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Praterkino

Vor dem Eingang sprudelt der Herr Portier. Breitgoldene Borte um das Kappenrund leuchtet ihn empor in Amtsregionen. Wäre er barhäuptig nur, erschiene er mir und den andern sehr zu seinem Schaden als personifizierte Dienstfertigkeit. Denn kleingewachsen und Untertan ist sein Wesen zahlenden Mächten der Umwelt gegenüber und lichterloh entzündbar an leisem Banknotenknistern. So aber, breitrandige Chargengloriole ums Haupt, erweckt er demütigende Ideenassoziationen wie: »Amt und Würden«, »Zucht und Ordnung«, »Hintertürl und Bestechung«. Dank dieser Amtskappe erhält er auch äußere Berechtigung, zwischen Nur-Jugendlichen und Schon-Sechzehnjährigen zu unterscheiden und der Bartlosigkeit verdächtige Besucher je nach der Höhe des Trinkgeldes in diese oder jene Kategorie mit beamteter Unerbittlichkeit einzureihen. Man kann der Minderjährigkeit entgehen, wenn man aus Rücksichten auf seinen Nebenverdienst zehn »Sporteln« verlangt und also durch Nikotinismus Kinoreife beweist.

Sein: »Prrrogrrrammm« ist ein kurzheftiger Trommelwirbel, den er jedem Besucher entgegenpoliert, und verspricht schon Spannung, Sensation, Aufgeregtheit, täte er selbst nichts mehr dazu. Aber auf den Trommelwirbel folgen Fanfarenstöße, gesprochenes Feuerwerk: »Das rote Aß«, und »Aß« fällt wie zischender Funken aus Loderbrand, daß man glauben muß, ein Loch im Rock bekommen zu haben. »Das rote Aß« ist das unerhörteste Filmzauberwerk sämtlicher Kontinente, in Amerika herausgepulvert mit einem Aufwand an Munition, wie ihn der letzte Weltkrieg gebraucht hat, und enthält in komprimierter Form zweimal hunderttausend Kriminalromanserien; ein Extrakt aus allen Greueltaten der Verbrechergeschichte. Von der Stirn des Herrn Portiers rinnt Begeisterung in Schweißströmen, wenn er die Vorzüge des »roten Aß« mit polternden Zungenlauten vor den staunenden Zuhörern preist.

»Das rote Aß« wird im Praterkino von den Zuschauern gegeben. Slowakische Arbeiter, kleiner Goldreif im linken Ohrläppchen, rotgeblümtes Halstuch, Soldatenhemd, grauweiß geschecktes Gesicht und heraushängende Augenkugeln, gleichsam ohne Zusammenhang mit dem Hirn. Dirnen und Zuhälter, lärmende Schminke auf Backenknochenpolen, bandagierte Hände, verkommene Krüppel. Alle Menschen hier kommen von der Filmleinwand, kommen aus den berüchtigtsten Slums, aus dem Wilden Westen. »Das rote Aß« beginnt vor der Vorstellung.

Glöckchenbimmel, Türen auf, Kommandorufe: Rechts gehn, Fohtöhl links, Menschenfleischdunst krallt sich qualmend um Brust und Hals, Dunkel überrumpelt dich wie übermächtiges Raubtier. Hinter deinem Rücken bereitet sich surrend Unheil vor, bleiches Lichtbündel zuckt aus quadratischer Augenöffnung, fährt scharf und pfeilschnell, Finsternis spaltend, über systematisiertes Gewirr von Köpfen, zeugt mit fahler Leinwand verruchtes Geschlecht verzerrter Schattenteufel. Unerklärliches geschieht, meine Nachbarin von links hält einen rauchenden Revolver, schießt besinnungslos, ist Kellnerin in einer Wildwestschenke, ihr Chef ist der Kinoportier, ja, dieselbe Tellermütze mit dem breiten Goldstreifen – steht er nicht mehr draußen? Nein, Schankwirt ist er in der Nähe der Goldgruben, er verkauft keine »Sport«, sondern lehnt an einem Bierfaß; ha! jetzt habe ich ihn erkannt: So ist er, seine Augen gefielen mir nicht, noch als ich eintrat, sie hatten so eine zwinkernde Bestialität in Stellung und Ausdruck. Natürlich, jetzt weiß ich's: Einen geheimnisvollen Menschen hat er in seinem Oberstüberl verborgen, einen Doktor Diaz, der um jeden Preis das Geheimnis der fabelhaften Munitionserzeugung wissen muß und nun den Detektiv beseitigen will, jenen glattrasierten Menschen mit der zynischen Mundfalte und dem Aha-weiß-schon-Blick, der sich vorhin bei der Kassa einen Fohtöhlsitz kaufte. Sein Freund aber ist der »kleine Bär«, ein ungemein geschickter Mensch, der soeben noch, bürgerlich solide in Haltung und Winterrock, Plätze angewiesen hat und dem ich nie zugetraut hätte, daß er von dem Rücken eines galoppierenden Rappen auf den höchsten Zweig eines Baumes springen kann, um den Detektiv zu retten. Die Freundin aber, ich weiß schon, jetzt entspinnt sich ein Liebesverhältnis, jene Blondine, blaß, Lockenkopf, rührend-weiblich und männlich-mutig, die – sitzt sie nicht zwei Reihen hinter mir? Ach, die Arme hockt in einer Felsenhöhle, sie wird wohl erst bestenfalls im vierten Akt herauskommen können, und bis dahin ist ihre Munition längst verpfeffert. Und das alles wegen des Schankwirts! Der Teufel hole den Kinoportier!

Ein blutlüsterner Indianer, braunglänzend, ich rieche seinen Juchtendunst, kriecht gewandt auf allen vieren, duckt sich, lugt aus, seine Augen, Gott! wo hab' ich die schon gesehn? Das ist der slowakische Arbeiter mit dem Goldring im Ohrläppchen; wo der nur so schnell die Indianermontur herhat, möcht' ich wissen. So ein Vieh, von dem elenden Diaz gekauft! Ha! jetzt hat sie ihn getroffen. Dieser Slowake stirbt wirklich wie ein Indianer.

Ein wuchtiger Hieb auf ein Trommelkalbfell begräbt die restlichen Töne der Musik. Im Hintergrund zischt es, giftige Schlange oder so. Licht bricht aus zehn Birnen in die Welt, neben mir die Kellnerin, vor mir der Detektiv, der »kleine Bär« ruft: »Nächste Vorstellung acht Uhr abends«, sein Winterrock ist gar nicht beschädigt von der selbstmörderischen Kletterei. Aus aufgeplatzten Türen strömt Masse in zweitem Aggregatzustand, und draußen steht immer noch der heimtückische Schankwirt als Kinoportier verkleidet und trommelt Prrrogrrrammmwirbel...

Der slowakische Arbeiter verliert sich irgendwo im Pratergebüsch, wo er herumspionieren will. Heute Nacht noch stirbt er einen Indianertod.

Josephus

Der Neue Tag, 4. 4. 1920

 


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