirkel allerdings nicht zu dem erfreulichsten. In dieser Lage ward es ihr zum Bedürfniß, den Blick auf eine reichere, vielversprechendere Zeit zu richten; und glücklicher Weise gewährte ihr die Aussicht auf die bevorstehende Reise so viel Freude, daß sie, hätte sie Johannen in den Plan mit einschließen können, gern die unbehaglichen Stunden in Gesellschaft der mißvergnügten Mutter und Schwester ertragen haben würde. Nur der Gedanke, Johannen in dieser Umgebung zurück lassen zu müssen, störte ihr Glück.
Lydia: hatte beim Abschied versprochen, oft und ausführlich an ihre Mutter und an Kitty zu schreiben, doch ließen sich ihre Briefe immer lange erwarten, und waren dann sehr kurz und flüchtig. Die an die Mutter enthielten In der Vorlage: »erhielten«. nicht viel mehr als, daß sie eben aus der Leihbibliothek zurückgekehrt wären, wohin sie von mehreren Officieren begleitet worden, und wo sie so viel Schönes gesehen hätten, daß sie nicht wußte, wo ihr der Kopf stände. Oder sie schrieb von einem neuen Kleid oder Sonnenschirm, die sie sich gekauft, und welche Stücke sie eben genau zu beschreiben Willens gewesen, als sie von Mrß. Forster abgerufen worden wäre, sie ins Lager zu begleiten. – Aus der Correspondenz an ihre Schwester, ließ sich gleichfalls nicht viel lernen; denn obgleich die Briefe länger waren, fanden sich doch zu viel unterstrichene Worte darin, um den Innhalt allgemein bekannt zu machen.
Nach 14 Tagen oder 3 Wochen begann alles in Longbourn wieder eine fröhlichere Gestalt anzunehmen. Gesundheit, gute Laune und Heiterkeit stellten sich endlich wieder ein; die Familien, welche der Winker in der Stadt zugebracht, kehrten aufs Land zurück und die Sommerfreuden nahmen ihren Anfang. Auch Mrß. Bennet verfiel wieder in ihren gewöhnlichen Ton, und Kitty gelangte bis zur Mitte des Juni so weit, Meryton ohne Thränen betreten zu können; welcher Umstand Elisen zu der kühnen Hoffnung berechtigte, daß sie bis zum nächsten Weihnachtsfest so vernünftig werden würde, täglich nur ein Mal der abgegangenen Officiere zu erwähnen, wenn nicht ein grausames Geschick bis dahin ein andres Regiment nach Meryton führte.
Die Zeit bis zum Anfang ihrer Reise war nun bis auf wenige Tage verstrichen, als ein Brief von Mrß. Gardiner anlangte, der sie nicht allein weiter hinausschob, sondern auch die Reiseroute verkürzte. Herr Gardiner sah sich durch unvermuthete Geschäffte bis über die Mitte des Juli in London festgehalten, wohin er auch nach Monatsfrist zurückkehren mußte; und da dieser Zeitraum zu kurz war, um so weit zu gehen und so viel zu sehen, als sie sich vorgenommen, mußte die Tour sehr abgekürzt werden. Man durfte nicht weiter nördlich als Derbyshire gehen; doch gab es in dieser Grafschaft genug zu sehen, um drei Wochen angenehm daselbst zuzubringen, und für Mrß. Gardiner besonders hatte dieser Plan viel Anziehendes. Die Stadt, in welcher sie mehrere Jahre gelebt, interessirte sie eben so sehr, als alle berühmte Schönheiten dieses Distrikts.
Elisabeth hingegen fand sich sehr in ihren Erwartungen getäuscht; sie hatte sich unendlich viel von der größern, nördlichen Tour versprochen, und meinte, daß man immer noch Zeit genug dazu gehabt hätte. Doch es war ihre Pflicht, mit dem zufrieden zu sein, was das Schicksal ihr beschieden, und so suchte sie sich auch über diese Verkürzung zu beruhigen.
Die Erwähnung der Grafschaft Derbyshire erweckte mannigfache Erinnerungen in ihrem Innern. Es war unmöglich, das Wort geschrieben zu sehen, ohne dabei an Pemberley und dessen Besitzer zu denken.
Vier Wochen mußten noch verstreichen, bevor Onkel und Tante sie abzuholen kamen. Aber sie verstrichen, und Herr und Mrß. Gardiner langten endlich mit ihren vier Kindern an, welche, zwei Mädchen von sechs und acht Jahren und zwei jüngere Knaben, unter Johannens specieller Aufsicht in Longbourn bleiben sollten, bis die Eltern sie rückwärts wieder abholten. So war denn auch für diese Lieblingsschwester ein Ersatz für die Entbehrung des Umgangs ihrer treuen Lizzy gefunden. Johanne liebte die Kinder, welche ihr zärtlich anhingen, von ganzer Seele und fand volle Beschäfftigung in ihrer Wartung und Pflege.
Gardiners blieben nur eine Nacht in Longbourn und reisten am folgenden Morgen mit Elisabeth weiter der Freude und vielem Schönen entgegen. Eines Genusses war sie gewiß, des wohlthuenden Gefühls, diese Reise mit gleichgestimmten, ihrer würdigen Gefährten zu machen.
Es ist hier nicht der Ort, eine Beschreibung von Derbyshire zu liefern, eben so wenig die Merkwürdigkeiten der auf dieser Route liegenden Orte Oxford, Blenheim, Warwick, Kenelworth, Birmingham und mehrere andere zu erwähnen. Die kleine Stadt Lambton, woselbst Mrß. Gardiner früher gewohnt, und in welcher, wie sie jetzt erfahren, sich noch mehrere ihrer Bekannten aufhielten, war nun das Ziel ihrer Reise, nachdem sie die vorzüglichsten Wunderwerke in Augenschein genommen hatte; und nur fünf Meilen von Lambton lag Pemberley, jedoch nicht auf dem geraden Weg dahin, sondern ein bis zwei Meilen seitwärts. Abends vorher, als über die Tour des folgenden Tages gesprochen und berathschlagt wurde, äußerte Mrß. Gardiner den Wunsch, Pemberley wieder zu sehen; ihr Gatte erklärte sich hierzu bereit, und nun ward auch Elisabeth um ihre Meinung gefragt.
»Es wird Dir gewiß Freude machen,« sagte ihre Tante, »einen Ort kennen zu lernen, von dem Du schon so viel gehört hast, und der zugleich der Schauplatz mehrerer Deiner Bekannten ist. Wickham brachte seine ganze Jugend dort zu.«
Elisabeth gerieth in Verlegenheit. Sie fühlte, daß sie nichts in Pemberley zu thun hatte, und sah sich deshalb genöthigt, eine Abneigung, es zu sehen, vorzugeben. Sie versicherte, durch den Anblick so vieler großen Häuser ermüdet zu werden, nachdem sie auf dieser Reise schon mehrere der Art gesehen, und keine Freude an glanzvollen Einrichtungen, köstlichen Tapeten und seidnen Gardinen zu finden.
Mrß. Gardiner schalt sie einfältig. »Wenn dort nichts als ein schönes, wohleingerichtetes Haus zu sehen wäre, würde ich auch nicht darnach verlangen. Aber die Gegend ist entzückend schön; man sieht dort die herrlichsten Waldungen, wie man sie im ganzen Königreich nicht antrifft.«
Elisabeth sagte nichts weiter; doch mit leichtem Herzen konnte sie in diesen Plan nicht einwilligen. Die Möglichkeit, Darcy dort zu treffen, drang sich ihr unwillkührlich auf - und diese wäre schrecklich! Sie erröthete bei der bloßen Idee, und hielt es für rathsamer, ihrer Tante alles zu entdecken, als sich solcher Gefahr auszusetzen. Doch diesem Entschluß stellten sich nach weiterer Ueberlegung auch manche Hindernisse entgegen, und so beschloß sie, ihn nur im äußersten Nothfall auszuführen, wenn ihre geheimen Erkundigungen über die Abwesenheit der Gutsherrschaft ungünstig ausfallen sollten.
Noch am selben Abend fand sie Gelegenheit, sich hierüber Gewißheit zu verschaffen. Eine mit dem Bettmädchen angeknüpfte Unterhaltung über Pemberley und dessen Besitzer beruhigte sie über Darcy's Abwesenheit. Nun hatte sie nichts zu befürchten, und von eigner Neugier getrieben, gab sie am folgenden Morgen mit ziemlicher Gleichgültigkeit ihre Zustimmung zu dem projektirten Abstecher.
Nach Pemberley also richteten sie ihren Lauf.
Ende des zweiten Theils.