Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Kaum sah sich Elisabeth allein, als sie, ordentlich um ihren Zorn gegen Darcy noch zu vermehren, alle seit ihrem Aufenthalt in Kent von Johannen erhaltenen Briefe noch einmal durchlas. Sie enthielten weder wirkliche Klagen, noch Anspielungen auf vergangene Zeiten, oder Erwähnung jetziger Leiden. Aber Elise vermißte darin jene Heiterkeit eines mit sich selbst einigen Gemüths, jene Genügsamkeit und Zufriedenheit mit der Außenwelt, welche ihre Briefe in frühern Zeiten charakterisirt hatten. Sie studirte jede Zeile mit der größten Aufmerksamkeit durch, und fand auf diese Weise allerdings mehr als beim ersten Durchlesen. Darcy's übermüthige Prahlerei gegen seinen Vetter, sein Selbstlob, etwas Gutes gestiftet zu haben, steigerte ihr Gefühl für der Schwester Leiden. Der Gedanke, daß sein Aufenthalt in Rosings nur noch bis übermorgen dauerte, gewährte ihr eine gewisse Beruhigung; und sie freute sich, spätestens in vierzehn Tagen wieder mit Johannen vereint zu sein, und ihr durch zarte Sorgfalt und schwesterliche Liebe die Unbeständigkeit der Männer vergessen zu machen.
An die Trennung von Fitzwilliam dachte sie mit mehr Betrübniß; sein Umgang, seine angenehme Unterhaltung hatten ihr den Aufenthalt in Hunsford verschönert; doch ihr Herz war glücklicher Weise frei geblieben, und so konnte sie auch nach der letzten Unterredung mit Unbefangenheit an ihn denken.
Während sie noch mit diesen und ähnlichen Betrachtungen beschäfftigt war, hörte sie die Hausthür rasch öffnen. Es konnte niemand anders sein als Fitzwilliam, der schon öfterer in der Abendstunde gekommen war, und sich jetzt vermuthlich selbst nach ihrem Befinden erkundigen wollte. In dieser festen Ueberzeugung richtete sie den Blick auf die Thür, und sah zu ihrem größten Erstaunen Herrn Darcy eintreten. Er begann mit ungeduldiger Eile nach ihrem Befinden zu fragen und fügte hinzu, daß nur der Wunsch, sich selbst von ihrem Bessersein zu überzeugen, ihn zu diesem späten Besuch veranlaßt, Sie antwortete hierauf mit kalter Höflichkeit. Er setzte sich einige Augenblicke nieder, stand dann rasch wieder auf und ging ungleichen Schritts das Zimmer auf und ab. Elisabeth sah ihn verwundert an, sagte aber kein Wort. Nach einem kurzen Schweigen näherte er sich ihr mit dem Ausdruck innerer heftiger Bewegung und sagte:
»Vergebens habe ich gekämpft! Ich vermag es nicht länger! Meine Empfindungen lassen sich nicht unterdrücken. Ich muß Ihnen gestehen, daß ich Sie heiß und innig liebe.«
Elisabeths Erstaunen schildern keine Sorte. Sie fuhr erschrocken zusammen; hohe Röthe wechselte mit Todesblässe auf ihren Wangen – sie war keiner Antwort fähig. Diese Symptome reichten hin, seinen Muth zu beleben, und es erfolgte das Geständniß alles dessen, was er fühlte und schon lange gefühlt hatte. Er sprach mit Wärme und Innigkeit; doch nicht allein von den Empfindungen seines Herzens, sondern auch von den Hindernissen, die sich dem Aussprechen derselben entgegengesetzt, und war über den letzten Punkt nicht minder beredt, wie über den ersten. Er erwähnte seiner Verhältnisse und der ihrigen, seines innern Kampfes, sich von ihr loszureißen, der mannigfachen Schwierigkeiten, die er hinsichtlich seiner Familie zu überwinden hätte, und sprach mit einer Wärme, die nicht dazu geeignet war, seinen Antrag annehmlicher zu machen.
Trotz ihres tiefgewurzelten Widerwillens konnte Elisabeth doch nicht unempfindlich bei der Liebeserklärung dieses Mannes bleiben; und wenn gleich keinen Augenblick unschlüssig, verursachte es ihr dennoch ein unangenehmes Gefühl, seine Hoffnungen zerstören zu müssen. Als er aber schonungslos fortfuhr, – sie auf die Ungleichheit ihrer Verhältnisse, auf das, jedes Zartgefühl verletzende Benehmen ihrer Mutter und jüngern Schwestern aufmerksam zu machen, verwandelte sich ihr Mitleid in Zorn; und sie mußte alle Kräfte der Selbstüberwindung aufbieten, sich zu einer ruhigen Antwort vorzubereiten. Er schloß sein Bekenntniß mit der Hoffnung, daß sie seine unbesiegbare Liebe erwiedern und ihn durch das Geschenk ihrer Hand belohnen würde,
Der Ausdruck seiner Züge verrieth auch nicht den leisesten Zweifel einer günstigen Antwort; und obgleich sein Mund die Worte »Angst und Besorgniß« aussprachen, war die Ueberzeugung gewisser Annahme dennoch deutlich in seinen Blicken zu lesen. Diesen hohen Grad von Uebermuth konnte sie nicht länger ertragen. Im Gefühl tiefen Unwillens sagte sie, nachdem er geendet:
»Der Gebrauch erfordert eine Art Dank für das Aussprechen solcher günstigen Besinnungen, selbst wenn sie keine Erwiederung finden. Ich fühle, daß ich Ihnen dadurch eine gewisse Verbindlichkeit schuldig bin, und möchte Ihnen gern für Ihre gute Meinung danken; aber ich kann es nicht. Sie zu erlangen, war nie mein Wunsch und Streben, und Sie haben sie mir so höchst ungern zugestanden, daß Ihr Bekenntniß dadurch zur Beleidigung geworden ist. Es thut mir leid, Ihnen eine unangenehme Empfindung verursachen zu müssen; doch habe ich alle Hoffnung zu vermuthen, daß sie nicht von langer Dauer sein wird. Dieselben Gründe, welche Sie, nach eignem Bericht, bis jetzt abgehalten, mir Ihre Liebe zu gestehen, werden stark genug sein, Ihnen die Bekämpfung derselben zu erleichtern.«
Darcy, mit dem Rücken an den Ofen gelehnt, die Blicke fest auf Elisen gerichtet, schien ihre Worte mit nicht geringerem Unwillen als Staunen zu vernehmen. Die Blässe des Zorns überzog sein Gesicht, und in jedem Zug desselben drückte sich eine gewaltsame innere Erschütterung aus. Er rang nach äußerer Fassung und wollte nicht eher sprechen, bis er sie erlangt. Diese Pause dünkte Elisen schrecklich, kaum zu ertragen. Endlich sagte er mit erzwungener Ruhe:
»Und ist dieß die ganze Antwort, die ich von Ihnen zu erwarten habe? Der Wunsch zu erfahren, weshalb ich mit so geringer Berücksichtigung der Höflichkeit auf solche Weise abgewiesen worden bin, möchte vielleicht verzeihlich sein.«
»Und ich möchte dagegen fragen,« erwiederte sie, »warum Sie mir, augenscheinlich in der Absicht mich zu kränken und zu beleidigen, erzählen, daß Sie mich gegen Ihren Willen, gegen Ihre Vernunft, gegen Ihre Ueberzeugung, ja sogar den Grundsätzen ihres Charakters entgegen lieben? War dieses mich erniedrigende Geständniß nicht eine Entschuldigung meiner Unhöflichkeit, wenn ich wirklich unhöflich gewesen? Doch ich habe auch noch andre Gründe hierzu, und diese sind Ihnen bekannt. Sie können Sie mich fähig halten, die Anträge eines Mannes anzunehmen, den ich mit vollem Recht beschuldige, die Ruhe und das Glück einer innigst geliebten Schwester vielleicht auf ewig gestört zu haben? Nein! Und wenn mein Herz, auch keine Abneigung gegen Sie empfunden, wenn es gleichgültig, ja sogar wenn es günstig für Sie gewesen, würde diese Erinnerung allein schon hinreichen, mich für immer von Ihnen zu entfernen.«
Bei diesen Worten wechselte Darcy die Farbe, die Bewegung schien jedoch vorübergehend, und er hörte ihr, ohne Versuch sie zu unterbrechen, mit scheinbarer Ruhe zu, als sie folgender Maaßen fortfuhr:
»Ich habe alle mögliche Gründe, schlecht von Ihnen zu denken. Nichts ist im Stande, diese ungerechte und unedle Handlung zu entschuldigen. Sie können und werden es nicht läugnen wollen, daß Sie die Hauptursache, wenn nicht die Einzige gewesen sind, dieses Paar zu trennen; den Einen wegen Laune und Unbeständigkeit dem gerechten Tadel der Welt auszusetzen, die Andre wegen getäuschter Erwartung zum Gegenstand des Spotts und Hohns zu machen, und beide Theile ins Elend zu stürzen.«
Sie hielt hier inne und gewahrte mit Unwillen, daß er ihr ohne das geringste Zeichen von Reue zuhörte, ja sie sogar mit einem Lächeln erkünstelter Ungläubigkeit anblickte.
»Können Sie es läugnen, dieß gethan zu haben?« fragte sie.
Mit mühsam errungener Rune erwiederte er: »Ich läugne weder, daß ich alles, was in meiner Macht stand, that, um meinen Freund von Ihrer Schwester zu trennen, noch daß ich mich über das Gelingen dieses Werks freute. Mit ihm habe ich es besser gemeint, wie mit mir selbst.«
Elisabeth würdigte würdigte dieser höflichen Bemerkung keine Antwort In Band I sind Wendungen dieser Art nicht zu finden, wohl aber hier und in Bd. II. In Bd. III werden dagegen Wendungen mit »würdigen« plus Genitivobjekt parallel zu jenem mit Dativ verwendet. Es muss offen bleiben, ob hier unterschiedliche Setzer arbeiteten oder die Übersetzerin für beide Sprachgebräuche verantwortlich ist. In ihrer Übersetzung von Chatherine Cuthbertsons »Adelaide« war jedenfalls die Dativ-Version nicht zu beobachten.; aber der Sinn derselben war ihr nicht entgangen, und diente nicht dazu, sie milder gegen ihn zu stimmen.
»Doch nicht hierauf allein,« fuhr sie fort, »gründet sich meine Abneigung. Lange vorher schon war mein Urtheil über Sie entschieden, ich lernte Ihren Charakter vor einigen Monaten aus Herrn Wickhams Erzählungen kennen. Was haben Sie in dieser Angelegenheit zu Ihrer Entschuldigung zu sagen? Können Sie Thatsachen abläugnen? oder haben Sie auch hierbei irgend Jemandem einen Freundschaftsdienst erwiesen?«
»Sie nehmen ein sehr lebhaftes Interesse an dieses jungen Mannes Angelegenheiten,« sagte Darcy in einem weniger ruhigen Ton, und mit erhöhtem Colorit:
»Wer mit seinem unglücklichen Schicksal bekannt ist, muß ihm inniges Mitleid zollen.«
»Mit seinem unglücklichen Schicksal!« wiederholte Darcy verächtlich, »ja! er hat freilich viel Unglück zu ertragen gehabt.«
»Und durch Ihre Schuld,« rief Elisabeth mit Nachdruck. » Sie haben ihn in seinen jetzigen Zustand der Armuth versetzt, ihn dessen beraubt, worauf er gerechte Ansprüche machen konnte. Sie haben ihm seine schönsten Jahre verkümmert, ihn um seine zu erwartende Unabhängigkeit gebracht. Dieß alles haben Sie gethan, und können dennoch seiner Unglücksfalle mit dem Lächeln der Verachtung erwähnen!«
»Und ist dieß,« rief Darcy, mit großen Schritten das Zimmer messend, »ist dieß Ihre Meinung von mir! Dieß Ihre Ansicht meiner Handlungen! Ich danke Ihnen für das unverhohlene Aussprechen derselben. Das Gewicht meiner Schuld ist nach solcher Berechnung allerdings sehr schwer! Doch vielleicht,« fuhr er, in seinem raschen Gang innehaltend, zu ihr gewendet fort, »würden diese Beleidigungen übersehen worden sein, wenn ich Ihren Stolz nicht durch mein ehrliches Bekenntniß der Bedenklichkeiten, die sich meinen ernsten Absichten entgegengestellt, beleidigt hätte. Diese harten Anklagen wären vermuthlich unterdrückt worden, wenn ich meine Bedenklichkeiten mit größerer Politik verschwiegen und Ihnen dagegen versichert hatte, daß nicht allein Liebe, sondern auch Vernunft und Ueberlegung mich zu diesem Schritt bewogen. Doch jede Art von Verstellung ist meiner Natur zuwider. Auch schäme ich mich der ausgesprochenen Gefühle nicht, da sie natürlich und gerecht sind. Konnten Sie Freude von mir erwarten, über die Aussicht mit Menschen verwandt zu werden, die so tief unter mir stehen?«
Elisabeth fühlte ihren Zorn mit jedem Augenblick zunehmen, versuchte jedoch einen ruhigen Ton zu erzwingen und erwiederte so leidenschaftlos als möglich:
»Sie irren, Herr Darcy! wenn Sie der Art und Weise Ihrer Erklärung die Schuld meiner Antwort beimessen. Sie hat höchstens dazu beigetragen, mir das Bedauern zu ersparen, welches ich nothwendig bei Ablehnung Ihres Antrags empfunden haben würde, wenn dieser mir auf eine geziemendere Weise gemacht worden wäre.«
Er fuhr bei diesen Worten, wie von einem elektrischen Schlag getroffen, zusammen, sagte aber nichts und so fügte sie hinzu:
»Seien Sie indeß versichert, daß ich das Anerbieten Ihrer Hand selbst nicht unter den ehrenvollsten Bedingungen, und mit Hinweglassung aller störenden Geständnisse, angenommen haben würde.«
Sein Erstaunen ward abermals sichtbar, und er schaute sie an mit einem Ausdruck, worin sich Ungläubigkeit und gekränkte Eitelkeit zugleich abspiegelten.
»Vom Anbeginn, ja ich möchte sagen vom ersten Augenblick unsrer Bekanntschaft, erfüllte mich Ihr Betragen mit dem Glauben an Ihren Dünkel und Ihren Hochmuth, und die egoistische Verachtung der Gefühle Andrer legte den ersten Grundstein zu dem Mißfallen, welches durch die darauf folgenden Begebenheiten sehr bald in völlige Abneigung ausartete; und als ich Sie kaum einen Monat kannte, fühlte ich, daß Sie der letzte Mann in der Welt wären, den zu heirathen ich mich je entschließen könnte.«
»Sie haben genug gesagt. Ich kenne jetzt Ihre Gesinnungen und schäme mich, die meinigen ausgesprochen zu haben. Verzeihen Sie den Raub, den ich an Ihrer kostbaren Zeit begangen, und empfangen Sie meine besten Wünsche für Ihr Wohl und Glück.«
Nach diesen Worten verließ er schnell das Zimmer, und Elisabeth hörte ihn im nächsten Augenblick aus dem Hause eilen.
Ihr Gemüth war schmerzlich aufgeregt; sie fühlte sich im höchsten Grade angegriffen und machte dem gepreßten Herzen durch einen heißen Thränenstrom Luft. Ihr Erstaunen über das eben Gehörte nahm mit jedem Augenblick zu. Einen Heirathsantrag von Darcy zu erhalten, von ihm selbst zu hören, daß er sie schon seit mehreren Monaten liebte, und in einem solchen Grade liebte, daß er sie, trotz dem daß er seines Freundes Verbindung mit ihrer Schwester zu hintertreiben gesucht, jetzt selbst heirathen wollte, war ein fast unglaublicher Gedanke. Sie konnte es sich kaum vorstellen, eine solche Leidenschaft erweckt zu haben. Aber sein Stolz, sein abscheulicher Stolz, sein unverschämtes Eingestehen dessen, was er hinsichtlich Johannens gethan, ohne sich jedoch deshalb rechtfertigen zu können, und die gefühllose Art Wickham's zu erwähnen, so wie die von ihm nicht abgeläugnete Grausamkeit gegen denselben, überwogen sehr bald das flüchtige Gefühl des Mitleids, welches seine unglückliche Liebe ihr für den Augenblick eingeflößt hatte.
In diesem aufgeregten Zustand blieb sie, bis das Rollen des Wagens sie in die Wirklichkeit zurückrief In der Vorlage: »zurief«.. Unfähig Charlottens forschende Blicke zu ertragen, eilte sie in ihr Zimmer, und ließ sich durch heftiger gewordene Kopfschmerzen entschuldigen.