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Elisabeth brachte den größten Theil der Nacht am Bette ihrer Schwester zu, und freute sich, dem Herrn des Hauses am andern Morgen auf seine Fragen nach ihrem Befinden eine leidliche Antwort zurückschicken zu können. Trotz dieser Besserung ließ sie ihn aber doch um einen Boten nach Longbourn bitten, der Mutter Kunde von Johannens Befinden zu geben, und sie zu ersuchen, selbst zu kommen und ihren Zustand zu prüfen. Das Billet ward augenblicklich abgeschickt, und Mrß. Bennet, begleitet von ihren beiden jüngsten Töchtern, langte gleich nach dem Frühstück in Netherfield an.
Hätte sie Johannen bedeutend krank gefunden, würde sie sich gewiß sehr unglücklich gefühlt haben, nachdem sie aber gesehen, daß die Erkältung zwar heftig, jedoch keineswegs gefährlich war, konnte sie den geheimen Wunsch nicht unterdrücken, daß die Besserung nicht allzurasch vor sich sehen möge, um ihren Aufenthalt so lange als möglich auszudehnen. Des hinzugekommenen Arztes Erklärung, die Patientin in diesem Zustand nicht zu transportiren, veranlaßte Mrß. Bennet, die Gastfreiheit der Bingley'schen Familie noch auf einige Zeit für ihre beiden ältesten Töchter in Anspruch zu nehmen, worauf Bingley mit vieler Wärme, seine Schwestern mit kalter Höflichkeit antworteten.
Die Gesellschaft hatte sich jetzt im Frühstückszimmer versammelt und Mrß. Bennet unterließ nicht, sich in Bewundrung und Lobeserhebungen der Einrichtung des Hauses, der schönen Lage und Aussicht und dergleichen mehr zu ergießen. So lange das Gespräch noch allgemeinen Innhalts war, und hauptsächlich zwischen Bingley und Mrß. Bennet geführt wurde, ging alles gut, und Elisabeth, wenn gleich in steter Angst, hatte doch keine Ursache zu erröthen, und sich ihrer Mutter zu schämen. Als diese nun aber, durch Bingley's Höflichkeit ermuthigt, immer weiter ging und in ihren gewöhnlichen schwatzenden Ton verfiel, da glaubte sie vor Schaam in die Erde sinken zu müssen. Vergebens bemühte sie sich, durch dazwischen geworfene Fragen der Unterhaltung eine andere Richtung zu geben. Mrß. Bennet erzählte rücksichtslos, was ihr einfiel; erst von ihren Kindern und deren Vorzügen, bei welcher Gelegenheit Johannens Sanftmuth und Bescheidenheit hervorgehoben wurde; dann von den Freuden und Annehmlichkeiten des Landlebens.
»Hoffentlich sind Sie, Herr Bingley, in diesem Punkt meiner Meinung,« so schloß sie ihre Rede - »und gedenken Netherfield nicht sobald wieder zu verlassen?«
»Dafür kann ich nicht einstehen. Solche Entschlüsse wechseln schnell, und die Ausführung folgt ihnen immer auf dem Fuß. Deshalb würde ich, falls es mir einfallen sollte, Netherfield zu verlassen, in fünf Minuten fort sein. In diesem Augenblick betrachte ich mich jedoch als völlig ansässig hier.«
»So habe ich Sie also ganz richtig beurtheilt,« sagte Elisabeth.
»Sie fangen an mich zu verstehen« – rief Bingley, sich zu ihr wendend.
»O ja, ich verstehe Sie vollkommen.«
»Ich wünschte dieß als ein Compliment betrachten zu können; aber so leicht durchschaut zu werden, ist leider nicht sehr rühmlich.«
»Das kommt auf Umstände an. Ein tiefer, schwer zu ergründender Charakter ist nicht immer dem offnen, freimüthigen vorzuziehen.«
»Ich habe nicht gewußt, daß Sie sich mit dem Studium der Charaktere beschäftigen; es muß dieß sehr unterhaltend sein.«
»Das Leben auf dem Lande ist demselben nur nicht günstig,« bemerkte Darcy. »Man bewegt sich hier in einem so engen und beschränkten Kreis.«
»Aber die Menschen in diesem Kreise verändern sich mitunter so auffallend, daß immer etwas Neues an ihnen zu bemerken ist,« sagte Elisabeth.
Mrß. Bennet, durch Darcy's Geringschätzung des Landlebens beleidigt, erhob jetzt ihre Stimme zum Lob der ländlichen Geselligkeit, besonders in einer so anziehenden Nachbarschaft, wie sich Longbourn zu erfreuen hätte, und zählte wenigstens vier und zwanzig Familien her, mit denen sie im freundschaftlichen Verkehr ständen.
Alle sahen sie erstaunt an, und Darcy wandte sich, nachdem er sie einige Augenblicke schweigend betrachtet, lächelnd ab. Es erfolgte eine Pause, und Elisabeth zitterte, daß ihre Mutter noch ein Mal den Faden des Gesprächs wieder aufnehmen und sich von Neuem Preis geben könnte. Sie wünschte dem Unglück vorzubeugen, wußte aber nicht wie, und war daher sehr froh, als Mrß. Bennet, nachdem sie nochmals um Entschuldigung wegen Johannens und Lizzy's längerm Bleiben gemacht, ihren Wagen bestellte. Auf dieses Signal erhoben sich die beiden jüngsten Töchter. Sie hatten die ganze Zeit leise mit einander geflüstert und das Resultat dieses Gesprächs war, daß die Jüngste Herrn Bingley an sein Versprechen, einen Ball in Netherfield zu geben, erinnern sollte.
Lydia war zwar erst funfzehn Jahre, aber schon vollkommen erwachsen. Sie verband mit einer schlanken Taille eine feine, weiße Haut und einen muntern, hübschen Ausdruck des Gesichts. Von Jugend auf der Liebling ihrer Mutter, hatte diese nicht gesäumt, sie sehr früh in die Welt einzuführen. Mit einem gewissen Selbstvertrauen, was sich durch die Aufmerksamkeiten der Herrn Officiere bis zur Selbstzufriedenheit gesteigert hatte, wandte sie sich an Bingley, und erinnerte ihn ohne Umschweife an sein Versprechen. Er erklärte sich bereit, es zu halten, sobald Miß In der Vorlage: »Mrß.« Bennet wieder hergestellt wäre, und forderte sie auf, alsdann den Tag des Balls selbst zu bestimmen.
Hiermit schien Lydia sehr zufrieden und meinte, bis dahin wurde Capitain Carter auch wohl wieder in Meryton sein. »Und wenn Sie dann Ihren Ball gegeben haben,« fuhr sie fort, »Werde ich dem Oberst Forster begreiflich zu machen suchen, daß die Reihe nun an ihm ist, und daß es eine Schande sein würde, zurück zu bleiben.«
Mrß. Bennet und ihre jüngern Töchter empfahlen sich hiermit der Gesellschaft und kehrten nach Longbourn zurück. Elisabeth begab sich wieder zu ihrer Schwester, und überließ ihr eigenes, und ihrer Angehörigen Betragen den Bemerkungen der beiden Damen und Herrn Darcy's. Letzterer konnte sich jedoch, trotz Miß Bingley's Spöttereien über Lizzy's schöne Augen, nicht überwinden, in des Schwesterpaares strenges Urtheil über sie mit einzustimmen.