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Der Fortschritt der Wiener Kultur, der nur deshalb so langsam ist, weil er wegen der Kohlennot die Elektrische nicht benützen kann und also zu Fuß gehen muß, ist schließlich müde geworden und hat den Krebsgang angetreten. Die Erfolge seiner neuen Gangart erscheinen deutlich sichtbar im Rahmen des Wiener Straßenbildes anno neunzehnhundertneunzehn. Selbigen Jahres ward nämlich die Elektrizität als Beförderungsmittel für untauglich befunden, und allerlei Vehikel aus vorvorigen Jahrhunderten sind aus den Schatten der Vergangenheit in das gedrosselte Tageslicht der heiteren Gegenwart hineingerollt. Auf der Wiener Ringstraße sind zum Beispiel folgende Fahr ungelegenheiten zu sehen:
ein Stellwagen aus dem Jahre siebzehnhundertundeins, der bis nun in den Archiven der Gesellschaft für Altertumsforschung von seinen weiten Fahrten geruht hatte;
eine »Wagenburg« aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges, in der nach durchaus verläßlichen historischen Dokumenten der gottselige Wallenstein selbst gesessen ist, als er im Jahre 1634 eine Zusammenkunft mit seinen Offizieren im Pilsner Hauptquartier hatte;
ein zweirädriges Kabriolett, das Marie Antoinette bei gewissen Ausfahrten höchstpersönlich gelenkt haben soll; eine Diligence, in der Metternich eine Reise nach Karlsbad unternommen hatte.
Außerdem noch: Zeiserlwagenruinen aus der Zeit Bauernfelds und Schwinds; zertrümmerte Postkutschen; Streifwagen mit improvisierten Sitzgelegenheiten aus Papierersatz. Schubkarren und Sänften fehlen noch.
Eine praktische Neuerung wären Pendelleichenwagen vom Schottentor zum Zentralfriedhof. Die Passanten würden um den Preis von sechzig Hellern – gewiß nicht zu teuer – auf den Friedhof hinausbefördert und könnten sich dort alsogleich halblebendig begraben lassen, um dem Wiener Winter leicht und schmerzlos zu entgehen.
Die Behörden seien hiermit darauf nachdrücklich aufmerksam gemacht!
Der Neue Tag, 23. 9. 1919