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Wie Leufried abermals von Angliana bei ihren Neujahrsgaben ausgeschlossen ward und wie sie ihm darnach spottweise einen goldenen Faden von ihrem Stickrahmen gab.

Es fügte sich aber am Neujahrstag, daß Angliana ihrer Gewohnheit nach tat. Sie befahl Leufried, alles Hofgesinde zu einer bestimmten Stunde auf ihr Zimmer zu berufen, daß sie die Neujahrsgabe von ihr empfingen. Leufried war sehr willig hierzu; denn er hoffte, Angliana werde ihn gewiß wohl begaben, da er ihr Diener war und stets auf ihren Dienst wartete. Als sie aber versammelt waren, jeglicher auch seine Gabe empfangen hatte, von dem ersten bis zu dem letzten, und die Reihe nun an den guten Leufried kam, sagte Angliana mit leeren Händen:

»Deiner, Leufried, habe ich wahrlich vergessen, aber gedulde dich, ein anderes Jahr will ich dich zweifach belohnen.« Dies aber tat sie allein, um zu versuchen, wie sich der Jüngling halten werde. Leufried wendete sich mit einem großen Seufzer von der Jungfrau; ihre Worte hatten ihm gleich einem Schwert das Herz durchschnitten. Ganz schamrot verließ er das Gemach, begab sich auf sein Kämmerlein und begann recht von Herzen zu weinen und zu klagen. Als aber Leufried den anderen Morgen sein Amt wieder in Anglianas Gemach verrichtete, stand er vor der Jungfrau, die an einem Rahmen gar köstliches Gewirk wirkte, und seufzte in seiner Betrübnis gar schwer und tief. Die Jungfrau merkte dies gar wohl, doch tat nicht dergleichen, weil ihre Jungfrauen noch meist in ihrer Stube waren. Als diese sie aber verlassen hatten und Leufried, sooft er sie anblickte, immer noch gar tief und schwermütig seufzte, sagte sie mit lachendem Munde und freundlichen Worten zu ihm:

»Mein lieber Leufried, wisse, daß ich dich um zwei Dinge gern fragen möchte, erstens, ob du jenes Lied von der Armut, das du vorigen Sommer so oft gesungen, selbst gedichtet hast und wen es berührt; sodann möchte ich wissen, was dich doch heute und gestern so zu tiefen Seufzern bewogen, davon wollest du mir, lieber Leufried, nichts verhehlen.«

Der Jüngling schwieg nicht lange auf die Frage der Jungfrau und sprach:

»Wohlgeborene, gnädige Jungfrau, ich bin bereit, Euch die beiden Fragen zu erklären. Jenes Liedlein habe ich selbst gedichtet, und Euer Gnad ist allein schuld daran; denn vor einem Jahr hat Euer Gnaden, wie auch gestern, alles Hofgesinde beschenkt, allein mich armen Küchenbuben ausgeschlossen. Nun aber, da ich Euer Diener geworden und Ihr mich abermals übergangen habt, bin ich darüber in solches Trauern und Seufzen gefallen.«

Da die Jungfrau dies von Leufried vernommen hatte, gedachte sie heimlich bei sich, wie sie dem guten Jungen abermals zu klagen verursachen wollte, damit er ihr etwa noch ein Liedlein davon machen sollte. Jedoch nahm sie sich vor, ihm bald hernach eine reiche Verehrung zu geben. In solcher Gesinnung nahm sie einen gezwirnten Goldfaden, der an ihrem Wirkrahmen hing, und gab ihn mit spöttlichen Worten dem guten Leufried, sprechend:

»Damit du, lieber Diener, nicht abermals klagen mögest, ich hätte dich vor allen gänzlich zurückgesetzt, so nimm diese reiche und köstliche Gabe und bewahre sie wohl, damit du sie mir aufs Jahr abermals vorzeigen und dartun könnest, wie du meine Gaben verehrst.«

Leufried empfing den Goldfaden mit großer Freude und sprach:

»Gnädige Jungfrau, diese Gabe will ich so wohl aufbewahren, daß ich nimmermehr darum kommen werde.«

»Das tu«, sagte Angliana, »damit wirst du mich bewegen, dir in Zukunft mehr noch zu schenken.«

So redete Angliana zu dem Jüngling; aber seine große Liebe war ihr gänzlich verborgen, auch dachte sie wohl gar nicht daran, wie der Jüngling den Goldfaden bewahren würde. Leufried aber nahm Urlaub von der Jungfrau und ging eilends in sein Gemach.


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