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§ 1. Wahrnehmung ist die erste einfache Idee der Selbstbeobachtung. – Wie die Wahrnehmung das erste von dem Geiste bezüglich seiner Ideen ausgeübte Vermögen ist, so ist sie auch die erste und einfachste Idee, die wir aus der Selbstbeobachtung gewinnen, und wird von einigen allgemein als Denken bezeichnet, obgleich Denken eigentlich nach englischem Sprachgebrauch eine solche Art von Vorgängen mit den Ideen im Geiste bedeutet, wobei der Geist aktiv ist, wobei er etwas mit einem gewissen Grad von willkürlicher Aufmerksamkeit betrachtet. Denn bei der bloßen nackten Wahrnehmung ist der Geist meistenteils nur passiv, und was er wahrnimmt, dessen Wahrnehmung kann er nicht vermeiden.
§ 2. Sie findet nur statt, wenn der Geist einen Eindruck empfängt. – Was Wahrnehmung ist, wird jeder besser lernen, indem er darauf achtet, was er selbst thut, wenn Statt what lies when. er sieht, hört, fühlt etc., oder denkt, als durch irgend welche Auseinandersetzung meinerseits. Niemandem kann das entgehen, der auf den Vorgang in seinem eigenen Bewußtsein achtet, und wenn er sich nicht selbst beobachtet, so werden alle Worte in der Welt ihm keinen Begriff davon beibringen.
§ 3. Soviel ist gewiß, welche Veränderungen auch in unserm Leibe vorgehen, welche Eindrücke auch auf die äußeren Glieder gemacht werden mögen, wenn sie den Geist nicht erreichen, wenn nicht innerlich von ihnen Kenntnis genommen wird, so giebt es keine Wahrnehmung. Das Feuer möchte unsern Leib ohne weitere Wirkung wie bei einem Holzscheit verbrennen, wenn die Bewegung sich nicht bis zum Gehirn fortpflanzte, und dort die Empfindung der Hitze oder die Idee des Schmerzes im Bewußtsein hervorgebracht würde, Alle unsere Wahrnehmungen scheinen uns allerdings durch eine Reihe von Ursachen und Wirkungen bedingt zu sein, die bei dem wahrgenommenen Gegenstande oder Vorgange beginnt und, durch mehr oder minder zahlreiche Mittelglieder verlaufend, in unserm großen Gehirn endet. Somit erscheint uns das letztere als Vermittler unseres Bewußtseins von der gesamten übrigen Außenwelt mit Einschluß der für uns selbst äußerlich sichtbaren und fühlbaren oder innerlich empfindbaren Teile unseres Leibes. Oder, da das Gehirn nur ein integrierender Bestandteil unseres leiblichen Organismus ist, es erscheint uns unsere eigene Person als das Existenzmittel unseres individuellen Bewußtseinskreises, und dies findet noch darin eine weitere Bestätigung, daß erfahrungsmäßig die individuelle Lebensdauer einer Person zugleich die Dauer ihres individuellen Bewußtseins ist. Hiebei dürfen wir jedoch nicht übersehen, daß unser leiblicher Organismus selbst nur ein von uns wahrgenommenes oder als an sich wahrnehmbar vorgestelltes Objekt ist (unser eigenes Gehirn können wir zwar nicht sehen, aber wir denken es uns doch nach dem Muster der Sektionsbefunde bei Leichenöffnungen als etwas an sich sinnlich wahrnehmbares); als solches aber die Existenz des Bewußtseins und eines wahrnehmenden Subjektes schon voraussetzt. Dasselbe gilt gleichmäßig von allen individuellen Bewußtseinskreisen (wenn wir eine Vielheit solcher annehmen) und ihren respektiven Existenzmitteln, ohne daß wir in einer wechselseitigen Unterstützung derselben eine Lösung der Schwierigkeit finden könnten, auf die wir hier gestoßen sind, nämlich daß unser Bewußtsein unser großes Gehirn, dieses aber wiederum jenes voraussetzt, m. a. W. daß das Bewußtsein sich selber voraussetzt, und schon da sein müßte, um entstehen zu können, also bevor es da wäre. Diesen Konflikt mit dem Satze des Widerspruchs können wir nur durch die Voraussetzung einer außerbewußten (transcendenten) Realität vermeiden, woraus unser individuelles Bewußtsein durch ein seinem Wesen nach für uns unerkennbares principium individuationis dergestalt fortlaufend hervorgeht, daß dieser sein Ursprung hinterher in ihm selber sich objektiv als unser großes Gehirn und die in diesem verlaufenden Prozesse darstellt. Nur in diesem Sinne dürfen wir von einer Entstehung unserer Ideen im Gehirn reden, nicht aber in dem Sinne eines Kausalzusammenhanges zwischen den Gehirnprozessen und den Bewußtseinsvorgängen. wodurch die Wahrnehmung wirklich zustande kommt.
§ 4. Wie oft kann man an sich selbst beobachten, daß während unser Geist mit der Betrachtung gewisser Objekte eifrig beschäftigt ist, und gewisse ihm vorschwebende Ideen sorgfältig untersucht, er von den Eindrücken keine Notiz nimmt, die tönende Körper aus das Gehörorgan machen, worin sie dieselben Veränderungen bewirken, die gewöhnlich die Ideen des Tones hervorrufen. Ein hinlänglicher Stoß auf das Organ mag vorhanden sein, aber wenn er die Beachtung des Geistes nicht auf sich zieht, so erfolgt keine Wahrnehmung, und obwohl die Bewegung, welche die Idee des Tones hervorzubringen pflegt, im Ohr stattfindet, wird doch kein Ton gehört. Das Ausbleiben der Wahrnehmung wird in diesem Falle nicht durch einen Fehler im Organ verursacht, oder dadurch, daß die Einwirkung auf die Ohren schwächer wäre als zu anderen Zeiten, wenn man hört; sondern weil der Verstand auf das, was die Idee hervorzubringen pflegt, obwohl es durch das dazu dienliche Organ seinen Eingang findet, nicht achtet, und somit dem Geiste keine Idee eingeprägt wird, deshalb erfolgt keine Wahrnehmung. Demnach wird überall, wo Sinnesempfindung oder Wahrnehmung vorhanden ist, eine Idee im Verstande wirklich hervorgebracht und ihm gegenwärtig.
§ 5. Obgleich Kinder im Mutterleibe Ideen haben mögen, so haben sie doch keine angeborenen. – Ich bezweifle deshalb nicht, daß die Kinder durch den Gebrauch ihrer Sinne bezüglich solcher Objekte, die im Mutterleibe auf sie wirken, schon vor ihrer Geburt einige wenige Ideen erhalten mögen, als die unvermeidlichen Effekte entweder der sie umgebenden Körper oder auch der Mängel oder Übel, woran sie leiden; unter denen (wenn eine Vermutung über Dinge erlaubt ist, die sich nicht gut untersuchen lassen) die Ideen von Hunger und Wärme, wie ich meine, zwei sind, die wahrscheinlich zu den ersten gehören, die Kinder haben, und die sie schwerlich jemals wieder los werden.
§ 6. Mag man aber auch vernünftigerweise annehmen müssen, daß die Kinder einige Ideen erhalten, bevor sie zur Welt kommen, so sind doch diese einfachen Ideen weit verschieden von den angeborenen Prinzipien, die gewisse Leute behaupten, wir aber oben verworfen haben. Diese hier erwähnten rühren als Ergebnisse der Sinneswahrnehmung nur von gewissen ihnen dort D. h. den Kindern im Mutterleibe. begegnenden Einwirkungen auf den Körper her, und sind also von etwas dem Geiste Äußerlichem abhängig; bezüglich ihrer Entstehungsweise unterscheiden sie sich von anderen aus der Sinneswahrnehmung entspringenden Ideen nur dadurch, daß sie diesen zeitlich voraufgehen; wohingegen jene angeborenen Prinzipien von einer ganz anderen Natur sein, und nicht durch zufällige Veränderungen oder Einwirkungen auf den Körper in den Geist gelangen, sondern ihm in dem ersten Augenblick seines Daseins und seiner Bildung gewissermaßen als ursprüngliche Schriftzüge aufgeprägt sein sollen.
§ 7. Welche Ideen die ersten sind, läßt sich nicht mit Gewißheit bestimmen. – Wie es gewisse Ideen giebt, von denen wir vernünftigerweise annehmen mögen, daß sie schon im Mutterleibe in den Geist der Kinder gelangen, weil sie ihren Lebens- und Daseinsbedürfnissen daselbst dienen, so werden ihnen nach der Geburt diejenigen Ideen am frühesten eingeprägt, welche solchen sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften entsprechen, die sich ihnen gerade zuerst darbieten, unter denen das Licht nicht am wenigsten in Betracht kommt und nicht die schwächste Wirkung ausübt. Und wie begierig der Geist danach ist, mit allen nicht von Schmerz begleiteten Ideen versehen zu werden, läßt sich einigermaßen aus dem erraten, was man an neugeborenen Kindern beobachten kann, die ihre Augen immer der Seite zuwenden, woher das Licht kommt, man mag sie legen, wie man will. Da aber die zuerst am häufigsten vorkommenden Ideen mannigfacher Art sind je nach den verschiedenen Umständen der ersten Verpflegung der Kinder in der Welt, so ist die Ordnung, worin die verschiedenen Ideen zuerst Eingang in den Geist finden, ebenfalls sehr mannigfaltig und ungewiß; auch ist an ihrer Kenntnis nicht viel gelegen.
§ 8. Die aus der Sinneswahrnehmung stammenden Ideen werden oft durch das Urteil geändert. – In betreff der Wahrnehmung müssen wir ferner erwägen, daß unsere durch die Sinne empfangenen Ideen in den Erwachsenen oft, ohne daß wir es bemerkten, vermittelst des Urteils abgeändert werden. Wenn wir uns eine runde Kugel von gleichförmiger Farbe, z.B. Gold, Alabaster oder Tagat, vor Augen stellen, so ist die unserm Geiste dadurch eingeprägte Idee gewiß die einer abwechselnd schattierten Kreisfläche, von der verschiedene Abstufungen von Licht und Glanz in unsere Augen gelangen. Da wir aber uns durch Übung daran gewöhnt haben, Statt have lies having. zu erkennen, welche Art von Erscheinung konvexe Körper für uns hervorzubringen pflegen, welche Wechsel in den Lichtreflexen durch den Unterschied der fühlbaren Figuren der Körper verursacht werden, so wandelt die Urteilskraft unmittelbar vermöge einer festen Gewohnheit die Erscheinungen in ihre Ursachen um, so daß sie aus dem, was in Wahrheit ein Wechsel von Schatten oder Farbe ist, auf die Figur schließend, dasselbe als ein Zeichen der Figur gelten läßt, und für sich selbst die Wahrnehmung einer konvexen Figur und einer gleichförmigen Farbe gestaltet, während die Idee, die wir von dorther empfangen, nur eine ebene Fläche von wechselnder Färbung ist, wie sich in der Malerei augenscheinlich zeigt. Als zur Sache gehörig will ich hier ein Problem des höchst geistreichen und tiefsinnigen Beförderers wahrer Wissenschaft, des gelehrten und würdigen Herrn Molineux, einschalten, das er so gefällig war, mir vor einigen Monaten brieflich mitzuteilen; es ist folgendes: »Denken wir uns einen blind geborenen, jetzt erwachsenen Menschen, dem gelehrt worden, durch sein Tastgefühl zwischen einem Würfel und einer Kugel aus demselben Metall und von nahezu derselben Größe zu unterscheiden, so daß er nach Betastung des einen und der anderen sagen kann, was der Würfel und was die Kugel sei; denken wir uns dann den Würfel und die Kugel auf einen Tisch gestellt und den Blinden sehend gemacht; quaere, ob er nun durch sein Gesicht, ohne die Gegenstände zu berühren, unterscheiden und angeben könnte, welcher die Kugel und welcher der Würfel sei?« Worauf der scharfsinnig urteilende Fragesteller mit »Nein« antwortet: »denn obgleich er erfahrungsmäßig weiß, wie eine Kugel und wie ein Würfel auf seinen Tastsinn wirkt, so hat er doch noch nicht erfahren, daß, was auf seinen Tastsinn so oder so wirkt, auf sein Gesicht so oder so wirken muß, oder daß die hervorragende Ecke eines Würfels, die auf seine Hand ungleichmäßig drückte, seinem Auge so erscheinen muß, wie es sie am Würfel sieht.« Ich stimme diesem nachdenkenden Herrn, den ich mit Stolz meinen Freund nenne, in seiner Beantwortung des aufgestellten Problems bei, und bin der Meinung, daß der Blinde auf den ersten Blick nicht imstande sein würde, mit Sicherheit zu sagen, was die Kugel und was der Würfel sei, so lange er beide nur sähe, obgleich er sie nach der Betastung ohne Irrtum bezeichnen, und wegen der Verschiedenheit ihrer gefühlten Gestalten mit Sicherheit unterscheiden könnte. Ich habe dieses mitgeteilt und meinem Leser vorgelegt, um ihm Gelegenheit zu bieten, zu erwägen, wieviel er der Erfahrung, Belehrung und erworbenen Kenntnissen auch da verdanken mag, wo er nicht den geringsten Nutzen oder Beistand von ihnen zu haben glaubt: und zwar um so lieber, als jener aufmerksame Herr noch hinzufügt, daß er, durch mein Buch dazu veranlaßt, sein Problem verschiedenen sehr geistreichen Leuten vorgetragen, aber kaum jemals einen getroffen habe, der gleich anfangs die seiner Meinung nach richtige Antwort gegeben habe, bevor er durch Anhörung seiner Gründe überzeugt ward.
§ 9. Dies Nämlich die Abänderung oder Ergänzung des bloßen Sinneseindrucks durch ein unwillkürliches und gewöhnlich unbewußt bleibendes Verstandesurteil. ist jedoch, wie ich glaube, nur bei den durch das Gesicht erhaltenen Ideen etwas Gewöhnliches, weil das Gesicht, der umfassendste von allen unseren Sinnen, unserm Geiste sowohl die ihm allein eigentümlichen Ideen des Lichtes und der Farbe zuführt, als auch die weit davon verschiedenen Ideen von Raum, Gestalt und Bewegung, Vgl. die Anmerkung zu Kapitel VIII, § 9. Das Auge liefert uns gar keine anderen Wahrnehmungen als die von Licht und Farben in verschiedenen Helligkeitsgraden. Denkt man sich diese in unserem Gesichtsbilde ausgelöscht, so verschwindet letzteres völlig; keineswegs bleiben in demselben bloße Umrißzeichnungen der Körper zurück. Denn Umrisse entstehen für das Auge nur durch das Aneinandergrenzen von zwei verschiedenfarbigen oder verschieden hellen Flächen. Die bloße (mathematische) Figur oder räumliche Gestalt ist deshalb schon ein Abstraktum, wenn auch noch kein Begriff, sondern eine Vorstellung. Die bloße Ausdehnung aber ohne feste Umgrenzung ist nicht einmal mehr eine Vorstellung, sondern nur ein Begriff. Größe ferner oder Masse ist ein relativer Begriff, denn sie drückt nur das Verhältnis der Ausdehnung oder Raumerfüllung eines Körpers zu einem anderen aus. Die Bewegung erkennen wir nur durch Vergleichung einer vergangenen Sinneswahrnehmung mit einer gegenwärtigen, also mit Hilfe der Erinnerung, die eine von der Sinneswahrnehmung verschiedene, wenn auch eng mit ihr verknüpfte Geistesthätigkeit ist. Auch die Bewegung ist deshalb keine bloße Sinneswahrnehmung mehr, sondern eine Vorstellung, weil jede in der Erinnerung festgehaltene oder aus dem Gedächtnis reproduzierte Wahrnehmung eine Vorstellung ist. Solidität ist ein abstrakter Begriff. Aus zahlreichen individuell verschiedenen Beobachtungen des sichtbaren Verhaltens von gegeneinander bewegten Körpern ist der allgemeine Gedanke einer ausschließlichen Raumerfüllung gewonnen, und mit der vom Tastgefühl gelieferten Empfindung des Druckes oder Widerstandes zu der Bedeutung des Namens »Solidität« kombiniert. Trotz alledem bleibt Lockes Bemerkung, daß sich mit unseren Sinneswahrnehmungen häufig (man darf vielleicht sagen: immer) Verstandesurteile so unmittelbar und unwillkürlich verbinden, daß wir uns ihrer als etwas von den Sinneswahrnehmungen Verschiedenen gar nicht bewußt werden, sondern sie in diese mit einrechnen, vollkommen richtig. Locke selbst hat dafür ein schlagendes Beispiel geliefert, indem er die sogen. primären Eigenschaften der Dinge sinnlich wahrzunehmen glaubte. Die hauptsächlichsten Leistungen der sich unwillkürlich und unmittelbar den Sinneseindrücken anschließenden Verstandesthätigkeit möchten etwa folgende sein: 1. Die Verbindung der an sich zusammenhangslosen Sinneseindrücke zur Wahrnehmung von »Dingen« mit mannigfachen »Eigenschaften« und die Unterscheidung vieler solcher Dinge voneinander. 2. Die Ausbildung der Vorstellung eines alle Dinge umfassenden Raumes, der räumlichen Verhältnisse der Dinge zu einander und ihrer Bewegungen im Raume. 3. Die Verbindung der inhaltlich identischen, aber zeitlich voneinander getrennten Wahrnehmungen von Dingen durch die Vorstellung eines auch während der Zwischenzeiten fortdauernden Bestandes dieser Dinge. 4. Die Festhaltung der Identität eines Dinges ungeachtet einer Veränderung seiner Eigenschaften. 5. Die Verknüpfung der zeitlich aufeinander folgenden Bewegungen und Veränderungen verschiedener Dinge oder ihrer Eigenschaften miteinander als Ursachen und Wirkungen. – Daß sich aller Sinneswahrnehmung eine Verstandesthätigkeit unmittelbar und unwillkürlich anschließe, war übrigens den Indern schon im Altertum sehr gut bekannt, weshalb sie den manas (lateinisch: mens) als sechsten und zwar allgemeinen Sinn den fünf speciellen Sinnen zugesellten. – Entschieden unrichtig aber ist es, wenn Schopenhauer im § 21 der »vierfachen Wurzel etc.« behauptet, daß die Eindrücke des Gesichtssinnes eigentlich nur innere, d. h. im Gehirn lokalisierte, Empfindungen seien, die der durch die Kausalitätskategorie geleitete Verstand als Wirkungen betrachte, und für welche er deshalb eine Ursache dadurch schaffe, daß er jene inneren Empfindungen zu Objekten umgestalte, die außerhalb unseres Organismus im Raume erscheinen. Niemand, der gesunde Augen hat, wird jemals Licht- und Farbenempfindungen im Innern seines Kopfes bemerken, bevor er äußere Dinge sieht; (Licht und Farbe lassen sich überhaupt nicht empfinden, sondern nur wahrnehmen; Schmerz- oder Reizempfindungen im Auge oder Gehirn infolge einer Affektion des ersteren durch das Licht sind keine Empfindungen von Licht oder Farbe); Empfindungen aber, deren man sich niemals wirklich bewußt wird, soll man nicht einer bloßen Theorie zur Liebe fingieren, und von Ursache und Wirkung spricht man sonst nur da, wo zwei für unsere Sinne und unsern Verstand wahrnehmbare und unterscheidbare Vorgänge aufeinander folgen, die ungeachtet ihres kausalen Zusammenhanges gesondert bleiben, nicht aber in eins zusammenfließen, wie die vermeinten Licht- und Farbenempfindungen im Gehirn mit den äußeren Gesichtswahrnehmungen im Raum. Es kann nur zu einer Verdunkelung des Kausalitätsbegriffes führen, wenn dieser offenbare Irrtum Schopenhauers (der bei ihm aus einer Überschätzung der Kausalität entsprang, die er bekanntlich von Kants Kategorientafel allein übrig ließ), wie man das mitunter findet, von namhaften Gelehrten adoptiert wird. nach deren besonderen Varietäten die Erscheinungsweisen seines eigentümlichen Objektes, nämlich des Lichtes und der Farben, wechseln, und wir deshalb uns daran gewöhnen, die einen nach den anderen zu beurteilen. Dies geschieht in vielen Fällen bei Dingen, die uns häufig in der Erfahrung vorkommen, vermöge einer fest gewordenen Gewohnheit so rasch und beständig, daß wir das für eine Sinneswahrnehmung halten, was eine durch unsere Urteilskraft gebildete Idee ist, so daß die eine, nämlich die durch Sinneswahrnehmung entstandene, nur zur Hervorrufung der anderen dient und selbst kaum beachtet wird, wie jemand, der mit Aufmerksamkeit und Verständnis liest oder hört, von den Schriftzügen oder Tönen kaum Notiz nimmt, sondern nur von den Ideen, die durch sie in ihm erregt werden.
§ 10. Auch brauchen wir uns nicht darüber zu wundern, daß dies mit so wenig Bewußtsein davon geschieht, wenn wir erwägen, wie außerordentlich rasch die Geistesthätigkeiten vollzogen werden; denn wie man von dem Geiste selbst glaubt, daß er keinen Raum einnehme und keine Ausdehnung habe, so scheinen auch seine Thätigkeiten keine Zeit zu erfordern, sondern viele von ihnen in einen Augenblick zusammengedrängt zu sein. Ich sage dies im Vergleich zu den körperlichen Thätigkeiten. Jeder kann das leicht an seinen eigenen Gedanken beobachten, der sich die Mühe geben will, auf sie zu reflektieren. Übersieht nicht unser Geist mit einem Blick, wie in einem Moment, alle Teile eines Beweises, der mit gutem Recht ein langer genannt werden kann, wenn wir die Zeit erwägen, die dazu nötig sein würde, um ihn in Worte zu bringen, und Schritt für Schritt einem anderen darzulegen? Ferner wird es uns nicht sehr überraschen, daß dies in uns mit so wenig Bewußtsein geschieht, wenn wir erwägen, wie die Leichtigkeit, womit wir gewisse Dinge durch die Gewohnheit ihrer Ausführung zu thun lernen, bewirkt, daß sie oft in uns vor sich gehen, ohne daß wir daran denken. Gewohnheiten, namentlich solche, die früh begonnen haben, kommen endlich dazu, Handlungen in uns hervorzubringen, die sich oftmals unserer Beobachtung entziehen. Wie häufig bedecken wir nicht an jedem Tage unsere Augen mit den Augenlidern ohne überhaupt zu bemerken, daß wir uns dann im Dunkeln befinden! Menschen, die sich den Gebrauch eines gewissen Zusatzwortes angewöhnt haben, sprechen beinahe in jedem Satze Laute aus, die, obwohl sie anderen auffallen, doch von ihnen selbst weder gehört noch beachtet werden. Darum ist es nicht so seltsam, daß unser Geist oft die Idee seiner Sinneswahrnehmung in die seines Urteils umwandelt, und sich der einen nur bedient, um die andere hervorzurufen, ohne daß wir dies bemerken.
§ 11. Die Wahrnehmung begründet den Unterschied zwischen den Tieren und den tiefer stehenden Wesen. – Dieses Wahrnehmungsvermögen scheint mir das zu sein, worin der Unterschied zwischen den Tieren und den niedrigeren Naturgebieten besteht. Denn obwohl manchen Pflanzen ein gewisses Maß von Bewegung zukommt, und sie, wenn sie auf verschiedene Weise mit anderen Körpern in Berührung gebracht werden, ihre Gestalten und Bewegungen sehr rasch verändern, weshalb sie wegen einer Bewegung, die eine gewisse Ähnlichkeit mit der in den Tieren auf die Sinneswahrnehmung folgenden hat, sensitive Pflanzen genannt worden sind: so glaube ich doch, daß ihre Bewegung rein mechanischer Art ist, und auf keine andere Weise entsteht, wie die Umdrehung der Grannen des wilden Hafers durch die Einflößung von Feuchtigkeitströpfchen, oder die Verkürzung eines Strickes durch Begießen mit Wasser, was alles ohne irgend welche Sinneswahrnehmung in dem Subjekte oder den Erwerb und Besitz irgend welcher Ideen geschieht.
§ 12. Wahrnehmung findet sich, wie ich glaube, in irgend welchem Grade bei allen Arten von Tieren, obgleich bei einigen die von der Natur für die Aufnahme von Sinneseindrücken hergestellten Zugänge so wenige, und die dadurch erhaltenen Statt: they are received with, lies: there received with. Wahrnehmungen so dunkel und matt sind, daß diese weit hinter der Lebhaftigkeit und Mannigfaltigkeit der Sinneseindrücke bei anderen Tieren zurückbleiben; doch genügen sie für den Zustand und die Lage der so beschaffenen Tiere, und sind denselben weise angepaßt. So daß die Weisheit und Güte des Schöpfers in allen Teilen dieses staunenswerten Gebäudes und allen den verschiedenen Stufen und Klassen der darin befindlichen Geschöpfe klar zur Erscheinung kommen.
§ 13. Aus dem Bau einer Auster oder Muschel dürfen wir, denke ich, vernünftigerweise schließen, daß sie nicht so viele und nicht so lebhafte Sinneseindrücke empfängt, wie ein Mensch oder manche andere Tiere; und wenn sie dergleichen empfinge, so würde sie in ihrem Zustande der Unfähigkeit, sich von einem Orte nach einem anderen zu begeben, deshalb um nichts besser daran sein. Was könnten Gesicht und Gehör einem Geschöpfe helfen, das sich den Gegenständen, worin es aus der Ferne Nutzen oder Schaden erblickte, weder annähern noch sich von ihnen entfernen könnte? Und würde nicht Lebhaftigkeit der Empfindung einem Tiere zur Beschwerde gereichen, das dort, wo der Zufall ihm einmal seinen Platz angewiesen hat, stille liegen, und den Zufluß von kälterem oder wärmerem, von reinem oder schmutzigem Wasser, wie er es gerade treffen mag, über sich ergehen lassen muß?
§ 14. Gleichwohl kann ich nicht umhin zu glauben, daß eine gewisse schwache und dumpfe Wahrnehmung da ist, wodurch sie D. h. solche Tiere. sich von völliger Empfindungslosigkeit unterscheiden. Und für diesen Sachverhalt haben wir sogar bei dem Menschen selbst deutliche Beispiele. Denken wir uns, daß bei einem Menschen die Schwäche des hohen Alters die Erinnerung seines ehemaligen Wissens ausgelöscht, und die Ideen, womit sein Geist früher erfüllt war, rein weggewischt habe, daß durch vollständige Zerstörung des Gesichtes, Gehörs und Geruches und zum großen Teil auch des Geschmacks fast alle Zugänge verstopft seien, wodurch neue eintreten könnten, oder, wenn noch einige Pforten halb offen stehen, die stattfindenden Eindrücke kaum bemerkt und gar nicht festgehalten würden. Wie weit solch ein Mensch (aller hochgerühmten angeborenen Grundsätze ungeachtet) in seinem Wissen und seinen geistigen Fähigkeiten über den Zustand einer Muschel oder Auster hinaus wäre, das stelle ich der Erwägung anheim. Und wenn ein Mensch in einem solchen Zustande sechzig Jahre zugebracht hätte, was ebensogut denkbar ist als drei Tage, so möchte ich wissen, welcher Unterschied in irgend einer Art von Geistesbildung zwischen ihm und der untersten Stufe tierischer Wesen bestanden hätte.
§ 15. Die Wahrnehmung ist der Eingang für das Wissen. – Weil denn die Wahrnehmung der erste Schritt und die erste Stufe zur Erkenntnis ist und der Eingang für alles Material derselben, so bleiben die Menschen wie auch andere Geschöpfe um so weiter von dem Wissen entfernt, was sich bei einigen von jenen findet, je weniger Sinne sie besitzen, je weniger und schwächer die durch selbige empfangenen Eindrücke sind, und je stumpfer die Fähigkeiten sind, die auf diese zur Anwendung gelangen. Da dies aber in einer großen Mannigfaltigkeit von Abstufungen geschieht (wie man unter den Menschen wahrnehmen kann), so läßt es sich für die verschiedenen Arten von Tieren nicht mit Sicherheit ermitteln, und noch viel weniger für deren einzelne Individuen. Für mich genügt es, hier hervorgehoben zu haben, daß die Wahrnehmung die erste Thätigkeitsweise aller unserer intellektuellen Fähigkeiten ist, und der Eingang für alles Wissen in unseren Geist. Und überdies bin ich geneigt zu glauben, daß es die Wahrnehmung auf ihrer untersten Stufe ist, wodurch die Grenze zwischen den Tieren und den niedrigeren Klassen von Geschöpfen bestimmt wird. Doch erwähne ich dies nur beiläufig als meine Vermutung, da es für mein Thema gleichgültig ist, wie die Gelehrten darüber entscheiden mögen.