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Die Metamorphose des »Sperrsechserls«

Von vornherein sei die Aussichtslosigkeit eines Kampfes gegen eine durch Wurschtigkeit und Wahlzettelfangpolitik der österreichischen Parteien geheiligte Institution zugegeben. Eine Institution, deren Vormärztum sich dauerhafter erwiesen hat als die so oft beschworene Ewigkeit von Kronen, Dynastien, Vaterländern. Eine Institution, so österreichisch, daß sie die Wahrheit des Sprichwortes »Austria erit...« hausmeisterlaternenklar beweist, und durch ihre geheimnisvolle Stabilität so irritierend, daß der Gegenwartsmensch, der von dem Unglück betroffen wird, zufällig nach 8 Uhr abends aus Mitteleuropa nach Wien verschlagen zu werden, seinen Taschenkalender von 1920 für einen faulen Zauber hält. Eine Institution, die über Revolutionen und soziale Erdbeben triumphierend ihren Haustorschlüssel schwingt und eher bereit ist, ihn auf die demütigen Häupter von Mietern und Nationalversammlungskandidaten niedersausen zu lassen, als ihn aus der Hand zu geben. Gegen eine solche Institution anzukämpfen ist vergebens.

Dennoch sei hier der Versuch gewagt, ernste Bedenken gegen den Beschluß des Reichsvereines der Hausbesorger und Portiere Österreichs zu erheben, der das Sperrgeld mit 2 Kronen festsetzen will. Wenn ein solcher Versuch weder originell noch aussichtsreich genannt werden kann, so doch immerhin mutig. Vielleicht waren die bis nun seit jeher mit Hausmeistern geführten Auseinandersetzungen zu wenig ernst, um besser wirken zu können. Man kann mit bloßen Spötteleien nicht darüber hinweg, daß der österreichische »Hausmeister« und das »Sperrsechserl« am schlagendsten beweisen, wie sehr uns der Torschlüssel zu unserer persönlichen Freiheit fehlt. Es gibt ernstere Sorgen, gewiß! Aber unter den vielen herabwürdigenden Spezialitäten, unter denen der österreichische Mensch leidet, gibt es vielleicht keine mehr demütigende als dieses Strafporto für die Beförderung seines eigenen Ichs in die eigene Wohnung.

An dem Sonntag der Märzfeier – sehr sinnreich – hielt der Reichsverein der Hausbesorger und Portiere Österreichs im Alten Rathause eine Versammlung ab, die sich zu einer –Vormärzfeier gestaltete. »Das Sperrgeld für ein einmaliges Aufsperren wird mit zwei Kronen bestimmt.« Warum nicht? Auch die Straßenbahn hat einmal ein Sechserl gekostet! Sollte der Hausmeister just billig bleiben? »Sperr- und Reinigungsgeld seien das Haupteinkommen eines Hausbesorgers, und nach der heutigen Kaufkraft des Geldes sollte man eigentlich zwanzig Kronen Sperrgeld fordern.« Der Reichsverein der Hausbesorger und Portiere Österreichs scheint nicht im geringsten daran zu zweifeln, daß ein Hausmeister österreichischen Stils ebenso notwendig ist wie etwa die Straßenbahn.

Ganz abgesehen davon, daß das »Sperr- und Reinigungsgeld« vielleicht in keinem einzigen Fall »das Haupteinkommen des Hausbesorgers« bildet (kennt jemand einen Hausmeister, der keinen anderen Beruf hat?), ist das Beharren auf der Institution des Sperrgeldes seitens des Reichsvereines durchaus nicht so »proletarisch« und dem sozialistischen Zeitgeist entsprechend, wie es sich dieser Verein vielleicht denkt. Der Ursprung dieses Sperrgeldes ist doch eigentlich dem des Trinkgeldes verdächtig ähnlich. Während Straßenbahnschaffner und andere ehrlich arbeitende Proletarier das Trinkgeld als die Proletarierehre beeinträchtigend abgewiesen haben, während sich die Kellner und Friseurgehilfen vom Trinkgeld zu emanzipieren suchen, will der Reichsverein der Portiere und Hausmeister das erhöhte Trinkgeld. Das Entwürdigende des Trinkgeldes fühlt der einzelne Hausmeister sicherlich. Er macht es wett dadurch, daß er den Mieter einer noch schlimmeren Entwürdigung teil werden läßt. Denn nur so, unter gegenseitigen Entwürdigungen, wickelt sich der österreichische Verkehr ab.

Zwei Kronen Sperrgeld, das sind im Jahr siebenhundertzwanzig Kronen. Die Mietzinsabgabe beträgt bei einer Mietzinshöhe von 900 Kronen und darüber nur fünfundvierzig Kronen. Zu den 720 K. Sperrgeld kommen noch 100 Prozent Reinigungsgeld. Die Steuerschraube des Hausmeisters ist schlimmer als die des Staates. Selbst wenn man annimmt, daß die Tätigkeit des Aufsperrens die Möglichkeit eines eventuellen Einbruchs verhindert, so ist zu bedenken, was kostspieliger ist: hie und da ein Einbruch oder allabendliches Sperrgeld ...

Aber nicht einmal ein Einbruch wird durch die Institution des Sperrgeldes verhindert. In den größten Städten Europas geschehen weniger Einbrüche als in Wien. Ein Einbrecher nimmt sich eben selbst in Wien nicht die Mühe, beim Hausmeister anzuläuten, wenn das Kanalgitter zufällig schwer zu öffnen ist. Der Reichsverein der Hausbesorger und Portiere müßte eigentlich auch die Einbrecher zur Entrichtung eines den jeweiligen Einnahmen entsprechenden Sperrgeldes anhalten ...

Ach! So einfach ist die Sache eben nicht. Es ist nicht genug daran, daß der Hausmeister meine Verhältnisse aus dem Meldezettel kennt. Er muß auch über meinen nächtlichen Lebenswandel orientiert sein. Er muß wissen, ob, wann und wie ich nach Hause komme. Deshalb werden wir nie das Sperrgeld loswerden. Und noch eines: Den Kampf, der seit Jahren zwischen den Parteien tobt, den Kampf um den Hausmeister nicht zu vergessen. Der Herr Landeshauptmann wird gewiß eine »Zweikronensperrgeldzahlendmachung« erlassen!

Der Neue Tag, 17. 3. 1920

 


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