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Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Über Identität und Verschiedenheit.

§ 1. Worin die Identität besteht. – Eine andere Gelegenheit zum Vergleichen, die sich für den Verstand oft ergiebt, betrifft das Dasein der Dinge selbst, indem wir etwas als zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Orte existierend betrachten, und es mit ihm selber als zu einer anderen Zeit bestehend vergleichen, wobei wir die Ideen der Identität und Verschiedenheit bilden. Wenn wir sehen, daß irgend etwas an irgend einem Orte in einem gewissen Augenblick der Zeit vorhanden ist, so sind wir (es sei, was es wolle) dessen sicher, daß es gerade dieses Ding ist und kein anderes, was zur selbigen Zeit an einem anderen Orte existiert, wie gleich und ununterscheidbar beide auch in jeder anderen Hinsicht sein mögen; und hierin besteht die Identität, wenn die Ideen, denen sie beigelegt wird, von dem durchaus nicht abweichen, was sie in dem Augenblick waren, worin wir ihr früheres Dasein betrachteten, und womit wir die gegenwärtige vergleichen. Denn, da wir niemals finden, noch auch es für möglich halten können, daß zwei Dinge derselben Art an demselben Orte zur selbigen Zeit existieren sollten, so schließen wir mit Recht, daß was irgendwo zu irgend welcher Zeit existiert, alles andere derselben Art ausschließt und selbst sich dort allein befindet. Wenn wir deshalb fragen, ob etwas dasselbe sei oder nicht, so bezieht sich das immer auf etwas, das zu bestimmter Zeit an einem bestimmten Orte existierte, und sicherlich in dem Augenblicke mit sich selber identisch war und keinem anderen. Daraus ergiebt sich, daß ein Ding nicht zwei Anfänge seines Daseins haben kann, und ebensowenig zwei Dinge einen Anfang, weil es für zwei Dinge derselben Art unmöglich ist, gerade an derselben Stelle in demselben Augenblicke zu sein oder zu existieren, oder für ein und dasselbe Ding an verschiedenen Orten. Was einen Ursprung hatte, das ist also dasselbe Ding, und was nach Zeit und Ort einen anderen Ursprung hatte als jenes, das ist nicht dasselbe, sondern von ihm verschieden. Die Schwierigkeit in betreff dieser Relation ist aus der geringen Sorgfalt und Aufmerksamkeit entstanden, die auf den Gewinn genauer Begriffe von den Dingen, denen sie zugeschrieben wird, verwandt ward. Die Identität ist ihrem Begriffe nach die Verknüpfung unserer zeitlich unterbrochenen Wahrnehmungen eines Dinges mit Hilfe der Erinnerung zu der Vorstellung einer kontinuierlichen Existenz desselben. Zur Motivierung der Anwendung dieses Begriffes in den einzelnen Fällen kann ein Zurückgehen auf den Ursprung des Dinges nötig werden, meistens begnügen wir uns jedoch mit einer Prüfung seiner Eigenschaften, örtlichen und anderen Verhältnisse. Und auch der Ursprung ist nicht unbedingt entscheidend, weil es sich fragt, welche Veränderung ein Ding erleiden kann, ohne daß ein anderes Ding aus ihm wird.

§ 2. Identität von Substanzen. – Nur von drei Arten von Substanzen haben wir Ideen: 1. Gott, 2. endlichen Intelligenzen, 3. Körpern. Erstens: Gott ist ohne Anfang, ewig, unveränderlich und allgegenwärtig, deshalb kann es in betreff seiner Identität keinen Zweifel geben. Zweitens: da jeder der endlichen Geister zu bestimmter Zeit und an einem bestimmten Ort angefangen hat zu existieren, so wird die Berücksichtigung dieser Zeit und dieses Ortes stets die Identität eines jeden von ihnen bestimmen, solange er existiert. Drittens: dasselbe gilt von jedem Stoffteilchen, was dasselbe bleibt, solange ihm keine Materie hinzugefügt oder entzogen wird. Denn obgleich diese drei Arten von Substanzen, wie wir sie nennen, sich einander von demselben Orte nicht ausschließen, so können wir doch nicht umhin anzunehmen, daß notwendig jede von ihnen andere derselben Art von demselben Orte ausschließen muß, denn sonst würden die Begriffe und Namen »Identität« und »Verschiedenheit« bedeutungslos sein, und könnten nicht dazu dienen, Substanzen oder sonst irgend etwas voneinander zu unterscheiden. Z. B. könnten sich zwei Körper zur selbigen Zeit an demselben Orte befinden, dann müßten diese beiden Stücke Materie eins und dasselbe sein, möge man sie als groß oder klein annehmen; ja, alle Körper müßten einer und derselbe sein. Denn ebensogut, wie zwei Stoffteilchen sich an einem Orte befinden könnten, möchten das alle Körper thun, wodurch, wenn sich das annehmen ließe, die Unterscheidung von Identität und Verschiedenheit von einem und einer Mehrzahl hinfällig und lächerlich gemacht würde. Da es aber ein Widerspruch ist, daß zwei oder mehre eins sein sollten, so sind Identität und Verschiedenheit wohlbegründete Relationen und Vergleichungsweisen und von Nutzen für das Verständnis.

Identität von Modi. – Da alle anderen Dinge nur Modi oder Relationen sind, die schließlich auf Substanzen hinauslaufen, so läßt sich auch die Identität und Verschiedenheit jeder einzelnen von ihren Existenzen auf dieselbe Weise bestimmen; nur kann bei Dingen, deren Existenz in einer Succession besteht, wozu die Thätigkeiten endlicher Wesen, nämlich Bewegung und Denken, gehören, die beide in einem fortdauernden Zug von Succession bestehen, in betreff ihrer Verschiedenheit kein Zweifel obwalten, weil jedes in dem Augenblicke seines Anfangs auch sein Ende findet, und sie also nicht zu verschiedenen Zeiten oder an verschiedenen Orten existieren können, während dauernde Wesen sich zu verschiedenen Zeiten an voneinander entfernten Orten befinden mögen, so daß keine Bewegungen oder Gedanken, die als zu verschiedenen Zeiten vorhanden betrachtet werden, identisch sein können, weil jeder Teil davon einen anderen Anfangspunkt seiner Existenz hat.

§ 3. Principium individuationis. – Aus dem Gesagten läßt sich das principium individuationis, nach dem soviel gefragt worden, leicht entdecken, es ist nämlich offenbar die Existenz selbst, wodurch jedes Wesen von irgend einer Art auf eine gewisse Zeit und einen gewissen Ort angewiesen wird, die es mit keinem anderen Wesen derselben Art gemein haben kann. Dies scheint zwar für einfache Substanzen oder Modi leichter begreiflich zu sein, ist aber doch bei näherer Überlegung für zusammengesetzte nicht schwieriger, wenn man bei seiner D. h. des Begriffes der Identität. Anwendung sorgfältig verfährt; z. B. laßt uns ein Atom annehmen, d. h. einen kontinuierlichen Stoff unter unveränderlichen Oberflächen, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Orte existierend, so ist klar, daß es, in irgend einem Augenblick seines Daseins betrachtet, in diesem Augenblick mit sich selbst identisch ist. Denn da es in diesem Augenblick das ist, was es ist, und nichts anderes, so ist es dasselbe und muß solange dasselbe bleiben, wie seine Existenz fortdauert, denn solange wird es dasselbe sein und nichts anderes. Ebenso wird, wenn zwei oder mehr Atome zu einer und derselben Masse miteinander verbunden sind, jedes dieser Atome, dem eben aufgestellten Gesetz zufolge, dasselbe bleiben, und während sie in Verbindung miteinander existieren, muß die aus denselben Atomen bestehende Masse dieselbe Masse oder derselbe Körper bleiben, mögen ihre Teile auch noch so verschieden durcheinander gemischt sein. Wenn dagegen eins der Atome weggenommen oder ein neues hinzugefügt wird, so ist es nicht länger dieselbe Masse oder derselbe Körper Vielmehr hat der Begriff der Identität, auf bloße Massen oder Mengen angewendet, etwas Vages und Schwankendes, denn wenn von einem Haufen Getreide ein Korn weggenommen, oder von einem Granitblock ein Splitter abgeschlagen wird, so wird niemand behaupten, daß nun ein anderer Haufe oder ein anderer Block daliege wie vorhin; andererseits aber wird auch niemand behaupten, daß ein Stück Eis schlechtweg »dasselbe« sei wie das Wasser und der Dampf, worin es sich bloß durch erhöhte Wärme verwandeln läßt.. In dem Zustande der lebenden Wesen beruht deren Identität nicht auf einer Masse von gleichartigen Partikeln, sondern auf etwas anderem. Denn bei ihnen hebt ein Wechsel vieler Stoffteile die Identität nicht auf; eine Eiche, die aus einem Setzling zu einem großen Baum heranwächst und dann gekappt wird, bleibt immer dieselbe Eiche, und ein Füllen, das zu einem Pferde herangewachsen, mitunter fett und mitunter mager ist, bleibt allemal dasselbe Pferd, obwohl in diesen beiden Fällen offenbar ein Wechsel der Bestandteile stattgefunden hat, so daß tatsächlich keines von beiden dieselbe Stoffmasse geblieben ist, ungeachtet sie in Wahrheit die eine dieselbe Eiche und das andere dasselbe Pferd sind. Der Grund hievon liegt darin, daß in diesen beiden Fällen, dem einer Stoffmasse und eines lebendigen Körpers, die Identität nicht auf dasselbe Ding angewendet wird.

§ 4. Die Identität von Pflanzen. – Wir müssen deshalb in Betracht ziehen, worin sich eine Eiche von einer Stoffmasse unterscheidet, und der Unterschied beider scheint mir darin zu liegen, daß die eine nur in der Kohäsion von irgendwie verbundenen Stoffteilchen besteht, die andere in einer solchen Anordnung derselben, worin sie die Teile einer Eiche ausmachen, und einer solchen Organisation dieser Teile, daß sie der Aufnahme und Verteilung von Nahrungsstoffen dienen, und dadurch das Holz die Rinde und die Blätter etc. einer Eiche erhalten und gestalten, worin das Pflanzenleben besteht. Da also das eine Pflanze ist, was in einem zusammenhängenden Körper eine solche Organisation der Teile besitzt, die an einem gemeinsamen Leben teilnehmen, so fährt es fort, dieselbe Pflanze zu sein, so lange es an demselben Leben teil hat, wenn auch dieses Leben neuen, mit der lebenden Pflanze vital vereinigten Stoffteilchen in einer gleichmäßig fortgesetzten, der fraglichen Pflanzenart angemessenen Organisation mitgeteilt wird. Denn diese in jedem Augenblick in irgend einer Stoffansammlung bestehende Organisation unterscheidet sich in diesem besonderen Konkretum von allem anderen, und macht das individuelle Leben aus, welches von dem gegenwärtigen Augenblicke an sowohl vorwärts wie rückwärts in derselben Kontinuität von Teilen existiert, die in unmerklicher Aufeinanderfolge dem lebendigen Pflanzenkörper einverleibt werden, und deshalb jene Identität besitzt, die die Pflanze zu einer und derselben, und alle ihre Teile zu Teilen derselben Pflanze die ganze Zeit hindurch macht, während sie in jener fortgesetzten Organisation, die allen so verbundenen Teilen das gemeinsame Leben mitzuteilen vermag, vereinigt existieren.

§ 5. Die Identität von Tieren. – Mit Bezug auf die Tiere liegt die Sache nicht so wesentlich anders, daß man nicht hieraus auch schon erkennen könnte, was das Wesen eines Tieres und dessen fortdauernde Identität ausmacht. Etwas dem Ähnliches haben wir in den Maschinen vor uns, und dies kann zur Erläuterung desselben dienen. Z. B. was ist eine Uhr? Offenbar ist sie nichts als eine angemessene Organisation oder Konstruktion von Teilen für einen gewissen Endzweck, den sie erreichen kann, wenn ihr eine hinlängliche Kraft beigegeben wird. Stellen wir uns diese Maschine als einen kontinuierlichen Körper vor, dessen organische Teile alle durch eine beständige Hinzufügung oder Abtrennung unwahrnehmbarer Teilchen wiederhergestellt, vergrößert oder verkleinert würden, mit einem gemeinsamen Leben, so würden wir etwas dem Körper eines Tieres sehr Ähnliches haben mit dem Unterschied, daß bei dem Tiere die Zweckmäßigkeit der Organisation und die das Leben ausmachende Bewegung miteinander beginnen, weil die Bewegung von innen kommt, bei den Maschinen aber die deutlich von außen kommende Kraft oft fehlt, während das Organ in Ordnung und zu ihrer Aufnahme wohl geeignet ist.

§ 6. Die Identität des Menschen. – Dies zeigt auch, worin die Identität desselben Menschen besteht, nämlich in nichts anderem als in der Teilnahme an demselben fortdauernden Leben vermittelst beständig wechselnder Stoffteilchen, die der Reihe nach mit demselben organisierten Leibe vital verbunden sind. Wer die Identität des Menschen in sonst irgend etwas setzt, und nicht wie die der anderen animalischen Wesen in einen zweckmäßig organisierten Leib, der, in irgend welchem Augenblicke als existierend angenommen, von dort ab in vielen mit ihm verbundenen, aber nach und nach wechselnden Stoffteilchen unter einer Lebensorganisation fortbesteht, der wird es schwer finden, die Identität eines Embryo und eines bejahrten Mannes, eines tollen und eines verständigen, durch irgend welche Hypothese nachzuweisen, aus der sich nicht auch die Möglichkeit ergäbe, daß Seth, Ismael, Sokrates, Pilatus, St. Augustin und Cäsar Borgia ein und derselbe Mensch sein könnten. Denn, wenn die Identität der Seele allein über die des Menschen entscheidet, und die Natur der Materie nichts enthält, weshalb nicht derselbe individuelle Geist mit verschiedenen Körpern vereinigt werden mag, so ist es nicht unmöglich, daß jene Männer, die zu ganz verschiedenen Zeiten lebten, und von sehr verschiedenem Charakter waren, derselbe Mensch gewesen sein können; eine Redeweise, die mit Hilfe eines sehr sonderbaren Gebrauches des Wortes »Mensch« auf eine Idee angewandt werden muß, von der Körper und Gestalt ausgeschlossen sind. Und diese Redeweise würde noch schlechter zu den Vorstellungen solcher Philosophen passen, die die Möglichkeit der Seelenwanderung zugeben, und der Meinung sind, daß die Seelen der Menschen wegen ihrer Übelthaten in tierische Körper mit der Befriedigung ihrer brutalen Neigungen entsprechenden Organen als passende Wohnungen hinabgestoßen werden können. Indessen glaube ich nicht, daß jemand, auch wenn er sicher wissen könnte, daß die Seele des Heliogabalus in einem von seinen Schweinen stecke, sagen würde, dieses Schwein sei ein Mensch oder Heliogabalus.

§ 7. Die Identität entspricht der Idee. – Die Einheit der Substanz ist es also nicht, die alle Arten der Identität umfaßt, oder diese in jedem Falle bestimmt, vielmehr müssen wir, um sie recht zu verstehen und zu beurteilen, die Idee in Betracht ziehen, die das Wort, worauf sie angewendet wird, bezeichnet, indem es eine Sache ist, dieselbe Substanz zu sein, eine andere derselbe Mensch, und eine dritte dieselbe Person, wenn Person, Mensch und Substanz drei Namen für drei verschiedene Ideen sind; denn, gleichwie die zu einem gewissen Namen gehörige Idee beschaffen ist, ebenso muß die Identität beschaffen sein; und wenn man hierauf ein wenig sorgfältiger geachtet hätte, so wäre vielleicht ein großer Teil der Verwirrung vermieden worden, die bei diesem Gegenstande oft vorkommt, mit nicht gering erscheinenden Schwierigkeiten namentlich bezüglich der persönlichen Identität, die wir deshalb zunächst ein wenig näher in Betracht ziehen wollen.

§ 8. Derselbe Mensch. – Ein Tier ist ein lebendiger organisierter Körper, und folglich ist dasselbe Tier, wie wir schon bemerkt haben, dasselbe fortgesetzte Leben, was verschiedenen Stoffteilchen mitgeteilt wird, sowie sie nach und nach zufällig mit jenem organisierten lebendigen Körper vereinigt werden. Und so viel auch von anderen Definitionen die Rede sein mag, eine unbefangene Statt ingenious lies ingenuous. Beobachtung läßt keinen Zweifel daran übrig, daß die Idee in unserem Geiste, als deren Zeichen der Laut »Mensch« in unserem Munde dient, nur die eines animalischen Wesens von solch einer bestimmten Form ist; denn ich glaube dessen sicher zu sein, daß jeder, der ein Geschöpf von seiner eigenen Gestalt oder Bildung erblickte, dasselbe, wenn es auch sein ganzes Leben lang nicht mehr Vernunft als eine Katze oder ein Papagei zeigen sollte, dennoch »Mensch« nennen würde, und daß jeder, der eine Katze oder einen Papagei reden, deduzieren und philosophieren hörte, sie doch nicht anders als »Katze« und »Papagei« nennen und für solche halten und sagen würde, der eine sei ein stumpfsinniger, vernunftloser Mensch, der andere aber ein sehr intelligenter vernünftiger Papagei. Eine Erzählung, die wir bei einem sehr angesehenen Schriftsteller finden, genügt, um der Annahme der Existenz eines vernünftigen Papageien Rückhalt zu geben. Er berichtet wörtlich folgendes Memoiren über die Ereignisse im Christentum von 1672-1679, S. 57, 392.:

»Ich hatte Lust, aus dem eigenen Munde des Prinzen Moritz Auskunft über eine landläufige, aber vielfach geglaubte Geschichte zu erhalten, die ich oft von vielen anderen gehört hatte; von einem alten Papagei, den er in Brasilien während seiner dortigen Regierungszeit besaß, und der wie ein vernünftiges Wesen sprach, fragte und gewöhnliche Fragen beantwortete, so daß die Personen seines dortigen Gefolges darin allgemein Zauberei oder Besessenheit erblickten, und einer seiner Kapläne, der später lange in Holland lebte, von der Zeit an niemals einen Papagei duldete, sondern behauptete, sie hätten alle den Teufel im Leibe. Ich hatte viele Einzelheiten dieser Geschichte gehört, die mir von Leuten versichert wurden, denen nicht leicht zu mißtrauen war, deshalb fragte ich den Prinzen Moritz, was daran sei. Mit seiner gewöhnlichen Schlichtheit und Trockenheit des Tones sagte er, in dem, was mir berichtet worden, sei etwas Wahrheit, aber ein großer Teil Fabel. Ich sprach den Wunsch aus, von ihm zu erfahren, worin die erstere bestehe. Er erzählte mir kurz und kühl, daß er während seines Aufenthaltes in Brasilien von solch einem alten Papagei gehört habe, und obgleich er nichts davon geglaubt, und der Vogel ziemlich weit entfernt gewesen, habe er doch Neugier genug gehabt, um ihn holen zu lassen. Es sei ein sehr großer und sehr alter gewesen, und als er zuerst in das Zimmer gekommen, worin sich der Prinz von vielen Holländern umgeben befunden, habe er sogleich gesagt: »Was für eine Gesellschaft weißer Männer ist hier?« Er ward mit Hindeutung auf den Prinzen gefragt, wofür er den Mann halte; er antwortete: »für einen oder den anderen General«. Als er dem Prinzen ganz nahe gebracht war, fragte dieser ihn: » D'où venez-vous?« Er antwortete: » De Marinnan.« Der Prinz: » A qui estes vous?« Der Papagei: » A un Portugais.« Der Prinz: » Que fais-tu là?« – » Je garde les poulles.« Der Prinz lachte und sprach: » Vous gardez les poulles?!« Der Papagei antwortete: » Oui moi, et je sçai bien faire,« »Woher kommst du?« Er antwortete: »Von Marinnan.« Der Prinz: »Wem gehörst du?« Der Papagei: »Einem Portugiesen.« Der Prinz: »Was machst du dort?« Der Papagei: »Ich hüte die Hühner.« Der Prinz lachte und sprach: »Du hütest die Hühner?!« Der Papagei antwortete: »Ja, ich, und ich verstehe mich sehr gut darauf.« und ließ vier- oder fünfmal den glucksenden Ton hören, den die Leute den Hühnern vormachen, wenn sie sie anlocken. Ich schreibe die Worte dieser denkwürdigen ( worthy) Unterredung französisch nieder, gerade so, wie Prinz Moritz sie mir gegenüber äußerte. Ich fragte ihn, in welcher Sprache der Papagei geredet habe, und er sagte: im Brasilianischen. Ich fragte, ob er Brasilianisch verstehe? er erwiderte, nein, aber er habe Sorge dafür getragen, daß zwei Dolmetscher zur Stelle gewesen, ein Holländer, der brasilianisch sprach, und ein Brasilianer, der holländisch sprach; diese habe er jeden besonders und im geheimen befragt, und beide hätten ihm übereinstimmend genau dasselbe berichtet, was der Papagei gesagt habe. Ich konnte es mir nicht versagen, diese seltsame Geschichte zu erzählen, weil sie so außerordentlicher Art ist, und aus der ersten Hand kommt, und zwar einer, die für gut gelten kann, denn ich darf behaupten, daß wenigstens der Prinz alles, was er mir sagte, selbst glaubte, da er stets in dem Rufe eines höchst ehrenhaften und frommen Mannes gestanden hat. Ich überlasse es den Naturkundigen, darüber zu diskutieren, und anderen Leuten, davon zu glauben, so viel ihnen beliebt: indessen ist es vielleicht nicht unpassend, die Darstellung ernster Begebenheiten mitunter durch solche Abschweifungen, mögen sie zur Sache gehören oder nicht, zu beleben und in angenehmer Weise zu unterbrechen.«

Derselbe Mensch. – Ich habe dafür gesorgt, daß der Leser die Geschichte ausführlich in den eignen Worten des Verfassers vernehme, weil dieser sie mir nicht für unglaublich gehalten zu haben scheint; denn es läßt sich nicht denken, daß ein so befähigter Mann wie er, der hinlänglich imstande war für alles, was er selbst bezeugt, Gewähr zu leisten, sich soviel Mühe darum geben sollte, an einer Stelle, wo sie nichts zu thun hatte, eine Geschichte, die er nur für lächerlich halten konnte, wenn er sie selbst als unglaubwürdig ansah, nicht nur einem Manne, den er als seinen Freund bezeichnet, sondern auch einem Prinzen, dessen Aufrichtigkeit und Frömmigkeit er in hohem Maße anerkennt, so fest anzuheften. Soviel ist klar, daß sowohl der Prinz, der diese Geschichte bezeugt, wie unser Autor, der sie ihm nacherzählt, beide jenen Sprecher einen Papagei nennen; und ich frage irgend jemand anders, der meint, daß sich solch eine Geschichte wohl erzählen lasse, ob nicht – wenn dieser Papagei und alle seines Geschlechts immer so gesprochen hätten, wie nach dem uns überlieferten Wort eines Prinzen dieser eine that – ob sie nicht, sage ich, für eine Art vernünftiger Tiere gegolten haben würden, ob sie aber bei alledem auch als Menschen anerkannt, und nicht gleichwohl für Papageien gehalten wären? Denn ich meine, es ist nicht allein die Idee eines denkenden oder vernünftigen Wesens, die nach Ansicht der meisten Leute die Idee des Menschen ausmacht, sondern auch die eines damit verbundenen, so und so gestalteten Körpers; und wenn das die Idee eines Menschen ist, so gehört der successiv-identische Körper, der sich nicht auf einmal ganz umwandelt, ebensogut wie derselbe immaterielle Geist dazu, um denselben Menschen auszumachen.

§ 9. Identität der Person. – Nach diesen Vorbemerkungen müssen wir, um zu erkennen, worin die persönliche Identität besteht, erwägen, was »Person« bedeutet; »Person« ist ein Ausdruck, der in sehr verschiedenem Sinne gebraucht wird. Eigentlich gehört er dem ethischen oder praktischen Gebiete an, und bezeichnet den einzelnen Menschen als Mitglied der menschlichen Gesellschaft, als Subjekt und Objekt von Rechten und Pflichten im Verhältnis zu anderen Einzelnen und zu der Gesamtheit in deren verschiedenen Formen und Ordnungen. Es wäre besser gewesen, wenn man den Gebrauch des Wortes »Person« auf dieses Gebiet beschränkt hätte, statt ihn – wie geschehen – auf das psychologische und metaphysische Gebiet auszudehnen, was zu vieler Unklarheit der Gedanken und Verwirrung der Begriffe Anlaß gegeben hat. Natürlich muß er hier einen ganz anderen Sinn erhalten, und so versteht denn auch Locke darunter den einheitlichen Charakter jedes individuellen Bewußtseinskreises. Vgl. übrigens unten §§ 18, 19, 22, 26. und ich denke, das ist ein denkendes verständiges Wesen, das Vernunft und Überlegung besitzt, und sich selbst als sich selbst betrachtet, als dasselbe denkende Wesen zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten, wozu es nur mit Hilfe des vom Denken untrennbaren und diesem, wie mir scheint, wesentlichen Bewußtseins Locke gebraucht hier und weiterhin mit einer Ausnahme am Schluß des § 16 stets nur das Wort consciousness und sagt niemals self-consciousness, er versteht darunter aber nicht bloß das Bewußtsein von dem objektiven Inhalt unserer Wahrnehmungen, Erinnerungen, Vorstellungen, Gedanken etc., sondern zugleich das damit für uns Menschen (vgl. die Anmerkungen zu Kapitel X, § 10, und Kapitel XI, § 11) untrennbare Bewußtsein, daß das Wahrnehmen, Erinnern, Vorstellen, Denken etc. unsere subjektiven Geistesthätigkeiten seien. In der That besteht auch das, was wir Selbstbewußtsein nennen, nur hierin; das Subjekt des Bewußtseins wird sich niemals direkt selber zum Objekt, es erkennt sich selber vielmehr nur, sozusagen, im Spiegel der Objekte, die alle auf ein gemeinschaftliches Centrum des Bewußtseinskreises hinweisen, ohne daß dieses jemals für sich allein, getrennt von den Objekten, oder neben ihnen, besonders zum Vorschein käme. Hieran ändern auch die Gemütsreaktionen oder Gefühle nichts, wonach uns Wahrnehmungen, Erinnerungen, Vorstellungen etc. als angenehm, indifferent oder unangenehm erscheinen, denn sie sind ja stets durch ein objektiv gegebenes Element vermittelt und auf dieses bezogen, sie gehören selbst als Empfindungen der objektiven Seite des Bewußtseins an und stehen in einem Kausalzusammenhang mit anderen Erscheinungen desselben. Mit diesem Mangel eines unmittelbaren Selbstbewußtseins hängt es zusammen, daß Locke weiterhin die Frage unentschieden läßt, ob einer und derselben Persönlichkeit nur eine Substanz oder eine Mehrheit von Substanzen als Träger diene. imstande ist, indem es für niemanden möglich ist, etwas wahrzunehmen ohne zugleich seine Wahrnehmungs-Thätigkeit wahrzunehmen. Wenn wir irgend etwas sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen, bedenken oder wollen, so wissen wir, daß wir dies thun. So verhält es sich immer mit Bezug auf unsere gegenwärtigen Empfindungen und Wahrnehmungen, und hiedurch ist jeder für sich das, was er sein Selbst nennt, indem in diesem Falle keine Rücksicht darauf genommen wird, ob dasselbe Selbst in derselben oder in verschiedenen Substanzen fortbesteht. Denn, weil das Bewußtsein das Denken immer begleitet und jeden zu dem macht, was er sein Selbst nennt, und wodurch er sich von allen anderen denkenden Wesen unterscheidet, so besteht hierin allein die persönliche Identität, d. h. das Sich-selbst-gleichbleiben eines vernünftigen Wesens, und so weit wie dieses Bewußtsein sich rückwärts auf irgend welche vergangene Handlungen oder Gedanken ausdehnen läßt, so weit reicht die Identität dieser Person, sie ist jetzt dasselbe Selbst wie damals, und jene Handlung ward von demselben Selbst vollbracht, das jetzt an sie zurückdenkt.

§ 10. Das Bewußtsein begründet die persönliche Identität. – Man fragt jedoch weiter danach, ob es das Selbst. dieselbe identische Substanz sei? Zu einem Zweifel hieran würden wenige Ursache zu haben glauben, wenn die Wahrnehmungen mit ihrem Bewußtsein immer im Geiste gegenwärtig blieben, so daß dasselbe denkende Wesen sich seiner Gegenwart immer bewußt und – wie man glauben würde – augenscheinlich mit sich selber identisch wäre. Aber die Schwierigkeit scheint darin zu liegen, daß dieses Bewußtsein beständig durch Vergeßlichkeit unterbrochen wird, indem wir in keinem Augenblicke unseres Lebens die ganze Reihe aller unserer vergangenen Handlungen in einem Überblick vor Augen haben, vielmehr auch das beste Gedächtnis einen Teil aus dem Gesichte verliert, während es einen anderen betrachtet, und indem wir zuweilen, wenn nicht gar während des größten Teiles unseres Lebens, an unsere eigene Vergangenheit nicht denken, weil wir nur mit unseren gegenwärtigen Gedanken beschäftigt sind, und im gesunden Schlafe überhaupt keine Gedanken haben oder doch keine mit dem Bewußtsein, das unsere wachen Gedanken auszeichnet. Da, sage ich, in allen diesen Fällen unser Bewußtsein unterbrochen wird, und wir die Vergangenheit unseres Selbstes aus den Augen verlieren, so erheben sich Zweifel, ob wir dasselbe denkende Wesen, d. h. dieselbe Substanz, sind oder nicht. Das betrifft jedoch, mag dazu Grund vorhanden sein oder nicht, die persönliche Identität überhaupt nicht, da die Frage nur ist, was dieselbe Person ausmacht, und nicht ob dieselbe identische Substanz beständig in derselben Person denke, was in diesem Falle gar nichts zur Sache thut, weil verschiedene Substanzen durch dasselbe Bewußtsein (wo sie daran teil hätten) ebensogut zu einer Person vereinigt sein würden, wie verschiedene Körper durch dasselbe Leben zu einem animalischen Wesen, dessen Identität in dem Wechsel der Substanzen durch die Einheit eines fortgesetzten Lebens erhalten wird. Denn da es dasselbe Bewußtsein ist, was einen Menschen für ihn selbst zu ihm selber macht, so hängt die persönliche Identität nur hievon ab, gleichviel ob es ausschließlich mit einer individuellen Substanz verknüpft ist, oder in einer Aufeinanderfolge verschiedener Substanzen fortbestehen kann. Denn, so weit wie ein intelligentes Wesen die Idee einer vergangenen Handlung mit demselben Bewußtsein, die es zuerst von ihr hatte, und mit demselben Bewußtsein, die es von einer gegenwärtigen Handlung hat, wiederholen kann, ebensoweit ist es dasselbe persönliche Selbst. Denn vermöge des Bewußtseins, {das} es von seinen gegenwärtigen Gedanken und Handlungen hat, ist es jetzt für sich es selbst, und wird somit dasselbe Selbst bleiben, soweit wie sich dasselbe Bewußtsein auf vergangene oder zukünftige Handlungen ausdehnen kann; und durch einen Zeitabstand oder Substanzwechsel würden aus ihm ebensowenig zwei Personen werden, wie aus einem Menschen dadurch zwei Menschen, daß er mit einem längeren oder kürzeren Schlafe dazwischen heute ein anderes Kleid trägt wie gestern, indem dasselbe Bewußtsein die voneinander entfernten Handlungen zu einer und derselben Person vereinigt, gleichviel welche Substanzen zu deren Produktion beigetragen haben.

§ 11. Die persönliche Identität bei einem Wechsel von Substanzen. – Daß sich die Sache so verhält, dafür liefert uns gerade unser Körper gewissermaßen den Beweis, dessen Bestandteile sämtlich, so lange sie mit eben diesem denkenden bewußten Selbst vital verbunden sind, so daß wir es fühlen, wenn sie berührt werden, und von dem Guten und Schlimmen, was ihnen widerfährt, affiziert und uns dessen bewußt werden, einen Teil von uns selbst, d. h. von unserm denkenden bewußten Selbst, bilden. So sind für jedermann die Glieder seines Körpers ein Teil seiner selbst, er sympathisiert mit ihnen und bekümmert sich um sie. Wird ihm eine Hand abgehauen und dadurch von dem Bewußtsein getrennt, was er von ihrer Hitze, Kälte, und anderen Affektionen hatte, dann ist sie nicht länger ein Teil von seinem Selbst, so wenig wie das entfernteste Stück der Materie. Die Substanz, woraus das persönliche Selbst zu einer gewissen Zeit bestand, kann also, wie wir sehen, zu einer anderen Zeit ohne einen Wechsel der persönlichen Identität sich verändert haben, indem der Fortbestand derselben Person außer Frage ist, obgleich Glieder abgetrennt sind, die noch eben vorher einen Teil derselben bildeten.

§ 12. Allein die Frage ist: ob, wenn die denkende Substanz sich ändert, die Person dieselbe bleiben kann, oder ob, wenn jene dieselbe bleibt, es verschiedene Personen geben kann?

Ob bei dem Wechsel der denkenden Substanzen. »die Person dieselbe bleiben kann« ist hinzuzudenken. – Und hierauf antworte ich: Erstens, dies kann überhaupt für alle die nicht fraglich sein, die das Denken in einer von immaterieller Substanz leeren, rein materiell animalischen Konstitution stattfinden lassen. Denn, mag ihre Annahme richtig sein oder nicht, so ist klar, daß nach ihrer Ansicht die persönliche Identität durch etwas anderes bewahrt wird als durch die Identität der Substanz, weil die animalische Identität auf der Identität des Lebens und nicht der Substanz beruht. Und deshalb müssen die, welche das Denken nur einer immateriellen Substanz zuschreiben, bevor sie sich mit jenen Leuten auseinandersetzen können, zeigen, warum die persönliche Identität in dem Wechsel immaterieller Substanzen oder einer Mannigfaltigkeit einzelner immaterieller Substanzen nicht ebensogut erhalten bleiben kann, wie die animalische Identität in dem Wechsel materieller Substanzen oder einer Mannigfaltigkeit einzelner Körper; es sei denn, sie wollten sagen: die Identität des Lebens in den Tieren werde ebensogut durch einen immateriellen Geist bewirkt wie die Identität der Person im Menschen, was die Kartesianer wenigstens nicht zugeben werden, aus Besorgnis auch die Tiere zu denkenden Wesen zu erheben.

§ 13. Ferner aber antworte ich auf den ersten Teil der Frage: ob, wenn die denkende Substanz (vorausgesetzt, daß nur immaterielle Substanzen denken können), sich ändert, die Person dieselbe bleiben kann? – daß hierüber nur die entscheiden können, die wissen, von welcher Art die denkenden Substanzen sind, und ob das Bewußtsein vergangener Handlungen sich von einer denkenden Substanz auf eine andere übertragen läßt. Ich gebe die Unmöglichkeit hievon zu, wenn dasselbe Bewußtsein dieselbe individuelle Handlung wäre; da es aber eine gegenwärtige Repräsentation einer vergangenen Handlung ist, so erübrigt noch der Beweis für die Unmöglichkeit, daß etwas, was thatsächlich niemals da war, dem Geiste als dagewesen vergegenwärtigt werden könne. Und deshalb werden wir schwerlich entscheiden können, inwiefern das Bewußtsein vergangener Handlungen so an ein individuelles handelndes Wesen gebunden ist, daß ein anderes es unmöglich haben kann, so lange wir nicht wissen, welche Art von Thätigkeit nicht stattfinden kann, ohne daß ein Reflexionsakt der Wahrnehmung sie begleitete, und wie sie von denkenden Substanzen vollzogen wird, die nicht denken können, ohne dessen bewußt zu sein. Da aber das, was wir dasselbe Bewußtsein nennen, nicht derselbe individuelle Akt ist, so läßt sich aus der Natur der Dinge schwerlich folgern, weshalb nicht einer intellektuellen Substanz etwas als von ihr selbst gethan vergegenwärtigt werden könnte, was sie niemals gethan hat, und vielleicht von einem anderen Agens gethan worden ist, weshalb, sage ich, eine solche Vergegenwärtigung ohne tatsächliche Grundlage nicht ebensogut möglich sein sollte, als manche Traumvorstellungen sind, die wir doch während des Traumes für wahr halten. Bis wir einen klareren Einblick in die Natur denkender Substanzen gewinnen, wird uns dafür, daß es sich nicht so verhält, die Güte Gottes als beste Gewähr dienen, der, so weit wie das Glück oder Unglück irgend eines seiner empfindenden Geschöpfe davon abhängt, nicht durch einen folgenschweren Irrtum derselben von einem auf das andere das Bewußtsein übertragen wird, welches Belohnung oder Strafe nach sich zieht. Inwieweit dies ein Argument gegen diejenigen abgeben mag, die das Denken in ein System flüchtiger animalischer Geister setzen wollen, gebe ich der Erwägung anheim. Um aber auf die uns vorliegende Frage zurückzukommen, so muß zugegeben werden, daß, wenn dasselbe Bewußtsein (was, wie gezeigt worden, ein von derselben Zahlfigur oder Bewegung im Körper völlig verschiedenes Ding ist) sich von einer denkenden Substanz auf eine andere übertragen läßt, es möglich sein wird, daß zwei denkende Substanzen nur eine Person ausmachen können. Denn, wenn dasselbe Bewußtsein, sei es in derselben oder in verschiedenen Substanzen fortbesteht, so ist auch die persönliche Identität bewahrt.

§ 14. Was den zweiten Teil der Frage anbetrifft: ob, während dieselbe immaterielle Substanz fortbesteht, es zwei unterschiedene Personen geben könne? eine Frage, der mir die folgende zu Grunde zu liegen scheint: ob ein immaterielles Wesen, welches sich der Thatsachen seiner vergangenen Dauer bewußt ist, eines jeden Bewußtseins seiner vergangenen Existenz gänzlich beraubt werden kann, so daß ihm auch die Möglichkeit, es jemals wieder zu erlangen, verloren geht, und sein Bewußtsein, weil es gleichsam von einer neuen Epoche an eine neue Rechnung beginnt, fortan über diesen neuen Zustand nicht hinausreichen kann? – so sind alle, die an ein früheres Dasein glauben, augenscheinlich dieser Ansicht, weil sie zugeben, daß der Seele kein Bewußtsein von dem verbleibe, was sie in jenem früheren Zustande, entweder frei von jedem Körper oder einen anderen Körper belebend, gethan hat; wenn sie das aber nicht wollten, die Erfahrung offenbar gegen sie spräche. So daß, da die persönliche Identität nicht über das Bewußtsein hinausreicht, ein früher dagewesener Geist, der sich nicht so lange Zeit hindurch in einem Ruhestand befunden hätte, notwendig verschiedene Personen ausmachen müßte. Angenommen, ein christlicher Platoniker oder ein Pythagoreer sollte, weil Gott sein ganzes Schöpfungswerk am siebenten Tage beendigt habe, glauben, daß seine Seele seitdem immer dagewesen sei, und sich vorstellen, sie sei durch verschiedene menschliche Leiber hindurch gegangen, wie mir denn einmal jemand vorgekommen ist, der überzeugt war, daß seine Seele die des Sokrates gewesen sei (mit wie gutem Grunde will ich nicht untersuchen; so viel weiß ich, daß an dem Platze, den er einnahm – und das war kein unbedeutender – er für einen sehr vernünftigen Mann galt, und die Presse hat gezeigt, daß es ihm nicht an Talenten oder Gelehrsamkeit fehlte); würde dann wohl jemand sagen, daß er, der sich keiner einzigen von Sokrates' Handlungen oder Gedanken bewußt war, eine und dieselbe Person mit Sokrates sein könne? Wenn jemand sich selbst beobachtet und zu dem Schlusse kommt, daß er einen immateriellen Geist in sich trage, der das denkende Wesen in ihm sei, und ihn während des beständigen Wechsels der Bestandteile seines Körpers als einen und denselben erhalte, und das sei, was er sein Selbst nennt; und wenn er zugleich annimmt, dieses sei dieselbe Seele, die während der Belagerung von Troja in Nestor oder Thersites wohnte (denn da die Seelen, soweit wir etwas von ihnen wissen, ihrer Natur nach sich jedem Stück der Materie gegenüber indifferent verhalten, so liegt in dieser Annahme nichts, was absurd erscheinen könnte), und die sie ebensogut gewesen sein kann, wie sie jetzt die Seele irgend eines anderen Menschen ist: wird er dann, obwohl er jetzt von irgend einer Handlung des Nestor oder Thersites kein Bewußtsein hat, sich selbst für dieselbe Person mit einem von diesen halten oder halten können? Kann er an den Handlungen des einen oder des anderen ein Interesse nehmen, sie sich selber zuschreiben, oder sie mehr für seine eigenen halten als die Handlungen irgend eines anderen Menschen, der jemals existiert hat? Weil demnach sein Bewußtsein sich nicht auf die Handlungen des einen oder des anderen dieser Männer erstreckt, so ist er mit keinem von beiden mehr ein Selbst, als wenn die Seele oder der immaterielle Geist, der ihn jetzt belebt, erschaffen worden wäre und angefangen hätte zu existieren, als er anfing, seinen dermaligen Körper zu beleben, wäre es auch noch so gewiß, daß derselbe Geist, der Nestors oder Thersites' Körper belebte, mit dem, der jetzt den seinigen belebt, numerisch identisch sei. Denn dies würde ihn nicht mehr zu derselben Person mit Nestor machen, als wenn einige der Stoffteilchen, die einstmals einen Teil von Nestor bildeten, jetzt einen Teil dieses Menschen ausmachten, weil dieselbe immaterielle Substanz ohne dasselbe Bewußtsein durch ihre Vereinigung mit irgend welchem Körper nicht mehr dieselbe Person hervorbringt, wie dasselbe ohne Bewußtsein mit einem Körper vereinigte Stoffteilchen. Wenn er aber jemals fände, daß er sich irgend einer Handlung des Nestor bewußt sei, dann würde er sich auch als ein und dieselbe Person mit Nestor erkennen.

§ 15. Und so sind wir imstande, uns ohne Schwierigkeit bei der Auferstehung dieselbe Person zu denken, wenn auch in einem Leibe, der nach seinem Bau und seinen Teilen nicht genau derselbe ist, den sie hier hatte, da dasselbe Bewußtsein die Seele begleitet, die ihn bewohnt. Aber die Seele allein würde doch bei einem Wechsel der Körper kaum für jemand anders als den, der sie mit dem Menschen identifiziert, genügen, um denselben Menschen auszumachen. Denn, wenn die Seele eines Prinzen, indem sie das Bewußtsein von dessen vergangenem Leben mit sich führte, in den Leib eines Schuhflickers, sobald dessen eigene Seele diesen verlassen hatte, eintreten und ihn beleben sollte, so sieht jedermann ein, daß der dieselbe Person mit dem Prinzen und nur für dessen Handlungen verantwortlich sein würde; aber wer würde sagen, er sei derselbe Mensch? Auch der Körper gehört dazu, um einen Menschen auszumachen, und würde, wie ich glaube, in diesem Falle für jedermann den Menschen bestimmen; die Seele in ihm würde ungeachtet aller prinzlichen Gedanken, die sie mit sich führte, keinen anderen Menschen daraus machen, vielmehr würde er für jedermann außer ihm selbst derselbe Schuhflicker sein wie vorher. Ich weiß wohl, daß in der gewöhnlichen Redeweise »dieselbe Person« und »derselbe Mensch« für gleichbedeutend gelten. Und jedem steht es freilich allezeit frei, zu reden, wie es ihm gefällt, und jeden artikulierten Laut auf jede Idee, wofür er ihn passend hält, anzuwenden und damit, so oft es ihm beliebt, zu wechseln. Gleichwohl müssen wir für die Untersuchung der Frage, worauf die Identität eines Geistes, eines Menschen, oder einer Person beruhe, die Ideen von Geist, Mensch, oder Person in unserem Sinne fixieren; und wenn wir bei uns selbst entschieden haben, was wir darunter verstehen, so wird es nicht schwer sein, für jeden von ihnen oder ähnliche Dinge zu bestimmen. wann etwas dasselbe ist und wann nicht.

§ 16. Das Bewußtsein macht dieselbe Person aus. – Wenn aber auch dieselbe immaterielle Substanz oder Seele nicht allein, wo sie auch sein und in welchem Zustande sie sich auch befinden möge, denselben Menschen ausmacht, so ist doch klar, daß das Bewußtsein, so weit es sich nur immer ausdehnen läßt, und wäre es auch auf vergangene Menschenalter, die der Zeit nach sehr voneinander entfernten Existenzen und Handlungen ebensogut zu einer und derselben Person vereinigt, wie die Existenzen und Handlungen des unmittelbar voraufgegangenen Augenblicks; so daß, was immer das Bewußtsein gegenwärtiger und vergangener Handlungen hat, ebendas dieselbe Person ist, der beide angehören. Wäre ich mir ebensogut dessen bewußt, daß ich die Arche und Noahs Flut gesehen hätte, wie dessen, daß ich im letzten Winter eine Überschwemmung der Themse gesehen habe, oder daß ich gegenwärtig schreibe, so könnte ich ebensowenig daran zweifeln, daß ich, der jetzt dieses schreibt, der im letzten Winter die Überschwemmung der Themse sah, und der die Flut des allgemeinen Diluviums erblickte, dasselbe Selbst sei, dessen Substanz möge sein, was sie wolle, als daß ich, der dieses schreibt, jetzt während meines Schreibens (gleichviel ob ich aus ganz denselben materiellen oder immateriellen Substanzen bestehe oder nicht) dasselbe Ich-selbst bin, was ich gestern war; denn, was den Punkt der Identität des Selbstes anbetrifft, so kommt nichts darauf an, ob dies gegenwärtige Selbst aus denselben oder anderen Substanzen besteht, weil ich an jeder Handlung, die vor tausend Jahren gethan ward, mir aber jetzt durch dieses Selbstbewußtsein angeeignet wird, ebensosehr beteiligt und dafür ebenso rechtmäßigerweise verantwortlich bin, wie für das, was ich in dem letzten Augenblick gethan habe.

§ 17. Das Selbst beruht auf dem Bewußtsein. – Das Selbst ist das mit Bewußtsein denkende Wesen, aus welcher Substanz es auch bestehen möge (gleichviel ob diese geistig oder materiell, einfach oder zusammengesetzt sei), das Freude und Schmerz empfindet oder sich deren bewußt ist, das für Glück oder Unglück empfänglich und deshalb um sich selber bekümmert ist, soweit wie dieses Bewußtsein sich erstreckt. So findet jeder, daß der kleine Finger, so lange er in dem Bewußtsein einbegriffen ist, ebensogut einen Teil seiner selbst ausmacht wie das, was diese Bezeichnung am meisten verdient. Würde bei einer Abtrennung dieses kleinen Fingers das Bewußtsein ihm folgen und den übrigen Teil des Körpers verlassen, so würde offenbar der kleine Finger die Person – dieselbe Person – sein, und das Selbst würde mit dem übrigen Teil des Körpers nichts zu thun haben. Wie in diesem Falle, wenn ein Teil von dem anderen getrennt wird, das die Substanz begleitende Bewußtsein über die Identität der Person entscheidet und das unteilbare Selbst ausmacht, so gilt dasselbe auch mit Bezug auf zeitlich voneinander entfernte Substanzen. Womit das Bewußtsein dieses gegenwärtig denkenden Wesens sich verknüpfen kann, das macht dieselbe Person aus, und ist mit ihm und mit nichts anderem ein Selbst, es schreibt somit alle Handlungen jenes Wesens sich selber zu und erkennt sie als seine eigenen an, soweit jenes Bewußtsein reicht und nicht weiter, wie jeder, der hierüber nachdenkt, erkennen wird.

§ 18. Die Objekte der Belohnung und Bestrafung. – Auf diese persönliche Identität gründet sich allein das Recht und die Gerechtigkeit jeder Belohnung und Bestrafung, weil Glück und Unglück das sind, woran jeder um seiner selbst willen ein Interesse nimmt, während ihm nichts daran liegt, was aus irgend einer Substanz wird, die mit seinem Bewußtsein nicht verknüpft ist, oder in Berührung steht. Denn, wie aus dem eben angeführten Beispiel erhellt, würde der kleine Finger, wenn das Bewußtsein dem abgehauenen folgte, dasselbe Selbst sein, was sich gestern um den ganzen Leib als einen Teil seiner selbst bekümmerte, und er müßte dessen damalige Handlungen noch jetzt als seine eigenen anerkennen. Wenn dagegen derselbe Körper noch lebte, und unmittelbar von der Abtrennung des kleinen Fingers an sein eigenes besonderes Bewußtsein gewonnen hätte, wovon der kleine Finger nichts wüßte, so würde er sich durchaus nicht um diesen als einen Teil seiner selbst bekümmern, und keine von dessen Handlungen als seine anerkennen oder sich zurechnen lassen.

§ 19. Dies mag uns zeigen, worin die persönliche Identität besteht; nicht in der Identität einer Substanz, sondern – wie gesagt – in der Identität des Bewußtseins; sind Sokrates und der gegenwärtige Bürgermeister von Queensborough hierin einig, so sind sie dieselbe Person; wenn derselbe Sokrates, während er wacht und schläft, nicht an demselben Bewußtsein teil hat, dann sind der wachende und der schlafende Sokrates nicht dieselbe Person. Und es würde ebenso unrecht sein, den wachenden Sokrates für etwas zu bestrafen, was der schlafende Sokrates gedacht hat, während der wachende Sokrates sich dessen nie bewußt war, als einen Zwilling für das zu bestrafen, was sein Zwillingsbruder gethan, wovon er selbst aber nichts gewußt hat, weil beide sich äußerlich so ähnlich waren, daß man sie nicht unterscheiden konnte, denn solche Zwillinge hat es gegeben.

§ 20. Doch wird mir möglicherweise noch folgender Einwurf gemacht werden: »Angenommen ich verlöre die Erinnerung an gewisse Teile meines Lebens vollständig, so daß keine Möglichkeit, sie wieder zu erlangen, übrigbliebe, und ich mich ihrer vielleicht niemals wieder bewußt würde: bin ich dann nicht gleichwohl dieselbe Person, die jene Handlungen vollbrachte, und jene Gedanken hegte, deren ich mir vormals bewußt war, obgleich ich sie jetzt vergessen habe?« Darauf antworte ich, daß wir hier beachten müssen, worauf das Wort »Ich« angewendet wird, und das ist in diesem Falle nur der Mensch. Und weil man annimmt, daß derselbe Mensch auch dieselbe Person sei, so wird dem »Ich« hier leicht auch die Bedeutung derselben Person beigelegt. Wenn es aber möglich ist, daß derselbe Mensch zu verschiedenen Zeiten verschiedene zusammenhangslose Bewußtseinszustände habe, so würde ohne Zweifel derselbe Mensch zu verschiedenen Zeiten verschiedene Personen ausmachen; und das ist, wie wir sehen, die Meinung der Menschen bei der ernsthaftesten Erklärung ihrer Ansichten, indem die menschlichen Gesetze den Wahnsinnigen nicht für die Handlungen bestrafen, die er bei gesundem Verstande vollbracht hat, und den, der sich bei gesundem Verstande befindet, nicht dafür, was er im Wahnsinn gethan hat, mithin ihn als zwei verschiedene Personen behandeln, was gewissermaßen durch unsere englische Redeweise ausgedrückt wird, wenn wir sagen, der und der sei nicht bei sich selber oder sei außer sich, Phrasen, die darauf hindeuten, daß die, welche sie jetzt, oder wenigstens zuerst gebrauchten, annahmen, das Selbst habe gewechselt, und es sei nicht länger dieselbe Person in dem Menschen.

§ 21. Der Unterschied zwischen der Identität des Menschen und der Person. – Gleichwohl ist es schwer zu begreifen, daß Sokrates, dasselbe menschliche Individuum, zwei Personen bilden sollte. Um uns hiebei ein wenig zu helfen, müssen wir erwägen, was unter Sokrates oder demselben menschlichen Individuum verstanden wird. Es muß entweder

1. dieselbe individuelle, immaterielle, denkende Substanz sein, kurz gesagt, numerisch dieselbe Seele und sonst nichts, oder

2. dasselbe animalische Wesen ohne irgend welche Rücksicht auf eine immaterielle Seele, oder

3. derselbe immaterielle Geist in Verbindung mit demselben animalischen Wesen.

Für welche von diesen Annahmen man sich auch entscheiden mag, die persönliche Identität kann keinenfalls in irgend etwas anderes gesetzt werden als in das Bewußtsein, oder über dieses irgendwie hinausreichen.

Denn nach der ersten von ihnen muß es als möglich zugegeben werden, daß ein Mensch der zu voneinander entfernten Zeiten von verschiedenen Weibern geboren ist, derselbe Mensch sein könne. Wer diese Redeweise zuläßt, muß einräumen, daß derselbe Mensch ebensogut zwei unterschiedene Personen sein könne, wie irgend welche zwei, die in verschiedenen Zeitaltern ohne wechselseitige Kenntnis ihrer Gedanken gelebt haben.

Nach der zweiten und dritten kann Sokrates in diesem Leben und nach ihm auf keine andere Weise derselbe Mensch sein als vermöge desselben Bewußtseins, und wenn wir so die menschliche Identität eben darauf beruhen lassen, worin wir die persönliche Identität setzen, so wird das Zugeständnis keine Schwierigkeit finden, daß derselbe Mensch dieselbe Person sei. Dann aber müssen die, welche die menschliche Identität allein in das Bewußtsein und nichts anderes setzen, erwägen, wie sie Sokrates als neugeborenes Kind für denselben Menschen mit Sokrates nach der Auferstehung erklären können. Was aber auch immer für manche Leute den Menschen und folglich dasselbe menschliche Individuum ausmacht, worüber vielleicht wenige übereinstimmend denken, so können wir doch die persönliche Identität in nichts anderes als das Bewußtsein setzen (was allein das ausmacht, was wir unser Selbst nennen), ohne uns in große Absurditäten zu verwickeln.

§ 22. »Ist aber nicht ein Mensch betrunken und nüchtern dieselbe Person? Warum wird er sonst für die im trunkenen Zustande verübte That bestraft, wenn er sich auch hernach derselben niemals bewußt ist?« Gerade ebensogut dieselbe Person, wie jemand, der im Schlafe umhergeht und andere Dinge ausführt, dieselbe Person und für alles Unheil verantwortlich ist, was er in diesem Zustande anrichten mag. Die menschlichen Gesetze bestrafen beide mit einer ihrer Erkenntnisweise entsprechenden Gerechtigkeit, weil sie in diesen Fällen nicht sicher unterscheiden können, was wirklich und was Verstellung ist, deshalb wird Unwissenheit in der Trunkenheit oder im Schlafe nicht als ein Entschuldigungsgrund zugelassen. Denn, wenn auch die Strafe an die Persönlichkeit gebunden ist, und die Persönlichkeit an das Bewußtsein, und der Betrunkene sich dessen, was er that vielleicht nicht bewußt sein mag, so bestrafen ihn menschliche Gerichte gleichwohl mit Recht, weil die That gegen ihn bewiesen ist, der Mangel des Bewußtseins aber sich für ihn nicht beweisen läßt. Doch mögen wir wohl mit Grund annehmen, daß an jenem großen Tage, an dem die Geheimnisse aller Herzen offenbar werden, niemand für das, wovon er nichts gewußt hat, zur Verantwortung wird gezogen werden, sondern sein Urteil empfangen wird, je nachdem sein Gewissen ihn anklagt oder entschuldigt.

§ 23. Das Bewußtsein allein schafft das Selbst. – Nur das Bewußtsein kann voneinander entfernte Existenzen zu einer und derselben Person verknüpfen; die Identität der Substanz vermag das nicht, denn, welche Art von Substanz auch gegeben sein, und welche Gestalt sie annehmen möge, ohne Bewußtsein wird keine Person daraus, und ein Leichnam könnte ebensogut eine Person sein, wie irgend eine Art von Substanz ohne Bewußtsein. Könnten wir uns denken, daß zwei verschiedene untereinander zusammenhangslose Bewußtseine denselben Körper in Thätigkeit setzten, das eine beständig bei Tage das andere bei Nacht, und andererseits dasselbe Bewußtsein wechselsweise zwei verschiedene Körper regierte, so frage ich in dem ersten Falle, ob der Tages- und der Nachtmensch nicht zwei ebenso voneinander verschiedene Personen sein würden, wie Sokrates und Plato? und ob wir nicht in dem zweiten Falle ebensogut eine Person in zwei verschiedenen Körpern vor uns hätten, wie ein Mensch in zwei verschiedenen Kleidern derselbe bleibt? Auch ist es durchaus unwesentlich, wenn man etwa sagt, daß das selbige und das verschiedene Bewußtsein in den vorerwähnten Fällen einer und derselben und zwei unterschiedenen immateriellen Substanzen zuzuschreiben seien, die es mit sich den Körpern zuführten; was, mag es wahr sein oder nicht, den Fall nicht ändert, weil offenbar die persönliche Identität gleichermaßen durch das Bewußtsein bestimmt sein würde, ob es nun an eine individuelle immaterielle Substanz gebunden wäre oder nicht. Denn zugegeben, daß die denkende Substanz im Menschen notwendig für immateriell gehalten werden muß, so kann dieses immaterielle denkende Wesen augenscheinlich zuweilen sein Bewußtsein der Vergangenheit verlieren und es wieder gewinnen, wie sich in der Vergeßlichkeit zeigt, die die Menschen häufig für ihre vergangenen Handlungen haben; und der Geist erlangt oftmals die Erinnerung an etwas Vergangenes wieder, dessen Bewußtsein er ganze zwanzig Jahre hindurch verloren hatte. Man lasse diese Perioden von Andenken und Vergessenheit regelmäßig mit Tag und Nacht abwechseln, und man hat ebensogut zwei Personen mit demselben immateriellen Geiste, wie in dem früheren Beispiel zwei Personen mit demselben Körper. Somit ist das Selbst nicht durch die Identität oder Verschiedenheit einer Substanz bestimmt, worüber es keine Gewißheit erlangen kann, sondern nur durch die Identität des Bewußtseins.

§ 24. Allerdings kann es sich denken, daß die Substanz, woraus es jetzt besteht, schon früher zu demselben bewußten Wesen vereinigt existiert hat; wenn aber das Bewußtsein entfernt wird, so ist jene Substanz nicht mehr es selbst, und macht nicht mehr einen Teil davon aus als irgend eine andere Substanz, wie aus dem schon oben angeführten Beispiel eines abgeschnittenen Gliedes erhellt, was dem Selbst eines Menschen der von seiner Hitze, Kälte oder sonstigen Affektionen kein Bewußtsein länger hat, nicht mehr angehört als irgend ein anderer Stoffteil des Weltalls. Ebenso verhält es sich hinsichtlich irgend einer immateriellen Substanz, der das Bewußtsein fehlt, wodurch ich für mich mein Ich-selbst bin; wenn es irgend einen Teil ihrer Existenz giebt, den ich nicht vermittelst der Erinnerung dem gegenwärtigen Bewußtsein, was mich zu meinem Ich-selbst macht, anschließen kann, so ist sie in diesem Teile ihrer Existenz nicht mehr mein Ich-selbst wie irgend ein anderes immaterielles Wesen. Denn alles, was irgend eine Substanz gedacht oder gethan hat, ohne daß ich es erinnern und durch mein Bewußtsein mir als Gedanke oder Handlung aneignen könnte, das wird, auch wenn ein Teil von mir es gedacht oder gethan hat, mir nicht mehr angehören, als wenn es von irgend einem anderen irgendwo existierenden immateriellen Wesen gedacht oder gethan wäre.

§ 25. Es ist auch meiner Ansicht nach wahrscheinlich, daß das Bewußtsein an eine individuelle immaterielle Substanz gebunden und eine Affektion derselben ist. Mögen aber die Menschen ihren verschiedenen Hypothesen gemäß hierüber nach Belieben entscheiden, jedenfalls muß eben dieses intelligente Wesen, welches Glück und Unglück empfindet, einräumen, daß es etwas giebt, was sein Selbst ausmacht, worum es sich bekümmert, und was es glücklich sehen möchte; daß dieses Selbst in einer zusammenhängenden Dauer mehr als einen Augenblick lang existiert hat, und deshalb möglicherweise, wie es schon gethan hat, noch Monate und Jahre in Zukunft fortbestehen mag, ohne daß sich seiner Dauer bestimmte Grenzen vorschreiben ließen, und daß es durch dasselbe für die Zukunft fortgesetzte Bewußtsein dasselbe Selbst bleiben könne. Und so findet es vermöge dieses Bewußtseins sich selbst als eben das Ich-selbst, welches vor einigen Jahren die oder die Handlung begangen hat, wodurch es jetzt glücklich oder unglücklich wird. Bei allen diesen Gedanken über das Selbst wird nicht dieselbe numerische Substanz als das angesehen, was das Selbst ausmacht, sondern dasselbe fortdauernde Bewußtsein, worin eine Mehrzahl von Substanzen vereinigt gewesen, und wovon sie wieder getrennt sein mögen, die, so lange sie in einer vitalen Verbindung mit dem verblieben, worin das Bewußtsein zur Zeit seinen Sitz hatte, einen Teil von eben diesem Selbst ausmachten. So macht jeder Teil unseres Leibes in vitaler Vereinigung mit dem, was in uns Bewußtsein hat, einen Teil von uns selbst aus; nach erfolgter Trennung aber von der vitalen Vereinigung, wodurch das Bewußtsein mitgeteilt wird, ist das, was einen Augenblick vorher ein Teil von uns selbst war, jetzt ebensowenig mehr ein solcher, wie ein Teil von eines anderen Menschen Selbst ein Teil von mir ist, und es ist nicht unmöglich, daß es nach kurzer Zeit wirklich Teil einer anderen Person werden kann. Und so sehen wir, wie dieselbe numerische Substanz ein Teil von zwei verschiedenen Personen wird, und wie dieselbe Person in dem Wechsel mannigfacher Substanzen sich erhält. Ließe sich annehmen, daß ein Geist aller seiner Erinnerungen oder des Bewußtseins vergangener Handlungen völlig beraubt werde, wie wir ja finden, daß beständig ein großer Teil der unsrigen uns aus dem Sinne kommt, und zuweilen alle: so würde die Vereinigung oder Trennung solch einer geistigen Substanz in der persönlichen Identität ebensowenig eine Veränderung bewirken, wie die eines Stoffteilchens thut. Jede Substanz, die mit dem gegenwärtigen denkenden Wesen vital vereinigt ist, bildet einen Teil eben dieses selbigen jetzt bestehenden Selbstes; alles, was mit ihm durch ein Bewußtsein früherer Handlungen vereinigt ist, bildet auch einen Teil eben dieses Selbstes, welches damals und jetzt eins und dasselbe ist.

§ 26. Person ist ein juristischer Kunstausdruck. – Person in dem Sinne, worin ich das Wort gebrauche, ist der Name für dieses Selbst. Überall, wo jemand findet, was er sein »Ich-selbst« nennt, kann, meine ich, ein anderer sagen, es sei dieselbe Person da. Es ist ein juristischer Ausdruck, der Handlungen und ihren Lohn übereignet, und sich somit nur auf intelligente handelnde Wesen bezieht, für die es Gesetze sowie Glück und Unglück geben kann. Diese Persönlichkeit erstreckt sich über das gegenwärtige Dasein hinaus auf die Vergangenheit nur durch das Bewußtsein, wodurch sie beteiligt und verantwortlich wird, und vergangene Handlungen aus demselben Grunde und wegen derselben Ursache wie gegenwärtige als die Seinigen anerkennt und sich zurechnet. Alles das stützt sich auf ein Verlangen nach Glück, dem unvermeidlichen Begleiter des Bewußtseins, indem das Wesen, was sich der Freude und des Schmerzes bewußt ist, wünscht, daß sein bewußtes Selbst glücklich sein möge. Deshalb kann es bei irgend welchen vergangenen Handlungen, die es nicht durch das Bewußtsein mit dem gegenwärtigen Selbst vereinigen oder ihm zueignen kann, nicht mehr beteiligt sein, als wenn sie niemals geschehen wären, und Freude oder Schmerz, d. h. Belohnung oder Strafe, um einer solchen Handlung willen empfangen, ist ganz dasselbe, wie beim ersten Eintritt in das Dasein ohne überhaupt irgend ein Verschulden glücklich oder unglücklich gemacht werden. Denn angenommen, ein Mensch würde jetzt für das, was er in einem anderen Leben gethan hätte, bestraft, obgleich ein Bewußtsein davon in ihm ganz und gar nicht erweckt werden könnte, worin würde sich eine solche Bestrafung von seiner Erschaffung als unglücklich unterscheiden? Dem entsprechend sagt uns deshalb der Apostel, daß an dem großen Tage, wenn jedermann empfangen wird, was seinen Thaten gebührt, die Geheimnisse aller Herzen offenbar werden sollen. Das Urteil wird seine Rechtfertigung in dem Bewußtsein aller Personen davon finden, daß sie selbst, in welchen Körpern sie auch erscheinen mögen, oder welchen Substanzen auch jenes Bewußtsein anhaften möge, eben dieselben sind, die jene Handlungen begingen und diese Strafe dafür verdienen.

§ 27. Ich will gerne glauben, daß ich bei meiner Behandlung dieses Gegenstandes gewisse Dinge angenommen habe, die manchen Lesern sonderbar erscheinen werden, und vielleicht sind sie das auch an und für sich selber. Gleichwohl denke ich, daß sie von verzeihlicher Art sind bei der Unkenntnis, worin wir uns hinsichtlich des denkenden Wesens in uns befinden, das wir als unser Selbst betrachten. Wüßten wir, was es sei, oder wie es an ein gewisses System flüchtiger animalischer Geister gebunden sei, oder ob es seine Thätigkeiten des Denkens und Erinnerns auch außerhalb eines wie der unserige organisierten Leibes verrichten könne oder nicht, und ob es Gott gefallen habe, daß kein solcher Geist jemals mit einem anderen als einem solchen Leibe verbunden sein, und sein Gedächtnis auf der rechten Beschaffenheit von dessen Organen beruhen solle: so könnten wir vielleicht die Ungereimtheit einiger der von mir gemachten Annahmen einsehen. Wenn wir aber, wie jetzt (in dem Dunkel, was diese Dinge einhüllt) gewöhnlich geschieht, die Seele des Menschen als eine immaterielle vom Stoffe unabhängige und gegen alles dazu Gehörige gleich indifferente Substanz ansehen, so kann der Natur der Dinge nach durchaus nichts Ungereimtes in der Annahme liegen, daß dieselbe Seele zu verschiedenen Zeiten mit verschiedenen Körpern verbunden sein, und mit ihnen zu jeder Zeit einen Menschen ausmachen möge; so wenig wie in der Annahme, daß ein Stück, was gestern zu einem Schafskörper gehörte, morgen einen Teil eines menschlichen Körpers bilden, und in dieser Vereinigung ebensogut einen vitalen Teil des Meliboeus selbst wie früher seines Schafbocks ausmachen könne.

§ 28. Die Schwierigkeit entspringt aus unrichtigem Gebrauch von Namen. – Zum Schlusse: Jede Substanz, die zu existieren anfängt, muß während ihrer Existenz notwendig dieselbe bleiben; alle Zusammensetzungen von Substanzen, die zu existieren anfangen, müssen, so lange deren Vereinigung fortdauert, als Konkreta dieselben bleiben; jeder Modus, der zu existieren anfängt, bleibt während seiner Existenz derselbe; und eben diese Regel behält auch dann Geltung, wenn die Zusammensetzung aus unterschiedenen Substanzen und verschiedenen Modi besteht; woraus sich ergiebt, daß die Schwierigkeit oder Dunkelheit, die in betreff dieses Gegenstandes obgewaltet hat, mehr aus einem unrichtigen Gebrauch der Namen hervorgeht, als aus irgend welcher in den Dingen selbst liegenden Dunkelheit. Denn, wenn man nur strenge an der specifischen Idee festhält, worauf der Name angewandt wird, so wird man, welchen Inhalt sie auch haben möge, leicht unterscheiden können, ob etwas dasselbe oder ein anderes ist, und ein Zweifel hierüber kann nicht entstehen.

§ 29. Die Identität besteht in der Fortdauer des Daseins. – Denn angenommen, ein vernünftiger Geist sei die Idee vom Menschen, so läßt sich leicht erkennen, was derselbe Mensch ist, nämlich derselbe Geist, gleichviel ob für sich besonders oder in einem Körper, wird derselbe Mensch sein. Angenommen, ein vernünftiger Geist in vitaler Vereinigung mit einem in gewisser Weise aus Teilen aufgebautem Körper mache einen Menschen aus, so wird jener vernünftige Geist, so lange er mit dieser lebendigen Gestaltung aus Teilen zusammenbleibt, wenn sie auch nur in einem successiv flüchtigen Körper fortbesteht, derselbe Mensch sein. Wenn aber für irgend jemand die Idee vom Menschen nur in der lebendigen Vereinigung von Teilen zu einer gewissen Gestalt bestände, so würde diese lebendige Vereinigung und Gestalt derselbe Mensch sein, so lange sie in einem Konkretum bestehen bleibt, was nur durch eine fortdauernde Succession flüchtiger Partikeln dasselbe ist. Denn durch welche Zusammensetzung auch eine komplexe Idee gebildet sein möge, so erhält stets, wenn die Existenz sie unter irgend einer Benennung zu einem einzelnen Dinge macht, deren Fortsetzung dieses als dasselbe Individuum unter demselben Namen.


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