Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Sobald Johanne und Elisabeth allein waren, sprach sich Erstere, die bis jetzt sehr vorsichtig in Bingley's Lob gewesen, freimüthig über seine liebenswürdigen Eigenschaften aus, und gestand, daß sie sich durch sein nochmaliges Engagement sehr geschmeichelt gefühlt, indem sie eine solche Auszeichnung nimmermehr erwartet hätte. Elisabeth dagegen versicherte, daß es nicht anders hätte kommen können, da sie unstreitig die Schönste in der ganzen Gesellschaft gewesen, und daher nothwendig seine Aufmerksamkeit auf sich hätte ziehen müssen. Uebrigens stimmte sie in sein Lob mit ein, und gab ihrer Schwester vollkommne Erlaubniß, ihn charmant und liebenswürdig zu finden.
Als Johanne nun aber auch Bingley's Schwestern erhob, ihre Unterhaltung anziehend, ihr Wesen gefällig und fein nannte und sich freute, Miß Bingley, welche einige Zeit in Netherfield bei ihrem Bruder zu leben gedachte, in der Nähe zu behalten und öfterer zu sehen; da konnte Elisabeth ihr unmöglich beistimmen. Sie beschuldigte Johannen, aus angebohrner Gutmüthigkeit blind gegen die Fehler und Thorheiten ihrer Nebenmenschen zu sein, überall nur Gutes zu sehen oder das Böse zum Guten zu wenden, und bewies ihr, daß das Benehmen beider Damen an diesem Abend keinesweges geeignet gewesen sei, sie zum Besten zu beurtheilen. Ihr Scharfsinn und richtiger Tackt hatte sie tiefern Blick in das Innere des Schwesternpaars thun lassen. Sie erkannte sie allerdings für hübsch, nicht ohne gute Laune, wenn sie sich gefielen, auch im Stande sehr angenehm zu sein, sobald sie Lust hatten; dabei aber auch stolz und hochmüthig.
In einer der ersten Pensionen der Hauptstadt erzogen, im Besitz eines Vermögens von 20000 Pfund, gewohnt noch etwas mehr zu verthun als sie hatten, und mit Menschen vom höchsten Rang umzugehen, war es ihnen denn freilich zur andern Natur geworden, hoch von sich selbst, und gering von ihren Nebenmenschen zu denken. Sie stammten von einer achtungswerthen Familie aus dem nördlichen England ab, welcher Umstand sich ihrem Gedächtniß tiefer eingeprägt hatte, als daß ihres Bruders Vermögen, so wie das Ihrige, durch den Handel erworben worden war.
Bingley hatte ein Vermögen von beinahe hunderttausend Pfund von seinem Vater geerbt, welcher immer die Absicht gehabt, sich ein Gut zu kaufen, aber noch vor Ausführung dieses Plans gestorben war. Denselben Entschluß hatte der Sohn nun zwar auch gefaßt, und zu diesem Zweck die Grafschaft, worin sein Vater gelebt, auserkohren; da er aber jetzt die Pachtung in Netherfield übernommen, zweifelten Alle, die ihn und seinen leichten Sinn kannten, daß es je dazu kommen würde.
Niemand betrübte sich hierüber mehr, als seine Schwestern, deren sehnlichster Wunsch es war, ihn als Gutsbesitzer zu sehen. Demohngeachtet bezeigte sich Miß Bingley auch jetzt nicht abgeneigt, die Honneurs in seinem Hause zu machen; und selbst Mrß. Hurst, deren Gemahl mehr Fashion als Vermögen besaß, beschloß Netherfield, falls ihr der Aufenthalt daselbst zusagen sollte, als ihr Eigenthum zu betrachten.
Durch eine zufällige Empfehlung veranlaßt, dieses Gut in Augenschein zu nehmen, hatte es bei dem jungen, raschen, kaum seit zwei Jahren mündig gewordenen Bingley nur einer halbstündigen Besichtigung bedurft, um ihn von den Vorzügen des Grundstückes, von der vortheilhaften Lage und den wohlerhaltenen Gebäuden zu überzeugen. Die Umgebungen gefielen ihm, Haus und Garten waren schön, und so pachtete er Netherfield ohne weitere Ueberlegung.
Zwischen ihm und Darcy bestand, trotz der großen Verschiedenheit ihrer Charaktere, eine innige Freundschaft. Darcy fühlte sich zu Bingley gezogen wegen seines freimüthigen, offnen, lenksamen Wesen, weil ihm diese Eigenschaften ganz abgingen; und Bingley hegte die größte Achtung vor seines Freundes Festigkeit, Verstand und richtigem Urtheil. In geistiger Hinsicht stand Darcy weit höher, obgleich es dem Andern keineswegs an Verstand fehlte. Dagegen gebührte Bingley'n der Vorzug im Betreff häuslicher und geselliger Tugenden. Darcy war stolz, hochmüthig und zurückhaltend, und sein Benehmen, wenn gleich das eines wohlgezogenen Mannes, hatte durchaus nichts Einnehmendes und stieß meistens ab. Bingley gewann alle Herzen, wo er sich zeigte, Darcy beleidigte stets.
Die Art und Weise, sich über die Meryton'sche Gesellschaft zu äußern, charakterisirte sie vollkommen. Bingley hatte nie angenehmere Leute und hübschere Mädchen gesehen; Jedermann war artig und zuvorkommend gegen ihn gewesen. Es hatte gar keine Förmlichkeit und Steifheit in der Gesellschaft geherrscht, so daß er sehr bald mit allen Anwesenden bekannt geworden – und Miß Bennet! Kein Engel konnte schöner sein, als sie! Darcy hingegen hatte eine Menge Menschen gesehen, die weder Anspruch auf Schönheit noch auf Fashion machen konnten; von denen Niemand geeignet gewesen war, ihm auch nur das geringste Interesse einzuflößen, und die ihm weder Vergnügen gemacht, noch Aufmerksamkeiten erwiesen hatten. Er gab zwar zu, daß Miß Bennet schon sei, tadelte aber, daß sie zu viel lächelte.
Miß Bingley und ihre Schwester stimmten seiner Meinung ganz bei, wagten jedoch, Johannen allerliebst, ihres Beifalls würdig zu finden und sie ein süßes Mädchen zu nennen. Miß Bennets Ruf als ein süßes Mädchen war daher gegründet, und Bingley fühlte sich durch diesen Ausspruch berechtigt, von ihr zu denken, wie es ihm beliebte.