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Das war schon in der Monarchie ein Unterschied: Im Dienst konnte man z.B. ein Auge zudrücken. Außer Dienst durfte man sogar beide offenhalten.
Im Dienst sagte man: Sie und Schweinehund. Außer Dienst war man selbst einer und per du.
In der Republik gibt es auch: in und außer Dienst. Sowohl punkto: Schweinehund als auch punkto: Auge zudrücken. Böse Zungen sagen, in der Republik würde man sogar beide Augen zudrücken. Aber sicher ist nur, daß wenige beide offenhalten ...
Dennoch hielt ein Arbeiterrat auf der Westbahn beide Augen, während er die Reisenden revidierte, offen, und zwar in dem Übermaß, daß ein anderer Arbeiterrat, der außer Dienst war und im Vertrauen auf seinen Titel Butter hereinbringen wollte, von dem ersteren angehalten wurde. Zwischen beiden entspann sich folgender Dialog:
»Sö, dös geht net.«
»Oba, was willst?«
»Nix du', jetz'n bin i im Dienst.«
»Wannst mir d'Butter wegnimmst, kriagst deine fünf Kilo bei der Mutter net mehr!«
»Na, dann geh zua!«
Es hatte sich herausgestellt, daß der schmuggelnde Arbeiter eine Greißlerin zur Mutter hatte, die dem revidierenden Arbeiterrat fünf Kilo Butter in regelmäßigen Zeiträumen so hintenherum abzugeben pflegte. Ein böser Zufall fügte es, daß just dieser Arbeiterrat jene Butter konfiszieren sollte, die ihm selbst hätte zugute kommen sollen. Seine eigene Strenge strafte ihn. Sein Ich in Dienst nahm Stellung gegen sein Ich außer Dienst. Der tragische Konflikt war gegeben. Die Katastrophe unterblieb, weil der Anlaß aus Butter bestand. Denn mit der Butter ist das so eine heikle Sache: Man darf sie nicht im Rucksack führen, man muß sie aber doch haben – außer Dienst. Man soll sie konfiszieren – im Dienst. Man darf sie nicht fünfkiloweis bei einer Greißlerin beziehen. Man soll sie ihrem Sohn aber wegnehmen. Denn dieser führte sie im Rucksack. Sie wäre ihm wirklich abgenommen worden, wenn jener sie nicht – am Kopf gehabt hätte. –
Josephus
Der Neue Tag, 17. 8. 1919