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Dreizehntes Kapitel.
Über einfache Modi; und zuerst über die einfachen Modi des Raumes.

§ 1. Einfache Modi. – Obgleich ich in dem vorigen Abschnitt oft einfache Ideen erwähnt habe, die in Wahrheit das Material alles unseres Wissens bilden, so wird es doch, weil dort von ihnen mehr mit Rücksicht darauf, wie sie in das Bewußtsein gelangen, als auf ihren Unterschied von anderen mehr zusammengesetzten gehandelt worden ist, vielleicht nicht ohne Nutzen sein, einige von ihnen nochmals unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten, und die verschiedenen Modifikationen derselben Idee zu prüfen, die der Verstand entweder an den existierenden Dingen vorfindet, oder ohne Hilfe eines äußeren Gegenstandes oder eine von außen kommende Suggestion in sich selbst zustande bringt.

Diese Modifikationen irgend einer einfachen Idee (die ich, wie gesagt, einfache Modi nenne) sind im Geiste ebenso vollkommen verschiedene und voneinander getrennte Ideen wie die, zwischen welchen der größte Abstand oder Gegensatz besteht; denn die Idee »zwei« ist von der Idee »eins« nicht minder unterschieden wie Bläue von Wärme oder jede dieser beiden von irgend einer Zahl; und doch besteht sie nur in der Wiederholung der einfachen Idee einer Einheit, und miteinander verbundene Wiederholungen dieser Art machen die unterschiedenen einfachen Modi eines Dutzend, eines Groß, einer Million aus.

§ 2. Die Idee des Raumes. – Den Anfang werde ich mit der einfachen Idee des Raumes machen. Oben im Kapitel IV habe ich gezeigt, daß wir die Idee des Raumes sowohl durch den Gesichts- wie durch den Tastsinn erhalten, was, wie ich meine, so einleuchtend ist, daß es ebenso unnötig sein würde, den Beweis zu unternehmen, daß die Menschen durch ihr Gesicht einen Abstand zwischen verschiedenfarbigen Körpern oder zwischen den Teilen desselben Körpers wahrnehmen, als daß sie die Farben selbst sehen, und nicht minder offenbar ist es, daß sie eben dies im Dunkeln durch Fühlen und Tasten thun können. Bloß der Gesichtssinn liefert nur ein Nebeneinander verschiedenfarbiger oder verschieden heller Flächen; bloß der Tastsinn nur die Empfindungen des Druckes oder Widerstandes und der Wärme und Kälte. Erst der Verstand bildet mit Hilfe der Erinnerung aus diesen Daten und den Daten, welche die übrigen Sinne ihm liefern (richtiger: zu liefern scheinen, vgl. Anm. zu Kapitel X, § 2), die Wahrnehmung einer Außenwelt von farblos hellen oder farbigen, schweren und resistenten, warmen oder kalten, tönenden, duftenden, schmeckenden Dingen, deren allgemeine Bewußtseins- oder – was dasselbe sagt – Daseinsformen Raum und Zeit sind, wobei ihm hauptsächlich die Veränderungen als Leitfaden dienen, die in den Eindrücken des Gesichtssinnes infolge der Bewegung unserer eigenen Person und anderer Dinge stattfinden. Wahrgenommen oder angeschaut werden aber jene Daseinsformen und namentlich auch der Raum nur an und mit ihrem konkret sinnlichen Inhalt; die bloße, leere, räumliche Gestalt eines Körpers kann niemand wahrnehmen oder anschauen, geschweige denn den leeren unendlichen dreidimensionalen Weltraum; das sind vielmehr abstrakte Vorstellungen, oder als Bedeutung der Wörter »Raum« und »Gestalt« Begriffe. Freilich ist der »Raum« kein Gattungsbegriff, gleichwohl aber abstrakt, insofern er nur ein für sich isoliertes Element unserer konkreten, als Totalität aufgefaßten Sinneswahrnehmungen ausmacht. (Vgl. L. Noiré, Die Lehre Kants und der Ursprung der Vernunft, S. 361 ff.) Bekanntlich lehrt uns Kant, daß Raum und Zeit Formen der Anschauung seien, die unser Geist schon vor aller Erfahrung a priori enthalte, und daß diesen Formen der sinnliche Inhalt von außen, a posteriori, dadurch zukomme, daß unsere Sinnesorgane von Dingen-an-sich affiziert würden. Dies ist jedoch nur eine metaphysische Hypothese, wofür kein Beweis möglich ist, denn von dem, was in uns aller Erfahrung – d. h. der Entstehung unseres Bewußtseins – voraufgehen soll, können wir ebensowenig etwas wissen wie von Dingen-an-sich, die jenseits unserer Wahrnehmung liegen sollen. Thatsächlich entstehen Form und Inhalt der objektiven Welt in unserem Bewußtsein zugleich an, in und miteinander, ohne daß wir zwei Herkunftsstellen dafür – eine transcendentale und eine transcendente – unterscheiden könnten, und die Ablösung der bloßen Form von dem Inhalte kommt erst hinterher durch das abstrakte Denken zustande. Eine Apriorität der Anschauungsformen im Sinne Kants würde sich nur empirisch, also a posteriori, erkennen lassen, weil niemand die Vorstellungen des leeren unbegrenzten Raumes und der leeren unbegrenzten Zeit auf anderem Wege gewinnen kann, als durch Abstraktion aus seinem von konkreten Wahrnehmungen und Erinnerungen erfüllten Bewußtsein, und die Apriorität dieser Formen sich doch nur aus irgend welchen Eigenheiten ihrer Vorstellungen erschließen ließe. Nun sind allerdings diese Formen allgemein, einfach und dauernd, während ihr Inhalt speciell, mannigfach und wechselnd ist; allein daraus folgt doch nur, daß die Anschauungsformen in unserem Bewußtsein jedem bestimmten Inhalt, den sie gewinnen mögen, schon als gleiche Formen eines anderen Inhalts voraufgegangen sind, nicht aber, daß sie schon als leere Formen in uns vorhanden waren, bevor sie überhaupt irgend welchen Inhalt erhielten. Dies gilt auch dann, wenn wir das »bevor« ebenso wie (nach der Anmerkung zu Kapitel VIII, § 15) die Entstehung des Bewußtseins nicht, als etwas Einmaliges, sondern als etwas, so lange wir leben, Fortdauerndes betrachten; ein Unterschied, der wohl gemeint ist, wenn man sagt: Kants Ausdruck »vor aller Erfahrung« sei nicht zeitlich, sondern metaphysisch zu verstehen, denn sonst ließe sich bei dieser Erläuterung schwerlich überhaupt etwas Bestimmtes denken. – Dasselbe, was hier über die Apriorität der Anschauungsformen gesagt worden, gilt – beiläufig bemerkt – auch von der Apriorität der Denkformen oder Verstandeskategorien Kants. Auch diese sind empirisch aufgefunden, und gar nicht anders auffindbar; die Merkmale ihrer Apriorität können also nur ebenso gefunden sein, und sie bestehen wieder nur darin, daß jede dieser Denkformen gegenüber ihrem speciellen, mannigfachen und wechselnden Inhalt als etwas Allgemeines, Einfaches und Dauerndes erscheint. – Die apriorischen Anschauungs- und Denkformen Kants sind in der That nichts anderes als die Ideen, die wir nach Locke nicht durch Sinneswahrnehmung ( sensation), sondern durch Selbstbeobachtung ( reflection) unserer eigenen Geistesthätigkeiten gewinnen, denn letztere zeigen sich uns dabei nicht als regellos willkürlich, sondern folgen bestimmten und festen Gesetzen. Locke hat diese Ideen der Selbstbeobachtung allerdings nicht zusammenhängend und vollständig entwickelt, aber auch Kants Kategorientafel hat bei seinen Schülern und Nachfolgern wohl nicht den Beifall gefunden, den er für sie erwartete, und auf seinen Gedanken der Apriorität ist er wahrscheinlich nur vermittelst einer vielleicht unwillkürlichen Antithese dadurch gekommen, daß er sich von einem Schattenbilde des naiven Realismus, den Dingen-an-sich, nicht losmachen konnte, die seiner Meinung nach, obwohl selbst für uns unerkennbar, doch den aposteriorischen Bestandteil unserer Erkenntnis von außen her in uns durch Affektion unserer Sinnlichkeit hervorbringen sollten. Sein unbestreitbares Verdienst bleibt es indessen, zuerst eine scharfe Sonderung von Form und Inhalt der objektiven Welt unseres Bewußtseins und eine systematisch vollständige Darstellung der ersteren versucht zu haben.

§ 3. Raum und Ausdehnung. – Insofern wir nur seine Länge zwischen zwei Gegenständen in Betracht ziehen ohne Rücksicht auf das sonst dort Befindliche, nennen wir den Raum Abstand; wenn wir ihn nach Länge, Breite und Dicke in Betracht ziehen, könnten wir ihn, denke ich, Kapazität (Geräumigkeit) nennen. Das Wort »Ausdehnung« wird gewöhnlich in jeder der soeben erwähnten Bedeutungen auf ihn angewandt. Außerdem auch noch im Sinne der Flächenausdehnung, die zwischen der linearen und der körperlichen mitten inne liegt.

§ 4. Unermeßlichkeit. – Jeder verschiedene Abstand ist eine verschiedene Modifikation des Raumes, und jede Idee eines verschiedenen Abstandes oder Raumes ist ein einfacher Modus dieser Idee. Zum praktischen Gebrauch und infolge der Gewohnheit des Messens halten die Menschen in ihren Gedanken die Ideen gewisser bestimmten Längen fest, wie z. B. eines Zolles, eines Fußes, einer Elle, eines Klafters, einer Meile, des Erddurchmessers etc., die ebenso viele verschiedene allein aus dem Raume gebildete Ideen sind. Wenn irgend welche solcher bestimmten Längen- oder Raummaße für die Menschen zu vertrauten Vorstellungen geworden sind, so können sie dieselben in ihrem Sinne beliebig oft wiederholen, ohne mit ihnen die Idee eines Körpers oder sonstigen Dinges zu vermischen oder zu verbinden, und für sich, hier unter den Körpern des Weltalls oder jenseits der äußersten Grenzen der gesamten Körperwelt, die Ideen von Längen-, Quadrat- oder Kubikfußen, Ellen oder Klaftern bilden, und, indem sie diese beständig einen zum anderen hinzufügen, ihre Raumideen so viel, wie sie Lust haben, erweitern. Das Vermögen, die Idee, die wir von irgend einer Entfernung haben, zu wiederholen oder zu verdoppeln und der früheren, so oft wir wollen, hinzuzufügen, ohne jemals zu einem Halt oder Ziel kommen zu können, wir mögen die Vergrößerung fortsetzen, soweit wir wollen, verschafft uns die Idee der Unermeßlichkeit.

§ 5. Gestalt. – Eine andere Modifikation dieser Idee giebt es, die nur in den Verhältnissen besteht, welche die Teile der Begrenzung der Ausdehnung oder des umschriebenen Raumes untereinander haben. Diese entdeckt der Tastsinn an fühlbaren Körpern, deren Außenflächen in unseren Bereich kommen, und das Auge entnimmt sie sowohl von Körpern wie von Farben, deren Begrenzungen in seinen Gesichtskreis fallen; indem es hier beobachtet, wie die Außenflächen endigen, ob in geraden Linien, die sich unter wahrnehmbaren Winkeln schneiden, oder in krummen Linien, an denen sich keine Winkel erkennen lassen, und betrachtet, wie diese sich in allen äußeren Teilen eines Körpers oder Raumes zu einander verhalten, erhält es die Idee, die wir Gestalt nennen, und die dem Geiste eine unendliche Mannigfaltigkeit darbietet; denn abgesehen von der sehr großen Anzahl verschiedener Gestalten, die an den materiellen festen Körpern wirklich existieren, ist der Vorrat, der dem Geiste zur Verfügung steht, indem er die Idee des Raumes abändert, und dadurch immer neue Formen schafft, indem er seine eigenen Ideen wiederholt, und sie nach Belieben verbindet, vollkommen unerschöpflich, und er kann auf solche Weise die Gestalten ins Unendliche vervielfachen.

§ 6 . Der englische Text wiederholt hier das Rubrum des § 5. Denn da der Geist imstande ist, die Idee irgend einer gerade ausgestreckten Länge zu wiederholen, und sie mit einer anderen in derselben Richtung zu verbinden, was so viel heißt, wie die Länge jener geraden Linie verdoppeln, oder auch eine andere mit jeder ihm passend scheinenden Neigung anzufügen, und so jede beliebige Art von Winkel zu bilden, und da er auch imstande ist, jede vorgestellte Linie durch Abnahme der Hälfte, eines Viertels, oder eines sonst beliebigen Teiles zu verkürzen, ohne mit irgend welchen solcher Teilungen zu Ende kommen zu können, so kann er Winkel von jeder Größe bilden. Ebenso kann er den Linien, die deren Schenkel sind, jede beliebige Länge geben, und wenn er diese wieder mit anderen Linien von verschiedener Länge unter verschiedenen Winkeln verbindet, bis er einen Raum ganz eingeschlossen hat, so ist einleuchtend, daß er die Figuren sowohl der Gestalt wie dem Umfange nach in infinitum vervielfachen kann, während doch alle diese nur ebenso viele einfache Modi des Raumes sind.

Dasselbe, was er mit geraden Linien thun kann, kann er auch mit krummen, oder mit krummen und geraden zusammengenommen thun, und dasselbe, was er mit Linien thun kann, kann er auch mit Oberflächen thun, wodurch wir auf weitere Gedanken über die endlose Mannigfaltigkeit der Gestalten geführt werden mögen, die der Geist imstande ist zu bilden, und dadurch die einfachen Modi des Raumes zu vervielfachen.

§ 7. Der Ort. – Eine andere unter diese Rubrik fallende und in diese Klasse gehörige Idee nennen wir den Ort. Wie wir bei dem bloßen Raume das Verhältnis des Abstandes zwischen zwei Körpern oder Punkten in Betracht ziehen, so bei der Idee des Ortes das Verhältnis des Abstandes zwischen einem Dinge und zwei Dieses »zwei« als Minimum hat keinen rechten Sinn, denn zur Ortsbestimmung sind im Raume drei feste Punkte erforderlich, in der Ebene zwei, auf der Linie nur einer. oder mehreren Punkten, von denen wir annehmen, daß ihre Entfernung voneinander unverändert bleibt, und sie sich somit in Ruhe befinden; denn, wenn wir finden, daß etwas heute ebenso weit wie gestern von zwei oder mehreren Punkten entfernt ist, deren Abstand voneinander sich seitdem nicht verändert hat, und mit denen wir es damals verglichen, so sagen wir, daß es noch denselben Ort einnehme; wenn es aber seinen Abstand von irgend einem dieser Punkte merklich verändert hat, so sagen wir, es habe seinen Ort gewechselt, obgleich wir im vulgären Sprachgebrauch unter Ort im gewöhnlichen Sinne nicht immer den Abstand von genau bestimmten Punkten verstehen, sondern von größeren Partien sichtbarer Gegenstände, wozu unserer Auffassung nach das an einem gewissen Orte befindliche Ding in Beziehung steht, so daß wir Grund haben, dessen Entfernung von jenen zu beobachten.

§ 8. So sagen wir von einer Gruppe Schachfiguren, die auf denselben Feldern des Schachbrettes stehen, wo wir sie verlassen haben, sie seien alle an demselben Orte oder {unberührt}, obgleich das Schachbrett inzwischen vielleicht aus einem Zimmer in ein anderes gebracht worden ist, weil wir sie nur mit den Feldern des Schachbrettes vergleichen, deren Entfernung voneinander unverändert geblieben ist. Auch von dem Schachbrett sagen wir, es sei an demselben Orte wie vorhin, wenn es an derselben Stelle der Kajüte verblieben ist, obgleich vielleicht das Schiff, worin diese sich befindet, indessen weiter segelt, und von dem Schiffe heißt es, daß es an demselben Orte geblieben sei, falls seine Entfernung von der Küste des benachbarten Landes sich nicht verändert hat, obgleich die Erde sich vielleicht umgedreht hat, und somit alle, die Schachfiguren, das Schachbrett und das Schiff mit Rücksicht auf entferntere Körper, deren Abstände voneinander gleich geblieben sind, ihren Ort gewechselt haben. Weil aber der Abstand von gewissen Teilen des Schachbretts den Ort der Schachfiguren anzeigt, und der Abstand von den festen Teilen der Kajüte (womit wir die Vergleichung anstellten) den Ort des Schachbrettes ergab, und wir den Ort des Schiffes nach den festen Teilen der Erde bestimmten, so läßt sich von diesen Dingen sagen, daß sie in den angegebenen Beziehungen sich an demselben Orte befanden, obgleich ihr Abstand von anderen Dingen, die wir für diesmal nicht beachteten, ein anderer geworden war, und sie deshalb zweifellos mit Bezug hierauf den Ort gewechselt hatten, was wir auch selbst annehmen würden, sobald wir Veranlassung hätten, sie mit diesen anderen Dingen zu vergleichen.

§ 9. Da aber diese Modifikation des Abstandes, D. h. dieser Modus des Raumes. die wir Ort nennen, von den Menschen zum alltäglichen Gebrauche erfunden ist, um damit die besondere Lage von Dingen bezeichnen zu können, wo sie zu solcher Bezeichnung Veranlassung hätten, so ermitteln und bestimmen die Menschen diesen Ort mit Beziehung auf diejenigen benachbarten Dinge, die für ihren jeweiligen Zweck am dienlichsten sind, ohne auf andere Dinge zu achten, die zu einem anderen Zwecke den Ort desselben Dinges besser bestimmen würden. So würde es, da auf dem Schachbrett der Zweck der Bezeichnung des Ortes jeder Schachfigur nur innerhalb des Umfanges jener gewürfelten Holztafel liegt, zweckwidrig sein, das Maß dafür anders woher zu entnehmen; wenn aber eben dieselben Schachfiguren in einen Beutel gesteckt worden sind, und jemand danach fragen würde, wo der schwarze König sei, so wäre es angemessen den Ort nach dem Teile des Zimmers, wo er sich befände, zu bestimmen und nicht nach dem Schachbrett, weil bei der Bezeichnung des Ortes, wo er sich nun befindet, ein anderer Zweck obwaltet, wie damals, als er sich während des Spieles auf dem Brette befand, und die Bestimmung deshalb nach anderen Körpern stattfinden muß. Ebenso würde es, wenn jemand fragte, wo die Verse ständen, in denen die Geschichte vom Nisus und Euryalus erzählt sei, sehr unpassend sein, den Ort durch die Erwiderung zu bestimmen: an der und der Stelle der Erde, oder in Bodleys Büchersammlung, D. i. der Oxforder Universitäts-Bibliothek. vielmehr wäre die richtige Bezeichnungsweise des Ortes nach den Teilen von Virgils Werken, und die zutreffende Antwort würde sein, daß die Verse ungefähr in der Mitte des neunten Buches seiner Äneide ständen, und sich immer beständig, so lange Virgil gedruckt worden, an demselben Orte befunden hätten, was richtig ist, obgleich das Buch selbst tausendmal seinen Ort gewechselt hat, weil die Idee des Ortes hier den Zweck hat, zu erfahren, in welchem Teile des Buches jene Geschichte enthalten ist, damit wir gegebenenfalls wissen, wo wir sie finden und zum Gebrauch aufschlagen können.

§ 10. Der englische Text wiederholt hier das Rubrum des § 7. Daß unsere Idee des Ortes nichts anderes ist als solch eine relative Stellung von irgend etwas, wie eben angegeben worden, das ist, denke ich, klar, und wird leicht zugestanden werden, wenn man erwägt, daß wir von dem Ort des Weltalls keine Idee haben können, wohl aber von dem aller seiner Teile, weil wir über jenes hinaus nicht die Idee irgend welcher festen, bestimmten, eigentümlichen Wesen haben, mit Beziehung worauf wir ihm irgend ein Verhältnis des Abstandes zuschreiben könnten, vielmehr alles Weitere einförmiger Raum oder bloße Ausdehnung ist, worin der Geist keine Abwechselung, keine Merkmale findet; denn zu sagen, die Welt sei irgendwo, bedeutet nicht mehr als, daß sie da sei, und obgleich dies eine vom Ort hergenommene Ausdrucksweise ist, so bezeichnet sie doch nur die Existenz, nicht die örtliche Lage, und wenn jemand den Ort des Weltalls ausfindig machen, und sich in seinem Sinne klar und deutlich vorstellen kann, so wird er auch imstande sein, uns zu sagen, ob es in der unterschiedslosen Leere des unendlichen Raumes sich bewegt oder stillsteht; obwohl freilich das Wort Ort manchmal einen unklaren Sinn hat, und den Raum bedeutet, den irgend etwas einnimmt, wonach denn das Weltall sich an einem Orte befindet. Die Idee des Ortes erhalten wir deshalb durch dieselben Mittel wie die Idee des Raumes (jene ist nur eine eigentümlich beschränkte Auffassung dieser), nämlich durch unsern Gesichts- und Tastsinn, die beide unserm Geiste die Ideen der Ausdehnung oder des Abstandes zuführen.

§ 11. Ausdehnung und Körper sind nicht dasselbe. – Gewisse Leute wollen uns glauben machen, daß Körper und Ausdehnung dieselbe Sache seien, wobei sie entweder die Bedeutung der Wörter verwechseln, was ich jedoch von ihnen nicht vermuten möchte, da sie die Philosophie anderer so strenge deshalb verurteilt haben, weil sie zu sehr auf die unsichere Bedeutung oder die täuschende Dunkelheit zweifelhafter oder unbestimmter Ausdrücke gestützt sei. Wenn sie demnach unter Körper und Ausdehnung dasselbe verstehen wie andere Leute, nämlich unter Körper etwas Solides und Ausgedehntes, dessen Teile sich trennen und in verschiedener Richtung bewegen lassen, und unter Ausdehnung nur den zwischen den Oberflächen dieser soliden zusammenhängenden Teile liegenden und von ihnen eingenommenen Raum: so vermischen sie sehr verschiedene Ideen miteinander, denn ich berufe mich auf jedermanns eigene Gedanken dafür, ob die Idee des Raumes von der der Solidität nicht ebenso verschieden ist wie von der Idee der Scharlachfarbe? Allerdings kann Solidität nicht ohne Ausdehnung bestehen, was Scharlachfarbe ebensowenig kann, aber das hindert nicht, daß beide verschiedene Ideen sind. Manche Ideen bedürfen notwendig anderer zu ihrer Existenz oder Auffassung, und sind doch davon sehr verschiedene Ideen. Die Bewegung kann ohne den Raum weder bestehen noch erkannt werden, und doch ist weder Bewegung Raum noch Raum Bewegung; der Raum kann ohne sie bestehen, und beide sind wohl unterschiedene Ideen, und ebenso meiner Meinung nach Raum und Solidität. Die Solidität ist eine vom Körper so untrennbare Idee, daß auf ihr dessen Raumerfüllung, Berührung, Stoß und Mitteilung der Bewegung durch Stoß beruhen. Und wenn es ein Beweisgrund für die Verschiedenheit des Geistes vom Körper ist, daß das Denken die Idee der Ausdehnung nicht einschließt, so meine ich, wird derselbe Grund ebensogut für den Beweis ausreichen, daß der Raum nicht identisch mit dem Körper ist, weil er die Idee der Solidität nicht enthält, indem Raum und Solidität ebenso verschiedene Ideen sind wie Denken und Ausdehnung, und im Verstande ebenso vollständig voneinander getrennt werden können. Körper und Ausdehnung sind also augenscheinlich zwei bestimmt unterscheidbare Ideen, denn:

§ 12. Erstens schließt die Ausdehnung nicht, wie der Körper thut, die Solidität und den Widerstand gegen die Bewegung von Körpern in sich.

§ 13. Zweitens sind die Teile des bloßen Raumes voneinander untrennbar, so daß die Kontinuität weder in der That noch in der Vorstellung unterbrochen werden kann, denn ich fordere einen jeden auf, irgend einen Raumteil von einem anderen, mit dem er zusammenhängt, auch nur in seinen Gedanken zu entfernen. Die thatsächliche Teilung und Absonderung besteht, wie ich denke, darin, daß durch Entfernung der Teile voneinander zwei Oberflächen gebildet werden, wo vorher ein ununterbrochener Zusammenhang war, und eine Teilung in der Vorstellung darin, daß man sich dort, wo vorher ein solcher Zusammenhang war, zwei Oberflächen als entstanden denkt und sie als voneinander entfernt betrachtet, was nur bei Dingen möglich ist, die der Verstand als trennbar ansieht und als fähig, durch eine Zertrennung neue bestimmte Oberflächen zu erhalten, die sie noch nicht haben aber erlangen können; keine dieser Teilungsweisen jedoch, weder die thatsächliche noch die bloß vorgestellte, ist, denke ich, mit dem bloßen Raume verträglich.

Freilich kann jemand so viel vom bloßen Raume in Betracht ziehen, wie einem Fuße entspricht oder angemessen ist, ohne den Rest zu beachten, was in der That eine teilweise Betrachtung ist, aber nicht einer vorgestellten Trennung oder Teilung gleichkommt; denn man kann eine Teilung ebensowenig in der Vorstellung vollziehen, ohne sich zwei voneinander gesonderte Oberflächen zu denken, wie in der That, ohne zwei voneinander getrennte Oberflächen herzustellen; eine teilweise Betrachtung ist aber keine Teilung. Man kann das Licht der Sonne in Betracht ziehen ohne ihre Hitze, oder die Beweglichkeit eines Körpers ohne dessen Ausdehnung, und dabei an deren Verschiedenheit nicht denken; das eine ist nur eine teilweise Betrachtung, die sich auf das eine beschränkt, und das andere wäre eine Betrachtung beider, wie sie jedes für sich existieren.

§ 14. Drittens sind die Teile des bloßen Raumes unbeweglich, was sich aus ihrer Untrennbarkeit ergiebt, indem die Bewegung nichts ist als eine Veränderung des Abstandes zwischen zwei Dingen; eine solche kann jedoch nicht zwischen Teilen stattfinden, die voneinander untrennbar sind, und deshalb im Verhältnis zu einander sich notwendig in beständiger Ruhe befinden müssen.

Die bestimmte Idee des bloßen Raumes unterscheidet sich also klar und hinlänglich von dem Körper, weil seine Teile untrennbar und unbeweglich sind, und der Bewegung eines Körpers keinen Widerstand leisten.

§ 15. Die Definition der Ausdehnung erklärt sie nicht. – Wenn mich jemand fragt, was der Raum, von dem ich rede, sei, so will ich ihm das sagen, wenn er mir sagt, was seine Ausdehnung ist. Denn, wenn man, wie gewöhnlich geschieht, antwortet: Ausdehnung sei partes extra partes zu haben, so heißt das nur, Ausdehnung sei Ausdehnung; denn, inwiefern komme ich über die Natur der Ausdehnung besser ins reine, wenn man mir sagt, die Ausdehnung bestehe in dem Besitz ausgedehnter Teile, die sich außerhalb ausgedehnter Teile befänden, d. h. die Ausdehnung bestehe aus ausgedehnten Teilen? Wenn ich jemandem auf die Frage, was eine Faser sei, antworten würde, sie sei ein aus mehren Fasern bestehendes Ding, wäre er dann besser imstande zu erkennen, was eine Faser sei, als vorher? Oder würde er nicht Grund haben zu glauben, daß meine Absicht eher sei, ihn zum Besten zu haben, als ihn ernsthaft zu belehren?

§ 16. Die Einteilung der Wesen in körperliche und geistige beweist nicht die Identität von Raum und Körper. – Die behaupten, daß Raum und Körper dasselbe seien, stellen folgendes Dilemma: Der Raum ist entweder etwas oder nichts. Wenn nichts zwischen zwei Körpern sich befindet, so müssen sie sich notwendig berühren; wenn man zugiebt, er sei etwas, so fragen sie, ob er körperlich oder geistig sei? Darauf antworte ich mit einer anderen Frage: Wer hat ihnen gesagt, daß es nichts gebe oder geben könne als materielle Dinge ohne Denkvermögen und denkende Wesen ohne Ausdehnung? – Etwas anderes verstehen sie unter den Ausdrücken Körper und Geist nicht.

§ 17. Die Substanz, deren Wesen wir nicht kennen, liefert keinen Beweis gegen den körperlosen Raum. Wenn – wie das zu geschehen pflegt – gefragt wird, ob der körperlose Raum Substanz oder Accidens sei, so zögere ich nicht mit der Antwort: das weiß ich nicht, und schäme mich nicht meine Unwissenheit einzugestehen, bis die Fragesteller mir eine klare und bestimmte Idee von Substanz nachweisen.

§ 18. Ich versuche, so viel ich kann, mich von den Täuschungen frei zu machen, in die wir uns selbst dadurch zu versetzen geneigt sind, daß wir Wörter als Sachen gelten lassen. Unserer Unwissenheit wird nicht dadurch abgeholfen, daß wir ein Wissen vorgeben, wo wir keines haben, indem wir mit Lauten ohne klare und bestimmte Bedeutung Lärm machen. Beliebig erfundene Namen ändern die Natur der Dinge nicht, und geben uns nur in so weit ein Verständnis derselben, als sie Zeichen und Repräsentanten bestimmter Ideen sind. Und ich empfehle denen, die so viel Gewicht auf den Laut der beiden Silben »Substanz« legen, zu erwägen, ob es in demselben Sinne geschieht, wenn sie ihn, wie sie thun, auf den unendlichen unbegreiflichen Gott, den endlichen Geist und den Körper anwenden, und ob er dieselbe Idee vertritt, wenn jedes dieser drei so verschiedenen Wesen Substanz genannt wird; ferner, bejahendenfalls, ob daraus nicht folgt, daß Gott, die Geister und die Körper, weil sie in der gleichen gemeinsamen Natur der Substanz übereinstimmen, sich voneinander lediglich durch bloße verschiedene Modifikation dieser Substanz unterscheiden; ebenso wie ein Baum und ein Kieselstein, weil sie in demselben Sinne Körper sind, und in der gemeinsamen Natur des Körpers übereinstimmen, sich nur durch eine bloße Modifikation dieses gemeinsamen Stoffes unterscheiden, was eine schwer genießbare Doktrin abgeben wird. Wenn sie sagen, sie wendeten das Wort auf Gott, den endlichen Geist und die Materie in drei verschiedenen Bedeutungen an; es bezeichne eine Idee, wenn man von Gott sage, daß er eine Substanz sei, eine andere, wenn die Seele Substanz genannt werde, und eine dritte, wenn der Körper so heiße, so würden sie, falls der Name Substanz drei verschiedene bestimmte Ideen bezeichnet, wohl daran thun, diese bestimmten Ideen bekannt zu machen, oder ihnen wenigstens drei verschiedene Namen zu geben, um bei einem so wichtigen Begriffe der Verwirrung und den Irrtümern vorzubeugen, die natürlich aus dem unterschiedslosen Gebrauche eines so zweifelhaften Ausdrucks folgen müssen, hinter dem man um so weniger drei verschiedene Bedeutungen vermutet, als er im täglichen Gebrauch kaum einmal eine klare und bestimmte Bedeutung hat; und wenn sie so drei unterschiedene Ideen von Substanz herstellen können, wer hindert dann jemand anders noch eine vierte hinzuzufügen?

§ 19. Die Ausdrücke Substanz und Accidens sind in der Philosophie von geringem Nutzen. – Die zuerst auf den Begriff von Accidentien verfielen, als einer Art von wirklichen Dingen, die etwas bedürften, dem sie inhärieren könnten, waren genötigt für deren Träger das Wort Substanz zu erfinden. Hätte der arme indische Philosoph, der meinte, die Erde bedürfe auch etwas, um sie zu tragen, nur an das Wort Substanz gedacht, so hätte er sich nicht die Mühe zu geben gebraucht, einen Elefanten als Träger für sie zu finden, und eine Schildkröte, um seinen Elefanten zu tragen; das Wort Substanz hätte effektiv denselben Dienst geleistet. Und wer danach fragte, hätte sich, ohne zu wissen, was Substanz sei, bei der Antwort des indischen Philosophen, daß diese die Erde trage, ebensogut beruhigen können, wie wir es von unseren europäischen Philosophen als eine hinreichende Antwort und gute Lehre annehmen, daß die Substanz die Accidentien trage, ohne zu wissen, was Substanz ist. So daß wir von der Substanz keine Idee haben, was sie sei, sondern nur eine verworrene und dunkle Idee davon, was sie leiste.

§ 20. Was auch ein Gelehrter hierzulande thun mag, ein intelligenter Amerikaner D. h. wohl ein Indianer., der die Natur der Dinge untersuchte, würde es schwerlich als eine befriedigende Auskunft betrachten, wenn ihm, während er unsere Architektur kennen zu lernen wünschte, gesagt würde, ein Pfeiler sei ein Ding, das von einer Basis getragen werde, und eine Basis etwas, was einen Pfeiler trage. Würde er nicht denken, man habe ihn mit einer solchen Auskunft zum Narren, statt ihn zu belehren? Und über das Wesen der Bücher und ihres Inhalts würde jemand, dem beide fremd wären, sehr ausgiebig unterrichtet werden, wenn man ihm sagte, alle gelehrten Bücher beständen aus Papier und Buchstaben; die Buchstaben seien Dinge, die dem Papier inhärierten, und das Papier ein Ding, welches Buchstaben darbiete; eine merkwürdige Weise klare Ideen von gelehrten Druckschriften ( letters and papers) zu erhalten! Würden aber die lateinischen Wörter inhaerentia und substantia in die schlichten englischen Wörter übersetzt, die ihnen entsprechen, und »anhaften« und »unterstützen« genannt, so würden sie uns die große Klarheit der Lehre von der Substanz und den Accidentien besser erkennen lassen, und zeigen, von welchem Nutzen diese Ausdrücke bei der Entscheidung philosophischer Fragen sind.

§ 21. Der leere Raum jenseits der äußersten Grenzen der Körperwelt. – Doch, kehren wir zu unserer Idee vom Raume zurück! Wenn man die Körperwelt nicht für unendlich hält (und ich denke, das wird niemand behaupten wollen), so frage ich, ob jemand, den Gott an die äußerste Grenze körperlicher Dinge gestellt hätte Für unendlich können wir die Körperwelt allerdings nicht halten, denn, wenn sie das wäre, so würden an jedem Punkte innerhalb derselben die Wirkungen der Schwere, des Lichtes, der strahlenden Wärme etc. von allen Seiten her eine unendliche Höhe erreichen. Damit aber hörte jede durch Gravitation bewirkte Bewegung der Weltkörper auf, und unsere Sinne könnten keine Abstufungen des Lichtes und der strahlenden Wärme unterscheiden. Ebensowenig aber können wir uns eine endliche Körperwelt in einem unendlichen transcendent realen Raum vorstellen, denn dann müßte jene sich in einem Zustande beständig fortschreitender Auflösung und Verflüchtigung befinden. Zunächst würden ihre gasförmigen Stoffe wegen ihrer unbegrenzten Expansivkraft sich in den leeren Raum hinaus ausdehnen, also beständig verdünnen, und dann würden diesen die flüssigen und festen Stoffe nachfolgen, weil wohl alle des Übergangs in den gasförmigen Aggregatzustand fähig sind. Dieses Dilemma zeigt uns, daß wir uns den Raum und die objektive Welt in ihm nicht als etwas außerhalb unseres Bewußtseins und unabhängig von demselben Bestehendes vorstellen dürfen. Die objektive Welt ist eine Erscheinung, die sich, ohne daß uns der transcendente Realgrund davon erkennbar würde, auf gesetzmäßige Weise innerhalb jedes individuellen Bewußtseins bildet, und deren Daseinsformen (Raum und Zeit) deshalb zugleich Bewußtseinsformen sind, indem Dasein nichts anderes heißt, als Gewußtwerden oder Bewußtsein im passiven Sinne. Soweit wir äußere Dinge wahrnehmen, ebensoweit nehmen wir auch den Raum wahr, und wenn sich der Kreis der uns wahrnehmbaren Dinge erweitert, so erweitert sich auch unser Weltraum, dessen Unendlichkeit nur darin besteht, daß wir für die Möglichkeit solcher Erweiterungen keine im voraus bestimmte Grenze angeben können. Einen leeren Raum jenseits der uns wahrnehmbaren materiellen Welt können wir aber schlechthin nicht wahrnehmen, und wenn wir ihn in unseren Gedanken dieser Welt hinzufügen, so bleibt er gleichwohl eine abstrakte Vorstellung, woraus sich keine Konsequenzen für die wahrnehmbare Welt ziehen lassen. Unsere leibliche Person vermittelt, obwohl sie selbst ein Stückchen der objektiven Welt ist, also unser Bewußtsein voraussetzt, scheinbar doch für dessen Subjekt durch ihr großes Gehirn das Bewußtwerden der ganzen objektiven Welt. Sie bildet deshalb den Mittelpunkt dieser, wohin von allen übrigen Objekten die Kausalketten radienartig zusammenlaufen, die anscheinend unsere Sinneswahrnehmungen durchweg bedingen. Deshalb läßt sich unsere Person ebensowenig an die äußerste Grenze der objektiven Welt ihres eigenen individuellen Bewußtseinskreises versetzen, wie sich der Mittelpunkt eines Kreises in dessen Peripherie verlegen läßt. Es ist das ein widersinniger Gedanke, der sich nicht dazu eignet, einem Phantasieexperiment als Grundlage zu dienen, wodurch die empirisch reale Existenz des leeren Raumes bewiesen werden soll., seine Hand nicht über seinen Rumpf hinausstrecken könnte? Wenn er es könnte, dann würde er seinen Arm dahin bringen, wo vorher körperloser Raum war, und wenn er dort seine Finger voneinander spreizte, so würde sich zwischen ihnen noch körperloser Raum befinden. Wenn er seine Hand nicht ausstrecken könnte, so müßte dem ein äußeres Hindernis entgegenstehen, denn wir denken ihn uns lebendig mit eben dem Vermögen, die Glieder seines Leibes zu bewegen, das er jetzt hat, was nicht an und für sich unmöglich wäre, wenn es Gott so haben wollte (oder wenigstens wäre es für Gott nicht unmöglich, ihn so zu bewegen), und nun frage ich, ob das, was seine Hand hindert, sich nach außen zu bewegen, Substanz oder Accidens, etwas oder nichts sein soll? Und wenn man hierüber entschieden hat, dann wird man sich auch darüber schlüssig machen können, was das ist, was sich zwischen zwei voneinander entfernten Körpern befindet oder befinden kann, ohne ein Körper zu sein und Solidität zu besitzen. Inzwischen läßt sich wenigstens ebensogut schließen, daß ein bewegter Körper sich dort weiter bewegen kann, wo ihm kein Hindernis entgegentritt (wie jenseits der äußersten Grenzen der gesamten Körperwelt), als daß zwei Körper sich notwendig berühren müssen, wenn sich nichts zwischen ihnen befindet, denn ein bloßer Raum dazwischen genügt, um die Notwendigkeit der gegenseitigen Berührung aufzuheben, während der im Wege stehende bloße Raum nicht genügt, um die Bewegung zu hindern. In Wahrheit liegt die Sache so, daß meine Gegner entweder einräumen müssen, daß sie die Körperwelt für unendlich halten, so ungern sie das auch aussprechen wollen, oder aber bestätigen, daß Raum und Körper nicht dasselbe sind; denn den nachdenkenden Menschen möchte ich wohl sehen, der in seiner Vorstellung dem Raume eher als der Zeit Grenzen setzen, oder hoffen könnte, mit seinen Gedanken bis zum Ende des einen oder der anderen zu gelangen; und deshalb ist, wenn seine Idee der Ewigkeit unbegrenzt ist, seine Idee der Unermeßlichkeit das ebenfalls; sie sind beide gleichermaßen begrenzt oder unbegrenzt.

§ 22. Die Macht zur Vernichtung beweist ein Vakuum. – Ferner müssen die, welche die Unmöglichkeit eines stoffleeren Raumes behaupten, nicht bloß die Körperwelt für unbegrenzt halten, sondern auch leugnen, daß Gott die Macht habe, irgend einen Teil des Stoffes zu vernichten. Niemand wird, glaube ich, leugnen, daß Gott aller in dem Stoffe vorhandenen Bewegung ein Ende machen, alle Körper des Weltalls in vollkommene Ruhe und Stillstand versetzen, und darin, so lange es ihm gefiele, erhalten könne. Wer nun zugeben will, daß Gott während solch einer allgemeinen Ruhe entweder dieses Buch oder den Körper seines Lesers vernichten könne, der muß notwendig auch die Möglichkeit eines Vakuums einräumen, denn es ist klar, daß der Raum, den die Teile des vernichteten Körpers anfüllten, zurückbleiben und ein körperloser Raum sein wird; denn, da die rings umgebenden Körper sich in vollkommener Ruhe befinden, so bilden sie eine diamantene Mauer, und machen es in diesem Zustande für irgend welchen anderen Körper zu einer völligen Unmöglichkeit, in jenen Raum hinein zu gelangen. Und in der That ist die notwendige Bewegung eines Stoffteilchens an den Ort, von wo ein anderes Stoffteilchen entfernt worden ist, nur eine Folgerung aus der Voraussetzung, daß der Raum stets erfüllt sei, und bedarf deshalb eines besseren Beweises als einer hypothetischen Thatsache, die durch das Experiment niemals festgestellt werden kann, Keine Induktion wird jemals vollständig, aber daraus folgt nicht, daß wir keine Induktionsschlüsse ziehen dürfen, und es läßt sich wohl kaum ein sichrerer Induktionsschluß denken als der, daß es keinen leeren Raum giebt, denn soweit unsere Beobachtung und Erfahrung reicht, ist ein solcher nirgends zu finden, und niemals gefunden worden. Wer das Gegenteil behauptet, der muß den Beweis dafür liefern und nachweisen, wo ein leerer Raum zu finden oder wie er herzustellen ist, und dieser Beweis muß von besserer Art sein als die Berufung auf das, was ein allmächtiger und willkürlich handelnder Gott thun könne. Denn, wenn es auch gewiß wäre, daß es einen solchen gäbe, würde unsere Vorstellung davon, was dieser thun könne, doch für die empirische Realität bedeutungslos sein, wenn wir nicht zugleich wüßten, daß er eben dieses auch thun wolle. Locke hat darin ganz recht, daß Raum oder Ausdehnung und Körper oder Solidität verschiedene, wohl auseinander zu haltende Begriffe sind, weil er aber die von ihm sogen. primären Eigenschaften der Dinge für sinnliche Wahrnehmungen hält, während sie in der That abstrakte Vorstellungen sind, so müht er sich vergeblich ab, die empirische Realität eines Vakuums zu beweisen. Im Begriff oder in der abstrakten Vorstellung sind Raum und Körper voneinander verschieden und trennbar, hier giebt es einen leeren oder körperlosen Raum, in der Sinneswahrnehmung dagegen sind beide stets und überall miteinander verbunden, der Raum existiert hier nur als Umfang körperlicher Massen, worunter auch die niemals leeren Zwischenräume mitbegriffen sind. Dieser Ansicht scheint auch Locke selbst früher gewesen zu sein, denn in dem während eines Aufenthalts in Frankreich von ihm geführten Tagebuche findet sich unterm 27. März 1676 folgende Betrachtung eingetragen: »Der vorgestellte ( imaginary) Raum scheint mir ebensowenig etwas Reales ( no more anything) zu sein wie eine vorgestellte Welt; denn, wenn die ganze Welt vernichtet würde bis auf einen Menschen und dessen Seele, so würde diesem die Fähigkeit verbleiben, sich entweder die Welt vorzustellen oder die Ausdehnung, welche sie hatte, was dasselbe sagt wie den Raum, den sie erfüllte; aber dies beweist nicht, daß der vorgestellte Raum ein reales oder positives Ding sei. Denn der Raum oder die Ausdehnung scheinen, in unseren Gedanken von der Materie oder dem Körper abgetrennt, ebensowenig ein reales Dasein zu haben wie die Zahl ( sine enumeratione) ohne irgend ein zählbares Ding, und man könnte ebensogut sagen, daß nach Vernichtung der Welt die Zahl der Seesandkörner wirklich existiere und etwas sei, als daß nach solcher Vernichtung der Raum oder die Ausdehnung der See existiere oder etwas sei. Beide sind nur Verhältnisse ( affections) wirklicher Existenzen; diese von allem und jedem Daseienden, jene nur von materiellen Dingen, die der Geist sich nicht bloß in abstracto vorzustellen, sondern auch durch Wiederholung oder Hinzufügung des einen zum anderen zu vermehren vermag, und zu deren Vergrößerung er keine anderen Ideen als die der Quantität hat, die schließlich nur auf das Vermögen der Vorstellung und Wiederholung des Hinzufügens von Einheiten oder des Zählens hinauslaufen. Wenn aber die Welt vernichtet würde, so hätte man nicht mehr Grund, den Raum noch für etwas Existierendes ( anything) zu halten als die Dunkelheit, die ihn sicherlich erfüllen würde.« Siehe the life of John Locke with extracts from his correspondence, journals and commonplace books by Lord King, new edition, London 1830. Vol. I, pg. 123, und vgl. die ähnlichen im Vol. II, pg. 175 bis 185, aus den miscellaneous papers mitgeteilten Stellen. während unsere eigenen klaren und deutlichen Ideen uns hinlänglich darthun, daß zwischen Raum und Solidität keine notwendige Verbindung besteht, weil wir uns den einen ohne die andere vorstellen können. Und die für oder gegen ein Vakuum streiten, gestehen damit ein, daß sie unterschiedene Ideen von vacuum und plenum haben, d. h. daß sie eine Idee von Ausdehnung ohne soliden Inhalt haben, obgleich sie deren Existenz leugnen, sonst wäre ihr Streit überhaupt gegenstandslos. Denn, die so sehr die Bedeutung der Wörter ändern, daß sie die Ausdehnung Körper nennen, und folglich das ganze Wesen des Körpers nur darin setzen, daß er reine Ausdehnung ohne Solidität sei, führen notwendig ungereimte Reden, wenn sie vom Vakuum sprechen, weil es unmöglich eine Ausdehnung ohne Ausdehnung geben kann, denn das Vakuum, mögen wir seine Existenz behaupten oder leugnen, bezeichnet den körperlosen Raum, dem niemand die Möglichkeit der Existenz im Ernste absprechen kann, der nicht die Materie für unbegrenzt erklären und Gott die Macht entziehen will, irgend ein Teilchen derselben zu vernichten.

§ 23. Die Bewegung beweist ein Vakuum. – Wenn wir aber auch nicht über die äußersten Grenzen der Körper des Weltalls hinausgehen oder an die Allmacht Gottes appellieren wollen, um ein Vakuum zu finden, so scheint mir die Bewegung der Körper innerhalb unseres Gesichtskreises und unserer Nachbarschaft es klar zu beweisen; denn ich bitte irgend jemanden, einen soliden Körper von beliebiger Größe so zu teilen, daß die soliden Teile innerhalb der Grenzen seiner Oberfläche sich überall hin frei auf und nieder bewegen können, wenn darin nicht ein leerer Raum von derselben Größe übrig war, wie der kleinste von den Teilen, worin der fragliche solide Körper geteilt worden. Locke scheint hier den flüssigen und gasförmigen Aggregatzustand im Auge zu haben, denn auf die Bewegung im allgemeinen paßt das gestellte Ansinnen nicht. Seine Argumentation, die offenbar schwach und dunkel ist, erinnert an die Atomtheorie und die Frage nach den Zwischenräumen der Atome. Aus solchen Theorien, die dem freien Spiel der Phantasie Thür und Thor öffnen, lassen sich keine Schlüsse auf die empirische Realität ziehen. Und wenn da, wo die kleinste Partikel des geteilten Körpers so groß wie ein Senfkorn ist, ein leerer Raum von der Größe eines Senfkorns vorhanden sein muß, damit die freie Bewegung der Teile des geteilten Körpers innerhalb der Grenzen seiner Oberfläche Platz finde, so muß, wo die Stoffteilchen hundert Millionen mal kleiner als ein Senfkorn sind, auch ein von solidem Stoff leerer Raum so groß wie der hundertmillionste Teil eines Senfkorns vorhanden sein; denn was für den einen Fall gilt, das gilt auch für den anderen, und so in infinitum. Und dieser leere Raum, mag er so klein sein, wie er will, zerstört die Hypothese, daß jeder Raum angefüllt sei; denn wenn es einen körperlosen Raum von der Größe des kleinsten jetzt in der Natur existierenden besonderen Stoffteilchens geben kann, so bleibt der unter allen Umständen ein körperloser Raum und begründet einen ebenso großen Unterschied zwischen Raum und Körper, als wenn er ein μέγα χάσμα, ein Abstand so weit wie irgend einer in der Natur wäre, und deshalb wird sich, wenn wir die Größe des für die Bewegung erforderlichen leeren Raumes nicht dem kleinsten Teilchen des geteilten soliden Stoffes, sondern einem Zehntel oder einem Tausendstel desselben gleichsetzen, für den stoffleeren Raum immer dieselbe Konsequenz ergeben.

§ 24. Die Ideen von Raum und Körper sind verschieden. – Weil es jedoch hier zur Frage steht, ob die Idee des Raumes oder der Ausdehnung dieselbe sei wie die des Körpers, so ist es nicht nötig, die reelle Existenz eines Vakuums zu beweisen, sondern dessen Idee, und es ist klar, daß die Menschen diese haben, wenn sie danach fragen und darüber streiten, ob es ein Vakuum gebe oder nicht; denn, wenn sie nicht die Idee eines körperlosen Raumes hätten, so könnten sie die Frage nach dessen Existenz nicht aufwerfen, und wenn ihre Idee des Körpers nicht etwas mehr als die bloße Idee des Raumes in sich schlösse, so könnte ihnen das Erfülltsein der Welt keinem Zweifel unterliegen, und es wäre ebenso absurd zu fragen, ob es einen körperlosen Raum gebe, wie, ob es einen raumlosen Raum oder einen körperlosen Körper gebe, weil diese Wörter nur verschiedene Namen derselben Idee sein würden.

§ 25. Die Untrennbarkeit der Ausdehnung vom Körper beweist nicht deren Identität. – Allerdings verknüpft sich die Idee der Ausdehnung so untrennbar mit allen sichtbaren und den meisten fühlbaren Eigenschaften, daß sie uns kein äußeres Objekt zu sehen und nur sehr wenige zu fühlen gestattet, ohne zugleich Eindrücke von Ausdehnung zu erhalten. Diese Leichtigkeit, womit sich die Ausdehnung so beständig zugleich mit anderen Ideen bemerkbar macht, hat, wie ich glaube, die Veranlassung dazu gegeben, daß gewisse Leute behauptet haben, das ganze Wesen des Körpers bestehe in der Ausdehnung, worüber man sich nicht gerade zu wundern braucht, weil ihnen durch den Gesichts- und den Tastsinn (die geschäftigsten von allen unseren Sinnen) das Bewußtsein mit der Idee der Ausdehnung so angefüllt und gleichsam vollständig besetzt worden war, daß sie keiner Sache ohne Ausdehnung die Existenz zugestehen wollten. Ich will jetzt nicht mit Leuten streiten, die das Maß und die Möglichkeit aller Dinge nur von ihren beschränkten und groben Vorstellungen entnehmen, vielmehr, da ich hier nur mit denen zu thun habe, die das Wesen des Körpers in die Ausdehnung setzen, weil sie sagen, ohne Ausdehnung könnten sie sich keine sinnlich wahrnehmbare Eigenschaft irgend eines Körpers vorstellen, will ich diese bitten, zu erwägen, daß, wenn sie auf ihre Ideen von Geschmacksarten und Gerüchen ebensoviel geachtet hätten, wie auf die von Gesichtseindrücken und Tastgefühlen, oder auch nur ihre Ideen von Hunger und Durst und verschiedenen anderen Schmerzen untersucht hätten, sie gefunden haben würden, daß darin überhaupt keine Idee von Ausdehnung enthalten sei, die, gleichwie die übrigen, nur eine Eigenschaft des Körpers ist, wahrnehmbar durch unsere Sinne, die schwerlich scharf genug sind, um das reine Wesen der Dinge zu erkennen.

§ 26. Wenn die Ideen, die beständig mit allen anderen verbunden sind, deshalb für das Wesen der Dinge gehalten werden müssen, die beständig jene Ideen mit sich führen und von ihnen untrennbar sind, dann ist die Einheit ohne Zweifel das Wesen aller Dinge. Denn es giebt keinen Gegenstand der Sinneswahrnehmung oder Selbstbeobachtung, der nicht die Idee der Einheit mit sich brächte; aber die Schwäche dieser Art von Schlußfolgerung haben wir schon genügend nachgewiesen.

§ 27. Die Ideen des Raumes und der Solidität sind verschieden. – Um zum Schlusse zu kommen: was man auch immer über die Existenz eines Vakuums denken mag, so ist mir doch so viel klar, daß unsere Idee des Raumes von der Solidität ebenso deutlich unterschieden ist, wie unsere Idee der Solidität von der Bewegung, oder die Bewegung vom Raume. Wir haben nicht irgend welche zwei schärfer voneinander unterschiedene Ideen und wir können uns ebenso leicht den Raum ohne Solidität denken, wie den Körper oder den Raum ohne Bewegung, mag es auch noch so gewiß sein, daß weder Körper noch Bewegung ohne den Raum existieren können. Ob aber jemand den Raum nur für eine Beziehung halten will, die sich daraus ergiebt, daß die Dinge in einer gewissen Entfernung voneinander existieren, oder ob man die Worte des weisen Königs Salomo: »Der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen«, oder die noch emphatischeren des inspirierten Philosophen St. Paul: »in ihm leben, weben und sind wir«, in wörtlichem Sinne verstehen will, das überlasse ich der Erwägung eines jeden, nur ist, denke ich, unsere Idee so, wie ich sie beschrieben habe, und verschieden von der des Körpers. Denn mögen wir nun an der Materie selbst den Abstand ihrer zusammenhängenden soliden Teile betrachten, und ihn mit Rücksicht auf diese soliden Teile Ausdehnung nennen, oder mögen wir ihn als zwischen den äußersten Punkten eines Körpers in dessen verschiedenen Dimensionen liegend betrachten, und so Länge, Breite und Dicke nennen, oder aber mögen wir ihn betrachten als zwischen irgend welchen zwei Körpern oder positiven Wesen liegend, ohne Rücksicht darauf, ob sich zwischen diesen etwas Materielles befindet oder nicht, und ihn dann Abstand nennen: wie immer benannt oder betrachtet, stets ist es dieselbe gleichförmige einfache Idee des Raumes, entnommen von Objekten, womit unsere Sinne sich viel beschäftigt haben; und wenn wir von diesen Den vorgenannten verschiedenen Modi des Raumes. bleibende Ideen in unserem Geiste haben, dann können wir sie wieder beleben, wiederholen und, so oft wir wollen, einander hinzufügen, und den so vorgestellten Raum oder Abstand entweder als angefüllt mit soliden Teilen betrachten, so daß kein anderer Körper hineinkommen kann, ohne den vorher dort befindlichen Körper zu verdrängen und hinauszustoßen; oder aber als leer von Solidität, so daß ein Körper von gleichem Umfang mit dem leeren oder bloßen Raume in diesem untergebracht werden mag, ohne etwas vorher dort Befindliches zu entfernen oder hinauszutreiben. Um jedoch bei Erörterungen über diesen Gegenstand Verwirrung zu vermeiden, wäre es vielleicht wünschenswert, daß der Name Ausdehnung (Extension) nur auf etwas Materielles oder den Abstand der äußersten Punkte besonderer Körper angewendet würde, und der Ausdruck Ausbreitung (Expansion) auf den Raum im allgemeinen mit oder ohne Erfüllung durch solide Materie, so daß man sagte: der Raum ist ausgebreitet und der Körper ausgedehnt. Indessen steht dies in jedermanns Belieben, ich mache nur den Vorschlag im Interesse einer klareren und deutlicheren Redeweise.

§ 28. Über klare und einfache Ideen sind die Menschen selten verschiedener Meinung. – Genau zu wissen, was unsere Worte bedeuten, würde, wie ich glaube, in diesem sowohl, wie in sehr vielen anderen Fällen dem Streite schnell ein Ende machen; denn ich bin geneigt anzunehmen, daß, falls die Menschen ihre einfachen Ideen prüfen, sie alle im allgemeinen übereinstimmend finden werden, wenn sie auch in der Unterredung miteinander sich vielleicht gegenseitig durch verschiedene Benennungen verwirrt machen. Menschen, die ihre Gedanken abstrahieren, und die Ideen ihres eigenen Geistes wohl prüfen, können, wie ich glaube, im Denken nicht weit voneinander abweichen, wenn sie sich auch gemäß der Redeweise der verschiedenen Schulen oder Sekten, in denen sie erzogen worden, mit Worten in Verwirrung setzen mögen; obgleich unter gedankenlosen Leuten, die ihre eigenen Ideen nicht genau und sorgfältig prüfen, und sie von den für sie gebräuchlichen Zeichen nicht ablösen, sondern mit den Wörtern verschmelzen, endloser Streit, Zank und Wortklauberei entstehen muß, besonders wenn es gelehrte Bücherwürmer sind, die, einer bestimmten Sekte ergeben und an deren Sprache gewöhnt, gelernt haben, anderen nachzusprechen. Sollte es aber vorkommen, daß zwei nachdenkende Menschen wirklich verschiedene Ideen hätten, dann sehe ich nicht ein, wie sie miteinander reden oder disputieren könnten. Man mißverstehe mich hier nicht, indem man jede flüchtige Einbildung des menschlichen Gehirns ohne weiteres zu der Art von Ideen rechnet, worüber ich spreche. Es ist für den Geist nicht leicht, die verworrenen Begriffe und Vorurteile abzulegen, die er aus Gewohnheit, Unachtsamkeit und alltäglicher Unterhaltung in sich aufgenommen hat; es gehört Mühe und Fleiß dazu, seine Ideen zu prüfen, bis er sie in die klaren und bestimmten einfachen auflöst, woraus sie zusammengesetzt sind, und um zu sehen, welche von den einfachen in notwendiger Verbindung mit und Abhängigkeit voneinander stehen. So lange man dies in der ersten und ursprünglichen Erkenntnis der Dinge nicht gethan hat, baut man auf schwankenden und unsicheren Grundlagen, und wird oft in Verlegenheit geraten.


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