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Wie Leufried mit seiner Gesellschaft nach Lissabon reitet und was er mit Walter beschloß.

Leufried und sein liebster Bruder Walter brachten am Abend das Ihrige in Ordnung, nahmen Urlaub von Vater und Mutter und empfahlen ihnen Lotzmann, den Leuen, treulich. Sobald nun der Tagstern am Himmel erschien und die Vögel mit fröhlichem Gesang den neuen Tag verkündeten, sind sie zu Roß gesessen und haben den Weg nach Lissabon mit begierigem Herzen vor sich genommen. Leufried bedachte sich auf solcher Reise mannigfach, wie er sich halten wollte. Zuletzt riet ihm Walter, dem Grafen und seiner Tochter zu schreiben, daß er noch frisch und gesund sei, daß er aber so lange in Lissabon bleiben wolle, bis er eine ritterliche Tat begangen und Rittersorden erlangt habe. Dieser Rat gefiel Leufried wohl, wenn anders Walter die Briefe selbst überbringen wollte. Dies versprach ihm Walter; denn er fürchtete nicht, daß der Graf irgend Gewalt an ihm ausüben würde. Leufried aber hatte einen heimlichen Anschlag gefaßt, mit dem Grafen und seiner Tochter selbst zu reden, den er selbst seinem vertrauten Bruder nicht sagte. Da sie nun nach Lissabon kamen, schrieb er folgenden Brief an Angliana:

»Meinen Gruß, Heil und alle Wohlfahrt Euch zuvor!

Meine herzallerliebste Jungfrau, wie große Trauer mein Hinscheiden von Euch mir gebracht, vermag ich nicht zu beschreiben, aber noch viel mehr beschwert mich Euer hartseliges Leben, in welchem ich Euch ganz elendiglich habe verlassen müssen. Denn sooft ich bedachte, mit wieviel Kummer Ihr überschüttet gewesen, hat mir mein Herz in meinem Leibe geweint; denn gewiß war es Euch sehr traurig, daß der, zu dem Ihr alles Vertrauen gesetzt hattet, so flüchtig und ohne Urlaub von Euch geschieden, da ich Euch doch oft versprochen habe, bis in den Tod nicht von Euch zu weichen und allen Unfall willig mit Euch zu leiden. Mit schweren Gedanken habe ich zu Herzen genommen, wieviel zornige, harte und sträfliche Worte Ihr von Eurem Herrn Vater habt hören müssen. Ich schweige der großen Scham vor allem Hofgesinde, welches von Euch gesagt: Seht, wie hat sich unsere Jungfrau so wohl verheiratet, ist sie doch mit einem verlaufenen, hinflüchtigen Jüngling von niederer Geburt behaftet.

Solches gedachte ich, doch ist es besser ergangen; denn der Bote Eures Herrn Vaters hat mir wohl erzählt, daß alles Hofgesinde ein Erbarmen mit uns gehabt. Daß ich durch des treuen Schildbuben Warnung vor dem grimmen Zorn Eures Vaters geflohen, wollet mir nicht verdenken; denn er hätte mich sicher erschlagen, und Ihr würdet die übrige Zeit Eures Lebens in Sehnen und Klagen verzehrt haben. Darum glaubt, daß ich nicht anders als je gegen Euch gesinnt bin und daß ich auf künftigen Sonntag gewiß bei Euch sein werde und Euer liebliches Angesicht anschauen will. Ihr werdet mich aber in verwandelter Gestalt sehen; denn ich lasse mir von grünem Tuch eine Waldbruderkutte machen, ein schönes Büchlein einbinden gleich einem Gebetbuch, in dem werdet Ihr nach aller Länge meine endliche Meinung vernehmen; denn es ist mir nicht möglich, Euch zu lassen. Gott pflege Euer, meine allerliebste Jungfrau.«

Diesen Brief nahm Leufried, versiegelte ihn mit seinem Petschaftring und schrieb dem Grafen auch einen Brief, in welchem er ihn um Verzeihung bat, für das gnädige Geleit dankte und ihm seinen Willen bekanntmachte, nicht eher zurückzukehren, als bis er den Ritterorden erlangt hätte. Mit diesem Brief ritt Walter mit dem Boten den nächsten Weg zu des Grafen Schloß.


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