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Wien ist wohl eine der ganz wenigen Großstädte, in denen die Polizei einen organischen Bestandteil der Bevölkerung bildet, aus dieser heraus- und mit ihr zusammengewachsen. Die sprichwörtlich gewordene, in der letzten Zeit leider zu den arg rationierten Artikeln zählende Gemütlichkeit hatte selbst dem »Wächter« den Stempel ihres Lächelns aufgedrückt, und eine Wiener Amtshandlung war stets umflossen von Glorienschein einer gutbürgerlichen Behaglichkeit. In Wien zwinkerte manchmal das Auge des Gesetzes gutmütig bei Anlässen, die in Berlin z.B. schon zumindest ein strenges Blicken verursacht hätten. Das ebenso berühmte wie berüchtigte österreichische »Hintertürl« konnte sich infolgedessen häufig leicht und glatt in den Angeln bewegen. Aber weder daraus soll der Polizei ein Vorwurf gemacht werden noch auch aus dem Umstande, daß dieselbe Wiener Polizei gerade in den letzten Wochen, sicherlich gegen ihren Willen, rigoroser, als es ihre Art ist, werden mußte. Beweist doch das erstere, daß »Dienst« nicht Herzlosigkeit bedingt, und das zweite, daß die Strenge zur richtigen Zeit angewendet wird. Und so verdient es unsere Polizei, daß ihrer heute, da sie das fünfzigjährige Jubiläum ihres Bestandes feiert, gedacht werde.
Der unter dem Schriftstellernamen U. Tartaruga bekannte Polizei-Oberkommissär Dr. Ehrenfreund hat über Auftrag des Polizeipräsidenten eine Jubiläumsschrift verfaßt, die textlich und bildlich besondere Anerkennung verdient. Interessant und mitunter sogar spannend geschrieben, bildet dieses Buch als Lektüre eine Quelle der Unterhaltung und Belehrung zugleich. In dem Kapitel »Historische Entwicklung des Wiener Sicherheitsdienstes« gibt Tartaruga einen knapp zusammengefaßten und dennoch genauen und übersichtlichen Überblick über das Schicksal der Wiener Polizei von ihren ersten Anfängen. Man erfährt, daß just am 13. Mai Anno Domini 1444 der Stadtrat eine sogenannte »Bürgerpolizei« einführte »über lebhaften Wunsch der von allerlei Gesindel beunruhigten Vorstädte«. Etwa hundert Jahre später, im Jahre 1547, entstand die Wiener »Tag- und Nachtwache«, die sich aus 60, sage und schreibe: sechzig Landsknechten zusammensetzte. Diese Landsknechte mit Säbel, Spieß, Fahne, Hellebarde und den unvermeidlichen überdimensionalen Waffensteinstiefeln bildeten den einzigen Sicherheitsschutz der Stadt. Aus der im Jahre 1776 errichteten Militärwache bildete sich dann die sogenannte »Rumorwache« heraus, deren spaßiger Name symbolische Bedeutung gewinnt, wenn man erfährt, daß besagte Wache mehr Rumor zu erzeugen als zu verhindern imstande war. Die Militärwache aber war lange nicht so gemütlich, wie es unsere heutigen Wachleute sind. Ihre Brutalität war gefürchtet, aber dem Spott der damals noch zu Spott aufgelegten Wiener Bevölkerung entging diese Militärwache denn doch nicht, denn ihre mangelhafte Ausbildung und ihre Unkenntnis der Gesetze brachten sie nicht selten in ebenso unangenehme wie tragikomische Situationen. Auch gehörte es seltsamerweise zu ihren Obliegenheiten – sogar Straßenlaternen zu putzen, und man kann sich vorstellen, daß einem Wiener Bäckergehilfen oder Schusterlehrling aus dem achtzehnten Jahrhundert ein um die Reinhaltung der Straßenbeleuchtungskörper lebhaft, aber ungeschickt bemühter Militärwachmann mit Säbel und Gewehr unmöglich Respekt einflößen konnte. So ging denn das Militärwachkorps einem langsamen, aber sicheren Ende entgegen, und als 1867 der damalige Polizeidirektor Strobach von der Pariser Weltausstellung zurückgekehrt war und auf Grund seiner Studien, die er am Pariser Sicherheitsdienst gemacht hatte, der Regierung die Schaffung einer Art »Sergeante de ville« in Wien beantragte, wurde am 2. Februar 1869 mit »Allerhöchster Entschließung« eine »k.k. Sicherheitswache« geschaffen. Unter den für diese Wache Assentierten befanden sich Studenten, Militärs, Privatbeamte, verarmte Geschäftsleute, Berufsmusiker, allerdings auch halbe Analphabeten mitunter. Dennoch entwickelte sich die »k.k. Sicherheitswache« allmählich zu einem einheitlichen, straff disziplinierten Organisationskörper.
Das und noch manches andere erfährt man aus dem Buche Tartarugas. Heute ist der Wachmann eine so selbstverständliche Erscheinung im Wiener Straßenleben, daß er für den Passanten eben nichts anderes ist als ein Bestandteil der Straße, wie eine Plakatsäule, eine Straßenbahnhaltestelle, ein Wartehäuschen, ein Laternenpfahl. Man geht an ihm vorbei und sieht ihn nur, wenn man im Begriffe ist, nach einer mysteriösen Vorstadtstraße zu fragen oder unter die Räder eines italienischen Autos zu geraten. Wer tiefere Ursachen und Zusammenhänge kennenlernen will, möge sich aus der Jubiläumsfestschrift orientieren.
Man wird da mit einem guten Stück Alt-Wiener Lokalgeschichte bekannt, hört manches interessante Ereignis und amüsiert sich zwei Stunden lang über die köstliche Naivität alter »wohlweiser Stadtväter«, ärgert sich wohl auch über manche Vorkommnisse, die dem modernen Wiener beweisen, daß seine Verwandtschaft mit den Schildbürgern keineswegs eine neuzeitliche Errungenschaft ist. Die Wiener Sicherheitswache konnte das Jubiläum ihres fünfzigjährigen Bestandes nicht besser begehen als durch die Herausgabe dieses Werkes. Es ist in Josef Deublers Verlag erschienen und verhältnismäßig billig zu erstehen. Der Historiker findet darin wertvolles Material, der Liebhaber köstliche Anekdoten, der Bürger eine angenehme Lektüre, und selbst »dar Weana« findet hier, was er stets sucht: a Hetz! ...
Josephus
Der Neue Tag, 17. 7. 1919