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Am folgenden Morgen beim Frühstück kündigte Bennet der versammelten Familie einen Gast zum Mittag an. Mutter und Töchter waren natürlich sehr begierig, Namen und Stand des Kommenden zu erfahren. Es konnte niemand anderes als Bingley sein, und Mrß. Bennet zog die Klingel, um eiligst noch einige Veränderungen und Verbesserungen des Mahls anzuordnen; als Bennet versicherte, daß sie nicht Herrn Bingley, sondern einen ganz fremden Herrn zu erwarten hätten. Und nachdem er sich einige Zeit an ihrem Erstaunen und ihrer Neugier ergötzt, erzählte er, daß er vor vier Wochen einen Brief von seinem Vetter Collins, demselben, der nach seinem Tode Frau und Töchter, sobald es ihm beliebte, zum Hause hinausweisen könnte, erhalten hatte, worin er seinen Besuch auf den heutigen Tag angekündigt.
Mrß. Bennet erschöpfte sich zum hundertsten Mal in Klagen und Verwünschungen über die ungerechte und grausame Einrichtung, einer Wittwe und ihren fünf Töchtern das Gut nach des Mannes Tode zu nehmen, um es einem wildfremden Vetter zu geben. Johanne und Elisabeth bemühten sich ebenfalls zum hundertsten Mal, jedoch vergeblich, ihr die Sache begreiflich zu machen; der Versuch überstieg ihr Fassungsvermögen, und so blieb sie bei ihrer Meinung.
»Es ist allerdings ein höchst unbilliges Verlangen,« sagte Bennet mit erkünsteltem Ernst – »und nichts kann Herrn Collins von der Schuld, Longbourn zu erben, freisprechen. Aber ich hoffe, wenn Du seinen Brief gelesen hast, wirst Du durch seine Art, sich hierüber auszudrücken, milder gegen ihn gestimmt werden.«
»Gewiß nicht; ich finde es im Gegentheil sehr unverschämt und heuchlerisch, daß er schreibt. Solche falsche Freunde sind mir höchst zuwider. Warum fährt er nicht fort, mit uns im Streit zu leben, wie es sein seliger Vater that?«
»Hierüber scheint er selbst einige kindliche Skrupel zu hegen. Doch hört:
Hunsford bei Westerham
Grafschaft Kent
15. October.
Verehrter Herr!
Die zwischen Ihnen und meinem verstorbenen Vater obwaltende Mißhelligkeit hat mir, seit ich so unglücklich war, ihn zu verlieren, schon manche trübe Stunde bereitet. Der Wunsch, den Bruch zu heilen, ist zwar oft in mir aufgestiegen, doch immer wieder durch die Besorgniß zurückgedrängt worden, dem Willen meines seligen Herrn Vaters zuwider zu handeln, da es ihm doch gefallen hatte, auf diesem Fuß mit Ihnen zu leben. Seit Kurzem bin ich indeß über diesen Punkt mit mir selbst ins Reine gekommen, indem ich Ostern ordinirt worden und jetzt glücklich gewesen bin, die Pfarrei dieses Kirchspiels, durch die außerordentliche Huld und Gnade der hochgebornen Lady Katharine von Bourgh Bei den ersten Erwähnungen findet sich in der Vorlage irrtümlich »Borough«; die Stellen wurden sämtlich zu »Bourgh« berichtigt., Wittwe des Sir Louis von Bourgh zu erhalten. Mit der dankbarsten Hochachtung gegen Ihro Herrlichkeit erfüllt, wird es von nun an mein ernstliches Bestreben sein, alle Pflichten eines Geistlichen gewissenhaft zu erfüllen; und da es einem solchen vor allen andern Dingen zukommt, den Segen des Friedens in den Familien seines Bereichs zu befördern: so darf ich mir wohl schmeicheln, daß Sie meinen guten Willen anerkennen und Ihrerseits den Umstand, daß ich der rechtmäßige Erbe des Longbournschen Guts bin, vergessen und den dargereichten Oelzweig nicht verschmähen werden. Es betrübt mich innigst, das unschuldige Werkzeug zu sein, Ihre liebenswürdigen Töchter zu beeinträchtigen; und ich bitte um Erlaubniß, ihnen selbst meine Entschuldigung deshalb machen zu dürfen, so wie sie von meiner Bereitwilligkeit, ihnen jeden möglichen Ersatz zu geben, zu versichern. In der angenehmen Hoffnung, eine freundliche Aufnahme in Ihrem Hause zu finden, bin ich so frei, Ihnen und Ihrer verehrten Familie meine Aufwartung Montag den 18ten November Mittags 4 Uhr zu machen, und bis zum Sonnabend über acht Tage unter Ihrem gastfreien Dach zu verweilen, was ohne Bedenken von meiner Seite geschehen kann, da Lady Katharine mir gütigst gestattet, einen Sonntag abwesend zu sein, wenn ich einen andern Geistlichen zur Verrichtung des Gottesdienstes stelle. Mit den ehrfurchtsvollsten Empfehlungen an Ihr schätzbare Familie habe ich die Ehre zu zeichnen.
Ew. Wohlgeboren
ergebenster Freund und Diener
William Collins.«
Punkt vier Uhr also können wir diesen Vetter mit dem Oelzweig erwarten,« sagte Bennet; indem er den Brief wieder zusammenfaltete – »denn es versteht sich von selbst, daß ich gebührend darauf geantwortet, und ihm im Namen der ganzen Familie die freundlichste Aufnahme zugesichert habe. Er scheint ein sehr gewissenhafter, höflicher, junger Mann zu sein und ich freue mich auf seine nähere Bekanntschaft, besonders wenn Lady Katharine so huldvoll ist, sein öfteres Wiederkommen zu erlauben.«
»Was er über die Mädchen sagt, klingt ganz vernünftig, und wenn er geneigt ist, ihnen irgend einen Ersatz zu geben, werde ich ihn warlich nicht davon abhalten.«
»Der Vorschlag macht seinem Herzen Ehre,« sagte Johanne, »doch sehe ich nicht ein, auf welche Weise er uns entschädigen will.«
Elisabeth konnte nicht aufhören, sich über seine außerordentliche Unterwürfigkeit gegen Lady Katharine zu verwundern, und die Erwähnung seiner Bereitwilligkeit, alle vorfallenden Berufspflichten zu erfüllen, reitzte sie zum Lachen, da es sich ja von selbst verstände, daß ein Pfarrer taufen, confirmiren, copuliren und begraben müßte, so oft es vorfiele. »Es muß ein wunderlicher Kauz sein,« sagte sie – »ich kann mich nicht mit ihm und seinem pomphaften Styl befreunden; und was soll denn die Entschuldigung wegen des Lehns bedeuten? Er kann die Sache ja doch nicht ändern; und würde sie nicht ändern, falls er es auch könnte. Was halten Sie von ihm, lieber Vater?«
»Ich habe die größte Hoffnung, ihn abgeschmackt zu finden. Sein Brief enthält eine so viel versprechende Mischung von Kriecherei und Selbstgefühl, daß ich es kaum erwarten kann, ihn zu sehen.«
»Hinsichtlich der Composition,« bemerkte Marie, »erscheint mir sein Brief nicht fehlerhaft. Die Idee mit dem Oelzweig ist freilich nicht ganz neu, doch hier sehr passend angebracht.
Katharine und Lydia interessirten sich weder für den Brief noch für den Schreiber. Es war höchst unwahrscheinlich, ja fast unmöglich, daß der Vetter in einem rothen Rock kommen sollte, und seit mehreren Wochen gewohnt, ihr Vergnügen einzig in der Gesellschaft der Officiere zu finden, erwarteten sie jetzt gar nichts von einem, in einer andern Farbe gekleideten Mann.
Mrß. Bennet fühlte sich durch den Brief viel milder gegen den Vetter gestimmt und bereitete sich, zum Erstaunen ihres Mannes und ihrer Töchter, vor, ihn mit Ruhe und ohne Empfindlichkeit zu empfangen.
Herr Collins erschien pünktlich zur bestimmten Stunde und ward von der ganzen Familie mit großer Höflichkeit bewillkommt. Bennet sprach sehr wenig, die Damen desto mehr und Herr Collins bedurfte ebenfalls keiner Aufmunterung zum Sprechen. Er war ein langer, etwas linkisch aussehender junger Mann von 25 Jahren, von ernstem, steifem Aeußern und förmlichem Wesen. Nachdem die ersten Begrüssungen vorüber waren, wandte er sich an Mrß. Bennet und pries sie glücklich, die Mutter solcher schönen Tochter zu sein, von denen der Ruf bei Weitem noch nicht genug gesagt hätte. Hierauf begann er seine Entschuldigungen wegen dem Lehn und fuhr dann fort –
»Ich beklage das harte Schicksal meiner schönen Cousinen und würde noch mehr über diesen Gegenstand sagen, wenn ich nicht befürchten müßte, voreilig und übereilt zu erscheinen. Doch kann ich den jungen Damen versichern, daß ich nur in der Absicht gekommen bin, ihnen meine Verehrung zu bezeigen. In diesem Augenblick etwas Mehreres darüber zu sagen, würde ihr Zartgefühl beleidigen; vielleicht aber, wenn wir uns nach einigen Tagen durch eine genauere Bekanntschaft näher getreten, konnte –«
Hier ward er durch den Eintritt des Bedienten unterbrochen, der das aufgetragene Mittagsessen meldete. Die Mädchen sahen sich verwundert an und lachten. Im Eßzimmer fand er reichen Stoff zum Bewundern und Loben, und Mrß. Bennets Eitelkeit würde sich höchlich dadurch geschmeichelt gefühlt haben, hätte sie den niederschlagenden Gedanken, daß er alle diese Herrlichkeit als sein künftiges Eigenthum betrachtete, verbannen können. Auch den aufgetragenen Speisen ward das gebührende Lob gezollt und er wünschte zu wissen, welcher von seinen schönen Cousinen der Dank für diese vortreffliche Zubereitung gebührte? worauf die Mutter mit einiger Empfindlichkeit erwiederte, ›daß sie Gott lob! in den Umständen wäre, einen Koch halten zu können, und daß ihre Töchter sich nicht um die Küche zu bekümmern hätten.‹ – Er bat um Verzeihung, sie erzürnt zu haben, und obgleich sie hierauf in einem sanftern Ton versicherte, sich nicht beleidigt zu fühlen, fuhr er doch noch eine halbe Stunde fort, sich zu entschuldigen.