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Fünfzehntes Capitel.

Die Verstimmung, welche dieser außerordentliche Besuch in Elisens Gemüth zurückgelassen hatte, war nicht so leicht zu überwinden; auch konnte sie in den ersten Stunden an nichts Andres denken. Lady Katharine hatte, wie es schien, diese Reise einzig in der Absicht unternommen, ihr vermeintliches Verhältniß mit Darcy aufzuheben. Allerdings ein sehr vernünftiger Vorsatz! Doch woher konnte das Gerücht entstanden sein! Elisabeth sann lange vergebens darüber nach, bis ihr einfiel, daß Darcy als Bingley's Freund und sie als Johannens Schwester leicht zu solchen Vermuthungen Anlaß geben könnten, besonders in einer Zeit, wo eine zu erwartende Heirath, leicht auf eine zweite schließen läßt. Sie hatte selbst schon daran gedacht, daß die Verbindung ihrer Schwester Veranlassungen zu häufigerm Zusammentreffen mit Darcy geben würde. Und ihre Nachbarn in Lukas-Lodge (durch deren Berichte an Charlotte Collins Lady Katharine vermuthlich von allem so wohl unterrichtet war), konnten leicht im Voraus Schlüsse daraus gezogen haben.

Der Gedanke, daß Lady Katharine sich ferner noch in diese Angelegenheiten mischen konnte, war ihr höchst unangenehm. Nach ihren Aeußerungen zu schließen, mußte sie glauben, daß sie gesonnen sei, sich nun selbst an ihren Neffen deshalb zu wenden; und wie dieser ihre Schilderung aller der Uebel, welche seiner Verbindung mit ihr nothwendig folgen mußten, aufnehmen würde, wagte sie sich nicht auszumalen. Sie kannte den Grad seiner Zuneigung für diese Tante nicht, eben so wenig, wie weit sein Vertrauen in ihr Urtheil ging; aber es ließ sich vermuthen, daß er Ihro Herrlichkeit höher stellte, und ein größeres Gewicht auf ihre Meinung legte, als sie; und so viel war gewiß, daß eine Zergliederung der Nachtheile seiner Verbindung mit ihr ihn bei seiner schwächsten Seite fassen mußte. Alle die Gründe, welche Elisen kleinlich und lächerlich erschienen waren, enthielten, seinen Ansichten gemäß, viel Wahres und Verständiges. Wenn er also bis jetzt noch zweifelhaft gewesen wäre, mußte der Rath und die eindringlichen Vorstellungen seiner Tante jeden Zweifel heben, und ihn zu dem Entschluß bringen, alle fernern Gedanken an eine ihn so entwürdigende Verbindung aufzugeben. In diesem Fall würde er nicht wieder zurückkehren. Lady Katharine hatte ihn vermuthlich auf ihrer Durchreise in der Stadt gesehen, und ihre Beredtsamkeit mit größerm Erfolg, als bei ihr, angewendet.

»Sollte daher,« so fuhr sie in ihren Betrachtungen fort, »in einigen Tagen eine Entschuldigung seines Nichtkommens an Bingley gelangen, so weiß ich, wie es zu verstehen ist!«


Das Erstaunen der übrigen Mitglieder der Familie über Lady Katharinens Besuch war nicht minder groß, als das der Mutter. Glücklicher Weise schrieben sie ihn indeß derselben Ursache zu, die Mrß. Bennets Neugier zu stillen vermocht, und so war Elisabeth aller weitern Erklärungen darüber enthoben.

Den folgenden Morgen, als sie eben die Treppe heruntergehen wollte, trat ihr Vater mit einem offnen Brief in der Hand aus seinem Studirzimmer.

»Lizzy,« sagte er, »ich wollte Dich eben aufsuchen; komm mit mir in meine Bibliothek.«

Sie folgte ihm, und ihre Neugier, zu erfahren, was er ihr mitzutheilen haben könnte, ward noch durch den Anblick des Briefs erhöht, der nothwendig Bezug darauf haben mußte. Doch plötzlich erfaßte sie der Gedanke, daß er von Lady Katharine sein könnte, und sie sah einer Menge unangenehmen Auseinandersetzungen entgegen.

»Ich habe diesen Morgen einen Brief bekommen,« hub Herr Bennet an, »der mich außerordentlich überrascht hat. Da er Dich hauptsächlich betrifft, muß ich Dir doch wohl den Innhalt mittheilen. Ich wußte bis jetzt noch nicht, daß zwei meiner Töchter sich nächstens zu verheirathen gedächten. Laß mich Dir daher zuförderst meinen Glückwunsch zu diesem wichtigen Schritt darbringen.«

Das Blut stieg Elisen in die Wangen bei der Voraussetzung, daß der Brief vom Neffen und nicht von der Tante sein mußte; und sie wußte nicht, ob sie sich freuen, oder gekränkt fühlen sollte, daß er sich an ihren Vater, anstatt an sie selbst gewendet hatte.

»Deine Mienen lassen mich vermuthen, daß Du von der Sache unterrichtet zu sein meinst. Junge Damen haben allerdings in solchen Punkten einen großen Scharfsinn; doch möchte im gegenwärtigen Fall selbst Deine Klugheit nicht ausreichen, den Namen Deines Verehrers zu errathen. Dieser Brief ist von Herrn Collins.«

»Von Herrn Collins! Und was kann er mir zu sagen haben?«

»Etwas, was natürlich sehr zur Sache gehört. Er beginnt mit seinen Glückwünschen zu der bevorstehenden Verheirathung meiner ältesten Tochter, von welcher er wohl durch den Gevatterklatsch unsrer lieben Nachbarn in Lukas-Lodge in Kenntniß gesetzt worden ist. Doch ich will Deine Geduld nicht dadurch auf die Probe stellen, daß ich Dir alles vorlese, was er über diese Sache sagt, sondern gleich auf das Folgende, Dich Betreffende übergehen.

›Nachdem ich hierdurch meine und Mrß. Collins herzlichsten Glückwünsche zu diesem Vorhaben ausgesprochen, sei es mir erlaubt, noch einen kleinen Wink über eine Nachricht, die ich aus derselben Quelle erhalten, hinzuzufügen. Ihre Tochter Elisabeth wird, wie es heißt, nicht lange mehr den Namen Bennet führen, und der erwählte Gefährte ihres Lebens ist einer der wichtigsten und vornehmsten Männer dieses Landes.‹

Kannst Du errathen, wen er meint, Lizzy?

›Dieser junge Mann ist mit allem ausgestattet, was das menschliche Herz nur immer wünscht – mit Vermögen, Rang, Schönheit und weit ausgedehnter Macht. Doch, trotz aller dieser mächtigen Versuchungen warne ich meine Cousine Elisabeth, und Sie selbst vor den üblen Folgen, welche eine zu rasche Vollziehung dieses Bündnisses nach sich ziehen möchte, und hoffe, daß Sie meinen Wink benutzen werden.‹

Hast Du eine Idee, Lizzy, wer dieser Gentleman sein kann? Doch nun kommt die Hauptsache.

›Mein Grund, weshalb ich diese Warnung an Sie ergehen lasse, ist folgender: Wir haben Ursache zu vermuthen, daß seine Tante, Lady Katharine von Bourgh, diese Heirath nicht mit günstigen Augen betrachtet.‹

Herr Darcy also ist der Mann! Nicht wahr, Lizzy, jetzt habe ich Dich doch in Erstaunen gesetzt? Wie ist es nur möglich, daß er oder Lukassens auf die Idee kommen konnten, Dir unter dem Kreis Deiner Bekannten einen Bräutigam auszusuchen, dessen Name allein schon hinreicht, die Lüge als Lüge zu bezeichnen? Herr Darcy, der die jungen Damen nur ansieht, um etwas an ihnen zu tadeln zu finden, und der Dich vielleicht in seinem ganzen Leben noch nicht angesehen hat! Es ist zu merkwürdig!«

Elisabeth bemühte sich in ihres Vaters scherzenden Ton einzugehen, konnte es jedoch nur zu einem erzwungenen Lächeln bringen. Noch nie war ihr sein Witz so peinlich gewesen.

»Belustigt Dich die Sache nicht?«

»O, ja. Bitte, lesen Sie weiter.«

»›Als ich Ihrer Herrlichkeit gestern Abend die Nachricht dieser zweiten Heirath mittheilte, äußerte sie mit ihrer gewöhnlichen Herablassung ihre Meinung darüber, aus welcher ich entnahm, daß sie, wegen einiger Familienhindernisse von Seiten meiner Cousine, nie ihre Einwilligung zu dieser, wie sie sich ausdrückte, entehrenden Verbindung zu geben gesonnen sei. Ich hielt es nun für meine Pflicht, meiner Cousine augenblicklich Kunde hiervon zu ertheilen, damit sie und ihr hoher Verehrer nicht Gefahr laufen möchten, eine Heirath zu schnell abzuschließen, die nicht von allen Theilen der Familie gebilligt worden ist. – Ich bin höchlich erfreut, daß die unangenehme Sache mit meiner Cousine Lydia so glücklich beseitigt worden, und bedauere nur, daß ihr Zusammenleben mit dem Bräutigam vor der Hochzeit so allgemein bekannt ist. Auch kann ich nicht umhin, Ihnen mein Erstaunen zu bezeigen über Ihre Schwäche, das junge Paar nach der Verheirathung in Ihrem Hause aufzunehmen. Es war dieß eine Aufmunterung des Lasters; und wäre ich Pfarrer in Longbourn gewesen, würde ich mich dagegen gestemmt haben. Es kam Ihnen als Christ zu, Ihren Kindern zu vergeben, nicht aber sie in Ihrem Hause zu sehen oder zu erlauben, daß ihre Namen in Ihrer Gegenwart genannt wurden.‹

So denkt, unser würdiger Vetter von der christlichen Vergebung! Der Rest des Briefs enthält weiter nichts, als einen Bericht über den Zustand seiner geliebten Charlotte und seiner Erwartung eines jungen Olivenzweigs. Aber, Lizzy! Du lachst nicht? Ich will nicht hoffen, daß Du Dich über das alberne Gerücht ärgerst!«

»O, nein!« entgegnete Elisabeth, »es amüsirt mich sehr. Aber es ist in der That zu sonderbar!«

»Ja, das finde ich selbst. Wenn sie dieß von einem andern Mann gesagt hätten, würde ich gar nichts darin finden; aber seine vollkommene Gleichgültigkeit und Deine bestimmte Abneigung machen das Gerücht unbeschreiblich albern! So ungern ich Briefe schreibe, möchte ich doch die Correspondenz mit unserm vortrefflichen Vetter um keinen Preis aufgeben. Nein! wenn ich einen Brief von ihm lese, kann ich nicht umhin, ihm sogar den Vorzug vor Wickham zu geben, so sehr ich auch die Unverschämtheit und Heuchelei meines Schwiegersohns zu schätzen weiß. Aber, Lizzy! was sagte Lady Katharine zu dieser Geschichte? Kam sie, um Dir ihre Einwilligung zu versagen?«

Diese Frage beantwortete die Tochter nur mit Lachen, und da sie ohne den geringsten Argwohn an sie gerichtet worden war, konnte sie sie auch ohne Verlegenheit von ihm wiederholen hören. Elisabeth hatte sich noch nie so viel Mühe gegeben, ihre wahren Gefühle zu verbergen. Sie mußte lachen, wo sie weit lieber geweint hätte. Ihres Vaters Erwähnung der allgemein bekannten Gleichgültigkeit Darcy's kränkte sie tief, und sie konnte sich nur über einen solchen Mangel an Scharfblick verwundern. Er hatte zu wenig gesehen, und sie begann zu fürchten, daß sie zu viel erwartet hatte.


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