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Wie den Grafen große Reue überkam, da er vernahm, daß ihm sein Anschlag mißlungen war, und wie er Angliana und Florina mit rauhen Worten anfuhr.

Da der Graf glaubte, der Verräter wäre seinem Befehl nachgekommen, hat er mit großer Freude auf ihn gewartet. Da aber nun die Nacht herangekommen und der Mörder nicht wiederkehrte, ist er ganz angsthaftig geworden, daß Leufried noch im Leben sein möge.

Ach, sagte er zu sich selbst, wie wird mir's gehen, wenn Leufried den Jäger überwunden hat und kommt zu dem König und begehrt, sein Diener zu werden. Da werden alle meine bösen Anschläge offenbar werden. Ich sollte vorher bedacht haben, daß dem Jüngling niemand obsiegen wird. Warum habe ich ihn nicht mit meiner eigenen Hand umgebracht oder habe ihm meine Tochter zu einem Weib gegeben? Wer weiß, der Jüngling möchte sich so wohl und ritterlich gehalten haben, daß ich ihn ganz liebgewonnen hätte. Wohlan, ich will nach meiner Tochter und ihrer Helferin schicken, sie auch mit Worten dermaßen strafen, daß sie mir nichts verschweigen werden.

Alsbald ist der Graf in seiner Tochter Zimmer gegangen mit brennenden Augen, zornigem Antlitz und Gebärden, worüber beide Jungfrauen ohne Maßen erschrocken sind; denn der Graf sagte:

»Angliana, gedenke, daß du morgen zur Primzeit sechs Uhr morgens. mit Florina in mein Gemach kommst; denn ich habe etwas Nötiges mit euch zu reden.«

Wer war erschrockener als die beiden Jungfrauen, und Florina gedachte sogleich bei sich: Wehe uns! Der Graf hat Leufrieds Brief durch die Närrin bekommen. Ach, wie wird es mir armen Jungfrau gehen! Ich sorge, Leufried hat mich in seinem Schreiben verraten.

Als der Graf wieder hinweggegangen war, weinte Angliana bitterlich, so auch Florina. Dadurch alle die anderen Jungfrauen auch in Mitleid bewegt wurden und alle mit trauerten und weinten, wiewohl keine wußte warum. Angliana erholte sich zuerst, wischte die Tränen von ihrem Angesicht, sprechend:

»O ihr meine liebsten, getreusten Gespielen, ihr habt gewiß den Zorn meines Vaters bemerkt; ich bin es, die es allein verschuldet hat. Ich habe Leufried, den edlen und teuren Jüngling, in ganzer Treue, Zucht und Ehre geliebt. So ist er meiner Liebe auch würdig, ja er verdient seiner Tugend und Mannheit wegen wohl eines Königs Tochter. Wer ist an unserem Hof mehr von meinem Vater gepriesen und belobt worden als Leufried. Wer hat mehr tapfere und männliche Stücke begangen als dieser Jüngling! Solches muß ihm mein Herr und Vater selbst bezeugen. Ach, möchte ich nur wissen, ob der Jüngling von meinem Vater umgebracht oder bloß weggeschickt worden. Hat er ihn umgebracht wegen meiner Liebe, so will ich ihm in Leid und Schmerz eine getreue Nachfolgerin sein; denn solange ich nicht erfahren mag, wie es um meinen lieben Jüngling steht, will ich mich aller Speise und Nahrung enthalten und meinen Leib so lange kasteien, bis meine Seele sich nicht mehr erhalten mag. Hat ihn mein Vater aber nur von dem Hof verwiesen, ei, so hoffe ich, noch gute Stunden zu erleben, daß ich ihn wiedersehen werde. Darum, meine liebe Florina, sei getrost! Dir soll meinetwegen nichts von meinem Vater geschehen. Ich will dich gegen ihn verantworten, du bist es allein, die mir diese Liebe abgeraten und mir alle die Gefahr und Sorge vorgestellt, die mich jetzt getroffen. Das aber wollte ich ja alles gern mit Geduld ertragen, aber ich fürchte, mein Vater hat sich von seinem Zorn überwinden lassen und getan, was ihn manchmals reuen wird.«

Sobald sie solches geredet, hat sie ihre Jungfrauen beurlaubt und sich nach ihrer Schlafkammer begeben, sich auch in ihren Kleidern auf ihr Bettlein gelegt und mit sich selbst jämmerlich angefangen, ihren Jüngling zu beweinen; denn sie glaubte nicht anders, als der Graf habe ihn umgebracht.

O du mein herzallerliebster Leufried, hast du von wegen deiner Treue und Liebe eines bösen Todes sterben müssen, so muß mich deine Schönheit und Zucht immer gereuen. Warum hat mein Vater solches nicht an mir gestraft und mich statt deiner töten lassen?

Solche Klage trieb sie die ganze Nacht über und sehnte sich nach dem Tag, von ihrem Vater zu vernehmen, wie es um den Jüngling stehe. Nicht minder hatte Florina eine schwere Nacht; denn sooft sie entschlummerte, kamen ihr schwere Träume für, und das währte so lange, bis der Morgenstern den jungen Tag freudig heraufbrachte.


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