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Drittes Capitel.

Da Elisabeth jetzt die feste Ueberzeugung hatte, daß Miß Bingley's Abneigung gegen sie hauptsächlich aus Eifersucht entstanden war, sah sie nicht ohne Neugier ihrem ersten Zusammentreffen entgegen. Ihre Erscheinung in Pemberley mußte ihr nothwendig unangenehm sein; und sie war begierig zu sehen, ob sie sich so weit überwinden konnte, die alte Bekanntschaft mit anscheinender Höflichkeit zu erneuern.

Sie wurden durch ein Vorzimmer in den Sommersalon geführt, dessen nördliche Lage ihm in dieser Jahreszeit vor allen andern Zimmern den Vorzug gab. Die geöffneten Fenster gewährten eine herrliche Aussicht auf die hohen, mit Wald bekränzten Berge hinter dem Hause, und auf die schönen Eichen und Kastanienbäume, die den freien Platz zierten.

In diesem anmuthigen Gemach wurden sie von Miß Darcy empfangen, die hier mit Mrß. Hurst, Miß Bingley und der sie chaperonirenden Chaperon: Anstandsdame. Dame aus London gesessen hatte. Georginens Begrüssung war sehr höflich, zugleich aber mit so viel Schüchternheit begleitet, daß man sie leicht für zurückhaltend und hochmüthig hätte halten können. Mrß. Gardiner und ihre Nichte wußten indeß, wofür sie es zu nehmen hatten, und zollten ihr inniges Mitleid.

Mrß. Hurst und Miß Bingley begrüßten die Fremden nur durch eine stumme Verbeugung, worauf, nachdem man Platz genommen, eine peinliche Pause eintrat. Mrß. Annesley, eine feine, gebildete Frau, unterbrach diese zuerst und knüpfte eine Unterhaltung mit Mrß. Gardiner an, in welche Elise bald einstimmte. Miß Darcy rang nach Muth sich ebenfalls hineinzumischen, und wagte endlich einige kurze Redensarten anzubringen, doch nur wenn sie hoffen konnte nicht gehört zu werden.

Elisabeth gewahrte bald, daß sie genau von Miß Bingley bewacht wurde, und daß sie besonders mit großer Aufmerksamkeit auf jedes, an Miß Darcy gerichtete Wort lauschte. Diese Bemerkung würde sie jedoch nicht gehindert haben, sich mit Letzterer zu unterhalten, wenn sie nicht so fern von ihr gesessen hätte. Hierdurch aber war ihr die Gelegenheit dazu abgeschnitten, und sie konnte ungestört ihren eignen Gedanken nachhängen. Es bot sich ihr in diesen Zimmern Stoff genug zum Nachdenken dar. Sie erwartete jeden Augenblick, die Herren eintreten zu sehen, und wußte nicht, ob sie diesen Umstand mehr wünschen oder fürchten sollte. Nachdem sie eine Viertelstunde in Betrachtungen verloren gesessen hatte ohne Miß Bingley's Stimme zu hören, ward sie plötzlich durch eine kalte Frage nach dem Befinden ihrer Familie aus ihren Träumereien aufgeweckt. Sie erwiederte sie mit gleicher Kürze und Gleichgültigkeit, worauf die Andre wieder schwieg.

Die nächste Unterbrechung der mühsam geführten Unterhaltung entstand durch den Eintritt der Bedienten, welche kalte Speisen, Gebackenes und die schönsten Früchte auftrugen. Doch erst nach manchem bedeutungsvollen Blick und Lächeln von Mrß. Annesley war Miß Darcy zu vermögen, ihr Amt als Wirthin auszuüben. Jetzt fand ein Jedes Beschäfftigung, denn obgleich sie nicht alle hatten sprechen können, konnten sie doch alle essen, und die herrlichen Pyramiden von Trauben, Pfirsichen und andern vorzüglichen Obstsorten versammelte die ganze Gesellschaft um den Tisch.

Während dieses Intermezzos hatte Elisabeth die schönste Gelegenheit, mit sich selbst darüber ins Reine zu kommen, ob sie Darcy's Ankunft mehr wünschen als fürchten sollte; und kaum für das Erstere entschieden, machte sein plötzlicher Eintritt sie von Neuem wieder so befangen und verlegen, daß sie ihn lieber nicht gesehen hätte.

Er war mit Herrn Gardiner und einigen Herrn aus seiner Gesellschaft in Angelegenheiten des Fischfangs am Fluß gewesen, als er Mr. Gardiners und ihrer Nichte Vorsatz, seine Schwester zu besuchen, erfahren hatte, und gleich zurückgekehrt war. Elisabeth nahm sich bei seinem Anblick fest vor, so ruhig und unbefangen als möglich zu erscheinen, da ihr Besonnenheit genug geblieben war, zu bemerken, daß alle Augen auf sie und ihn gerichtet waren. Doch in keinem Gesicht drücke sich die Neugier so deutlich aus, als in Miß Bingley's – trotz dem Lächeln, hinter welches sie dieselbe zu verbergen suchte. Ihre Eifersucht hatte sie noch nicht verzweifeln lassen, und ihre Ansprüche an Darcy waren noch dieselben, die sie in Netherfield verrrathen. Georgine bemühte sich bei ihres Bruders Eintritt die Unterhaltung zu machen, und Elisabeth sah, wie er seinet- und ihretwegen besorgt war, sie aufrecht zu erhalten, und allgemein interessante Gegenstände dazu zu erwählen. Miß Bingley bemerkte ihrerseits dieses Streben ebenfalls, und vergaß sich in ihrem Unwillen darüber so weit, Elisen mit boshaftem Lächeln zuzurufen:

»Miß Elisabeth, ist nicht das Landwehrregiment von Meryton verlegt worden? Dieser Umstand muß für Ihre Familie ein großer Verlust gewesen sein.«

Sie wagte Wickham's Namen in Darcy's Gegenwart nicht auszusprechen. Elisabeth aber fühlte, daß sie ihn bei dieser Anspielung im Sinn gehabt hatte, und obgleich die Erinnerung an ihn sie in andrer Beziehung tiefer berührte, als selbst Miß Bingley zu fassen vermochte, ermannte sie sich doch schnell, und beantwortete die Frage mit ziemlich gleichgültigem Ton. Ein unwilkührlicher Blick auf Darcy sagte ihr, daß er sie bei dieser Anrede mit einem ernsten Ausdruck und schnellem Farbenwechsel betrachtet hatte. Georgine war wie mit Purpur übergossen, und wagte die Augen nicht aufzuschlagen. Hätte Miß Bingley ahnen können, welche unangenehme Empfindung sie ihren geliebten Freunden durch diese Worte verursachte, würde sie sie gewiß nicht ausgesprochen haben; sie beabsichtigte dadurch nur, Elisen aus der Fassung zu bringen, sie zu einer Antwort zu vermögen, die ihre Vorliebe für Wickham verrathen und sie in Darcy's Augen herabsetzen sollte; und Letztern nebenbei an alle die Thorheiten und Albernheiten zu erinnern, deren sich die meisten Glieder ihrer Familie während dem Aufenthalt des Regiments zu Schulden kommen gelassen hatten. Von Wickham's Verhältniß zu Miß Darcy und der verabredeten Entführung war nie ein Wort zu ihren Ohren gedrungen. Außer Elisabeth ahnete niemand etwas davon, und Darcy hatte dieses Geheimniß besonders sorgfältig vor Bingley und dessen Schwestern zu verbergen gesucht, weil er wirklich den Wunsch gehegt, seinen Freund mit Georginen verbunden zu sehen. Er gestand sich denselben zwar nicht offen zu, läugnete wenigstens seinen Einfluß auf die von ihm bewerkstelligte Trennung zwischen Bingley und Johannen; doch ist es nicht unwahrscheinlich, daß dieser frühere Plan viel Theil an der lebhaften Sorge für das Wohl seines Freundes gehabt hat.

Elisabeths besonnenes Wesen beruhigte sein Gemüth bald wieder; und da Miß Bingley in ihrer Erwartung getäuscht, nicht weiter zu gehen wagte, so fand auch Georgine Zeit, sich einiger Maaßen zu erholen, wenn gleich nicht so weit, um wieder an der Unterhaltung Theil zu nehmen. Ihr Bruder, dessen Blick zu begegnen sie ängstlich vermied, schien ihren Antheil an der Sache ganz unbeachtet zu lassen; und derselbe Umstand, der bestimmt war, seine Gedanken von Elisen abzuziehen, diente nur dazu, sie mit größerm Interesse zu ihr zurückzuführen.

Bald darauf erhob sich Mrß. Gardiner, um Abschied zu nehmen; und während Darcy die Damen an den Wagen begleitete, ließ Miß Bingley ihren Gefühlen freien Lauf in spöttischen Bemerkungen über Elisens Gestalt, Betragen und Anzug. Doch Georgine stimmte nicht mit ein; ihres Bruders warme Empfehlung war hinreichend, ihr Urtheil zu bestimmen: er konnte nicht irren, und er hatte sich so günstig über Miß Bennet geäußert, daß sie auch nicht umhin konnte, sie höchst liebenswürdig zu finden. Als Darcy zurückkehrte, wiederholte Caroline die Bemerkungen, welche sie so eben seiner Schwester mitgetheilt, und fügte hinzu:

»Mein Gott! wie übel sah Elisabeth diesen Morgen aus! Ich fand in meinem Leben noch niemand in so kurzer Zeit auf eine solche schreckliche Weise verändert. Sie ist ja ordentlich braun von der Sonne verbrannt! Louise und ich hätten sie kaum wieder erkannt.«

So wenig Freude Darcy über diese Aeußerungen zu empfinden schien, begnügte er sich doch damit, kalt zu erwiedern, ›daß er weiter keine Veränderung bemerkt hatte, außer daß sie etwas verbrannt wäre, was bei einer längern Reise im Sommer jedes Mal der Fall zu sein pflegte‹.

»Ich muß gestehen,« fuhr sie fort, »daß ich sie nie hübsch gefunden habe. Ihr Gesicht ist zu schmal, ihr Teint nicht brillant, und ihre Züge nicht regelmäßig. Ihrer Nase fehlt ein charakteristischer Ausdruck, sie hat durchaus nichts Edles. Ihre Zähne sind leidlich, aber doch nicht ausgezeichnet; und ihre Augen, die zwar manchmal für schön erklärt worden sind, finde ich durchaus nicht so. Sie haben einen scharfen, stechenden Blick, den ich nicht leiden mag, und aus ihrem ganzen Wesen spricht ein Selbstgefühl, was mir unerträglich ist.«

Ueberzeugt, wie Miß Bingley war, daß Darcy Elisen liebte, erwählte sie nicht das rechte Mittel, sich selbst zu empfehlen; doch in der Leidenschaft handeln die Menschen selten überlegt, und da sie ihn erbittert sah, hatte sie für den Augenblick ihren Zweck erreicht. Er würdigte ihren Worten keine Antwort Siehe Anm. 9., und so fuhr sie, entschlossen, ihn zum Reden zu bringen, beharrlich fort:

»Ich erinnere mich noch unseres allgemeinen Erstaunens, als wir in Netherfield angekommen, Miß Elisabeth Bennet als eine der hauptsächlichsten Schönheiten rühmen hörten; und besonders unvergeßlich sind mir Ihre Worte, Herr Darcy, als sie zum ersten Mal in Netherfield gewesen war. Sie eine Schönheit! sagten Sie – eben so gut kann man ihre Mutter für eine Gelehrte erklären. Späterhin schienen Sie jedoch Ihre Meinung über sie geändert zu haben, und sie recht artig zu finden.«

»Ja,« erwiederte Darcy, unfähig sich länger zu halten, – »so dachte ich anfänglich, als ich sie kennen lernte; doch bereits seit mehreren Monaten, erkläre ich sie für das schönste Mädchen meiner Bekanntschaft.«

Hiermit ging er fort, Miß Bingley ihren eigenen Betrachtungen über den Sinn der von ihm erpreßten Antwort überlassend.

Mrß. Gardiner und Elisabeth unterhielten sich auf dem Rückweg über alles, was sie in Pemberley gesehen und gehört, nur nicht über das, was Beiden am wichtigsten und bemerkenswerthesten erschienen war, über den Herrn des Hauses. Elisabeth wünschte und hoffte, daß ihre Tante ein Urtheil über ihn fallen möchte, und Mrß. Gardiner erwartete, daß ihre Nichte das Gespräch über ihn beginnen sollte.


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