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Achtes Capitel.

Herr Bennet hatte es schon oft im Leben bereut, in frühern Jahren nichts von seinem jährlichen Einkommen zurückgelegt zu haben für Frau und Kinder; im Fall sie ihn überleben sollten. Jetzt empfand er dieß noch schmerzlicher. Hätte er seine Pflicht in dieser Hinsicht erfüllt, würde Lydia im gegenwärtigen Fall ihrem Onkel nicht auf eine solche Weise verpflichtet sein. Er fühlte sich gedrückt und gedemüthigt durch seines Schwagers Großmuth, und war entschlossen, alles zu versuchen, um zu erfahren, wie viel er für das junge Paar gethan, und es ihm sobald als möglich zu ersetzen.

Gleich nach seiner Verheirathung mit dem Sparsystem hervorzutreten, hatte Bennet so wohl wie seine Frau für höchst überflüssig gehalten, indem Beide nicht sehr geübt in der Oekonomie waren, und überdieß mit großer Gewißheit auf einen Sohn rechneten, dessen Ankunft jede Sorge für die Zukunft aufheben mußte. Statt dieses erwarteten Erben des Longbourn'schen Besitzthums erschienen indessen fünf Tochter und als sie endlich die Hoffnung auf einen Sohn aufgeben mußten, war Mrß. Bennet schon zu sehr daran gewöhnt, im Ueberfluß zu leben, als daß sie jetzt noch zu sparen hätte anfangen können. Fünftausend Pfund waren der Mutter und den Kindern nach des Vaters Tode gesichert, die Vertheilung dieser Summe jedoch der Willkühr der Eltern überlassen. Dieß war ein Punkt, der in Bezug auf Lydien jetzt abgemacht werden mußte, und der Vater stand keinen Augenblick an, die Vorschläge seines Schwagers zu bewilligen. Er hatte es sich nie als möglich gedacht, daß Wickham sich je dazu verstehen würde, seine Tochter zu heirathen; und daß dieser Umstand, bei der jetzigen Einrichtung, ohne die geringste Unbequemlichkeit von seiner Seite Statt finden sollte, übertraf seine kühnsten Erwartungen. In pekuniärer Hinsicht verlor er ebenfalls nichts durch das Jahrgeld von hundert Pfund: denn wenn er berechnete, was ihm Lydia gekostet, und was ihr von der Mutter außerdem an Geldgeschenken zugesteckt worden war, kam vielleicht dieselbe Summe heraus. Nachdem der erste Rausch des Zorns, der ihn aus sich selbst heraus und zu einer bei ihm ungewöhnlichen Thätigkeit getrieben hatte, verflogen war, kehrte er zu seiner frühern eigenthümlichen Indolenz zurück. So wenig wie möglich mit der unangenehmen Sache zu thun zu haben, war sein Wunsch, und des Schwagers thätiger Eifer ihm daher sehr gelegen. Der Brief ward deshalb schnell geschrieben, und enthielt außer seiner Zustimmung zu allem, was Herr Gardiner beschlossen, den herzlichsten Dank für dessen Bemühung, und die Bitte, ihm wissen zu lassen, was er sonst noch für seine Tochter gethan. Lydien selbst würdigte er keines Wortes oder Grußes.

Die erfreulichen Neuigkeiten verbreiteten sich schnell durch das ganze Haus und wurden noch am selbigen Tage in der Nachbarschaft bekannt. Als Gegenstand der Unterhaltung in derselben würde es freilich besser gewesen sein, wenn Lydia als Miß Bennet zurückgekehrt wäre, oder sich fern von der Welt in einen abgelegenen Pachthof begeben hätte. Aber auch über ihre Verheirathung ließ sich manches Wort sprechen; und die gutmüthigen Wünsche für ihr Wohl, die die alten Damen in Meryton nach ihrer Flucht ausgesprochen, verwandelten sich jetzt in Prophezeihungen künftigen Elends an der Seite eines solchen Gatten.

Seit 14 Tagen hatte Mrß. Bennet ihr Zimmer nicht verlassen; doch an diesem Tage des Heils und der Freude erschien sie wieder an der Mittagstafel. Ihr Glück kannte keine Gränzen; auch nicht das leiseste Gefühl der Schaam dämpfte ihren Triumph. Die Verheirathung einer Tochter, ihr höchstes Streben, seit Johanne das 16te Jahr erreicht, war in wenigen Tagen zu erwarten, und ihre Gedanken und Worte liefen unaufhaltsam von einem Gegenstand zu dem andern. Sie ordnete Lydiens Garderobe, bestimmte die Zahl der Dienerschaft und suchte ihr eine herrliche Equipage aus. Auch vergaß sie nicht, ihre Blicke in der Nachbarschaft herumzuwerfen, um eine passende Wohnung für ihre Tochter zu finden; sie verwarf die meisten als zu klein oder nicht ansehnlich genug, und bedachte nicht, daß Wickham's Einkünfte ihr kaum die kleinste gestatten würde.

Bennet ließ sie ohne Unterbrechung fortschwatzen, so lange die Bedienten im Zimmer waren. Sobald diese aber hinausgegangen, sagte er zu ihr: »Ehe Du das eine oder das andre dieser Häuser als künftige Wohnung Deiner Tochter und Deines Sohnes erwählst, wünsche ich mich über etwas mit Dir zu verständigen. In ein Haus in Hertfordshire werden sie nie Zutritt erlangen. Ich will ihrer Unverschämtheit nicht noch dadurch Aufmuntrung geben, daß ich sie in Longbourn empfange.«

Ein langer Streit folgte dieser Erklärung und gab noch Veranlassung zu einem zweiten. Mrß. Bennet vernahm zu ihrem Erstaunen und Entsetzen, daß ihr Gatte auch nicht eine Guinee zur Anschaffung neuer Kleider für ihre Tochter hergeben wollte. Er versicherte, daß sie bei dieser Gelegenheit keinen Beweis von Zärtlichkeit von ihm erhalten sollte. Sie konnte es kaum begreifen. daß er seinen Zorn so weit treiben sollte, der Tochter dasjenige zu verweigern, was durch die Heirath erst gewisser Maaßen ihren Werth erhielt, überstieg ihre Begriffe. Sie fühlte die Schande, welche der Mangel neuer Kleider auf ihre Tochter werfen würde, tiefer, als ihre Flucht und den vierzehntägigen Aufenthalt bei Wickham vor der Hochzeit.

Elisabeth bereute es jetzt im ersten Augenblick der heftigsten Betrübniß, Darcy'n ihre Besorgniß wegen Lydien mitgetheilt zu haben; denn da die Heirath der Entführung so bald folgte, war zu erwarten, daß der unglückliche Anfang dieser Geschichte allen ferner Lebenden unbekannt bleiben würde. Sie befürchtete nicht, sie durch ihn weiter verbreitet zu sehen. Es gab wenige Menschen, auf deren Verschwiegenheit sie so fest rechnen konnte; aber zugleich auch wenige, deren Kenntniß der schwesterlichen Schwachheit sie mehr demüthigte. Nicht etwa aus Furcht, daß sie selbst darunter leiden könnte; denn sie fühlte wohl, daß Lydiens Verbindung mit diesem Mann, den er so tief verachtete, allein schon hinreichte, die Kluft zwischen ihnen unübersteiglich zu machen. Noch nie hatte, sie es so schmerzlich empfunden, auf seine Achtung verzichten zu müssen, als jetzt, nachdem sie den vollen Werth derselben in Derbyshire kennen gelernt. Sie war niedergeschlagen und betrübt; sie fühlte Reue, und wußte doch nicht worüber. Sie sehnte sich nach Nachrichten von ihm, und sah keine Aussicht, sie je zu erhalten; ja sie wünschte sogar ihn wieder zu sehen und mußte sich leider gestehen, daß ein solches Zusammentreffen höchst unwahrscheinlich sei.

Welch ein Triumph für ihn, dachte sie oft, wenn er wüßte, wie meine Gesinnungen und Gefühle sich seit den letzten 4 Monaten verändert haben! Sie hielt ihn für edel, ja für den Edelsten seines Geschlechts; doch als Sterblichen eines solchen Triumphs fähig. Je mehr und je länger sie über ihn und seinen Charakter nachdachte, desto gewisser erschien es ihr, daß er unter allen Männern auf dem ganzen Erdenrund derjenige war, der ihr am meisten zusagte. Die Vereinigung ihrer beiden verschiedenartigen Charaktere und Temperamente würde eine vortreffliche Mischung hervorbringen, ihre Lebhaftigkeit und Leichtigkeit sein ernstes Wesen mildern; und seine Menschen- und Weltkenntniß, so wie seine höhere Bildung und ruhige Besonnenheit ihr zum größten Nutzen gereichen.

Doch der staunenden Menge sollte durch diese Verbindung kein Beispiel ehelicher Glückseligkeit aufgestellt werden, und nur ein sehr verschiedenes, dem vernünftigen Theil der Familie keineswegs Heil verkündendes Bündnis ward in derselben erwartet.

Wie Wickham und Lydia im Stande sein würden, eine beschränkte Lage zu ertragen, konnte sie sich nicht vorstellen; wohl aber von welcher kurzen Dauer eine Neigung sein würde, die sich nur auf flüchtiges Wohlgefallen, nicht auf wahre Achtung gründete.


Gardiner beantwortete seines Schwagers Brief mit umgehender Post und bat ihn, des geringen Dienstes, den er ihm und seiner Familie zu leisten fähig gewesen, nicht wieder zu erwähnen. Der Hauptinhalt betraf Wickham's Entschluß, das Landwehrregiment zu verlassen.

»Es war dieß sehr mein Wunsch,« fügte er hinzu, »und ich bin überzeugt, daß auch Ihnen seine Entfernung von diesem Corps sowohl seinetwegen als auch Lydiens wegen angenehm sein wird. Wickham hat die Absicht, in reguläre Truppen einzutreten, und rechnet hierbei auf den Beistand einiger Bekannten aus früherer Zeit, die bei der Armee stehen. Er sagte mir, daß er das Versprechen einer Fähnrichstelle in einem im Norden von England stehenden Regiment erhalten habe, welche Entfernung Sie nicht bedauern werden. Er giebt die besten Versprechungen, und ich hoffe, daß Beide unter andern Umgebungen zur Vernunft kommen, und sich in Zukunft klüger betragen werden. Ich habe Oberst Forster dieses alles gemeldet, und ihn gebeten, Wickham's Gläubiger in und um Brighton mit dem Versprechen baldiger Bezahlung, wofür ich mich verbürgt, einstweilen zufrieden zu stellen. Und Sie, lieber Schwager! ersuche ich, seine Gläubiger in Meryton, von denen ich das Verzeichniß beifügen werde, durch ähnliche Versprechungen zu beruhigen. Er hat seine Schulden alle angegeben, und ich hoffe uns hierbei nicht hintergangen. Er gedenkt sich nächstens zu seinem Regiment zu begeben, wartet aber vorher noch eine Einladung nach Longbourn ab, so wie auch Lydia, die, wie ich von meiner Frau höre; Sie alle noch ein Mal zu sehen wünscht, ehe sie diese Gegend verläßt. Sie befindet sich wohl und empfiehlt sich Ihnen und der ganzen Familie bestens.

Ergebenster
E. Gardiner.«

 

Bennet und seine ältesten Töchter erkannten es gleich ihrem Onkel für eine Wohlthat, daß Wickham in einen fernern Theil des Reichs versetzt wurde. Mrß. Bennet hingegen äußerte sich sehr unzufrieden darüber. Wickham's Entfernung aus Hertfordshire gerade jetzt, wo sie sich so viel Freude und Vergnügen von Lydiens Gesellschaft versprach, kam ihr höchst ungelegen; und außerdem erkannte sie es für eine Grausamkeit, ihre Tochter von dem Regiment zu trennen, mit dessen Officieren sie so genau bekannt war.

»Sie liebt Mrß. Forster wie ihre Schwester,« sagte sie; »es ist wirklich unverantwortlich, sie so weit wegzuschicken. Und wer weiß, welche Gesellschaft sie dort finden wird! Die Officiere sind schwerlich so liebenswürdig und unterhaltend wie die beim Landwehrregiment, unter denen Lydia manchen Liebling hatte.«

Ihr Gesuch, vor ihrer Abreise nach dem Norden nach Longbourn kommen zu dürfen, fand anfänglich kein geneigtes Gehör, und ward erst von Herrn Bennet rund abgeschlagen. Doch Johanne und Elisabeth, die die Wichtigkeit der älterlichen Anerkennung dieser Heirath einsahen, baten so dringend, und stellten ihm die Sache in einem so vernünftigen Licht vor, daß er endlich nachgab und seinen Schwager beauftragte, Lydien zu sagen, daß sie nach vollzogner Ceremonie mit ihrem Mann nach Longbourn kommen dürfe. Mrß. Bennet genoß im Voraus die Freude, ihre verheirathete Tochter in der Nachbarschaft herum zu führen. Elisabeth wunderte sich im Stillen über Wickham's Einwilligung zu diesem Plan; sie begriff nicht, wie er nach dem Vorhergegangenen sich ihren und der übrigen Familie Augen darzustellen wagen konnte, da ein Zusammentreffen mit ihm der letzte Gegenstand ihrer Wünsche gewesen wäre.


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