Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiunddreißigstes Kapitel.
Über wahre und falsche Ideen.

§ 1. Wahrheit und Falschheit kommen eigentlich nur Sätzen zu. – Obgleich Wahrheit und Falschheit im eigentlichen Sinne dieser Wörter nur Sätzen zukommen, so werden doch auch häufig Ideen wahr oder falsch genannt (und welche Wörter gäbe es wohl, die nicht mit großer Freiheit und mit einer gewissen Abweichung von ihrer strengen und eigentlichen Bedeutung gebraucht würden?). Gleichwohl meine ich, daß, wenn die Ideen selbst wahr oder falsch genannt werden, dieser Benennung immer ein verborgener oder verschwiegener Satz zu Grunde liegt, wie wir sehen werden, wenn wir die besonderen Gelegenheiten prüfen, wobei sie wahr oder falsch genannt zu werden pflegen; in allen diesen werden wir eine Art von Bejahung oder Verneinung antreffen, die den Grund zu jener Benennung abgiebt. Denn, da unsere Ideen lediglich Erscheinungen oder Wahrnehmungen in unserem Bewußtsein sind, so läßt sich nicht eigentlich und schlechtweg von ihnen selbst sagen, daß sie wahr oder falsch seien, ebensowenig, wie man von dem Eigennamen irgend eines Dinges sagen kann, er sei wahr oder falsch.

§ 2. Die metaphysische Wahrheit enthält einen verschwiegenen Satz. – Freilich läßt sich in einem metaphysischen Sinne des Wortes »Wahrheit« sowohl von Ideen wie von Wörtern sagen, sie seien wahr, wie man auch von allen anderen Dingen, die irgendwie existieren, sagt, daß sie wahr seien, d. h. daß sie wirklich ebenso seien, wie sie existieren. Obgleich selbst bei Dingen, die in diesem Sinne wahr genannt werden, vielleicht eine geheime Bezugnahme auf unsere als Muster jener Wahrheit angesehene Idee stattfindet, was auf einen im Sinne getragenen, wenn auch gewöhnlich nicht beachteten Satz hinausläuft.

§ 3. Als eine Erscheinung im Bewußtsein ist keine Idee wahr oder falsch. – Wir wollen hier jedoch nicht jenen metaphysischen Sinn der Wahrheit näher untersuchen, wenn wir prüfen, ob unsere Ideen fähig sind, wahr oder falsch zu sein, sondern das gewöhnlichere Verständnis dieser Wörter; und deshalb sage ich, daß von den Ideen in unserem Bewußtsein, die nur ebensoviele dort vorhandene Wahrnehmungen oder Erscheinungen sind, keine falsch ist, indem der Idee eines Centauren, wenn sie in unserem Bewußtsein erscheint, nicht mehr Falschheit zukommt, wie dem Namen Centaur, wenn er von unserem Munde ausgesprochen, oder auf ein Blatt Papier geschrieben wird. Denn, da Wahrheit oder Falschheit immer in einer gedachten oder ausgesprochenen Bejahung oder Verneinung besteht, so kann keine unserer Ideen falsch sein, ohne daß der Geist ein Urteil über sie fällte, d. h. etwas von ihr bejahte oder verneinte.

§ 4. Auf irgend etwas bezogen, können Ideen wahr oder falsch sein. – Sobald wie der Geist eine seiner Ideen auf etwas außerhalb derselben bezieht, sind sie fähig, wahr oder falsch genannt zu werden, weil der Geist, indem er sie in diese Beziehung bringt, ihre Angemessenheit zu jenem Dinge stillschweigend voraussetzt, und je nachdem diese Voraussetzung sich als wahr oder falsch erweist, werden auch die Ideen selbst ebenso benannt. Die gewöhnlichsten Fälle, worin dies geschieht, sind folgende:

§ 5. Gewöhnlich beziehen die Menschen ihre Ideen auf die Ideen anderer, auf das reale Dasein, und auf vermeinte reale Wesenheiten. – 1. Wenn der Geist annimmt, daß irgend eine seiner Ideen mit den gemeiniglich ebenso benannten in den Köpfen anderer Menschen übereinstimme, z. ,B. wenn der Geist meint oder urteilt, daß seine Ideen von Gerechtigkeit, Mäßigung, Religion mit dem, was andere Leute so nennen, identisch seien. 2. Wenn der Geist annimmt, daß eine in ihm vorhandene Idee mit etwas real Existierendem übereinstimme. So ist von den zwei Ideen eines Menschen und eines Centauren, wenn beide als Ideen von realen Substanzen betrachtet werden, die eine wahr und die andere falsch, indem die eine mit etwas wirklich Dagewesenem übereinstimmt, die andere nicht. 3. Wenn der Geist irgend eine von seinen Ideen auf die wirkliche Beschaffenheit und das reale Wesen eines Dinges bezieht, wovon alle dessen Eigenschaften abhängen; und so genommen sind unsere Ideen von Substanzen größtenteils, wenn nicht sämtlich, falsch.

§ 6. Die Ursache solcher Beziehungen. – Diese Voraussetzungen ist der Geist sehr geneigt hinsichtlich seiner eigenen Ideen zu machen. Gleichwohl werden wir bei näherer Prüfung finden, daß dies hauptsächlich, wenn nicht allein, bei seinen abstrakten zusammengesetzten Ideen der Fall ist. Denn, da das natürliche Streben des Geistes auf Erkenntnis gerichtet ist, und da er findet, daß sein Fortschritt sehr langsam und seine Arbeit endlos sein würde, wenn er nur unter den einzelnen Dingen weiter kommen und bei ihnen verweilen wollte, so besteht, um seinen Weg zur Erkenntnis abzukürzen und jede Wahrnehmung umfassender zu machen, das erste, was er thut als Grundlage für eine leichtere Erweiterung seines Wissens, sei es durch eigene Betrachtung der Dinge, die er erkennen möchte, oder durch Unterredung mit anderen über sie, darin, sie in Bündel zusammenzubinden, und dergestalt in Klassen einzuordnen, daß er jede von einem Dinge erworbene Erkenntnis mit Sicherheit auf alle anderen derselben Klasse ausdehnen, und so mit größeren Schritten in seiner Hauptangelegenheit, dem Wissen, vorwärts kommen könne. Das ist, wie ich anderswo gezeigt habe, der Grund, warum wir die Dinge unter umfassende mit Namen belegte Ideen in genera und species, d. h. Gattungen und Arten, zusammen begreifen.

§ 7. Wenn wir deshalb auf die Bewegungen des Geistes aufmerksam achten und bemerken, welchen Lauf er auf seinem Wege zur Erkenntnis gewöhnlich nimmt, so werden wir, meine ich, finden, daß, wenn der Geist eine Idee gewonnen hat, die er, sei es in der Betrachtung oder in der Unterredung, gebrauchen zu können glaubt, das erste, was er thut, darin besteht, sie zu abstrahieren, einen Namen dafür zu beschaffen, und sie dann in seiner Vorratskammer, dem Gedächtnis, zu verwahren als Behälter des Wesens einer Art von Dingen, deren beständiges Zeichen ihr Name sein soll. Daher kommt es, daß, wie wir häufig beobachten können, wenn jemand ein neues Ding von einer ihm unbekannten Art erblickt, er sogleich fragt, was das sei, und mit dieser Frage nichts als den Namen meint, als wenn der Name die Kenntnis der Art oder ihres Wesens mit sich brächte, wofür er allerdings als Zeichen dient, und womit er allgemein für verbunden gilt.

§ 8. Der englische Text wiederholt hier das Rubrum von § 6. Da aber diese abstrakte Idee im Geiste etwas ist, was zwischen dem existierenden Dinge und dem ihm gegebenen Namen mitten inne liegt, so sind es unsere Ideen, worin sowohl die Richtigkeit unseres Wissens wie die Angemessenheit und Verständlichkeit unserer Rede besteht. Und davon kommt es, daß die Menschen so schnell mit der Annahme bei der Hand sind, daß die abstrakten Ideen in ihren Köpfen mit den außer ihnen bestehenden Dingen, worauf sie sich beziehen, übereinstimmen und auch dieselben seien, wozu die Namen, die sie ihnen geben, dem üblichen Sprachgebrauch nach gehören. Denn ohne diese doppelte Übereinstimmung ihrer Ideen würden sie ihrer Ansicht nach sowohl selbst von den Dingen unrichtige Vorstellungen haben, wie auch über sie unverständlich zu anderen reden.

§ 9. Einfache Ideen können mit Bezug auf andere desselben Namens falsch sein, sind dem jedoch am wenigsten ausgesetzt. – Erstens also sage ich, daß, wenn die Wahrheit unserer Ideen nach der Übereinstimmung mit den Ideen anderer Menschen beurteilt wird, denen diese gewöhnlich denselben Namen geben, jede derselben falsch sein kann. Einfache Ideen sind jedoch von allen am wenigsten einem solchen Mißverständnis ausgesetzt, weil man mit Hilfe seiner Sinne und der alltäglichen Erfahrung sich leicht davon überzeugen kann, welche einfachen Ideen durch ihre verschiedenen, allgemein gebrauchten Namen bezeichnet werden, da diese nur von geringer Anzahl und solcher Art sind, daß man etwaige Zweifel oder Irrtümer leicht mit Hilfe der Objekte berichtigen kann, wobei sie vorkommen. Deshalb macht selten jemand einen Mißgriff bei seiner Benennung von einfachen Ideen, oder giebt der Idee »grün« den Namen »rot«, oder der Idee »bitter« den Namen »süß«, und noch viel weniger sind die Menschen geneigt, die Namen von Ideen, die verschiedenen Sinnen angehören, zu verwechseln und eine Farbe mit dem Namen eines Geschmacks zu bezeichnen etc., woraus klar hervorgeht, daß die einfachen Ideen, denen sie irgend einen Namen beilegen, regelmäßig dieselben sind, die andere bei dem Gebrauch eben dieser Namen haben und meinen.

§ 10. Ideen von gemischten Modi können am leichtesten in diesem Sinne falsch sein. – Zusammengesetzte Ideen können in diesem Sinne viel eher falsch sein, und die komplexen Ideen von gemischten Modi viel eher als die von Substanzen, weil bei Substanzen (besonders denen, die in einer Sprache gemeingebräuchliche und nicht entlehnte Namen führen) gewisse leicht bemerkbare sinnliche Eigenschaften, die gewöhnlich zur Unterscheidung der einen Art von der anderen dienen, alle, die bei ihrem Gebrauch der Wörter einigermaßen sorgfältig sind, leicht davor schützen, diese solchen Arten von Substanzen beizulegen, denen sie überhaupt nicht zukommen. Bei gemischten Modi aber befinden wir uns in weit größerer Unsicherheit, da es nicht so leicht ist, zu entscheiden, ob diese oder jene Handlungsweise Gerechtigkeit oder Grausamkeit, Freigebigkeit oder Verschwendung genannt werden muß. Und somit können unsere Ideen im Vergleich mit denen anderer Leute, die denselben Namen führen, falsch sein; und die Idee in unserem Sinne die wir mit dem Worte »Gerechtigkeit« bezeichnen, kann vielleicht der Art sein, daß sie einen anderen Namen erhalten müßte.

§ 11. Oder wenigstens für falsch gehalten werden. – Mögen aber unsere Ideen von gemischten Modi von denen anderer Menschen, die denselben Namen führen, leichter verschieden sein können als andere Klassen oder nicht, so ist wenigstens soviel gewiß, daß diese Art von Unrichtigkeit unseren Ideen von gemischten Modi viel gewöhnlicher zugeschrieben wird, als irgend einer anderen Klasse. Wenn man meint, daß jemand eine falsche Idee von Gerechtigkeit oder Dankbarkeit oder Ruhm habe, so geschieht das aus keinem anderen Grunde, als weil die seinige nicht mit der Idee übereinstimmt, die jeder dieser Namen in den Köpfen anderer Leute bezeichnet.

§ 12. Und warum das. – Der Grund hievon scheint mir folgender zu sein: Da die abstrakten Ideen gemischter Modi willkürlich von den Menschen gebildete Kombinationen gerade einer solchen Anzahl einfacher Ideen sind, also das Wesen jeder Art von den Menschen allein geschaffen ist, und wir dafür kein anderes irgendwo wahrnehmbar existierendes Muster haben als den Namen selbst oder dessen Definition, so haben wir nichts anderes, womit wir unsere Ideen von gemischten Modi wie mit einem Muster, dem wir sie anpassen wollen, vergleichen können, als die Ideen derjenigen, von denen man glaubt, daß sie jene Namen in ihrer eigentlichsten Bedeutung gebrauchen; und deshalb gelten unsere Ideen, je nachdem sie mit diesen übereinstimmen oder von ihnen abweichen, für wahr oder falsch. Soviel über die Wahrheit und Falschheit unserer Ideen mit Bezug auf ihre Namen.

§ 13. Auf reale Existenzen bezogen, können von unseren Ideen nur die von Substanzen falsch sein. – Zweitens, die Wahrheit und Falschheit unserer Ideen mit Bezug auf das wirkliche Dasein von Dingen betreffend, so können, wenn dieses zum Prüfstein ihrer Wahrheit gemacht wird, nur unsere komplexen Ideen von Substanzen und keine anderen falsch genannt werden.

§ 14. Erstens sind einfache Ideen in diesem Sinne nicht falsch, und warum nicht. – I. Da unsere einfachen Ideen lediglich solche Wahrnehmungen sind, die der Weisheit und Güte Gottes gemäß, wenn auch in für uns unbegreiflicher Weise, nachdem, wie er uns geschaffen hat, in uns entstehen, und durch die äußeren Objekten von ihm verliehene Kraft nach festen Gesetzen auf bestimmten Wegen hervorgebracht werden: so besteht ihre Wahrheit in nichts anderem als in den in uns hervorgebrachten Erscheinungen, die den von Gott in die äußeren Objekte gelegten Kräften entsprechen müssen, weil sie sonst nicht in uns entstehen könnten; und indem sie so diesen Kräften entsprechen, sind sie, was sie sein sollen, wahre Ideen. Auch werden sie nicht dadurch dem Vorwurf der Falschheit ausgesetzt, daß der Geist (wie er, glaube ich, in den meisten Menschen thut) über diese Ideen urteilt, daß sie in den Dingen selbst befindlich seien. Denn, da Gott nach seiner Weisheit sie den Dingen als besondere Kennzeichen eingepflanzt hat, damit wir imstande seien, an ihnen ein Ding von dem anderen zu unterscheiden, und, wie die Gelegenheit es mit sich brächte, ein jedes für unsere Bedürfnisse zu wählen, so ändert es die Natur unserer einfachen Ideen nicht, ob wir denken, daß die Idee des Blauen in dem Veilchen selbst oder nur in unserem Bewußtsein, in dem Veilchen selbst aber bloß die Kraft vorhanden sei, durch das Gewebe seiner Teile, die die Lichtpartikeln in einer gewissen Weise reflektierten, sie hervorzubringen. Denn, indem jenes Gewebe im Objekt vermöge einer regelmäßigen und beständigen Wirkungsweise dieselbe Idee des Blauen in uns hervorbringt, dient es uns, mit Hilfe unserer Augen jenes Objekt von anderen Dingen zu unterscheiden, gleichviel ob das besondere Kennzeichen, so wie es realiter in dem Veilchen besteht, nur ein eigentümliches Gewebe von Teilen ist, oder gerade die Farbe selbst, deren genaues Ebenbild die in uns vorhandene Idee bildet. Und es wird gleichermaßen nach jener Erscheinung blau genannt, möge nun diese reelle Farbe oder nur ein eigentümliches Gewebe in ihm jene Idee in uns verursachen, weil der Name »blau« eigentlich nichts bedeutet als jenes in einem Veilchen vorhandene Unterscheidungsmerkmal, was nur mit unseren Augen erkennbar ist, gleichviel worin es besteht, indem eine deutliche Kenntnis hievon über unser Vermögen hinausgeht, und es uns vielleicht von geringem Nutzen sein würde, wenn wir die Fähigkeit seiner Wahrnehmung hätten.

§ 15. Wenn gleich die Idee eines Menschen von blauer Farbe sich von der eines anderen unterscheiden sollte. – Auch würden sich unsere einfachen Ideen nicht deshalb der Falschheit beschuldigen lassen, wenn der verschiedenartige Bau unserer Organe es mit sich brächte, daß derselbe Gegenstand in dem Bewußtsein verschiedener Menschen zu gleicher Zeit verschiedene Ideen hervorriefe; z. B. wenn die Idee, die ein Veilchen im Bewußtsein eines Menschen durch dessen Augen erzeugte, dieselbe wäre wie die in dem Bewußtsein eines anderen Menschen durch eine Ringelblume hervorgebrachte, und vice versa. Denn, da sich dieses niemals erkennen ließe, weil der Geist eines Menschen nicht in den Körper eines anderen übergehen könnte, um wahrzunehmen, welche Erscheinungen durch dessen Organe hervorgebracht würden, so würden hiedurch weder die Ideen noch die Namen irgendwie verwirrt werden oder in einen von beiden eine Falschheit entstehen; denn, da alle Dinge, die das Gewebe eines Veilchens hätten, beständig die von ihm »blau« genannte Idee erzeugten, und die, welche das Gewebe einer Ringelblume hätten, beständig die Idee, die er ebenso beständig »gelb« nennte, so würde er, welche Beschaffenheit diese Erscheinungen in seinem Bewußtsein auch haben möchten, imstande sein, nach ihnen die Dinge für seinen Gebrauch ebenso regelmäßig zu unterscheiden, und die mit den Namen blau und gelb bezeichneten Unterschiede zu verstehen und anzugeben, als wenn die von diesen beiden Blumen in seinem Bewußtsein hervorgerufenen Erscheinungen oder Ideen genau dieselben wären wie die in dem Bewußtsein anderer Menschen entstandenen Ideen. Ich bin gleichwohl sehr zu der Annahme geneigt, daß die von irgend einem Gegenstande in dem Bewußtsein verschiedener Menschen hervorgebrachten sinnlichen Ideen fast immer sehr nahe und ununterscheidbar gleich sind. Dafür, glaube ich, ließen sich viele Gründe anführen; indessen gehört das nicht zu meiner gegenwärtigen Aufgabe, und ich will deshalb meinem Leser damit nicht zur Last fallen, sondern ihn nur daran erinnern, daß, wenn die gegenteilige Annahme bewiesen werden könnte, sie weder für die Förderung unseres Wissens noch für die Bequemlichkeit des Lebens von merklichem Nutzen sein würde, weshalb wir nicht nötig haben uns mit ihrer Prüfung zu bemühen.

§ 16. Der englische Text wiederholt hier das Rubrum des § 14. Aus dem über unsere einfachen Ideen Gesagten geht, denke ich, klar hervor, daß keine unserer einfachen Ideen mit Rücksicht auf außer uns bestehende Dinge falsch sein kann. Denn, da die Wahrheit dieser Erscheinungen oder Wahrnehmungen in unserem Bewußtsein, wie gesagt, nur darin besteht, daß sie den Kräften äußerer Gegenstände, durch unsere Sinne solche Erscheinungen in uns hervorzurufen, entsprechen, und da jede von ihnen im Bewußtsein, so wie sie ist, zu der Kraft, von der sie hervorgebracht worden, und die sie allein darstellt, paßt, so kann sie um deswillen oder als auf ein solches Muster bezogen nicht falsch sein. Blau und gelb, bitter oder süß, können niemals falsche Ideen sein; diese Wahrnehmungen im Bewußtsein sind gerade so, wie sie sind, den von Gott zu ihrer Hervorbringung bestimmten Kräften entsprechend, und sind somit in Wahrheit, was sie sind und sein sollen. Freilich können die Namen falsch angewendet werden, aber das verursacht in dieser Hinsicht keine Falschheit in den Ideen, wie z. B. wenn ein der englischen Sprache Unkundiger purpur scharlach nennen würde.

§ 17. Zweitens, Modi sind nicht falsch. – II. Ebensowenig können unsere zusammengesetzten Ideen von Modi mit Bezug auf das Wesen von etwas wirklich Existierendem falsch sein, weil, wie auch immer meine zusammengesetzte Idee eines Modus beschaffen sein möge, sie auf kein existierendes und natürlich entstandenes Muster Bezug hat; es wird nicht angenommen, daß sie andere Ideen enthalte, als sie in sich hat, oder irgend sonst etwas vorstelle als eben die Verknüpfung von Ideen, die sie darbietet. Wenn ich z. B. die Idee der Handlungsweise eines Mannes habe, der es unterläßt sich solche Speisen, Getränke, Kleidung und andere Lebensbedürfnisse zu gewähren, zu deren Anschaffung sein Vermögen und sein Besitz ausreichen würden, und die sein Stand erfordert, so habe ich keine falsche Idee, sondern eine solche, die eine von mir entweder bemerkte oder vorgestellte Handlung darstellt, und deshalb weder der Wahrheit noch der Falschheit fähig ist. Wenn ich aber dieser Handlung den Namen Sparsamkeit oder Tugend gebe, dann kann sie eine falsche Idee heißen, wenn damit gesagt sein soll, daß sie mit der Idee übereinstimme, der nach richtigem Sprachgebrauch der Name Sparsamkeit zukommt, oder daß sie dem Gesetze angemessen sei, welches als Norm für Tugend und Laster dient.

§ 18. Drittens, wann die Ideen von Substanzen falsch sind. – III. Da unsere zusammengesetzten Ideen von Substanzen sich alle auf Muster in den Dingen selbst beziehen, so können sie falsch sein. Daß sie sämtlich falsch sind, wenn sie als Darstellungen des unbekannten Wesens der Dinge angesehen werden, ist so einleuchtend, daß darüber nichts weiter gesagt zu werden braucht. Ich will deshalb diese chimärische Annahme übergehen, und sie als Sammlungen einfacher Ideen im Geiste betrachten, die aus der Kombination einfacher in den Dingen stets zusammen bestehender Ideen entnommen sind, so daß sie für Kopien dieser Muster gelten; und in dieser ihrer Beziehung auf das Dasein von Dingen sind sie falsche Ideen: 1. Wenn in ihnen einfache Ideen zusammengefügt sind, die in der realen Existenz der Dinge nicht vereinigt vorkommen, wie wenn mit der Gestalt und Größe, die zusammen in einem Pferde existieren, die Idee des Vermögens wie ein Hund zu bellen in einer und derselben komplexen Idee verbunden wird; drei Ideen, die, wenn sie auch in Gedanken zu einer zusammengefügt sind, doch niemals in der Natur vereinigt waren, weshalb man dies eine falsche Idee eines Pferdes nennen kann. 2. Ideen von Substanzen sind in dieser Hinsicht auch dann falsch, wenn von einer Sammlung einfacher Ideen, die stets zusammen existieren, eine andere beständig mit ihnen verbundene einfache Idee durch direkte Verneinung abgesondert wird. Wenn z. B. jemand zu der Ausdehnung, Solidität, Schmelzbarkeit, eigentümlichen Schwere und gelben Farbe des Goldes in seinen Gedanken die Verneinung eines höheren Grades von Feuerbeständigkeit, als Blei oder Kupfer besitzen, hinzufügte, so könnte man ebensogut sagen, er habe eine falsche zusammengesetzte Idee, wie wenn er zu jenen anderen einfachen Ideen die einer vollkommenen, absoluten Feuerbeständigkeit hinzufügte. Denn in jedem Falle könnte die Idee des Goldes als falsch bezeichnet werden, weil sie aus solchen einfachen gebildet wäre, die in der Natur nicht vereinigt vorkommen. Wenn er aber aus dieser seiner komplexen Idee die der Feuerbeständigkeit ganz ausließe, ohne sie in seinen Gedanken den übrigen aktuell hinzuzufügen oder von ihnen abzusondern, Statt: joining to or separating of it from the rest, lies: joining it to or separating it from the rest. so müßte das, denke ich, eher als eine ungenaue und unvollkommene Idee angesehen werden, wie als eine falsche, weil darin zwar nicht alle in der Natur verbundenen einfachen Ideen enthalten, aber auch keine zusammengefügt sind, die nicht wirklich zusammen existieren.

§ 19. Wahrheit oder Falschheit setzen immer eine Bejahung oder Verneinung voraus. – Ich habe zwar im Anschluß an die gewöhnliche Redeweise gezeigt, in welchem Sinne und aus welchen Gründen unsere Ideen zuweilen wahr oder falsch genannt werden können, wenn wir jedoch ein wenig tiefer in die Sache eingehen, so rührt in allen Fällen, wo eine Idee wahr oder falsch genannt wird, dies davon her, daß ein Urteil, welches der Geist fällt oder voraussetzt, wahr oder falsch ist. Denn da Wahrheit oder Falschheit immer mit irgend einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Bejahung oder Verneinung verbunden sind, so werden sie nur dort gefunden, wo Zeichen verbunden oder getrennt werden gemäß der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung der Dinge, die sie vertreten. Die von uns hauptsächlich benutzten Zeichen sind entweder Ideen oder Wörter, woraus wir entweder gedachte oder ausgesprochene Sätze bilden. Die Wahrheit besteht darin, daß diese Repräsentanten ebenso verbunden oder getrennt werden, wie die von ihnen vertretenen Dinge selbst übereinstimmen oder nicht übereinstimmen, und die Falschheit in dem Gegenteil hievon, wie weiter unten vollständiger gezeigt werden wird.

§ 20. Die Ideen sind an und für sich weder wahr noch falsch. – Mag nun eine in unserem Bewußtsein vorhandene Idee der Existenz der Dinge oder einer Idee im Bewußtsein anderer Menschen angemessen sein oder nicht, so kann sie allein deswegen doch eigentlich nicht falsch genannt werden. Denn, wenn diese Repräsentationen nichts enthalten, als was in den äußeren Dingen wirklich existiert, so können sie nicht für falsch gehalten werden, weil sie genaue Repräsentationen eines Dinges sind; enthalten sie aber etwas von der Realität der Dinge Verschiedenes, so können sie eigentlich nicht falsche Repräsentationen oder Ideen von Dingen genannt werden, die sie nicht darstellen. Der Irrtum und die Falschheit liegen aber in Folgendem:

§ 21. Sie sind aber falsch: Erstens, wenn sie für übereinstimmend mit der Idee eines anderen Menschen gehalten werden, ohne es zu sein. – I. Wenn der Geist über eine Idee, die er hat, urteilt und schließt, daß sie dieselbe sei wie die im Bewußtsein anderer Menschen existierende, die denselben Namen führt, oder daß sie der ordentlichen, allgemein angenommenen Bedeutung oder Definition jenes Wortes entspreche, während dies in der That nicht der Fall ist; was der gewöhnlichste Irrtum bei gemischten Modi ist, obgleich auch andere Ideen ihm unterworfen sind.

§ 22. Zweitens, wenn sie für übereinstimmend mit der realen Existenz gehalten werden, wo sie das nicht sind. – II. Wenn der Geist eine komplexe Idee aus einer solchen Sammlung von einfachen gebildet hat, die von Natur niemals zusammen vorkommen, und dann urteilt, daß sie mit einer Art wirklich existierender Geschöpfe übereinstimme; wie wenn er z. B. das Gewicht des Zinnes mit der Farbe, Schmelzbarkeit und Feuerbeständigkeit des Goldes verbindet.

§ 23. Drittens, wenn sie für genau gehalten werden, ohne es zu sein. – III. Wenn der Geist in seiner komplexen Idee eine gewisse Anzahl einfacher Ideen vereinigt hat, die wirklich in einer Art von Geschöpfen zusammen existieren, aber auch andere davon ebenso untrennbare ausgelassen hat, und dann urteilt, daß sie eine vollkommen erschöpfende Idee einer Art von Dingen sei, während sie das in der That nicht ist. Z. B. wenn er die Ideen von Substanz, gelb, dehnbar, sehr schwer und schmelzbar vereinigt hat, und diese komplexe Idee als vollständige Idee des Goldes betrachtet, während doch dessen eigentümliche Feuerbeständigkeit und Lösbarkeit in aqua regia ebenso untrennbar von jenen anderen Ideen oder Eigenschaften des fraglichen Körpers sind als diese voneinander.

§ 24. Viertens, wenn sie dafür gelten, das wahre Wesen darzustellen. – IV. Noch größer ist der Irrtum, wenn ich meine, daß diese komplexe Idee das wahre Wesen eines existierenden Körpers in sich enthalte, während sie höchstens Statt at least lies at most. nur einige wenige der Eigenschaften enthält, die aus seinem realen Wesen und seiner inneren Beschaffenheit entspringen. Ich sage, nur einige wenige dieser Eigenschaften, denn, da diese Eigenschaften meistens in den aktiven und passiven Kräften bestehen, die er mit Bezug auf andere Dinge besitzt, so sind alle, die von irgend einem Körper männiglich bekannt sind, und aus denen die komplexe Idee dieser Art von Dingen gewöhnlich gebildet wird, nur sehr wenige im Vergleich mit denen, die jemand, der den Körper auf verschiedene Weise geprüft und untersucht hat, von dieser einen Art von Dingen kennt, und alle, die dem erfahrensten Manne bekannt sind, sind nur wenige im Vergleich mit den in dem Körper wirklich enthaltenen, die auf seiner inneren oder wesentlichen Beschaffenheit beruhen. Das Wesen eines Dreiecks liegt innerhalb sehr enger Grenzen und besteht in sehr wenigen Ideen: drei Linien, die einen Raum einschließen, machen dieses Wesen aus; die aus diesem Wesen entspringenden Eigenschaften aber sind mehr, als leicht erkannt und aufgezählt werden können. Ebenso verhält es sich meiner Ansicht nach mit den Substanzen; ihre realen Wesenheiten sind eng begrenzt, obgleich die aus ihrer inneren Beschaffenheit entspringenden Eigenschaften zahllos sind.

§ 25. Wann Ideen falsch sind. – Um zum Schlusse zu kommen: da niemand von etwas außer ihm auf andere Weise Kenntnis hat, als durch die Idee davon, die in seinem Bewußtsein existiert (und der er jeden Namen geben mag, der ihm gefällt), so kann er freilich eine Idee bilden, die weder der Wirklichkeit Statt reason lies reality. der Dinge entspricht, noch mit der gewöhnlich durch anderer Leute Wort bezeichneten Idee übereinstimmt; er kann jedoch keine unrichtige oder falsche Idee eines Dinges bilden, welches ihm auf keine andere Weise bekannt ist, als durch seine Idee desselben. Wenn ich z. B. eine Idee von den Beinen, den Armen und dem Rumpfe eines Menschen gestalte, und damit den Kopf und Nacken eines Pferdes verbinde, so bilde ich keine falsche Idee von irgend etwas, weil sie nichts außer mir Bestehendes darstellt; aber, wenn ich sie einen Menschen oder einen Tataren nenne, und mir einbilde, daß sie ein wirkliches außer mir befindliches Wesen darstelle, oder daß sie dieselbe Idee sei, die andere mit demselben Namen bezeichnen, so kann ich mich in diesen beiden Fällen irren. Und aus diesem Grunde wird sie eine falsche Idee genannt, obgleich in der That die Falschheit nicht in der Idee liegt, sondern in dem stillschweigend hinzugedachten Satze, worin ihr eine Angemessenheit und Übereinstimmung zugeschrieben wird, die sie nicht hat. Gleichwohl, wenn ich solch eine Idee, die ich in meinem Sinne gebildet habe, ohne den Gedanken, daß ihr sei es nun Dasein oder der Name Mensch oder Tatar zukomme, Mensch oder Tatar nennen will, so mag man mit Recht denken, daß ich den Namen phantastisch wähle, aber nicht, daß ich irrtümlich urteile, oder daß meine Idee irgendwie falsch sei.

§ 26. Passender ist es, sie richtig oder unrichtig zu nennen. – Im ganzen genommen, meine ich, können unsere Ideen, insofern sie vom Geiste entweder mit Bezug auf die eigentliche Bedeutung ihrer Namen oder mit Bezug auf die Realität der Dinge betrachtet werden, ganz passend richtige oder unrichtige Ideen heißen, jenachdem sie den Mustern, womit sie verglichen werden, entsprechen oder nicht entsprechen. Wenn aber jemand sie lieber wahr oder falsch nennen will, so mag er sich der Freiheit bedienen, die jedermann hat, den Dingen die Namen zu geben, die er für die besten hält, obgleich bei genauer Ausdrucksweise, wie ich meine, Wahrheit oder Falschheit ihnen nur zugeschrieben werden kann, wenn sie auf die eine oder die andere Art virtuell einen bloß gedachten Satz in sich schließen. Unrichtig können unter den Ideen im Geiste eines Menschen bei einfacher Betrachtung nur solche komplexe sein, worin miteinander unverträgliche Bestandteile zusammengeworfen sind. Alle anderen Ideen sind an und für sich richtig, und das Wissen von ihnen ist richtiges und wahres Wissen; sobald wir sie aber auf irgend etwas als auf ihre Muster und Urbilder beziehen, dann können sie unrichtig sein, insofern sie von diesen Urbildern abweichen.


 << zurück weiter >>