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Der Gedanke, welchen Eindruck die Huld und Gnade seiner hohen Gönnerin, der Anblick ihrer Wohnung, Dienerschaft und übrigen Umgebung auf seine Gäste machen würde, beschäfftigte Herrn Collins seit dem Augenblick der Einladung ausschließend; und am andern Morgen beim Frühstück war nur von diesem einen Gegenstand die Rede. Er bemühte sich, sie auf den Glanz der Zimmer, auf die reichgekleideten Bedienten und auf das splendide Mittagsmahl vorzubereiten, damit sie alles würdig erkennen, und nicht dadurch aus der Fassung gebracht werden möchten. Und als die Damen sich entfernten, um Toilette zu machen, sagte er zu Elisen:
»Liebste Cousine, beunruhigen Sie sich nicht wegen Ihres Anzugs. Lady Katharine ist weit davon entfernt, von ihren Untergebenen dieselbe Pracht und Eleganz der Kleidung zu erwarten, die ihr und ihrer Tochter zukommt. Ich rathe Ihnen nur, das Beste anzuziehen, was Sie mit hergebracht, und sich übrigens keine Sorge zu machen. Lady Katharine wird nicht geringer von Ihnen denken, weil Sie einfach gekleidet sind. Im Gegentheil, sie liebt es, den Rang auch im Aeußern ausgedrückt zu sehen.«
Während des Anziehens kam er mehrere Mal an ihre Thüren, um sie zur Eile zu ermahnen, indem Lady Katharine nicht gewöhnt sei, auch nur einen Augenblick später zu essen, Alle diese wichtigen Vorbereitungen, und ehrfurchtsvollen Rücksichten versetzten die arme, nicht sehr an vornehme Gesellschaft gewohnte Marie Lukas in eine solche Furcht, daß sie dem ersten Besuch in Rosings mit nicht geringerer Angst entgegenging, als ihr Vater seiner Vorstellung in St. James.
Das Wetter war schön, und Collins führte seine Gäste durch den Park, der wie jeder andre Park Schönheiten und herrliche Punkte enthielt, dennoch aber auf Elisen nicht den eminenten Eindruck machte, den ihr Vetter vorausgesetzt.
Jetzt stiegen sie die Treppen zum Vorzimmer hinan. Mariens Angst nahm mit jedem Augenblick zu, und selbst Sir William, der Hofmann, schien nicht ganz ruhig zu sein. Elisabeths Muth verließ sie nicht. Sie hatte nichts Außerordentliches von Lady Katharinens Talenten, Kenntnissen oder Tugenden gehört, und Rang und Reichthum waren nicht hinreichend, ihr Ehrfurcht einzuflößen.
Durch das Vorzimmer, in welchem Collins nicht versäumte, die Fremden mit entzückten Blicken auf alle Schönheiten aufmerksam zu machen, folgten sie den Dienern noch durch mehrere andere Gemächer bis in das innerste Heiligthum, woselbst sich Lady Katharine mit ihrer Tochter und Mrß. Jenkinson befand. – Ihro Herrlichkeit erhob sich, ihre Gäste zu empfangen, und da sich Charlotte im Voraus das Geschäfft des Vorstellens ausbedungen, ging diese erste Ceremonie ohne Weitläuftigkeit ab. – Trotz der so oft erwähnten Vorstellung in St. James fühlte sich Sir William durch die ihn umgebende Größe dennoch so niedergedrückt, daß er keines Wortes mächtig war und nur mit einem unendlich tiefen Bückling den ihm angewiesenen Platz einnahm, während Marie, ihrer Sinne kaum bewußt, sich auf die Ecke eines Stuhls niederließ und nicht wußte, wohin sie ihre Blicke richten sollte. Elisabeth fühlte nichts von diesem allen, und hatte Ruhe und Muße genug, das Kleeblatt zu beobachten.
Lady Katharine war eine große, schlanke Frau mit starken Gesichtszügen, die früher wohl ein Mal schön gewesen sein konnten. Ihr Wesen war nicht einnehmend, und die Art und Weise, ihre Gäste zu empfangen, nicht von der Beschaffenheit, ihnen ihren geringern Rang vergessen zu machen. Sie imponirte nicht durch Schweigen, wohl aber durch den absprechenden Ton, wodurch sie ihr Selbstgefühl deutlich an den Tag legte. Elise gedachte augenblicklich Wickhams Schilderung und fand im Verlauf des Tages noch öfterer Gelegenheit, die Treue derselben zu erkennen. Nachdem sie die Mutter genau betrachtet, und sowohl im Gesicht als auch in der stolzen Haltung einige Aehnlichkeit mit Darcy entdeckt hatte, wandte sie ihre Blicke auf die Tochter und stimmte beinah in Mariens Erstaunen über ihre Kleinheit und Magerkeit ein. Sie hatte weder ihrer Mutter Ausdruck noch Gestalt. Ohne gerade häßlich zu sein, waren ihre Züge höchst unbedeutend; sie sprach sehr wenig, und das Wenige nur im leisen Ton zu Mrß. Jenkinson, die einzig und allein für sie da zu sein schien, nur auf ihre Worte lauschte und stets bemüht war, den Lichtschirm in der gehörigen Richtung zu stellen.
Jetzt wurde gemeldet, daß das Mittagsmahl aufgetragen sei, und Elisabeth fand alles so, wie es Herr Collins vorausgesagt. Er erhielt seinen Platz, wie er ebenfalls prophezeit, neben Ihrer Herrlichkeit am obern Ende der Tafel, und sah so glücklich und zufrieden aus, als ob ihm das Leben nichts herrlicheres bieten könnte. Er aß und trank und lobte mit ergötzlicher Heiterkeit; und jede Schüssel ward erst von ihm, und dann von Sir William, welcher sich endlich so weit erholt hatte, alles, was sein Schwiegersohn sagte, zu wiederholen, auf eine Weise gepriesen, die Elise mit Verwundrung erfüllte. Sie begriff nicht, wie Lady Katharine eine solche Unterhaltung, ein so übertriebenes Lob, solche grobe Schmeicheleien ertragen konnte. Aber sie schien erfreut durch die unmäßige Bewundrung, und lächelte höchst wohlgefällig, besonders wenn irgend ein Gericht den Herrn neu war und Collins Erstaunen steigerte. Die übrige Gesellschaft nahm wenig Theil an der Unterhaltung: Elisabeth war zwar bereit zum Sprechen, fand jedoch keine Gelegenheit hierzu, indem sie zwischen Charlotten und Miß von Bourgh saß, welche Erstere beschäfftigt war, Lady Katharine anzuhören, und Letztere während der ganzen Mahlzeit gar nicht sprach. Mrß. Jenkinson bewachte ihres Pfleglings Bewegungen, nöthigte denselben zum Essen, und pries bald dieses bald jenes Gericht. Marie dachte nicht daran, etwas zu sagen, und die Herrn hatten nur Zeit zu essen und zu bewundern.
Nach aufgehobener Tafel, als die Damen sich wieder in Lady Katharinens Wohnzimmer versammelt, blieb ihnen nichts zu thun übrig, als dieser Aufmerksamkeit zu schenken. Sie sprach, bis der Kaffee gebracht wurde, ohne Aufhören, und äußerte ihre Meinung auf eine so bestimmte Weise, daß man deutlich sah, wie wenig Widerspruch sie gewohnt sein mochte. Charlottens häusliche Angelegenheiten schienen sie sehr zu interessiren; sie ging in die Details ein und ließ sich so weit herab, ihr ihren Rath selbst bei den unbedeutendsten Kleinigkeiten zu ertheilen. In den Zwischenräumen des Gesprächs richtete sie eine Menge Fragen an Marien und Elisen, hauptsächlich aber an Letztere, von deren Verhältnissen sie am wenigsten wußte, und die sie für ein sehr wohlgezogenes, artiges Mädchen erklärte. Sie erkundigte sich, wie viel Schwestern sie noch habe, ob sie jünger oder älter wie sie selbst, ob sie hübsch oder häßlich, verheirathet oder versprochen, woselbst sie erzogen, ob ihr Vater Equipage halte, und welches der Familienname ihrer Mutter sei? – Elisabeth fühlte das Unverschämte dieser Fragen, beantwortete sie jedoch mit der höchsten Gemüthsruhe. – Lady Katharine fuhr fort –
»Ihres Vaters Gut wird einst Herrn Collins zufallen, nicht wahr? Ihretwegen (zu Charlotten gewendet) freue ich mich darüber; sonst sehe ich keinen Grund, weshalb die weiblichen Glieder einer Familie von der Erbschaft des väterlichen Guts ausgeschlossen werden. In unsrer Familie ist dieser Gebrauch nicht eingeführt. – Singen und spielen Sie, Miß Bennet?«
»Etwas.«
»O, dann wird es mich freuen, Sie zu hören. Wir besitzen ein sehr vorzügliches Instrument, was Sie gelegentlich versuchen können. Sind Ihre Schwestern alle musikalisch?«.
»Nur eine von ihnen.«
»Warum nichts alle? Miß Webbs spielen alle, obgleich ihr Vater keine so gute Einnahme hat als Herr Bennet. Zeichnen Sie?«
»Nein, gar nicht.«
»Keine von ihnen?«
»Nein.
»Das ist sehr sonderbar. Aber ich vermuthe, Sie hatten keine Gelegenheit, es zu lernen. Ihre Mutter hätte Sie jedes Frühjahr in die Stadt schicken müssen, um Ihnen dort die besten Lehrer zu verschaffen.«
»Meine Mutter würde nichts dagegen eins zuwenden gehabt haben, aber mein Vater haßt London.«
»Haben Sie noch eine Gouvernante im Hause?«
»Wir hatten nie eine.«
»Keine Gouvernante! Wie ist das möglich? Fünf Tochter auf dem Lande erzogen ohne Gouvernante! Das ist unbegreiflich. Da muß sich Ihre Mutter wohl für die Erziehung ihrer Töchter ganz aufgeopfert haben?«
Elisabeth konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als sie dieser Vermuthung widersprach.
»Aber wer unterrichtete Sie denn? wer hatte die Aufsicht über Sie? Ohne eine Gouvernante müssen Sie ja nothwendig vernachlässigt worden sein.«
»Im Vergleich mit andern Familien sind wir es auch vielleicht; aber denjenigen unter uns, denen es ums Lernen zu thun war, fehlte es nie an Mitteln und Gelegenheit dazu. Wir wurden immer zum Lesen aufgemuntert und hatten stets die nöthigen Lehrer. Diejenigen, welche den Müssiggang vorzogen, mögen vielleicht vernachlässigt sein.«
»Ohne Zweifel, und das hätte eine Gouvernante verhindert. Wäre ich mit Ihrer Mutter bekannt gewesen, würde ich ihr auch gerathen haben, eine solche anzunehmen, indem ich jede Erziehung ohne weibliche Hilfe und Aufsicht für unvollkommen erkläre. Sind einige Ihr er jüngern Schwestern schon in der Welt aufgetreten?«
»Ja, Madam, alle.«
»Alle! – Was, alle fünf auf ein Mal? Sonderbar! – Und Sie sind die zweite! – Die Jüngern im Publikum erschienen, ehe die Aeltern verheirathet sind! – Ihre jüngsten Schwestern müssen ohne Zweifel sehr jung sein?«
»Die Jüngste ist noch nicht 16 Jahre alt – vielleicht zu jung, um schon in Gesellschaften aufzutreten. Aber ich halte es doch für eine Ungerechtigkeit, den jüngern Kindern ihren Antheil an den öffentlichen Vergnügungen und Gesellschaften zu entziehen, weil es den ältern entweder an Gelegenheit oder Neigung gefehlt, sich früh zu verheirathen. Die zuletzt Gekommenen haben dieselben Ansprüche an den Freuden der Jugend, als die Erstgeborenen. – Und bloß aus solchen Gründen zurückgehalten zu werden, möchte wenig Zartgefühl verrathen, und der schwesterlichen Liebe gewaltigen Abbruch thun.«
»Sie sprechen Ihre Meinung sehr bestimmt aus,« sagte Ihro Herrlichkeit einiger Maaßen erstaunt, »ich hörte noch nie eine so junge Dame in diesem Ton reden. Wie alt sind Sie?«
»Da ich noch drei jüngere erwachsene Schwestern habe,« entgegnete Elisabeth lächelnd, »können Ihro Herrlichkeit nicht erwarten, daß ich mein Alter bekenne.«
Lady Katharine schien mehr denn erstaunt, keine direkte Antwort auf ihre Frage zu erhalten; und Elisabeth fühlte in diesem Augenblick, daß sie vielleicht die Erste sei, die es gewagt, solcher vornehmen Unverschämtheit Trotz zu bieten.
»Sie können nicht wohl älter als zwanzig Jahr sein,« fuhr Lady Katharine fort, »und brauchen deshalb Ihr Alter nicht zu verhehlen.«
»Ich bin noch nicht ein und zwanzig.«
Der Eintritt der Herrn unterbrach das Verhör. Nach eingenommenem Thee wurden die Spieltische arrangirt; Lady Katharine, Sir William, Herr und Mrß. Collins setzten sich zur Quadrille nieder, und da Miß von Bourgh Cassino zu spielen beliebte, hatten die beiden jungen Damen die Ehre, nebst Mrß. Jenkinson ihre Parthie auszufüllen. Etwas Langweiligeres in dieser Art war Elisen noch nie vorgekommen. Außer den zum Spiel gehörigen Worten hörte man nur Mrß. Jenkinson's Besorgnisse über der jungen Miß Gesundheit, und Fragen ob der Lichtschirm sie hinlänglich vor den Lichtstrahlen schütze. Am andern Tisch trug sich mehr zu. Lady Katharine sprach beständig, bald im erzählenden, bald im verweisenden Ton, wenn ihre Mitspieler kleine Fehler begingen. Herr Collins versäumte auch hier nicht, sich unterwürfig zu bezeigen, für jeden gewonnenen Fisch zu danken, und Ihrer Herrlichkeit Meisterschaft im Spiel preisend anzuerkennen. Sir William sagte nicht viel; er war beschäfftigt, sein Gedächtniß mit Anekdoten und vornehmen Namen zu bereichern.
Nachdem Lady Katharine und ihre Tochter lange genug gespielt, wurden die Spieltische aufgehoben, der Wagen angeboten, von Charlotten dankbarlichst angenommen und sogleich bestellt. Die kleine Gesellschaft trat ans Feuer um Lady Katharine herum, welche sich über das morgen zu erwartende Wetter mit vieler Bestimmtheit äußerte. Hierauf empfahl sich Herr Collins mit einer langen Tirade voll Dankes und schöner Worte, Sir William mit unzähligen Verbeugungen, die Damen schweigend. Kaum waren sie in den Wagen gestiegen, als Elisabeth von ihrem Vetter aufgefordert wurde, ihr Urtheil aber alles, was sie in Rosings gesehen und gehört, auszusprechen, welches aus Rücksicht für Charlotten günstiger ausfiel, als es sonst wohl geschehen. Doch selbst dieses, gegen ihre Ueberzeugung ausgesprochene Lob genügte dem entzückten Pfarrherrn nicht, und er sah sich daher genöthigt, das Geschäfft des Lobens und Preisens mit gewohnter Wortfülle selbst zu übernehmen.