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Wie Leufried durch einen Kammerbuben heimlich gewarnt ward, sich vor dem Jäger zu hüten.

Der Graf, während er den Anschlag mit dem Jäger faßte, glaubte sich ganz allein in seinem Gemach. Es war aber neben diesem eine andere Kammer, in welcher des Grafen Harnische und Gewehre hingen; in der war von ungefähr ein Kammerbube, der dem Grafen seine Harnische und Waffen putzen sollte. Dieser hörte alle Worte, die der Graf mit sich selbst und dem Jäger redete. Der Knabe hielt sich ganz still; denn er fürchtete, wenn der Graf wisse, daß ihm sein Anschlag bekannt geworden sei, möge er ihn auch umbringen lassen. Da aber der Graf aus der Kammer gegangen war, ging auch der Knabe eiligst von dannen, mit dem festen Vorsatz, den Jüngling vor seinem Unglück zu warnen, wo er es anders zuwege bringen könnte. Er fügte sich heimlich in den Marstall zu dem Pferde des Jünglings, schrieb ein Zettlein und band das dem Pferd an seinen Kamm, damit, wenn der Jüngling das Pferd kämmen und striegeln wollte, er den Zettel finden möge. Der Zettel aber lautete also:

»O Jüngling, deine heimliche Liebe ist bekannt geworden, darum stellt man dir hart nach dem Leben. Des sei gewarnt und hüte dich mit Fleiß vor dem mörderischen Jäger.«

Solcher Zettel schrieb der Bube etliche und steckte ihm auch einen in sein Kammerschloß. Und als Leufried nachts in seine Kammer gehen wollte und den Schlüssel nicht in das Schloß bringen konnte, fand er den anderen Zettel, den er nicht ohne großen Schrecken las, fügte sich auch eilends zu seinem Bruder Walter und offenbarte ihm alles.

»O Leufried«, sagte dieser, »laß uns nicht säumen, eilends von hinnen zu fliehen, denn hat der Graf sich solches vorgenommen, so wirst du ihm schwerlich entrinnen.«

»Fürwahr«, sagte Leufried, »mein Herr ist mir heute begegnet und hat mich ganz zornig gegen seine Gewohnheit angesprochen und ist auch ganz über mich errötet. Solches gibt mir genügsame Anzeigung, daß ich nicht umsonst gewarnt worden bin. Dazu hat mich der Jäger auch so freundlich nie angesprochen als heute, woraus ich auch abnehmen muß, daß er mit Listen gegen mich umgeht. Darum, lieber Walter, wollest du stracks gerüstet sein; denn ich will mich morgen an dem Schalk versuchen und ihn in der Frühe ansprechen, mit mir und dir in den Wald spazierenzureiten. Alsdann will ich wohl mit Listen aus ihm bringen, ob er mir nach meinem Leben trachtet oder nicht. Befinde ich ihn dann zweifelhaft, so soll er dermaßen von mir bestanden besiegt. werden, daß er keinem mehr so mörderischerweise nachstellen möge.«

Also gingen die zwei Jünglinge in großen Sorgen zu Bett. Die Nacht war ihnen sehr lang, Leufried klagte oft, daß er jemals an des Grafen Hof gekommen sei und Angliana seiner Dienste und Liebe wahrgenommen habe.

»O Leufried«, sagte Walter, »ich stehe jetzt um dein und mein Leben in größeren Sorgen, als da mich die Räuber an den Baum gebunden hatten; denn gewiß wird der Graf noch andere Praktiken angerichtet haben, damit, wenn ihm das eine fehlschlägt, ihm doch das andere gelinge.«

Dieweil sie so in großen Ängsten lagen, hörten sie ganz leise an ihrer Kammer anklopfen. Leufried stand geschwind auf und fragte, wer klopft, doch nahm er vorher sein gutes Schwert zu Händen. Der Junge gab aber nur leise Antwort und sprach:

»O ihr Jünglinge, versperrt mich nicht lange heraus; denn ich komme euch zu großem Trost und bin auch ebender, so euch treulich mit seinem Schreiben gewarnt hat.«

Sobald Leufried dies hörte, schloß er auf und ließ den Knaben herein. Der erzählte ihm von Wort zu Wort alles, was er von dem Grafen und seinem Jäger gehört hatte, und sie wurden dadurch wieder etwas getröstet, daß sie sich nur vor dem Jäger zu fürchten hatten. Der Junge verband sich, mit ihnen davonzulaufen, und also blieben sie die Nacht beieinander. Doch baten sie den Knaben, an dem Hof zu bleiben, bis zu einer besseren Zeit.


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