Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dritter Theil.


Erstes Capitel.

Elisabeth's Blicke waren mit einer gewissen Unruhe vorwärts gerichtet; sie fürchtete den Anblick von Pemberley, und konnte es doch nicht erwarten, bis sie die, das Schloß umgebende Waldung sah.

Endlich hatten sie den Park erreicht. Er war sehr groß und bot dem Auge eine reiche Abwechslung dar. Der Wagen bog in einen der untern Gänge ein, welcher eine bedeutende Strecke durch den schönsten Wald führte.

Elisens Herz war zu voll, um Theil an der Unterhaltung nehmen zu können; aber sie sah und bewunderte im Stillen jeden merkwürdigen Punkt, jede schöne Aussicht. Nachdem sie ungefähr eine halbe Meile allmählig aufwärts gefahren waren, befanden sie sich auf dem Gipfel einer beträchtlichen Anhöhe, der Wald hörte hier auf und Schloß Pemberley, auf der entgegengesetzten Seite des Thals gelegen, in welches der Weg sich hinabschlängelte, trat ihren Blicken unerwartet entgegen. Es war ein großes, schönes steinernes Gebäude, hinter welches sich eine mit Wald bewachsene Bergkette hinzog; in einiger Entfernung vor dem Hause rauschte ein Fluß von nicht unbeträchtlicher Breite, der durch Kunst, jedoch ohne Anschein derselben, eine noch größere Ausdehnung erhalten hatte. Die Ufer waren weder steif noch überladen verziert. Elisabeth war entzückt; sie hatte noch nie einen Ort gesehen, für den die Natur so viel gethan, und dessen natürliche Schönheit so wenig durch einen verkehrten Geschmack gelitten hatte. Sie fühlte in diesem Augenblick die ganze Wichtigkeit des Worts, Gebieterin von Pemberley zu sein!

Jetzt fuhren sie die Anhöhe hinab, über die Brücken und vor die Hausthür. Elisens Besorgniß, dem Besitzer aller dieser Herrlichkeiten daselbst zu begegnen, erwachte von Neuem; sie fürchtete von dem Bettmädchen falsch berichtet worden zu sein, und wäre gern wieder umgekehrt. Doch hierzu war es zu spät. Ihr Onkel hatte bereits seinen Wunsch, das Haus zu besehen, ausgesprochen; sie wurden bis zur Ankunft der Haushälterin in einen Voraal geführt, woselbst Elisabeth Muße fand, sich über sich selbst, und den Ort, wo sie sich befand, zu verwundern.

Die Haushälterin, eine ältliche, Achtung, einflößende Frau, erschien, und führte die Fremden mit vieler Höflichkeit umher. Zuerst in das Speisezimmer. Elisabeth trat an das Fenster und freute sich der herrlichen Aussicht, die sie sowohl hier, als auch in allen andern Gemächern fand, Diese selbst waren sämmtlich groß und hoch, einfach aber höchst geschmackvoll eingerichtet, und in keinem Punkt überladen. Sie mußte eingestehen, daß alles dem Vermögen des Besitzers entsprechend, mit dem höchsten Geschmack angeordnet war; überall wahre Eleganz, doch nirgends übertriebene Pracht, wie sie in Rosings gefunden hatte.

»Und von dieser Besitzung hättest Du Gebieterin sein können!« dachte sie. »In diesen Gemächern hättest Du hausen und Deine Verwandten als Gäste darin empfangen können, anstatt sie jetzt als Fremde zu besehen. – Doch nein! Dieser Umstand hätte sich nie ereignet: mein Onkel und meine Tante würden auf ewig für mich verloren gewesen sein; es würde mir nie gestattet worden sein, sie zu mir einzuladen.«

Das war ein glücklicher Gedanke – er befreite sie von einem Gefühl, was der Reue glich.

Sie hatte nicht den Muth, die Haushälterin zu fragen, ob ihr Herr in diesem Augenblick abwesend sei; und als ihr Onkel gleich darauf die Frage that, wandte sie sich erschrocken seitwärts. Mrß. Reynolds erwiederte, daß er heute nicht gegenwärtig sei, morgen aber mit einer Gesellschaft aus der Stadt hier erwartet werde. Wie freute sich Elisabeth, daß ihre eigne Reise nicht um einen Tag verspätet worden war!

Ihre Tante rief sie auf, einige Miniaturgemäle zu betrachten, welche über dem Camingesims aufgehängt waren. Sie erkannte Wickhams Bild, noch ehe Mrß. Gardiner sie lachend gefragt, wie es ihr gefalle! Die Haushälterin erzählte, daß es das Bild des Sohnes ihres seligen Herrn Verwalters sei, den er erzogen habe. – »Er ist nun zur Armee gegangen,« fügte sie hinzu, »aber ich fürchte, daß er auf schlechte Wege gerathen ist.«

Mrß. Gardiner warf ihrer Nichte abermals einen lächelnden Blick zu, den diese jedoch nicht zu erwiedern vermochte.

»Und dieses Bild,« sagte Mrß. Reynolds; auf ein andres weisend, »stellt meinen jetzigen Herrn vor, und ist sehr ähnlich. Es ward zur selben Zeit gemalt, wie das andre, ungefähr vor acht Jahren.«

»Ich habe schon gehört, daß Herr Darcy ein hübscher Mann sein soll,« sagte Mrß. Gardiner, das Bild genauer betrachtend; »es hat schöne Züge Im Original: » it is a handsome face«. Dem »es« in der Übersetzung fehlt der semantische Bezug. Grammatisch müsste es sich auf »das Bild« beziehen; »Züge« aber hat ein solches eben nicht.. Doch Lizzy wird uns am Besten sagen können, ob es ähnlich ist.«

Mrß. Reynolds Achtung für Elisen schien sich zu erhöhen durch den Umstand, daß sie ihren Herrn kannte.

»Kennt die junge Dame Herrn Darcy?« fragte sie.

»Ja, ein wenig,« erwiederte Elisabeth erröthend.

»Und finden Sie nicht, daß er ein sehr hübscher Mann ist?«

»Allerdings, recht hübsch.«

»Ich muß gestehen, daß ich keinen Hübschern kenne. Wenn wir oben in die Bildergallerie kommen, werden Sie ein größeres und schöneres Bild von ihm finden. Dieses Zimmer war der Lieblingsaufenthalt meines verstorbenen Herrn, und so ist alles darin geblieben, wie es bei seinen Lebzeiten war.«

»Aus diesem Grunde also befindet sich Wickham's Bild noch hier,« erklärte sich Elisabeth schweigend.

Mrß. Reynolds machte sie auf das Portrait von Miß Darcy aufmerksam, gemalt als sie erst acht Jahr alt.

»Ist Miß Darcy so hübsch, wie ihr Bruder?« fragte Mr. Gardiner.

»O, ja! die schönste junge Dame, die man sehen kann; und so vortrefflich erzogen! – Sie singt und spielt den ganzen Tag. Im nächsten werden Sie ein neues Instrument finden, womit ihr Bruder sie überraschen will. Sie kommt morgen mit ihm hierher.«

Da Herr Gardiner bemerkte, daß die Haushälterin entweder aus Stolz oder aus Anhänglichkeit gern von ihrem Herrn und dessen Schwester sprach, fuhr er mit Fragen fort.

»Pflegt Herr Darcy sich oft in Pemberley aufzuhalten?«

»Nicht so oft und so lange, als ich es wünsche; doch ziemlich die Hälfte des Jahrs, und Miß Darcy bringt die Sommermonate regelmäßig hier zu.«

Ausgenommen wenn sie nach Ramsgate geht, dachte Elisabeth.

»Wenn Ihr Herr sich verheirathete, würden Sie ihn vielleicht öfterer hier sehen.«

»Ja freilich, Sir; doch wer weiß, wann dieser Fall ein Mal eintreten wird. Ich weiß niemanden, die gut genug für ihn wäre.«

Herr und Mrß. Gardiner lächelten. Elisabeth konnte nicht umhin, zu sagen: »Es macht ihm alle Ehre, daß Sie so von ihm denken.«

»Ich spreche nur die Wahrheit, und was Jedermann von ihm sagen wird, der ihn kennt,« entgegnete Mrß. Reynolds.

Elisabeth hielt dies Lob für übertrieben, und hörte mit zunehmendem Erstaunen zu, als die Haushälterin hinzufügte: »Ich habe nie ein böses Wort von ihm gehört, und kenne ihn doch seit seinem vierten Jahre.«

Dieß war in der That ein Lob, was sie nimmermehr erwartet hätte. daß er kein gutmüthiger Mensch war, hatte sie fest geglaubt, aus allem, was sie von ihm gesehen und gehört, geschlossen. Ihre Aufmerksamkeit war auf das Höchste gespannt; sie wünschte mehr von ihm zu hören und dankte es ihrem Onkel im Stillen, als er fortfuhr:

»Es giebt wenige Menschen in der Welt, von denen dieß gesagt werden kann. Sie sind glücklich zu preisen, einen solchen Herrn zu besitzen.«

»Ja, Sir! das erkenne ich auch. Ich könnte durch die ganze Welt gehen, ohne einen Bessern zu finden. Aber ich habe immer die Bemerkung gemacht, daß gutmüthige Kinder gewöhnlich auch gutmüthig bleiben, wenn sie erwachsen sind; und er war der sanfteste, beste, edelmüthigste Knabe von der Welt.«

Elisabeth blickte sie sprachlos an. – Ist es möglich, daß Darcy dieser Beschreibung entsprechen sollte? dachte sie.

»Sein Vater war ein vortrefflicher Mann,« sagte Mrß. Gardiner.

»Ja, Madam! Das war er; und sein Sohn ist eben so – eben so gut und freundlich gegen Arme und Geringe.«

Elisabeth hörte voll Bewundrung und Staunen.

»Er ist der beste Gutsherr und der beste Gebieter, den es auf Erden giebt. Ganz anders wie die jetzigen wild in den Tag hineinlebenden jungen Männer, die nur einzig und allein an sich denken. Sie werden auch nicht Einen unter seinen Unterthanen oder Dienern finden, der nicht in dieses Lob mit einstimmt. Manche Leute nennen ihn stolz; aber ich sah und hörte noch nichts, was diesen Namen verdient. Es mag wohl daher kommen, weil er sich nicht wie andre junge Männer seines Standes wegwirft.«

»In welch einem liebenswürdigen Licht erscheint er nach dieser Schilderung!« dachte Elisabeth.

»Was wir so eben gehört,« flüsterte ihr die Tante im Weitergehen zu, »stimmt nicht ganz mit seinem Benehmen gegen unsern armen Freund überein.«

»Wer weiß, ob wir nicht falsch berichtet worden sind.«

»Das ist nicht wahrscheinlich; unsre Quelle war zu sicher.«

Mrß. Reynolds führte jetzt die Fremden in das obere Stockwerk und zeigte ihnen ein allerliebstes Zimmer, welches eleganter und reicher verziert war als die untern. Darcy hatte es eben erst für seine Schwester einrichten lassen, die bei ihrem letzten Hiersein Wohlgefallen daran gefunden.

»Er ist wirklich ein sehr guter und aufmerksamer Bruder« sagte Elisabeth, indem sie an ein Fenster trat.

In der Bildergallerie suchte und fand sie bald das einzige Gemälde, welches ihr, da sie weder Künstlerin noch Kunstverständige war, Interesse einzuflößen vermochte. Sie stand vor Darcy's Bild. Es war sprechend ähnlich und schaute sie mit einem Lächeln an, das sie manchmal in seinen Zügen gesehen, wenn er sie was oft geschehen, aufmerksam betrachtet hatte. Es zeigte sich in diesem Augenblick eine sanftere Empfindung für das Original in ihrem Herzen, als sie je für ihn gefühlt. Das Lob der Haushälterin hatte ihre Meinung über ihn gemildert. Was konnte ihm mehr zum Ruhm gereichen, als das warme Lob einer verständigen, einsichtsvollen Dienerin? Sie gedachte des vielen Guten, was ihm in seinen Verhältnissen als Bruder, Gutsherr und Gebieter zu thun oblag, und wie er es nach Mrß. Reynolds Worten that. Alles, was diese über seinen Charakter gesagt hatte, lautete günstig; und als sie in solchen Betrachtungen verloren vor seinem Bilde stand, gedachte sie seiner Empfindung für sie mit größerer Dankbarkeit, erinnerte sich seiner, bei ihrem letzten Zusammentreffen geäußerten Wärme, und milderte die Härte seiner Ausdrücke.

Das Haus war nun besehen und der Gärtner wartete ihrer an der Thür, um sie durch den Park zu führen. Am Fluß blieben sie alle stehen, das Gebäude noch ein Mal zu betrachten, und während Herr Gardiner mit seinem Begleiter über die Zeit der Entstehung desselben sprach, trat der Eigenthümer plötzlich aus einem Seitenweg, der zu den Ställen führte, hervor.

Nur etwa zwanzig Schritte von einander entfernt, war es unmöglich, sich nicht zu sehen, oder sich auszuweichen. Ein hohes Roth überflog Elisens Wangen, als sie seinem Blick begegnete, und ihn ebenfalls erröthen sah. Ihr Anblick schien ihn im ersten Augenblick unbeweglich zu machen, sein Erstaunen war sichtbar; doch bald faßte er sich wieder, näherte sich der kleinen Gesellschaft und redete Elisen, wenn auch nicht ganz ruhig, doch mit Anstand und Höflichkeit an.

Sie hatte sich unwillkührlich nach dem ersten Begegnen ihrer Blicke abgewendet, und vernahm jetzt seine Worte mit einer nicht zu überwindenden Verlegenheit. Die Aehnlichkeit seines Bildes, so wie die Verwundrung des Gärtners, den noch nicht erwarteten Gebieter so plötzlich vor sich zu sehen, ließen Herrn und Mrß. Gardiner nicht daran zweifeln, daß der Besitzer von Pemberley vor ihnen stand. Sie hatten Zeit, ihn zu betrachten, während er mit ihrer Nichte sprach, die, erstaunt und verwirrt, kaum die Augen gegen ihn zu erheben wagte, und nicht wußte, was sie auf seine höflichen Erkundigungen nach ihrer Familie erwiedern sollte. Im höchsten Grade erstaunt über die gänzliche Veränderung seines Wesens, seit sie ihn zuletzt gesehen, vermehrte jedes seiner Worte ihre Verlegenheit, und das peinliche Gefühl, wie unpassend es sei, hier von ihm gefunden worden zu sein, machte die wenigen Minuten ihres Beisammenseins zu den qualvollsten ihres Lebens. Auch er schien sich nicht behaglich zu fühlen, er sprach nicht mit seiner gewöhnlichen Ruhe und wiederholte seine Fragen, wie lange sie Longbourn verlassen, und seit wann sie in Derbyshire sei, so oft, und in so abgerissenen Sätzen, daß seine Zerstreutheit deutlich wahrzunehmen war.

Endlich schien ihm der Stoff ganz ausgegangen zu sein, und nachdem er einige Minuten vor ihr gestanden, ohne ein Wort zu sagen, nahm er plötzlich Abschied.

Elisabeth hörte nichts von dem, was ihre Verwandten zu seinem Lobe sagten; sie fühlte nur Schaam und Verdruß. daß er sie hier getroffen, war der unglücklichste Zufall, der ihr im Leben begegnen konnte. Was mußte er davon denken! in welch einem ungünstigen Licht mußte sie ihm, dem eitlen Mann erscheinen! Er sah sich zu dem Glauben berechtigt, daß sie ihm geflissentlich in den Weg getreten war! O, warum kam sie hieher? oder warum er einen Tag früher, als er gewollt? Hätten sie sich nur etwas kürzer in dem Bildersaal aufgehalten, würden sie aus dem Bereich seiner Blicke gewesen sein, denn er war augenscheinlich eben erst vom Pferd, oder aus dem Wagen gestiegen. Sie erröthete immer wieder von Neuem über das Mißgeschick ihres Zusammentreffens. Und sein ganz verändertes Betragen – was konnte er damit bezwecken wollen?

Schon daß er sie anredete, setzte sie in Erstaunen; aber daß er in so höflichen Ausdrücken sprach, sich so angelegentlich nach ihrer Familie erkundigte, war mehr als sie, nach dem was zwischen ihnen vorgefallen, je von ihm erwartet hätte. Noch nie hatte sie ihn so anspruchslos, so wahrhaft zuvorkommend und artig gesehen, als bei diesem unvermutheten Zusammentreffen. Welch ein Contrast zwischen seinem Benehmen im Park zu Rosings, als er ihr seinen Brief überlieferte! Sie wußte nicht, was sie davor denken, wem sie diese Veränderung zuschreiben sollte?

Sie hatte jetzt einen anmuthigen Weg am Wasser eingeschlagen, der sie zu den schönsten Punkten und herrlichsten Anlagen führte. Elisabeth achtete nicht der reizender Gegenstände um sie herum, und beantwortete nur mechanisch die Fragen und Ausrufungen ihrer Verwandten. Ihre Gedanken waren ins Schloß zurückgekehrt, woselbst sie Darcy vermuthete. Sie wünschte zu wissen, was in diesem Augenblick in seinem Gemüth vorginge; auf welche Weise er ihrer gedachte, und ob sie seinem Herzen immer noch theuer wäre. Vielleicht war er nur deshalb so höflich gewesen, weil er sich unbefangen gefühlt; aber dieser Vermuthung widersprach der Ton seiner Stimme, welcher keineswegs Unbefangenheit verrathen hatte. Ob ihr Anblick Schmerz oder Freude in ihm hervorgebracht, konnte sie nicht ergründen; doch so viel war gewiß, daß er nicht ruhig bei denselben gewesen war.

Die neckenden Bemerkungen ihrer Verwandten weckten Elisen endlich aus ihrer Selbstvergessenheit und sie fühlte die Nothwendigkeit, sich zu sammeln, und an der Unterhaltung Theil zu nehmen.

Sie traten nun in den Wald und mußten dem schönen Fluß auf einige Zeit Lebewohl sagen. Ueberall geschmackvolle Anlagen, ausgehauene Aussichten auf die entgegengesetzten Berge, und dann und wann einen Blick auf dem Fluß. Herr Gardiner äußerte den Wunsch, durch den ganzen Park zu gehen, ward aber mit einem triumphirenden Lächeln von dem Gärtner belehrt, daß dieß ein Spaziergang von zehn Meilen sein würde. So mußten sie denn sehr bald einen Seitenweg einschlagen, der sie in kurzer Zeit wieder an den Fluß zurückbrachte. Eine einfache Brücke führte über denselben hinüber in ein enges Thal, welches außer dem sanft dahinschängelnden Wasser nur noch Raum für einen schmalen von Gebüsch begränzten Weg hatte. Elisabeth wünschte die Windungen des Flusses auf diesem romantischen Pfad zu verfolgen; da ihre Tante aber keine rüstige Fußgängerin, und nur darauf bedacht war, den Wagen so bald als möglich zu erreichen, mußte sie diesen Wunsch aufgeben.

So schritten sie nun auf der andern Seite des Flusses dem Hause in der nächstem Richtung zu, kamen jedoch nur langsam vorwärts, indem sich Herr Gardiner, ein großer Freund des Fischfangs, immer wieder durch das Auftauchen einer Forelle, und im Gespräch über diesen und andre Fische mit dem Gärtner vertieft, im Gehen aufhalten ließ. Plötzlich gewahrte Elisabeth zu ihrem nicht geringen Erstaunen Herrn Darcy abermals in einiger Entfernung auf sich zukommen. Obgleich verwundert, hatte sie doch Zeit, sich auf seinen Anblick vorzubereiten, und beschloß, falls er sie wirklich zum zweiten Mal anreden sollte, ihm mit möglichster Ruhe entgegen zu treten. Unterdessen war er herangekommen, und sie begann von der Schönheit der Gegend zu sprechen; doch kaum hatte sie die Worte »entzückend, reizend« ausgesprochen, als sie sich von einer unglücklichen Erinnerung übermannt fühlte, daß ihr Lob der Umgegend von Pemberley auf eine ganz irrige Weise ausgelegt werden könnte. Sie erröthete und schwieg.

Mrß. Gardiner stand etwas seitwärts, und Darcy benutzte die Pause, Elisen zu ersuchen, ihn ihren Freunden vorzustellen. Dieß war ein Anfall von Höflichkeit, der ihr ganz unerwartet kam, und sie konnte kaum ein Lächeln unterdrücken. Der Gedanke, daß er jetzt selbst die Bekanntschaft derjenigen Leute suchte, gegen welche sein Stolz sich in dem ihr erst kürzlich gemachten Antrag auf eine so empörende Weise geäußert, erschien ihr fast unglaublich. »Wie wird er sich verwundern,« dachte sie, »wenn er erfährt, wer diese Freunde sind!«

Sie folgte jedoch seiner Aufforderung, und stellte ihm Herrn und Mrß. Gardiner als ihre Verwandten und Bewohner von Gracechurch-street vor. Während der gegenseitigen Begrüßungen blickte sie verstohlen nach ihm herüber, um zu beobachten, wie er die Nachricht aufnehmen würde, im Geheim fürchtend, ihn sich mit einer der früher an ihm gewohnten hochmüthigen Mienen abwenden zu sehen. Sein Erstaunen über diese Bekanntschaft war allerdings sichtbar; doch bemeisterte er es bald, und überwand sich sogar, ein Gespräch mit Herrn Gardiner anzuknüpfen. Elisabeth triumphirte im Stillen. Es war ein tröstlicher, ein wohlthuender Gedanke, ihm zu zeigen, daß sie auch Verwandte hatte, über welche sie nicht zu erröthen brauchte. Sie lauschte auf jedes Wort der beiden Männer,, und freute sich der Veranlassung, die es ihrem Onkel möglich machte, seinen Geschmack, seine Kenntnisse und seine Bekanntschaft mit der Welt an den Tag zu legen.

Das Gespräch wandte sich bald auf den Fischfang, und sie hörte, wie Darcy ihn höflichst einlud, so oft es ihm beliebte, hier zu fischen, und ihm sogar die dazu erforderlichen Geräthschaften anbot. Mrß. Gardiner, welche am Arm ihrer Nichte den Männern folgte, sah diese mit Blicken der höchsten Verwundrung an. Elisabeth sagte gar nichts, fühlte, aber desto mehr.

»Wie ist es möglich, daß er sich in dieser kurzen Zeit so gänzlich verändern konnte?« wiederholte sie sich immer wieder von Neuem. » Meinetwegen kann er solche Rücksichten nicht nehmen – ich kann nicht Schuld an dieser Umwandlung sein. Meine ihm in Hunsford gemachten Vorwürfe können diesen Wechsel nicht hervorgebracht haben. Es ist unmöglich, daß er mich noch lieben sollte.«

Nachdem sie einige Zeit fortgegangen waren, fühlte Mrß. Gardiner ihre Müdigkeit zunehmen, weshalb sie Elisens Arm mit dem ihres Mannes vertauschte. Darcy nahm seinen Platz an der Seite der Nichte. Anfänglich sprachen sie Beide nicht; da Elisabeth aber wünschte, ihm wissen zu lassen, daß sie vor ihrem Besuch in Pemberley von seiner Abwesenheit gehört, begann sie mit der Bemerkung, daß seine Ankunft unerwartet gewesen sei – »denn Ihre Haushälterin,« fügte sie hinzu – »benachrichtigte uns, daß Sie erst morgen kommen würden; auch hörten wir in Bakewell, daß Sie fürs Erste nicht gesonnen wären, die Stadt zu verlassen.« Er erwiederte, daß es auch so, wie Mrß. Reynolds gesagt, seine Absicht gewesen; daß aber ein Geschäfft mit seinem Verwalter ihn veranlaßt, einige Stunden früher hier einzutreffen, als der übrige Theil seiner Reisegesellschaft. »Diese wird mir morgen früh nachfolgen,« fuhr er fort, »und Sie werden unter derselben einige frühere Bekannte antreffen – Herrn Bingley und seine Schwestern.«

Elisabeth antwortete nur durch eine leichte Verbeugung. Ihre Gedanken kehrten zurück zu jener Zeit, wo sie Bingley's Namen zuletzt gegen Darcy ausgesprochen; und ein flüchtiger Blick auf ihn überzeugte sie, daß auch sein Gemüth auf ähnliche Weise beschäfftigt war.

»Es befindet sich auch noch eine Person in der Gesellschaft,« sagte er nach einer kleinen Pause, »welche sehr wünscht, Ihre Bekanntschaft zu machen. Wollen Sie mir erlauben, Ihnen meine Schwester vorzustellen, während Sie sich in Lambton aufhalten?«

Ihr Erstaunen über diese Bitte läßt sich nicht beschreiben, es war zu groß, um im ersten Augenblick eine Antwort zu gestatten. Sie fühlte, daß Miß Darcy's Wunsch, ihre Bekanntschaft zu machen, das Werk ihres Bruders sein mußte, und es war ihr ein erfreulicher Gedanke, daß er ihr vergeben hatte und sie nicht geringer achtete.

Sie gingen schweigend, in tiefe Gedanken verloren, neben einander her. Elisabeth fühlte sich nicht leicht und unbefangen, aber geschmeichelt und geehrt. Sein Wunsch, ihr die Schwester zuzuführen, war das größte Compliment, was er ihr machen konnte. Sie hatten ihre Gesellschaft weit hinter sich zurückgelassen, und als sie den Wagen erreichten, war nichts von Herrn und Mrß. Gardiner zu sehen. Darcy bat sie, ins Haus zu treten. Elisabeth dankte; sie versicherte, nicht ermüdet zu sein, und so blieben sie wartend stehen. Viel hätte in dieser Zeit gesagt werden können, und Beide fühlten das Peinliche des Schweigens. Sie wünschte es zu brechen, fand aber keinen passenden Gegenstand. Endlich gedachte sie ihrer Reise, und sprach mit äußerster Anstrengung von Matlock, Bakewell und andern Orten. Aber die Zeit und ihre Tante gingen langsam, und Geduld und Gedanken drohten sie zu verlassen.

Da erschienen Herr und Mrß. Gardiner und machten dem druckender tête-à-tête ein Ende. Darcy, wiederholte seine Einladung, sich in seinem Hause auszuruhen und einige Erfrischungen anzunehmen, welche indeß dankbarlichst abgelehnt wurde. Man schied gegenseitig mit der äußersten Höflichkeit von einander, Darcy hob die Damen in den Wagen, und Elisabeth sah ihn hierauf langsam dem Hause zugehen.

Jetzt begannen Herr und Mrß. Gardiner, ihre Bemerkungen zu machen, und Beide erklärten, daß sie ihn weit liebenswürdiger gefunden, als sie erwartet.

»Er ist ungemein artig, höflich und anspruchslos,« sagte der Onkel.

»Es spricht sich in seinem Wesen allerdings so etwas Aehnliches wie Stolz aus,« entgegnete die Tante, »aber es liegt mehr im Aeußern und kleidet ihm sehr gut. Ich sage mit der Haushälterin, ›manche Menschen nennen ihn stolz, ich habe aber nichts davon bemerkt.‹«

»Sein Betragen gegen uns hat mich wirklich in Erstaunen gesetzt. Es war mehr als höflich, es war in der That aufmerksam, obgleich wir keinen Anspruch an solche Aufmerksamkeiten machen konnten. Seine Bekanntschaft mit Elisen ist zu kurz, um ihm Verbindlichkeit gegen uns aufzulegen.«

»Lizzy, er ist nicht so hübsch wie Wickham,« nahm die Tante wieder das Wort, »aber doch ein hübscher Mann. Wie kamst Du nur dazu, ihn uns als sehr unangenehm zu beschreiben?«

Elisabeth entschuldigte sich so gut sie konnte, sie sagte, daß er ihr schon besser gefallen hätte, als sie ihn in Kent gesehen, und daß er ihr selbst noch nie so artig erschienen wäre, wie am heutigen Morgen.

»Er ist vielleicht ein Bischen veränderlich und launenhaft, nicht einen Tag so höflich wie den andern,« entgegnete der Onkel. »Große Herren pflegen es so zu halten; deswegen werde ich ihn auch nicht beim Wort nehmen wegen dem Fischen. Er könnte morgen weniger gnädig gesinnt sein, und mich am Ende aus seinem Gebiet verweisen.«

Elisabeth fühlte, daß sie seinen Charakter ganz falsch beurtheilten, sagte aber nichts.

»Nach dem zu schließen, was wir von ihm gesehen und gehört haben,« fuhr Mrß. Gardiner fort, ist es kaum glaublich, daß er sich wirklich so grausam gegen den armen Wickham benommen haben sollte. Er hat auch nicht einen bösen Zug in seinem Gesicht, im Gegentheil etwas sehr Gutmüthiges um den Mund, wenn er spricht und so viel Würde in seiner Haltung, daß man unmöglich schlecht von seinem Herzen denken kann. Ich wenigstens traue ihm nichts Böses zu, wenn ich auch dem freigebigen Lobe der alten Haushälterin nicht unbedingt Glauben beimesse. Ich mußte manchmal über ihre Aeußerungen lachen. Doch er wird wohl ein freigebiger Herr sein, und diese Eigenschaft ist in den Augen der Dienstboten hinreichend, ihn mit jeder Tugend zu schmücken.«

Elisabeth fühlte sich berufen, etwas zur Rechtfertigung seines Betragens gegen Wickham zu sagen, und gab daher so vorsichtig als möglich zu verstehen, daß er, nach dem was sie von seinen Verwandten in Kent erfahren, durchaus keiner schlechten Handlung fähig sei, vielmehr einen edlen Charakter besitze; Wickham dagegen nicht so fehlerfrei und liebenswürdig sei, als man ihn bis jetzt gehalten. Zum Beweis hiervon erzählte sie die nähern Umstände in Betreff der Pfründe, ohne jedoch ihre Quelle zu nennen.

Mrß. Gardiner vernahm mit Erstaunen den Bericht ihrer Nichte; da sie jedoch kein näheres Interesse an Wickham nahm und Elisens Herz gleichgültig gegen ihn wußte, vergaß sie ihn und seine Undankbarkeit bald im Verlauf der mannigfachen Zerstreuungen, die ihr der Rest des Tages im Kreise früherer Bekannten bot. Elisabeth aber war durch nichts von dem einen, sie allein beschäfftigenden Gedanken abzubringen. Darcy und seine ihr völlig unerklärliche Umwandlung waren und blieben ihr unauflösliche Räthsel. Sie konnte nur an ihn und seinen Wunsch, sie mit Georginen bekannt zu machen, denken.


 << zurück weiter >>