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§ 1. Grundsätze können nicht angeboren sein, wenn nicht ihre Ideen das sind. – Hätten diejenigen, die uns überreden wollen, daß es angeborene Grundsätze gebe, nicht jeden derselben bloß als ein Ganzes aufgefaßt, sondern die Teile, woraus diese Sätze gebildet sind, voneinander getrennt betrachtet, so würden sie vielleicht nicht so voreilig gewesen sein, sie für angeboren zu halten, weil, falls die Ideen, die jene Wahrheiten ausmachen, nicht angeboren sind, es unmöglich ist, daß die aus ihnen zusammengefügten Sätze angeboren sein könnten, oder das Wissen von ihnen mit uns entstanden. Denn wenn die Ideen nicht angeboren waren, so gab es eine Zeit, wo der Geist ohne diese Prinzipien war, und dann können sie nicht angeboren sein, sondern müssen einen anderen Ursprung haben. Denn wo die Ideen selbst nicht vorhanden sind, da kann es auch kein Wissen von ihnen, keinen Beifall für sie, keine gedachten oder ausgesprochenen Sätze über dieselben geben.
§ 2. Ideen werden nicht mit den Kindern geboren, namentlich nicht solche, die Prinzipien angehören. – Wenn wir neugeborene Kinder aufmerksam betrachten, so werden wir wenig Ursache zu der Vermutung finden, daß sie viele Ideen mit sich auf die Welt bringen. Denn einige schwache Ideen von Hunger und Durst und Wärme vielleicht ausgenommen, und einige Schmerzen, die sie im Mutterleibe gefühlt haben mögen, zeigt sich überhaupt nicht der geringste Anschein von irgend welchen in ihnen schon bestehenden Ideen, insbesondere von Ideen, die den Ausdrücken entsprächen, woraus die für angeborene Prinzipien geltenden allgemeinen Sätze zusammengefügt sind. Es läßt sich wahrnehmen, wie später nach und nach Ideen in ihr Bewußtsein eintreten, und daß sie keine anderen erwerben als die, womit die Erfahrung und die Beobachtung der ihnen in den Weg kommenden Dinge sie versehen, was genügen sollte, um uns davon zu überzeugen, daß sie keine dem Geiste ursprünglich ausgeprägte Schriftzüge sind.
§ 3. »Kein Ding kann zugleich sein und nicht sein«, ist gewiß (wenn es überhaupt solche giebt) ein angeborener Grundsatz. Kann aber jemand glauben, oder will jemand behaupten, daß Unmöglichkeit und Identität zwei angeborene Ideen seien? Sind das solche, die alle Menschen haben und mit sich auf die Welt bringen? Und sind es solche, die zuerst in den Kindern da sind und allen erworbenen voraufgehen? Wenn sie angeboren sind, so muß dies notwendig der Fall sein. Hat ein Kind früher eine Idee von Unmöglichkeit und Identität, als es eine solche von weiß oder schwarz, süß oder bitter hat? Und beruht es auf seiner Kenntnis dieses Prinzips, wenn es schließt, daß Wermut, auf die Brustwarze gerieben, nicht denselben Geschmack hat, den es sonst von dorther zu erhalten pflegte? Ist es ein wirkliches Wissen von: impossibile est, idem esse et non esse, was das Kind befähigt, zwischen seiner Mutter und einer Fremden zu unterscheiden, oder es bestimmt, jene lieb zu haben und vor dieser zu fliehen? Oder regelt der Geist sich und seine Zustimmung nach Ideen, die er noch niemals gehabt hat? Oder zieht der Verstand Schlüsse aus Grundsätzen, die er noch niemals kennen gelernt oder verstanden hat? Die Namen Unmöglichkeit und Identität bezeichnen zwei Ideen, die soweit davon entfernt sind, angeboren oder mit uns entstanden zu sein, daß ich denke, es gehört große Sorgfalt und Aufmerksamkeit dazu, sie in unserem Verstande recht auszubilden. Sie sind soweit davon entfernt, mit uns auf die Welt gebracht zu sein, soweit entfernt von den Gedanken des frühesten Lebensalters und der Kindheit, daß ich glaube, eine Prüfung wird ergeben, daß sie vielen erwachsenen Menschen fehlen.
§ 4. Identität ist keine angeborene Idee. – Wenn Identität (um dieses Beispiel allein anzuwenden) ein angeborener Eindruck und folglich für uns so klar und auf der Hand liegend wäre, daß wir sie notwendig von der Wiege her kennen müßten, so würde mir gerne jeder, sei er nun sieben oder siebzig Jahre alt, Aufschluß darüber geben, ob ein Mensch, der ein aus Leib und Seele bestehendes Geschöpf ist, noch derselbe Mensch bleibt, wenn er den Leib wechselt? Ob Euphorbus und Pythagoras, weil sie dieselbe Seele hatten, derselbe Mensch waren, obwohl sie verschiedene Menschenalter nacheinander lebten? Ja, ob auch der Hahn, der dieselbe Seele hatte, Eine Anspielung auf Lucians Erzählung vom Hahne des Mikyllus. nicht mit ihnen beiden identisch war? Dadurch wird es vielleicht erkennbar werden, daß unsere Idee von Identität nicht feststehend und klar genug ist, um für uns angeboren gelten zu können. Denn wenn die angeborenen Ideen nicht klar und deutlich genug sind, um allgemein bekannt zu sein und naturgemäß Beifall zu finden, so können sie nicht die Subjekte allgemeiner und zweifelloser Wahrheiten sein, sondern werden unvermeidlich Anlaß zu beständiger Ungewißheit geben. Denn nicht jedermanns Idee von Identität ist, denke ich, dieselbe, die Pythagoras und andere seiner Anhänger hatten. Welche soll denn die wahre sein? welche die angeborene? Oder giebt es zwei verschiedene Ideen von Identität, und sind beide angeboren?
§ 5. Möge auch niemand denken, daß die Fragen, die ich hier über die Identität eines Menschen aufgeworfen habe, bloß leere Spekulationen seien, obwohl das, wenn sie es wären, genügen würde, um zu zeigen, daß es im menschlichen Verstande keine angeborene Idee von Identität gebe. Wer nur mit einiger Aufmerksamkeit über die Auferstehung nachdenkt und erwägt, daß die göttliche Gerechtigkeit am jüngsten Tage gerade dieselben Personen zur Seligkeit oder Unseligkeit in einem anderen Leben verurteilen wird, die in diesem gut oder böse gehandelt haben, der wird es vermutlich nicht leicht finden, bei sich zu entscheiden, was denselben Menschen ausmacht, oder worin die Identität besteht, und wird nicht so voreilig sein zu glauben, daß er und jedermann, sogar Kinder, von Natur eine klare Idee davon haben.
§ 6. Das Ganze und die Teile sind keine angeborene Ideen. – Laßt uns einmal das mathematische Prinzip prüfen: »Das Ganze ist größer als ein Teil«. Das wird, wie ich meine, zu den angeborenen Grundsätzen gerechnet. Gewiß hat es ein ebenso gutes Recht, dafür zu gelten, wie irgend ein anderes, und doch kann niemand es dafür halten, wenn er erwägt, daß die in ihm befaßten Ideen »das Ganze« und »ein Teil« vollkommen relativ, die positiven Ideen aber, wozu jene eigentlich und unmittelbar gehören, Ausdehnung und Zahl sind, indem das Ganze und ein Teil nur Relationen dieser ausmachen. So daß, wenn das Ganze und ein Teil angeborene Ideen sind, Ausdehnung und Zahl es auch sein müssen, weil es unmöglich ist, von einer Relation eine Idee zu haben, wenn man von dem Dinge, dem sie angehört und worauf sie sich stützt, ganz und gar keine hat. Ob nun die Ideen von Ausdehnung und Zahl dem menschlichen Geiste von Natur eingeprägt sind, das überlasse ich der Erwägung derer, die sich mit der Verteidigung der angeborenen Prinzipien befassen.
§ 7. Die Idee der Verehrung ist nicht angeboren. – Daß Gott verehrt werden muß, ist ohne Zweifel eine so große Wahrheit, wie nur irgend eine, die der menschliche Geist in sich aufnehmen kann, und ihr gebührt der oberste Rang unter allen praktischen Grundsätzen. Doch läßt sie sich auf keine Weise für angeboren halten, wenn nicht die Idee von Gott und Verehrung angeboren sind. Daß die mit dem Ausdruck »Verehrung« Worship, wofür uns eigentlich ein entsprechendes deutsches Wort fehlt, denn »Verehrung« ist zu weit, weil sie auch gegen Menschen möglich ist, »Anbetung« ist zu eng, weil worship nicht bloß im Beten besteht. bezeichnete Idee sich im Bewußtsein der Kinder nicht vorfindet, und kein dem Geiste bei dessen erstem Ursprung ausgeprägtes Schriftzeichen ist, wird jeder, denke ich, leicht zugeben, der erwägt, wie wenig erwachsene Menschen es giebt, die einen klaren und deutlichen Begriff davon haben. Und ich meine, es kann nichts lächerlicher sein, als zu behaupten, den Kindern sei der praktische Grundsatz: »Gott muß verehrt werden«, angeboren, ohne daß sie wüßten, worin die Verehrung Gottes bestehe, die ihre Pflicht sei. Jedoch, um dies beiseite zu lassen, so ist
§ 8. Die Idee Gottes nicht angeboren. – Wenn irgend eine Idee für angeboren gelten könnte, so ließe sich aus vielen Gründen vor allen anderen die Idee Gottes dafür halten, weil es schwer begreiflich ist, wie es angeborene moralische Grundsätze geben könnte, ohne eine angeborene Idee von einer Gottheit; ohne die Vorstellung eines Gesetzgebers kann man unmöglich die Vorstellung eines Gesetzes und einer Verpflichtung zur Befolgung desselben haben. Hat nicht, von den unter den Alten bekannt gewordenen Atheisten abgesehen, deren Brandmale uns in den historischen Urkunden aufbehalten sind, die Schiffahrt in neuerer Zeit an der Bai von Soldania (Saldanha), Roe apud Thevenot, p. 2. in Brasilien, Jo de Lery, c. 16. in Boranday Martinière 201/322, Terry 17/545 und 23/545, Ovington 489/606. und auf den karaibischen Inseln etc. ganze Nationen entdeckt, bei denen sich keine Kenntnis eines Gottes, keine Religion finden ließ? Nicholaus del Techo schreibt in Literis ex Paraquaria de Caaiguarum Conversione wörtlich: » Reperi eam gentem nullum nomen habere, quod Deum et hominis animam significet, nulla sacra habet, nulla idola.« Relatio triplex de rebus Indicis Caaiguarum, 43/70. Das sind Beispiele von Völkern, bei denen die unkultivierte Natur sich selbst überlassen geblieben ist, ohne den Beistand von Gelehrsamkeit und Unterricht und die Fortschritte von Künsten und Wissenschaften. Es giebt aber auch noch andere, die sich beider in sehr großem Maße zu erfreuen gehabt haben, und denen doch, weil sie sich des Nachdenkens in dieser Richtung nicht gehörig befleißigt haben, die Idee und die Kenntnis Gottes mangelt. Ich bezweifle nicht, daß es für andere ebenso überraschend sein wird, wie es für mich gewesen ist, unter deren Zahl die Siamesen zu finden. Sie mögen aber hierüber den vor kurzem dorthin abgeordneten Gesandten des Königs von Frankreich La Loubère, du Royaume de Siam, t. 1, c. 9, sect. 15, und c. 20, sect. 22, und c. 22, sect. 6. zu Rate ziehen, der selbst von den Chinesen nichts Besseres berichtet. Ib. t. 1, c. 20, sect. 4 und c. 23. Und wenn wir La Loubère nicht glauben wollen, so stimmen die Missionäre in China, sogar die Jesuiten, die großen Lobredner der Chinesen, alle, Mann für Mann, darin überein und überzeugen uns davon, daß die Sekte der Litteraten oder Gelehrten, die an der alten Religion Chinas festhalten, und die dort herrschende Partei alle zusammen Atheisten sind. Siehe Navarette in der Sammlung von Reisen, Bd. I und Historia cultus Sinensium. Und vielleicht würden wir, wenn wir auf die Lebensart und die Reden nicht so weit entfernter Leute mit Aufmerksamkeit achteten, nur allzuviel Ursache zu der Besorgnis haben, daß in civilisierteren Ländern viele keine besonders starken und klaren Eindrücke einer Gottheit auf ihre Gemüter in sich tragen, und daß die von der Kanzel erhobenen Klagen über Atheismus nicht ohne Grund sind. Und obgleich jetzt nur einige ruchlose Buben ihn ganz unverhüllt bekennen, so würden wir doch vielleicht mehr, als wir thun, von anderen über ihn hören, wenn nicht die Furcht vor dem Schwert der Obrigkeit oder vor dem Tadel ihrer Nachbarn die Zungen der Leute lähmte, die, wenn die Besorgnis vor Strafe oder Schande entfernt würde, deren Atheismus ebenso offen proklamieren würden, wie ihre Lebensweise thut.
§ 9. Wenn aber auch alle Menschen allerorten die Vorstellung eines Gottes hätten (wovon uns doch die Geschichte das Gegenteil lehrt), so würde hieraus nicht folgen, daß die Idee desselben angeboren sei. Denn, wenn auch kein Volk ohne einen Namen für ihn und einige dunkle Gedanken über ihn gefunden würde, so ergäbe sich daraus doch nicht mehr, daß diese von Natur dem Geiste eingeprägt seien, als die Namen des Feuers oder der Sonne, der Hitze oder der Zahl das Angeborensein der damit bezeichneten Ideen beweisen, weil die Namen dieser Dinge und deren Ideen unter den Menschen so allgemein angenommen und bekannt sind. (Anderseits ist auch der Mangel eines solchen Namens oder das Fehlen eines solchen Begriffes im Bewußtsein der Menschen ebensowenig ein Beweis gegen das Dasein Gottes, wie es ein Beweis für die Nichtexistenz eines Magnetsteins in der Welt sein würde, daß ein großer Teil der Menschen von einem solchen Dinge weder einen Begriff noch einen Namen dafür hat; noch liegt ein scheinbares Argument, um die Nichtexistenz von verschiedenen und mannigfachen Arten von Engeln oder intelligenten Wesen über uns darzuthun, darin, daß wir von solchen verschiedenen Arten keine Ideen oder Namen dafür haben.) Denn da die Menschen durch die in ihren Heimatsländern insgemein übliche Sprache mit Worten versehen werden, so können sie kaum umhin, von den Dingen, deren Namen sie oft Gelegenheit haben, von den mit ihnen Redenden zu hören, irgend eine Art von Ideen zu gewinnen; und wenn sie mit dem Namen die Vorstellung von Erhabenheit, Größe oder etwas Außerordentlichem erhalten, wenn Furcht und Sorge ihn begleiten, wenn die Angst vor einer schrankenlosen und unwiderstehlichen Macht ihn dem Geiste aufdrängt, dann wird die Idee sich wahrscheinlich um so tiefer einsenken und um so weiter ausbreiten, besonders, wenn sie von solcher Art ist, daß sie dem gemeinsamen Lichte der Vernunft zusagt und sich aus jedem Teile unseres Wissens natürlich ableiten läßt, wie das von der Idee eines Gottes gilt. Denn die sichtbaren Anzeichen von außerordentlicher Weisheit und Macht treten so klar in allen Werken der Schöpfung hervor, daß keinem vernünftigen Wesen, welches nur ernstlich auf sie achtgeben will, die Entdeckung einer Gottheit entgehen kann. Und der Einfluß, den die Entdeckung eines solchen Wesens auf die Gemüter aller, die nur einmal von ihm gehört haben, notwendig üben muß, ist so groß und bringt eine solche Wucht von Gedanken und Unterredung mit sich, daß es mir sonderbarer erscheint, wenn sich irgendwo eine ganze menschliche Nation von solcher Roheit finden läßt, daß ihr die Vorstellung eines Gottes fehlt, als wenn sie von einer Anzahl oder dem Feuer gar keine Vorstellung hätte.
§ 10. Wenn der Name Gott in irgend welchem Teile der Welt einmal gebraucht worden ist, um ein erhabenes, mächtiges, weises, unsichtbares Wesen zu bezeichnen, so muß die Angemessenheit eines solchen Begriffes zu den Prinzipien der gemeinsamen Vernunft und das Interesse der Menschen an seiner häufigen Erwähnung notwendig bewirken, daß er fern und weit ausgebreitet und allen nachfolgenden Generationen überliefert wird, obwohl doch die allgemeine Aufnahme dieses Namens und einige unvollkommene und schwankende Begriffe, die dadurch dem gedankenlosen Teile der Menschen beigebracht werden, nicht das Angeborensein der Idee beweisen, sondern nur, daß die, welche die Entdeckung machten, ihre Vernunft richtig gebraucht, reiflich über die Ursachen der Dinge nachgedacht und sie bis zu ihrem ersten Anfang verfolgt hatten, und daß, nachdem andere weniger nachdenkende Leute von jenen eine so wichtige Erkenntnis einmal empfangen hatten, diese nicht leicht wieder verloren gehen konnte.
§ 11. Das ist alles, was man aus der Vorstellung eines Gottes schließen könnte, wenn sie sich allerorten bei allen Menschengeschlechtern finden ließe und von den zu reifen Jahren erwachsenen Menschen in allen Ländern allgemein anerkannt würde. Denn die Allgemeinheit der Anerkennung eines Gottes erstreckt sich meiner Ansicht nach nicht weiter als hierauf, und wenn diese genügt, die Idee von Gott als angeboren zu erweisen, so wird sie denselben Beweis auch für die Idee des Feuers liefern, weil, denke ich, mit Recht gesagt werden kann, daß es niemand in der Welt giebt, der eine Vorstellung von Gott hat und nicht auch die Idee des Feuers hätte. Wenn auf einer Insel, wo es kein Feuer gäbe, eine Kolonie von jungen Kindern errichtet würde, so bezweifle ich nicht, daß diese sicherlich weder irgend eine Vorstellung von einem solchen Dinge noch einen Namen dafür haben würden; wie allgemein es auch in der ganzen übrigen Welt gebräuchlich und bekannt wäre; und vielleicht würden auch ihre Begriffe von irgend welcher Benennung oder Vorstellung eines Gottes ebenso weit entfernt bleiben, bis einer unter ihnen sein Denken auf die Untersuchung der Beschaffenheit und der Ursachen der Dinge gerichtet hätte, was ihn leicht auf die Vorstellung eines Gottes hinführen würde, die dann, nachdem sie den anderen einmal gelehrt worden, sich durch die Vernunft und den natürlichen Zug der eigenen Gedanken dieser späterhin unter ihnen ausbreiten und fortbestehen würde.
§ 12. Erwiderung darauf, es entspreche der Güte Gottes, daß alle Menschen eine Idee von ihm hätten, deshalb lasse er sie ihnen von Natur eingeprägt werden. – Freilich macht man geltend, es entspreche der Güte Gottes, den Geistern der Menschen Schriftzüge und Vorstellungen seines eigenen Daseins aufzuprägen und sie in einer Angelegenheit von so großem Interesse nicht im Dunkel und Zweifel zu lassen, wie auch hierdurch sich selber die ihm ab seiten eines so intelligenten Geschöpfes, wie des Menschen, gebührende Huldigung und Verehrung zu sichern; und deshalb habe er es gethan.
Wenn dieses Argument überhaupt zutreffend wäre, so würde es viel mehr beweisen, als die, welche sich seiner bedienen, in diesem Falle von ihm erwarten. Denn, wenn wir schließen dürfen, daß Gott, weil dies seiner Güte entspreche, alles für die Menschen gethan habe, was nach deren Urteil das Beste für sie sein werde, so ergiebt sich uns, daß Gott nicht nur dem menschlichen Geiste eine Idee seines eignen Daseins aufgeprägt hat, sondern daß er dort klar in deutlichen Schriftzügen alles ausgedrückt habe, was die Menschen von ihm wissen oder glauben sollen, alles, was sie, seinem Willen gehorsam, thun sollen, und daß er ihnen einen Willen und Neigungen gegeben habe, die dem entsprechen. Dies wird ohne Zweifel jedermann besser für die Menschen halten, als wenn sie im Dunkel nach Erkenntnis tappen, wie St. Paul uns sagt, daß alle Völker so nach Gott suchten (Apostelgesch. XVII, 27), wenn ihr Wille mit ihrer Einsicht kollidiert und ihre Begierden ihrer Pflicht in die Quere kommen. Die römischen Katholiken sagen, es sei für die Menschen am besten und entspreche deshalb der Güte Gottes, daß es für die Streitigkeiten auf Erden einen unfehlbaren Richter gebe, und deshalb sei einer da. Und aus demselben Grunde sage ich, noch besser würde es für die Menschen sein, wenn jeder von ihnen selbst unfehlbar wäre. Ich gebe der Erwägung anheim, ob man kraft dieses Arguments jeden Menschen dafür ansehen will. Ich halte es für ein sehr gutes Argument, zu sagen: »Der unendlich weise Gott hat es so eingerichtet, und deshalb ist es so am besten.« Aber man scheint mir unserer eigenen Weisheit etwas zu viel zuzutrauen, wenn man sagt: »Ich halte dies für das Beste, deshalb hat Gott es so gemacht«; und in der vorliegenden Sache ist es ohnehin vergeblich, mit Hilfe einer solchen Wendung beweisen zu wollen, was Gott gethan habe, da die sichere Erfahrung uns das Gegenteil zeigt. An Güte aber hat Gott es den Menschen gegenüber auch ohne solche ursprünglich dem Geiste eingeprägte Kenntnisse oder ihm aufgestempelte Ideen nicht fehlen lassen, indem er den Menschen mit Fähigkeiten versehen hat, die zur hinlänglichen Entdeckung aller um eines solchen Wesens willen notwendigen Dinge dienen; und ich hoffe zu zeigen, daß wir durch rechten Gebrauch unserer natürlichen Fähigkeiten ohne irgend welche angeborene Prinzipien zu einer Erkenntnis Gottes und anderer für uns wichtiger Dinge gelangen können. Nachdem Gott den Menschen mit dem Erkenntnisvermögen, was er besitzt, ausgestattet hatte, war er durch seine Güte ebenso wenig verbunden, dessen Geist jene angeborenen Vorstellungen einzupflanzen, als ihm Brücken oder Häuser zu bauen, nachdem er ihm Verstand, Hände und Materialien gegeben hatte; diese aber fehlen gewissen Völkern in der Welt, obwohl sie gute Anlagen haben, entweder völlig, oder sie sind damit nur schlecht versehen, gleich wie andere ganz ohne Ideen von Gott und moralische Grundsätze sind, oder wenigstens nur sehr schlechte haben, indem der Grund davon in beiden Fällen der ist, daß sie ihre Anlagen, Fähigkeiten und Kräfte niemals fleißig in der bestimmten Richtung angewendet, sondern sich mit den vorgefundenen Meinungen, Sitten und Dingen Statt things ist vielleicht thinkings (Urteile, Ansichten) zu lesen. ihres Landes begnügt haben, ohne darüber irgend weiter hinauszusehen. Wäret ihr oder ich an der Bai von Soldania geboren, so wären unsere Gedanken und Vorstellungen möglicherweise ebenso roh geblieben, wie die der dort wohnhaften Hottentotten, und wenn der virginische König Apochancana in England erzogen wäre, so würde vielleicht aus ihm ein ebenso erleuchteter Gottesgelehrter und ein ebenso guter Mathematiker geworden sein, wie sich irgend einer hier befindet, da der Unterschied zwischen ihm und einem höher gebildeten Engländer nur darin besteht, daß die Übung seiner Fähigkeiten durch die Lebensweise, die Sitten und die Kenntnisse seines eigenen Heimatslandes beschränkt, und niemals auf andere oder weitere Untersuchungen gerichtet war; und wenn er überhaupt keine Idee von einem Gotte hatte, so lag das nur daran, daß er die Gedanken, die ihn dazu hingeführt hätten, nicht verfolgte.
§ 13. Die Vorstellungen von Gott sind bei verschiedenen Menschen verschieden. – Ich gebe zu, daß, wenn sich irgend eine dem menschlichen Geiste aufgeprägte Idee finden ließe, wir mit Grund erwarten dürften, daß sie die Vorstellung seines Schöpfers sein werde, gleichsam ein Zeichen, was Gott selbst auf sein Werk gesetzt, um den Menschen an seine Abhängigkeit und seine Pflicht zu erinnern, und daß hierin sich die ersten Beispiele menschlicher Erkenntnis zeigen würden. Aber wie lange dauert es, bevor irgend ein solcher Gedanke sich in Kindern entdecken läßt! Und wenn wir ihn dort finden, wie viel mehr gleicht er der Meinung und dem Gedanken des Lehrers, als daß er den wahren Gott darstellte! Wer in Kindern den Fortschritt beobachtet, wodurch ihr Geist das Wissen erlangt, was sie besitzen, wird der Ansicht sein, daß die Gegenstände, womit sie sich am frühesten und vertrautesten beschäftigen, eben die sind, welche die ersten Eindrücke auf ihren Verstand machen; von anderen wird er nicht die geringsten Spuren entdecken können. Es läßt sich leicht bemerken, wie ihre Gedanken sich nur erweitern, insofern sie mit einer größeren Mannigfaltigkeit sinnlich wahrnehmbarer Objekte bekannt und fähig werden, deren Ideen in ihrem Gedächtnis festzuhalten, sie zusammenzusetzen, zu erweitern und auf verschiedene Art miteinander zu verbinden. Wie sie hiedurch dazu kommen, in ihrem Bewußtsein die Idee auszubilden, welche die Menschen von einer Gottheit haben, werde ich weiter unten zeigen.
§ 14. Läßt es sich denken, daß die Ideen, welche die Menschen von Gott haben, die von seinem eigenen Finger ihrem Geiste eingegrabenen Charaktere und Kennzeichen seiner selbst seien, wenn wir sehen, daß in demselben Lande unter ein und demselben Namen die Menschen sehr verschiedene, ja oft entgegengesetzte und miteinander unverträgliche Ideen und Begriffe von ihm haben? Daß sie über einen Namen oder einen Wortlaut einverstanden sind, wird schwerlich eine angeborene Vorstellung von ihm beweisen.
§ 15. Welche wahre oder leidliche Vorstellung von einer Gottheit konnten die haben, die Hunderte anerkannten und verehrten? Jede Gottheit, die sie mehr als eine verehrten, war ein unfehlbares Zeugnis für ihre Unkenntnis derselben und ein Beweis, daß sie keinen richtigen Begriff von Gott hatten, weil darin Einheit, Unendlichkeit und Ewigkeit fehlten. Nehmen wir dazu ihre grobe Vorstellung der Körperlichkeit, wie sie in den Bildern und Darstellungen ihrer Gottheiten zum Ausdruck gelangt ist, die Liebschaften, Heiraten, Paarungen, Lüste, Streitigkeiten und andere gemeine Eigenschaften, die sie ihren Göttern zuschrieben, so werden wir wenig Ursache zu der Annahme haben, daß die heidnische Welt, d. h. der größte Teil der Menschen, in ihrem Geiste solche Ideen von Gott hegte, wie er selbst aus Sorge dafür, daß sie ihn nicht verkennen sollten, geschaffen haben würde. Und wenn die Allgemeinheit des Beifalls, auf die man sich so laut beruft, irgend welche angeborene Eindrücke beweist, so bestehen diese nur darin, daß Gott dem Geiste aller dieselbe Sprache redenden Menschen einen Namen für sich eingeprägt hat, aber keine Idee, weil die über den Namen einverstandenen Leute zugleich von dem damit bezeichneten Dinge sehr verschiedene Auffassungen haben. Wenn man sagt, die Mannigfaltigkeit der von der Heidenwelt verehrten Gottheiten sei nur eine figürliche Weise, die verschiedenen Attribute des unbegreiflichen Wesens oder die verschiedenen Zweige seiner Vorsehung auszudrücken, so erwidere ich: was sie ursprünglich gewesen sein mögen, will ich hier nicht untersuchen, daß sie aber so etwas in den Gedanken des gemeinen Volkes gewesen seien, wird, denke ich, niemand behaupten. Und wer die Reise des Bischofs von Berytos c. 13 (anderer Zeugnisse nicht zu gedenken) zu Rate ziehen will, der wird finden, daß die Theologie der Siamesen ausdrücklich eine Mehrheit von Göttern bekennt, oder wie der Abbé de Choisy in seinem Journal du voyage de Siam 107/177 zutreffender bemerkt, sie besteht eigentlich darin, überhaupt keinen Gott anzuerkennen.
Wenn man sagt, daß weise Männer aller Nationen zu richtigen Begriffen von der Einheit und Unendlichkeit der Gottheit gelangt sind, so gebe ich das zu. Aber dann wird hiedurch 1. die Allgemeinheit des Beifalls für mehr als den bloßen Namen ausgeschlossen, denn da die Zahl jener weisen Männer eine sehr geringe ist, vielleicht einer von tausend, so ist auch diese Allgemeinheit eine sehr beschränkte. 2. wie mir scheint, klar bewiesen, daß die wahrsten und besten Begriffe, welche die Menschen von Gott gehabt haben, nicht angeboren, sondern durch Nachdenken und Überlegung und einen richtigen Gebrauch ihrer Fähigkeiten erworben waren; weil die weisen und bedachtsamen Menschen in der Welt durch eine rechte und sorgfältige Anwendung ihres Denkens und ihrer Vernunft wahre Einsichten hierin so gut wie in andere Dinge erlangten, während der träge und unbedachtsame Teil der Menschen, der bei weitem die größere Zahl ausmacht, sich seine Ansichten von ungefähr, aus der gemeinen Überlieferung und den vulgären Vorstellungen bildete, ohne sich den Kopf viel darüber zu zerbrechen. Und wenn man Ursache hat, den Gottesbegriff für angeboren zu halten, weil alle weisen Männer ihn gehabt haben, so muß man auch die Tugend für angeboren halten, denn auch die haben weise Männer stets gehabt.
§ 16. So stand die Sache offenbar im ganzen Heidentum, und selbst unter den Juden, Christen und Mohammedanern, die nur einen Gott anerkennen, haben diese Lehre und die Sorgfalt, womit bei diesen Nationen den Menschen richtige Begriffe von Gott beigebracht werden, nicht zu bewirken vermocht, daß sie übereinstimmende und wahre Ideen von ihm haben. Wie viele würden sich sogar unter uns bei näherer Nachfrage finden lassen, die sich ihn in der Gestalt eines im Himmel thronenden Mannes vorstellen, und manche andere absurde und unpassende Begriffe von ihm hätten. Unter den Christen sowohl wie unter den Türken hat es ganze Sekten gegeben, die das im Ernste bekannten und dafür stritten, sowie, daß die Gottheit ein körperliches Wesen und von menschlicher Gestalt sei; und wenn sich auch unter uns wenige finden, die sich selbst für Anthropomorphiten erklären (obgleich mir einige, die dies thaten, begegnet sind), so glaube ich doch, daß jemand, der sich das Aufsuchen zum Geschäfte machte, unter den unwissenden und schlecht unterrichteten Christen bei vielen jene Meinung antreffen würde. Man möge nur mit Bauersleuten fast von jedem Alter, oder mit jungen Leuten fast von jedem Stande reden, und man wird finden, daß, obgleich sie den Namen Gottes häufig im Munde führen, doch die Vorstellungen, die sie damit verbinden, so seltsam, niedrig und jämmerlich sind, daß man nicht glauben kann, sie seien ihnen von einem vernünftigen Manne gelehrt, geschweige denn, sie seien von dem Finger Gottes selbst geschriebene Charaktere. Auch sehe ich nicht ein, weshalb es der Güte Gottes mehr Abbruch thun sollte, daß er uns Geister gegeben hat, ohne sie mit Ideen von ihm selbst auszustatten, als daß er uns mit nackten Leibern in die Welt geschickt hat, und daß keine Kunst oder Geschicklichkeit mit uns geboren wird; denn da wir mit Fähigkeiten versehen sind, um sie zu erwerben, so beruht es auf einem Mangel an Fleiß und Überlegung bei uns und nicht an Güte bei ihm, wenn wir sie nicht besitzen. Es ist eben so gewiß, daß es einen Gott giebt, als daß die Scheitelwinkel, die von zwei sich schneidenden geraden Linien gebildet werden, einander gleich sind. Es hat niemals ein vernünftiges Wesen gegeben, das diesen Sätzen nicht beigestimmt haben sollte, wenn es sich ernstlich darauf legte, ihre Wahrheit zu prüfen, obgleich es zweifelsohne viele Menschen giebt, die sich über den einen wie über den anderen in Unwissenheit befinden, weil sie ihre Gedanken niemals darauf gerichtet haben. Wenn jemand dies allgemeinen Beifall nennen will (der eine weitere Ausdehnung nicht haben kann), so gebe ich einen solchen gerne zu, aber ein allgemeiner Beifall von dieser Art beweist nicht mehr, daß die Idee Gottes, als daß die Idee von Scheitelwinkeln angeboren ist.
§ 17. Wenn die Idee Gottes nicht angeboren ist, so läßt sich das von keiner anderen annehmen. – Weil demnach, obgleich das Wissen vom Dasein eines Gottes die natürlichste Entdeckung der menschlichen Vernunft ist, doch – wie aus dem Gesagten, denke ich, erhellt – die Idee von ihm nicht angeboren ist, so wird sich, wie ich glaube, kaum eine andere Idee finden lassen, die Anspruch darauf hätte; denn wenn Gott irgend welchen Eindruck, irgend welche Schriftzüge dem menschlichen Geiste beigebracht hat, so muß man das vernünftigerweise am meisten von einer klaren und gleichförmigen Idee seiner selbst erwarten, soweit wie unsere schwache Fassungskraft imstande gewesen wäre, ein so unbegreifliches und unendliches Objekt aufzunehmen. Da aber unser Bewußtsein anfangs leer von der Idee ist, an deren Besitz uns am meisten liegt, so begründet das eine starke Vermutung gegen alle anderen angeborenen Charaktere. Ich muß gestehen, daß ich, soweit meine Beobachtung reicht, keine finden kann, und es würde mich freuen, von jemand anders eines Besseren belehrt zu werden.
§ 18. Die Idee der Substanz ist nicht angeboren. – Ich räume ein, daß es eine andere Idee giebt, deren Besitz für die Menschen von allgemeinem Nutzen sein würde, wie denn allgemein so gesprochen wird, als wenn sie dieselbe hätten; und das ist die Idee der Substanz, die wir durch Sinneswahrnehmung oder Selbstbeobachtung weder besitzen noch erlangen können. Wenn die Natur Sorge trug, uns mit gewissen Ideen zu versehen, so dürfen wir wohl erwarten, daß es solche seien, die wir uns durch unser eigenes Vermögen nicht verschaffen können; wir sehen aber im Gegenteil, daß, weil jene Idee nicht auf eben den Wegen in unser Bewußtsein gelangt, wie unsere Ideen im allgemeinen thun, wir von der Substanz überhaupt keine klare Idee haben, und deshalb mit diesem Wort nur eine unbestimmte Hypothese von, wir wissen nicht was, bezeichnen, d. h. von etwas, wovon wir keine besondere, deutliche, positive Idee haben, was wir für die Unterlage oder den Träger der uns bekannten Ideen halten.
§ 19. Sätze können nicht angeboren sein, weil es keine angeborenen Ideen giebt. – Mag man demnach über angeborene Grundsätze, seien es spekulative oder praktische, reden, was man will, so läßt sich mit ebensoviel Wahrscheinlichkeit behaupten, daß jemand hundert Pfund Sterling in der Tasche habe, während man leugnet, daß er einen Pfennig, einen Schilling, eine Krone oder andere Münzen, die jene Summe ausmachen könnten, bei sich führe, als sich denken läßt, daß gewisse Sätze angeboren seien, wenn man dies von den Ideen, die sie betreffen, auf keine Weise voraussetzen darf. Die allgemeine Annahme und der gezollte Beifall beweisen ganz und gar nicht, daß die in ihnen zum Ausdruck gelangten Ideen angeboren sind, denn in vielen Fällen wird, gleichviel wie die Ideen dorthin gekommen, den Worten, die deren Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung ausdrücken, notwendig beigestimmt werden. Jeder, der wahre Ideen von Gott und Verehrung hat, wird dem Satze beistimmen, daß Gott verehrt werden müsse, wenn dieser in einer ihm verständlichen Sprache ausgedrückt wird; und jeder vernünftige Mensch, der heute nicht an ihn gedacht hat, mag bereit sein, diesem Satze morgen beizustimmen; und doch läßt sich ganz füglich annehmen, daß die eine von diesen Ideen oder beide Millionen von Menschen heute fehlen. Denn, wenn wir einräumen wollen, daß Wilde und die meisten Leute vom Lande Ideen von Gott und Verehrung haben (was eine Unterhaltung mit ihnen nicht leicht glaublich machen wird), so denke ich doch, daß sich von wenigen Kindern annehmen läßt, sie seien im Besitze dieser Ideen, die sie also zu der einen oder der anderen Zeit sich erst werden aneignen müssen, und alsdann werden sie auch anfangen, jenem Satze beizustimmen und ihn später kaum jemals wieder in Frage stellen. Aber solch ein Beifall sofort nach dem Hören beweist das Angeborensein der Ideen nicht mehr, als es bewiesen ist, daß ein Blindgeborener (dem der Star morgen gestochen werden wird) angeborene Ideen von der Sonne oder dem Lichte, oder dem Safran, oder der gelben Farbe gehabt hat, weil er, nachdem seine Augen klar geworden, dem Satze, daß die Sonne hell, oder der Safran gelb sei, sicherlich beistimmen wird; und wenn solch ein Beifall sofort nach dem Hören das Angeborensein der Ideen nicht beweisen kann, so kann er deshalb das noch weniger für die aus diesen Ideen gebildeten Sätze. Wenn jemand irgend welche angeborene Ideen hat, so würde ich froh sein von ihm zu hören, welche und wie viele das sind.
§ 20. Das Gedächtnis enthält keine angeborenen Ideen. – Es möge mir gestattet sein, noch hinzuzufügen, daß, wenn es angeborene Ideen gäbe, im Geiste enthaltene Ideen, an die er nicht wirklich dächte, diese im Gedächtnis aufbewahrt sein und von dort durch die Erinnerung vor Augen gebracht werden müßten; d. h. man müßte, wenn sie erinnert würden, wissen, daß sie früher einmal als Wahrnehmungen im Geiste gewesen seien, es wäre denn, daß es eine Erinnerung geben könnte, wobei nichts erinnert würde. Denn erinnern heißt, etwas mit Hilfe des Gedächtnisses wahrnehmen, oder mit dem Bewußtsein, daß es früher erkannt oder wahrgenommen worden sei; jede Idee, die ohnedem dem Geiste gegenwärtig wird, ist neu und nicht erinnert; in dem Bewußtsein, daß sie schon früher dem Geiste gegenwärtig war, liegt der Unterschied der Erinnerung von allen anderen Weisen des Denkens. Eine Idee, die der Geist sich niemals zum Bewußtsein gebracht hat, ist noch niemals im Geiste gewesen. Jede im Geiste befindliche Idee ist entweder eine gegenwärtige Wahrnehmung, oder sie ist, nachdem sie dies gewesen, dergestalt in ihm, daß sie durch das Gedächtnis wieder zu einer gegenwärtigen Wahrnehmung gemacht werden kann. Wenn eine Idee ohne Beihilfe des Gedächtnisses wirklich wahrgenommen wird, so erscheint sie vor dem Verstande immer als etwas vollkommen Neues und Unbekanntes. Wenn das Gedächtnis eine Idee wirklich vor Augen bringt, so geschieht das immer mit dem Bewußtsein, daß sie schon früher dort gewesen und dem Geiste nicht völlig fremd sei. Dafür, ob sich das nicht so verhält, berufe ich mich auf die eigene Beobachtung eines jeden, und dann bitte ich um ein Beispiel von einer vermeintlich angeborenen Idee, die (ehe ein Eindruck derselben auf die hernach zu erwähnende Weise erfolgt ist) jemand wieder beleben, deren er sich als einer ihm früher bekannt gewordenen erinnern kann; indem es ohne dies Bewußtsein einer früheren Wahrnehmung keine Erinnerung giebt und keine Idee, die ohne dasselbe dem Geiste gegenwärtig wird, erinnert oder aus dem Gedächtnis aufgetaucht ist, noch auch von ihr sich sagen läßt, sie sei schon vor jenem Erscheinen in dem Geiste enthalten gewesen; denn, was nicht entweder wirklich vor Augen steht, oder im Gedächtnis bewahrt ist, das ist auf keine Weise im Geiste enthalten und verhält sich ganz so, als wenn es sich niemals dort befunden hätte. Angenommen, ein Kind hätte den Gebrauch seiner Augen so lange, bis es die Farben kennte und unterschiede, dann aber verschlösse der Star ihm die Fenster, es befände sich 40 oder 50 Jahre lang vollkommen im Dunkel und verlöre in dieser Zeit jede Erinnerung an die Ideen der Farben, die es früher hatte. In diesem Falle befand sich ein blinder Mann, mit dem ich einstmals sprach, der sein Gesicht in der Kindheit durch die Blattern verloren und von den Farben ebensowenig eine Vorstellung hatte, wie ein Blindgeborener. Nun frage ich, ob jemand behaupten kann, dieser Mann habe noch damals in seinem Geiste Ideen von Farben gehabt, mehr wie ein Blindgeborener? Und ich denke, niemand wird sagen, daß einer von beiden in seinem Geiste überhaupt irgend welche Idee von Farben hatte. Wird ihm der Star gestochen, dann werden seinem Geiste durch das wiederhergestellte Gesicht die Ideen der Farben (deren er sich nicht erinnert) de novo zugeführt, und zwar ohne irgend welches Bewußtsein früherer Bekanntschaft, und nun kann er im Dunkeln diese wieder beleben und sich ins Bewußtsein zurückrufen. In diesem Falle sagt man von allen diesen Ideen der Farben, die, wenn sie nicht vor Augen stehen, sich mit dem Bewußtsein früherer Bekanntschaft beleben lassen, sie seien im Geiste, weil sie solchergestalt im Gedächtnis enthalten sind. Die Nutzanwendung, die ich hiervon mache, besteht darin, daß jede Idee, die im Geiste enthalten ist, ohne wirklich vor Augen zu stehen, sich nur deshalb dort befindet, weil sie im Gedächtnis aufgehoben ist; daß sie im Geiste nicht enthalten ist, wenn sie im Gedächtnis fehlt; und daß, wenn sie im Gedächtnis bewahrt ist, sie von diesem nicht wirklich vor Augen gebracht werden kann, ohne eine Wahrnehmung davon, daß sie aus dem Gedächtnis herkommt, d. h. daß sie früher bekannt geworden war und jetzt erinnert wird. Giebt es also angeborene Ideen, so müssen sie im Gedächtnis oder sonst nirgends im Geiste vorhanden sein; sind sie im Gedächtnis, so lassen sie sich ohne einen von außen kommenden Eindruck beleben, und jedesmal, wenn sie dem Geiste gegenwärtig gemacht werden, werden sie erinnert, d. h. sie führen eine Wahrnehmung davon mit sich, daß sie demselben nichts völlig Neues sind. Denn das ist ein beständiger und charakteristischer Unterschied zwischen dem, was im Gedächtnis oder im Geiste enthalten ist und nicht ist, daß alles, was nicht im Gedächtnis enthalten ist, wenn es im Bewußtsein auftritt, immer als etwas vollkommen Neues und früher Unbekanntes erscheint, was aber im Gedächtnis oder im Geiste enthalten ist, wenn es durch das erstere vorgeführt wird, nicht als etwas Neues erscheint, vielmehr der Geist es in sich findet und weiß, daß es schon früher da gewesen ist. Hieran läßt sich prüfen, ob es, bevor durch Sinneswahrnehmung oder Selbstbeobachtung ein Eindruck erfolgt, irgend welche angeborene Ideen im Geiste giebt. Es wäre mir sehr erwünscht, jemand zu treffen, der sich irgend einer solchen zu der Zeit, als er zum Vernunftgebrauch kam, oder zu irgend einer anderen Zeit erinnert hätte, und dem sie zu keiner Zeit nach seiner Geburt etwas Neues gewesen wären. Wenn aber jemand behaupten will, es gebe Ideen im Geiste, die nicht im Gedächtnis enthalten seien, so bitte ich ihn, sich näher zu erklären und, was er sagt, verständlich zu machen.
§ 21. Grundsätze sind nicht angeboren, weil sie wenig nützen oder unsicher sind. – Außer dem bereits Gesagten giebt es noch einen anderen Grund, weshalb ich bezweifle, daß diese oder irgend welche anderen Grundsätze angeboren sind. Da ich völlig überzeugt davon bin, daß der unendlich weise Gott alle Dinge mit vollkommener Weisheit geschaffen hat, so kann ich es mir nicht genügend erklären, weshalb man annehmen sollte, daß er dem menschlichen Geiste gewisse allgemeine Grundsätze aufpräge, wovon die vermeintlich angeborenen, welche die Spekulation betreffen, nicht viel Nutzen bringen und die, welche die Praxis betreffen, nicht von selbst einleuchtend sind, beide endlich von gewissen anderen Wahrheiten, die nicht angeboren sein sollen, sich nicht unterscheiden lassen. Denn zu welchem Zwecke sollten dem Geiste durch den Finger Gottes Schriftzüge eingegraben sein, die sich dort nicht deutlicher zeigen als die später hineingelangten, oder sich von diesen nicht unterscheiden lassen? Wenn jemand meint, es gebe dort solche angeborene Ideen und Sätze, die sich durch ihre Klarheit und Nützlichkeit von allem Hinzugekommenen und Erworbenen im Geiste unterscheiden ließen, so wird es für ihn nicht schwer sein, uns zu sagen, was sie enthalten, und dann wird jedermann zu einem Urteil darüber imstande sein, ob sie solcher Art seien oder nicht; weil, wenn es solche angeborene Ideen und Eindrücke gäbe, die sich deutlich von allen anderen Wahrnehmungen und Erkenntnissen unterschieden, jedermann die Bestätigung dafür in sich finden müßte. Über die Augenscheinlichkeit dieser vermeinten angeborenen Axiome habe ich mich schon geäußert; über ihren Nutzen werde ich weiterhin Gelegenheit finden, mehr zu sagen.
§ 22. Der Unterschied in den Entdeckungen der Menschen hängt von der verschiedenen Anwendung ihrer Fähigkeiten ab. – Um zum Schlusse zu kommen: einige Ideen bieten sich dem Verstande aller Menschen ohne weiteres dar; einige Arten von Wahrheiten ergeben sich aus irgend welchen Ideen, sobald wie der Verstand sie in Sätze bringt: andere Wahrheiten erfordern, daß eine Reihe von Ideen in Ordnung gebracht, daß diese gehörig miteinander verglichen, und daß mit Aufmerksamkeit Schlüsse gezogen werden, bevor sie entdeckt werden und Beifall finden können. Von der ersten Klasse hat man wegen ihrer allgemeinen und leichten Annahme einige irrtümlicherweise für angeboren gehalten, in Wahrheit werden jedoch Ideen und Kenntnisse ebensowenig mit uns geboren wie Künste und Wissenschaften, wenn auch einige von ihnen sich unserer Auffassungsgabe leichter darbieten als andere, und deshalb allgemeiner angenommen werden; obgleich auch das in dem Maße geschieht, wie die Organe unseres Körpers und die Kräfte unseres Geistes zufällig gebraucht werden, indem Gott den Menschen mit Fähigkeiten und Mitteln ausgestattet hat, um ihrer Anwendung entsprechend Wahrheiten zu entdecken, anzunehmen und zu bewahren. Die große Verschiedenheit, die sich in den Kenntnissen der Menschen findet, rührt von dem verschiedenen Gebrauch her, den sie von ihren Fähigkeiten machen; während einige (und zwar die meisten) die Dinge auf Treu und Glauben annehmen, und ihr Vermögen der Beistimmung mißbrauchen, indem sie aus Trägheit ihren Verstand zum Sklaven der Vorschriften und Befehle anderer bei Lehren machen, die sie, um ihrer Pflicht zu genügen, sorgfältig prüfen, nicht aber blind mit unbedingtem Vertrauen hinunterschlucken müßten, beschäftigen andere ihre Gedanken nur mit einigen wenigen Dingen, werden mit diesen hinlänglich bekannt, erlangen einen hohen Grad des Wissens von ihnen und bleiben von allen anderen in Unwissenheit, weil sie ihren Gedanken niemals auf der Fährte anderer Nachforschungen freien Lauf lassen. Zum Beispiel: daß die drei Winkel eines Dreiecks genau gleich zwei rechten sind, ist so gewiß wahr, wie irgend etwas sein kann und, wie ich meine, einleuchtender als manche von den Sätzen, die für Prinzipien gelten; und doch giebt es Millionen, die, so kundig sie auch anderer Dinge sein mögen, dies gar nicht wissen, weil sie niemals über solche Winkel nachgedacht haben; und wer diesen Satz sehr gut kennt, kann doch mit der Wahrheit anderer ebenfalls mathematischer Sätze, die gerade so klar und einleuchtend sind wie dieser, völlig unbekannt sein, weil er bei seinem Aufsuchen dieser mathematischen Wahrheiten seinen Gedankengang abgebrochen hat und nicht soweit gelangt ist. Derselbe Fall kann mit Bezug auf die Kenntnis eintreten, die wir vom Dasein einer Gottheit haben, denn obgleich es keine Wahrheit giebt, die man für sich selber zu einleuchtenderer Gewißheit erheben kann, als das Dasein eines Gottes, so kann doch jemand lange ohne irgend welche Kenntnis von einem solchen Wesen leben, wenn er sich an den Dingen genügen läßt, so wie er sie in dieser Welt findet, wie sie zu seinem Vergnügen und seinen Leidenschaften dienen, und nicht ihren Ursachen, Zwecken und wunderbaren Einrichtungen ein wenig weiter nachforscht und die Gedanken hierüber mit Fleiß und Aufmerksamkeit verfolgt. Und wenn jemand anders gesprächsweise ihm eine Kenntnis Gottes in den Kopf gebracht hätte, so mag er sie vielleicht für wahr halten; aber wenn er sie niemals geprüft hat, so wird sein Wissen davon nicht vollkommener sein, als das eines Menschen, dem gesagt worden, daß die drei Winkel eines Dreiecks gleich zwei rechten seien, und der das auf Treu und Glauben annimmt, ohne den Beweis zu prüfen; er mag ihr seine Zustimmung geben wie einer wahrscheinlichen Meinung, aber er hat keine Einsicht in ihre Wahrheit, die doch seine Fähigkeiten bei sorgfältiger Anwendung ihm klar und einleuchtend hätten machen können. Dies jedoch nur beiläufig, um zu zeigen, wie sehr unser Wissen von dem rechten Gebrauch der uns von der Natur gegebenen Kräfte abhängt, und wie wenig von solchen angeborenen Prinzipien, von denen nutzloserweise angenommen wird, alle Menschen trügen sie als Leitsterne in sich; die allen Menschen bekannt sein müßten, wenn sie da wären, sonst würden sie ohne Zweck da sein, und deren Nichtdasein wir wohl daraus folgern dürfen, daß sie nicht allen Menschen bekannt sind, und sich nicht von anderen hinzugekommenen Wahrheiten unterscheiden lassen.
§ 23. Jedermann muß für sich selbst nachdenken und erkennen. – Welchen Tadel ein solches Bezweifeln angeborener Grundsätze sich bei denen verdienen mag, die geneigt sein werden, es als eine Zerstörung der alten Grundlagen von Erkenntnis und Gewißheit zu bezeichnen, kann ich nicht sagen; ich schmeichle mir aber wenigstens, daß auf dem von mir verfolgten Wege, weil er der Wahrheit angemessen ist, jene Grundlagen sicherer werden gelegt werden. Dessen bin ich gewiß, daß ich mich nicht bemüht habe, in der nachstehenden Abhandlung irgend einer Autorität entweder zu folgen oder nicht zu folgen; die Wahrheit ist mein einziges Ziel gewesen, und wohin die immer zu führen schien, dahin sind meine Gedanken vorurteilsfrei nachgegangen, unbekümmert darum, ob sich die Fußspuren eines anderen auf eben dem Wege zeigten oder nicht. Nicht als ob es mir an der schuldigen Achtung für die Ansichten anderer Leute fehlte; aber schließlich gebührt doch der Wahrheit die höchste Ehre, und ich hoffe, man wird keine Anmaßung darin erblicken, wenn ich sage, daß wir vielleicht in der Auffindung vernünftiger und kontemplativer Erkenntnisse größere Fortschritte machen würden, wenn wir diese an ihrer Quelle in der Betrachtung der Dinge selbst aufsuchten, und mehr von unseren eigenen Gedanken als von denen anderer Leute Gebrauch machten, um sie zu finden; denn ich meine, wir könnten ebenso gut hoffen, mit den Augen anderer Leute zu sehen, als mit ihrem Verstande zu erkennen. Soweit wir die Wahrheit und Vernunft selbst betrachten und begreifen, ebenso weit reicht unser Besitz an reeller und wahrer Erkenntnis. Daß die Gedanken anderer Leute in unserem Gehirn auf und ab wogen, vermehrt unsere Einsicht nicht um ein Jota, auch wenn sie zufällig wahr sind. Was in jenen Wissenschaft war, ist in uns nur Vorurteil, so lange wir unsere Beistimmung nur aus Hochachtung vor gewissen Namen erklären und nicht, wie deren Inhaber unsere Vernunft anwenden, um die Wahrheiten, wodurch sie berühmt wurden, zu verstehen. Aristoteles war gewiß ein einsichtsvoller Mann, aber niemand hat ihn jemals um deswillen dafür gehalten, weil er die Meinungen anderer blind annahm oder zuversichtlich wiedergab. Und wenn er nicht dadurch ein Philosoph geworden ist, daß er sich die Grundsätze anderer aneignete, ohne sie zu prüfen, so glaube ich, wird schwerlich sonst jemand auf die Weise einer werden. In den Wissenschaften besitzt jeder so viel, wie er wirklich erkennt und begreift. Was er bloß gelten läßt und auf Treu und Glauben annimmt, sind nur Fetzen, die, so gut sie auch im ganzen Stück gewesen sein mögen, den Gütervorrat dessen, der sie sammelt, nicht merklich vergrößern. Solcher geborgte Reichtum, wenn er gleich Gold in der Hand dessen war, von dem man ihn empfing, wird, wie Feengold, nur aus Blättern und Staub bestehen, wenn man ihn gebrauchen will.
§ 24. Woher der Glaube an angeborene Grundsätze stammt. – Als man gewisse allgemeine Sätze gefunden hatte, die, sobald sie verstanden waren, nicht bezweifelt werden konnten, da war es freilich ein kurzer und leichter Weg zu folgern, daß sie angeboren seien. Dieser Schluß, einmal angenommen, überhob den Trägen der Mühe der Nachforschung, und schnitt bei allem, was einmal für angeboren erklärt worden war, die Fragen der Zweifler ab. Und es war für die, welche Meister und Lehrer sein wollten, kein geringer Vorteil, zum Prinzip der Prinzipien den Satz zu machen, daß Prinzipien nicht in Frage gestellt werden dürften, denn nachdem die Behauptung einmal feststand, daß es angeborene Grundsätze gebe, so befanden ihre Schüler sich in der Notwendigkeit, gewisse Lehren als solche entgegenzunehmen, und das hieß so viel, wie sie des Gebrauches ihrer eigenen Vernunft und Urteilskraft zu entwöhnen und geneigt zu machen, dieselben ohne nähere Prüfung gelten zu lassen und auf Treu und Glauben hin anzunehmen, eine Stellung blinder Gläubigkeit, worin sie sich leichter regieren und für eine gewisse Klasse von Menschen nützlich machen ließen, die das Geschick und das Amt hatten, ihnen Grundsätze beizubringen und sie zu leiten. Auch giebt es einem Menschen keine geringe Macht über den anderen, wenn er das Ansehn hat, Prinzipien diktieren und unzweifelhafte Wahrheiten lehren zu können, und zu bewirken, daß dieser als einen angeborenen Grundsatz das hinunterschluckt, was den Zwecken des Lehrers dienlich sein mag; wohingegen, Hier knüpft der Gedankengang wieder an den ersten Satz des Paragraphen an. wenn man untersucht hätte, auf welche Weise die Menschen zur Erkenntnis mancher allgemeinen Wahrheiten gelangen, man gefunden haben würde, daß sie sich im menschlichen Geiste aus dem gehörig erwogenen Wesen der Dinge selbst ergäben, und daß sie durch die Anwendung solcher Fähigkeiten entdeckt seien, die von Natur dazu eingerichtet worden, um sie aufzufassen und zu beurteilen, wenn sie zu dem Ende richtig gebraucht würden.
§ 25. Schluß. – Zu zeigen, wie der Verstand hiebei verfährt, ist der Zweck der folgenden Abhandlung, zu der ich übergehen werde, nachdem ich die Bemerkung vorausgeschickt, daß es, um mir einen Weg zu den Grundlagen zu bahnen, die meiner Meinung nach allein geeignet sind, um darauf die uns mögliche Erkenntnis unseres eignen Wissens sicher aufzubauen, für mich bis hieher nötig gewesen ist, über die Gründe meines Zweifels an angeborenen Grundsätzen Rechenschaft zu geben. Und weil die gegen diese gerichteten Argumente zum Teil sich aus allgemein angenommenen Ansichten ergeben, so bin ich genötigt gewesen, für verschiedene Dinge das Zugeständnis vorauszusetzen; was kaum irgend jemand vermeiden kann, der es unternimmt, die Unrichtigkeit oder Unwahrscheinlichkeit irgend eines Lehrsatzes nachzuweisen, da für Streitschriften eben dasselbe zutrifft, wie für die Belagerung von Städten, wobei, falls der Grund, auf dem die Batterien errichtet werden sollen, nur fest ist, nicht weiter danach gefragt wird, von wem er entlehnt ist, oder wem er gehört, wenn er nur eine passende Anhöhe für den obwaltenden Zweck darbietet. Da ich aber in dem folgenden Teile dieser Abhandlung, soweit meine eigene Erfahrung und Beobachtung mir zu statten kommt, ein gleichförmiges und in sich selber fest verbundenes Gebäude aufzuführen gedenke, so hoffe ich, es auf einem solchen Standpunkt zu errichten, daß ich nicht nötig haben werde, es mit Stützen und Strebepfeilern haltbar zu machen, die auf erborgten oder erbettelten Grundlagen ruhen; oder ich will wenigstens, wenn mein Gebäude sich als ein Luftschloß erweisen sollte, doch versuchen, daß es aus einem Stücke und zusammenhängend sein soll. Ich warne dabei den Leser, nicht unbestreitbare zwingende Beweise zu erwarten, es sei denn, daß er mir das nicht selten von anderen beanspruchte Privilegium einräume, meine Prinzipien als zugegeben betrachten zu dürfen; dann bezweifle ich nicht, daß auch ich beweisen kann. Alles, was ich für die Prinzipien sagen werde, von denen ich ausgehe, ist, daß ich mich wegen ihrer Wahrheit oder Unwahrheit nur auf die eigene vorurteilsfreie Erfahrung und Beobachtung der Menschen berufen kann, und das genügt für jemand, der nicht mehr zu thun verspricht, als seine eigenen Vermutungen über ein ziemlich dunkles Thema offen und frei vorzutragen, ohne ein anderes Ziel als das einer unbefangenen Erforschung der Wahrheit.