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Deutsch-Kreuz

In Deutsch-Kreuz war Tanz- und Polterabend.

Die weiten Gehöfte leer, und nur die Alten waren zu Hause geblieben. Von Zeit zu Zeit kamen ein Kind oder ein Großvater des Weges daher und erzählten, daß »Marie-T'res« ein Sacktuch wünsche.

In Deutsch-Kreuz ist die Institution der Parkettböden nicht bekannt. Man tanzt vielmehr im Hofe, und eine Ziehharmonika liefert die nötige greuliche Musik.

Die Mädchen, alle weiß gekleidet und mit schwarzen Kopftüchern, stehen in dichten drei Reihen hintereinander im Hofe, die Burschen stehen auf der anderen Seite, aber eher in Gruppen, viel zwangloser und freier. Manche sitzen drin in der Schenke und tun einen anständigen Zug. Auf einmal geht der Spektakel los:

Aus der mißgestimmten Ziehharmonika flattert ein tiefer Ton auf, wie ein schwerer, plumper Vogel versucht er, eine Weile in der Luft zu bleiben, und fällt dann schwer und plumpsend zu Boden.

Diesem Ton folgt ein heller, junger, es klingt wie ein Hahnenschrei, und auf dieses Zeichen stürzen Burschen ohne Hüte und in Hemdsärmeln aus der Schenke. Im Nu sind die Weiber vergriffen. Der Bursche hält das Mädchen nicht etwa an sich gepreßt, sondern hat beide Arme um ihre Hüfte geschwungen. Der Oberarm bleibt hölzern, steif und fest, so daß das Mädchen in einem Abstand von etwa zehn Zentimetern von seinem Körper entfernt bleibt.

Der Tanz ist vollkommen kunstlos und besteht aus monotonen Drehbewegungen. Man dreht sich so lange, als der Ziehharmonikamensch will, denn es gilt als Schimpf, früher aufhören zu müssen. Man dreht sich in dem engen Hofe, in dem es zum Ersticken heiß ist, bis man im eigenen Schweiße ertrinkt. Der Boden ist naß wie nach einem Platzregen.

Da ich ins Wirtshaus trete, singen die Leute gerade ein heanzerisches französisches Gstanzel:

Von da Nah und von da Fean
Lod' ma olli ein, an jedn gseg ma gean.
Ochzig Hella is Eintrittsgöld
Des wegn is a nit gfölt.
Denn wou spült d'Neuhausa Musi
Dou is a Hetz, a Gschpusi.

Man entdeckt an mir Kragen und Krawatte, hält mich für einen kommunistischen Agitator, und feindselige Stille tritt plötzlich ein. Der Wirt poltert los:

»I kenn' Ihna gar nicht!«

»Das macht nichts! Sie sollen mich kennenlernen!«

»Was wollen S' denn?«

»Was zu essen und einen Wein! Und schlafen möcht' ich hier!«

»Z' essen hob i selber nix, und schlofn können S' net. An Wein können S' habn, wenn Sö Blaugeld han.«

Ich han Blaugeld und trinke einen Wein. Weil ich mit einer Hundertkronennote zahle, kommt ein Rotgardist plötzlich auf mich zu und nimmt mir dreihundert Kronen ab, worauf ich mich schleunigst aus dem Staube mache.

Hundertkronennoten darf nämlich niemand besitzen, es sei denn ein Rotgardist.

Nun aber kannst du in Deutsch-Kreuz drei Stunden lang herumwandern und findest kein Quartier und kein Brot. Du bist ein Fremder und wirst verachtet. Kragen, Krawatte und Hochdeutsch verraten dich. Entweder bist du ein Spion der Szegediner, so hat man Angst. Oder du bist ein Agitator Kuns, so haßt man dich. Du kannst verhungern. Zumal, da sowohl der Herr Pfarrer als auch der Herr Notar irgendwo beim Tarock sitzen.

Plötzlich sehe ich die Große Mohrengasse auftauchen.

Hausierergesichter, typische Leopoldstadt. Eine Judengruppe. Sie reden hochdeutsch mit den Händen. Ihre Bewegungen halten die Mitte zwischen Bedächtigkeit und Leidenschaft. Sie reden Leitartikel über Bela Kun. Bleiche Pogromangst spukt um sie herum.

In Deutsch-Kreuz sind sie zu Hause. Da ich einen um Quartier bitte, läßt er mich durch einen rothaarigen, sommersprossigen Judenjungen nach dem Hause eines Glaubensgenossen führen. Ich bekomme Brot und Eier und ein Bett. Ich teile das Zimmer mit einer gelähmten Großmutter, dem Ehepaar und zwei hübschen, schwarzäugigen Töchtern. Am Morgen erlege ich nicht weniger als fünfzig Kronen in Blaugeld und wandere weiter.

Aber über die Juden in Deutsch-Kreuz muß ich noch erzählen.

Der Neue Tag, 9. 8. 1919

 


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