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Elftes Kapitel.
Über die Unterscheidung und andere Geistesthätigkeiten.

§ 1. Ohne Unterscheidung giebt es keine Erkenntnis. – Ein anderes Vermögen, welches wir in unserem Geiste entdecken können, ist das der Unterscheidung und Sonderung zwischen seinen mannigfachen Ideen. Es genügt nicht, eine verworrene Wahrnehmung von irgend etwas überhaupt zu haben; falls der Geist nicht eine deutliche Wahrnehmung von verschiedenen Gegenständen und ihren Eigenschaften hätte, so würde er nur sehr geringer Erkenntnis fähig sein, wenn auch die auf uns einwirkenden Körper sich mit uns ebensoviel zu thun machten, wie jetzt, und der Geist unablässig mit Denken beschäftigt wäre. Aus diesem Vermögen, ein Ding von dem anderen zu unterscheiden, beruht die Augenscheinlichkeit und Gewißheit mancher sogar sehr allgemeiner Sätze, die für angeborene Wahrheiten gegolten haben, indem man den wahren Grund, weshalb diese Sätze allgemeinen Beifall finden, übersah, und dies lediglich angeborenen gleichförmigen Eindrücken zuschrieb, wogegen es in Wahrheit auf jenem klaren Unterscheidungsvermögen des Geistes beruht, wodurch er zwei Ideen als übereinstimmend oder verschieden erkennt. Hievon wird weiterhin mehr die Rede sein.

§ 2. Der Unterschied von Witz und Scharfsinn. – Inwieweit das Unvermögen, die Ideen genau voneinander zu unterscheiden, entweder in einer Stumpfheit oder Mängeln der Sinnesorgane, oder in dem Mangel von Schärfe, Übung oder Aufmerksamkeit des Verstandes, oder in der gewissen Temperamenten natürlichen Hastigkeit und Eilfertigkeit seinen Grund haben mag, will ich hier nicht untersuchen; es genügt, Kenntnis davon zu nehmen, daß das Unterscheidungsvermögen zu den Thätigkeiten gehört, die der Geist an sich selber beobachten und in Betracht ziehen kann. Es ist für dessen übriges Wissen von solcher Bedeutung, daß, soweit dieses Vermögen an sich selbst schwach ist, oder zur Unterscheidung der Dinge voneinander nicht recht gebraucht wird, ebensoweit unsere Begriffe sich verwirren, und unsere Schlüsse und Urteile in Unordnung geraten und irre gehen. Wenn die Lebhaftigkeit des Geistes darin besteht, daß wir die im Gedächtnis bewahrten Ideen leicht zur Hand haben, so beruht darauf, daß wir sie unverwirrt halten und imstande sind, auch bei der geringsten Verschiedenheit ein Ding von dem anderen genau zu unterscheiden zum guten Teil die Richtigkeit des Urteils und die Klarheit der Begründung, die sich bei einem Menschen mehr zeigen als bei einem anderen. Und hieraus erklärt sich vielleicht in gewissem Maße die häufige Beobachtung, daß Leute, die viel Witz und ein fertiges Gedächtnis besitzen, nicht immer das klarste Urteil oder die tiefste Einsicht haben; denn, während der Witz hauptsächlich in einer Vereinigung von Ideen besteht, nämlich darin, daß solche, die eine gewisse Ähnlichkeit oder Übereinstimmung haben, mit Lebhaftigkeit und Abwechselung zusammengestellt werden, so daß sie hübsche Bilder und angenehme Schaustücke der Phantasie abgeben: liegt die Urteilsfähigkeit im Gegenteil ganz auf der anderen Seite, und zeigt sich darin, daß solche Ideen, zwischen denen sich auch nur der geringste Unterschied auffinden läßt, sorgfältig auseinander gehalten werden, damit man nicht Gefahr laufe, durch die Ähnlichkeit und die Verwandtschaft der Dinge dazu verführt zu werden, eins für das andere zu halten. Diese Verfahrungsweise ist dem Gebrauche von Bildern und Anspielungen geradezu entgegengesetzt, worin meistenteils das Unterhaltende und Belustigende des Witzes liegt, was die Phantasie so lebendig aufregt, und deshalb bei allen Leuten so gute Aufnahme findet, weil seine Schönheit beim ersten Anblick einleuchtet, und keine Gedankenarbeit erfordert wird, um zu prüfen, welche Wahrheit oder vernünftige Einsicht darin enthalten sei. Ohne irgend weiter auszuschauen, ruht der Geist befriedigt durch die Anmut des Gemäldes und die Heiterkeit der Phantasie, und es wäre gewissermaßen eine Beleidigung, wenn man sich unterfangen wollte, es nach den strengen Regeln der Wahrheit und guten Begründung zu prüfen, wobei es sich zeigen könnte, daß es in etwas mit diesen nicht völlig Verträglichem bestehe.

§ 3. Klarheit allein hindert die Gedankenverwirrung. – Zur gehörigen Unterscheidung unserer Ideen trägt es hauptsächlich bei, wenn sie klar und bestimmt sind, und wo sie das sind, da wird keine Verwirrung unter ihnen und kein Irrtum über sie entstehen, wenn auch die Sinne (wie sie mitunter thun), sie von demselben Objekt bei verschiedenen Gelegenheiten in verschiedener Weise liefern, also zu irren scheinen. Denn, wenngleich der Zucker, der zu anderen Zeiten einen süßen Geschmack hervorruft, einem Fieberkranken bitter schmecken sollte, so würde doch in dessen Sinn die Idee des Bitteren von der des Süßen ebenso klar und deutlich unterschieden sein, als wenn er nur Galle gekostet hätte. Auch entsteht zwischen den Ideen von süß und bitter nicht mehr Verwirrung dadurch, daß dieselbe Körperart zu dieser Zeit die eine und zu jener Zeit die andere Idee durch den Geschmackssinn hervorbringt, als zwischen den Ideen von weiß und süß oder weiß und rund dadurch, daß dasselbe Stück Zucker beide gleichzeitig im Bewußtsein erzeugt, und die Ideen von orangefarbig und azurblau, die im Bewußtsein durch ein und denselben Teil des Aufgusses von lignum nephriticum hervorgebracht werden, sind nicht weniger verschiedene Ideen als dieselben Farben, wenn sie von zwei verschiedenen Körpern herrühren.

§ 4. Vergleichung. – Ihre Vergleichung miteinander bezüglich des Umfanges, des Grades, der Zeit, des Ortes oder sonstiger Umstände ist ein anderes Verfahren des Geistes mit seinen Ideen, und zwar das, worauf jene ganze große unter dem Namen Relationen (Beziehungen, Verhältnisse) zusammengefaßte Klasse von Ideen beruht, über deren gewaltigen Umfang ich später Gelegenheit haben werde Betrachtungen anzustellen.

§ 5. Die Tiere vergleichen nur unvollkommen. – Wie weit die Tiere an dieser Fähigkeit teilhaben, läßt sich nicht leicht entscheiden. Ich glaube, sie besitzen sie nicht in irgendwie beträchtlichem Grade; denn obgleich sie wahrscheinlich manche hinlänglich bestimmte Ideen haben, so scheint es mir doch ein Vorzug des menschlichen Verstandes zu sein, wenn er gewisse Ideen genügend unterschieden hat, so daß er sie als vollkommen voneinander abweichend und mithin als zwei erkennt, alsdann nachzusinnen und zu erwägen, in welchen Beziehungen sie sich vergleichen lassen, und ich glaube deshalb, daß die Tiere ihre Ideen nur hinsichtlich einiger mit den Objekten selbst verknüpften sinnlich bemerkbaren Umstände vergleichen. Von dem anderen an Menschen zu beobachtenden Vermögen der Vergleichung, das auf allgemeine Ideen bezüglich und nur für abstrakte Erörterungen nützlich ist, dürfen wir mit Wahrscheinlichkeit annehmen, daß die Tiere es nicht besitzen.

§ 6. Zusammensetzung. – Das nächste Verfahren des Geistes mit seinen Ideen, was wir in ihm beobachten können, ist die Zusammensetzung, wobei er mehre der einfachen durch Sinneswahrnehmung und Selbstbeobachtung gewonnenen Ideen aneinander fügt und sie zu komplexen vereinigt. Zu diesem Verfahren der Zusammensetzung läßt sich auch das der Erweiterung rechnen, wobei, wenn auch die Zusammensetzung sich nicht so deutlich zeigt wie bei den mehr komplexen, gleichwohl doch ein Aneinanderfügen mehrer Ideen und zwar von derselben Art stattfindet. So bilden wir die Idee eines Dutzend, indem wir eine Anzahl von Einheiten zu einander addieren, und indem wir die wiederholten Ideen mehrer Ruten aneinander fügen, bilden wir die eines Feldweges. Furlong, ⅛ englische Meile.

§ 7. Tiere setzen nur wenig Ideen zusammen. – Auch hierin, glaube ich, bleiben die Tiere weit hinter den Menschen zurück, denn, wenn sie auch manche Kombinationen einfacher Ideen auffassen und behalten, – wie z ,B. die Gestalt, der Geruch und die Stimme seines Herrn die zusammengesetzte Idee ausmachen mögen, die ein Hund von ihm hat, oder vielmehr so viele verschiedene Merkmale sind, woran er ihn erkennt, – so glaube ich doch nicht, daß sie diese jemals aus eigenem Antrieb zusammensetzen und komplexe Ideen bilden. Und vielleicht leitet sie sogar da, wo wir meinen, daß sie zusammengesetzte Ideen haben, nur eine einfache bei der Erkenntnis mancher Dinge, die sie möglicherweise weniger mit Hilfe des Gesichtes unterscheiden, als wir glauben, denn mir ist von zuverlässiger Seite mitgeteilt, daß eine Hündin ebensogut wie ihre eigenen Jungen und an deren Stelle junge Füchse aufzieht, mit ihnen spielt und sie zärtlich liebt, wenn man es nur einmal dahin bringen kann, daß diese lange genug an ihr saugen, damit ihre Milch durch deren Körper hindurch gehe. Und solche Tiere, die eine zahlreiche Brut von Jungen auf einmal haben, scheinen von deren Anzahl nichts zu wissen, denn, wenn sie auch wegen eines ihrer Jungen, das ihnen genommen wird, während sie sich in Gesichts- oder Gehörweite befinden, gewaltig bekümmert sind, so scheinen sie doch, wenn eines oder zwei davon in ihrer Abwesenheit oder geräuschlos ihnen entwendet werden, diese nicht zu vermissen, und die Verminderung ihrer Anzahl durchaus nicht zu bemerken.

§ 8. Benennung. – Wenn durch wiederholte Sinneswahrnehmungen sich Ideen im Gedächtnis der Kinder festgesetzt haben, so fangen sie nach und nach an, den Gebrauch von Zeichen zu erlernen, und wenn sie die Fähigkeit erlangt haben, mit Hilfe ihrer Sprachorgane artikulierte Laute hervorzubringen, so fangen sie an, sich der Wörter zu bedienen, um ihre Ideen anderen zu bezeichnen. Diese Wortzeichen borgen sie manchmal von anderen, und machen sie manchmal selbst, wie man an den neuen und ungewöhnlichen Namen bemerken kann, die von den Kindern beim ersten Gebrauch der Sprache oft den Dingen gegeben werden.

§ 9. Abstraktion. – Da somit die von uns gebrauchten Wörter als äußere Zeichen unserer inneren Ideen dienen sollen, und diese Idem von einzelnen Dingen entnommen sind, so würden unendlich viele Namen erforderlich sein, wenn jede einzelne von uns aufgefaßte Idee einen besonderen Namen erhalten sollte. Um dem vorzubeugen bewirkt der Geist, daß die von den einzelnen Objekten empfangenen einzelnen Ideen sich verallgemeinern, was dadurch geschieht, daß sie als im Geiste vorhandene Erscheinungen gewisser Art betrachtet werden, abgesondert von allen anderen Existenzen und den Umständen des reellen Daseins, wie Zeit, Ort oder sonstige begleitende Ideen. Dies nennt man Abstraktion, wodurch von einzelnen Dingen entnommene Ideen zu allgemeinen Repräsentanten für alle von derselben Art, und ihre Namen zu allgemeinen Namen werden, die auf alles Existierende anwendbar sind, was solchen abstrakten Ideen entspricht. Solche genau bestimmte nackte Erscheinungen im Bewußtsein, abgesehen davon, wie, woher oder mit welchen anderen sie dahin gelangt sind, legt der Verstand (gewöhnlich unter gewissen ihnen gegebenen Namen) als Richtschnur zu Grunde, um die reellen Existenzen, je nachdem sie mit diesen Mustern übereinstimmen, in Klassen einzuordnen und demgemäß zu benennen. Wird z. B. heute dieselbe Farbe an der Kreide oder dem Schnee beobachtet, die der Geist gestern von der Milch empfangen hatte, so betrachtet er nur diese Erscheinung allein, macht sie zum Repräsentanten aller von derselben Art, giebt ihr den Namen »Weiße«, und bezeichnet mit diesem Laute dieselbe Eigenschaft überall, wo sie vorgestellt oder gefunden wird, und so werden allgemeine Begriffe, seien es nun Ideen oder Ausdrücke, gebildet.

§ 10. Die Tiere abstrahieren nicht. – Wenn es zweifelhaft sein mag, ob die Tiere ihre Ideen zusammensetzen und dadurch in gewissem Maße erweitern, so glaube ich bestimmt behaupten zu dürfen, daß ihnen das Abstraktionsvermögen ganz und gar fehlt, und daß der Besitz allgemeiner Ideen einen vollkommenen Unterschied zwischen Menschen und Tieren begründet, indem er etwas so Vorzügliches ist, daß die Fähigkeiten der Tiere auf keine Weise bis dahin reichen; denn augenscheinlich bemerken wir an ihnen keine Spur davon, daß sie sich genereller Zeichen für allgemeine Ideen bedienen, und dürfen deshalb mit Grund annehmen, daß sie das Vermögen der Abstraktion oder der Bildung allgemeiner Ideen nicht besitzen, weil ihnen der Gebrauch von Wörtern oder anderen allgemeinen Zeichen fehlt.

§ 11. Auch läßt es sich nicht ihrem Mangel an geeigneten Organen für die Bildung artikulierter Laute zuschreiben, daß sie keine Wörter von allgemeiner Bedeutung gebrauchen oder kennen, weil wir finden, daß manche von ihnen solche Laute hervorbringen, und Wörter deutlich genug aussprechen können, aber niemals mit irgend welcher derartigen Anwendung. Und andererseits unterlassen Menschen, denen wegen eines Mangels an ihren Organen die Wortlaute fehlen, doch nicht, ihre allgemeinen Ideen durch Zeichen auszudrücken, die ihnen statt genereller Wörter dienen, ein Vermögen, welches wir an den Tieren nicht bemerken; und deshalb meine ich, dürfen wir annehmen, daß hierin das liegt, was die Tierarten von den Menschen unterscheidet, daß es die eigentümliche Verschiedenheit ist, worin sie völlig voneinander abweichen, und die sich zuletzt zu einem so gewaltigen Abstand erweitert; denn, wenn sie überhaupt irgend welche Ideen haben und nicht bloße Maschinen sind (wozu einige sie machen wollen), so können wir ihnen einen gewissen Grad von Vernunft nicht abstreiten. Es scheint mir ebenso einleuchtend zu sein, daß manche von ihnen in gewissen Fällen Schlußfolgerungen ziehen, als daß sie Sinneswahrnehmungen haben, aber das geschieht nur mit partikularen Ideen, gerade so wie sie diese vermittelst ihrer Sinne erhalten haben. Hier zeigt sich abermals, daß Locke, wie schon zu Kapitel X, § 2, angemerkt worden, nicht genügend zwischen Sinneswahrnehmungen, Erinnerungen und Vorstellungen unterscheidet, denn bloß aus konkreten Sinneswahrnehmungen und speciellen Erinnerungen an solche kann ein Tier ebensowenig Schlüsse ziehen wie der Mensch. – Wenn ein Hahn auf dem Bauernhofe irgendwo reichlich Futter findet, so ruft er durch einen eigentümlichen Lockton seine Hühner herbei, damit sie sich daran gütlich thun mögen, und wenn er in der Luft über dem Hofe einen Habicht sieht, so mahnt er seine Hühner durch einen eigentümlichen Warnungsschrei daran, sich vor der drohenden Gefahr zu verkriechen. Und die Hühner verstehen beide Laute nach ihrem verschiedenen Sinne sehr gut, und handeln demgemäß, ohne daß sie in dem gegebenen Falle das Futter oder den Habicht selbst schon gesehen hätten. Das wäre undenkbar, wenn nicht durch den Lockton und den Warnungsschrei in ihrem Bewußtsein allgemeine Vorstellungen des Genusses und der Gefahr hervorgerufen würden, mögen diese nun auf Instinkt (d. h. ererbter Gehirndisposition) oder auf eigener früherer Erfahrung beruhen. Denn eine specielle Erinnerung an eine einzelne vergangene Sinneswahrnehmung des Genusses oder der Gefahr kann durch die gegenwärtigen Stimmlaute des Hahnes nicht füglich in den Hühnern entstehen, und wenn eine solche entstände, könnte sie nicht zum Motiv für ein gegenwärtiges Handeln werden. Ähnliche Anfänge einer Zeichensprache finden sich gewiß bei allen herden- oder paarweise lebenden Tieren von höherer Organisation, und diese setzen notwendig ein gewisses Maß von Abstraktionsvermögen auch schon bei den Tieren voraus. Bei dessen gänzlichem Mangel wäre es auch undenkbar, daß die Hunde ohne absichtliche Dressur, bloß im Verkehr mit den Menschen, deren Sprache in manchmal überraschendem Maße verstehen lernen. Denn da die Wörter der menschlichen Sprache nur Abstrakta bezeichnen, so müssen sich in dem Bewußtsein des Hundes, der etwas von dieser Sprache versteht, notwendig auch abstrakte Vorstellungen bilden können. Aber die Bildung allgemeiner Vorstellungen und einer Zeichensprache kann bei den Tieren nicht weiter fortschreiten als bei einer nur unwillkürlichen Funktion des Intellekts oder großen Gehirns möglich ist, und hierin, nicht in dem Abstraktionsvermögen als solchen, besteht der Unterschied zwischen Mensch und Tier. Des objektiven Inhalts seiner Wahrnehmungen, Erinnerungen, Vorstellungen, Gedanken und Willensakte, sowie der Bedeutung der Zeichen, die es giebt oder befolgt, ist sich das Tier so gut bewußt wie der Mensch, aber es fehlt ihm das Bewußtsein davon, daß das Wahrnehmen, Erinnern, Vorstellen, Denken, Wollen, Zeichen geben und Zeichen befolgen seine eigenen Geistesthätigkeiten oder subjektiven Funktionen seien, und darum kann es sie nicht zum Gegenstande seines bewußten Wollens machen. Unter allen animalischen Wesen auf Erden vermag dies (wir wissen nicht weshalb) allein der Mensch, und hierin liegt der Grund, warum der Kreis abstrakter Vorstellungen und der sie bezeichnenden Sprachlaute bei ihm einen so unvergleichlich größeren Umfang und reicheren Inhalt gewonnen hat, wie bei den Tieren, und warum bei ihm die Sprache nicht bloß als Verständigungsmittel unter den Individuen, sondern auch als Hilfsmittel des Denkens jedem einzelnen Individuum dient. Dieser zweite Dienst der Sprache wird neben dem ersten oft ganz übersehen, und doch spricht auch der geselligste und redseligste Mensch gewiß alltäglich noch viel mehr Worte stillschweigend zu sich selber als laut zu anderen. Auch die besten von ihnen sind in diese engen Schranken eingeschossen, und besitzen meiner Meinung nach nicht das Vermögen, sie durch irgend welche Art von Abstraktion zu erweitern.

§ 12. Idioten und Wahnsinnige. – Inwiefern der Zustand der Idioten mit dem Mangel oder der Schwäche von einigen oder allen vorerwähnten Fähigkeiten zusammenhängt, das ließe sich durch eine genaue Beobachtung ihrer verschiedenen Arten des Stammelns ohne Zweifel ermitteln, denn Leute, die entweder nur schwach wahrnehmen, oder die in ihr Bewußtsein gelangten Ideen nur schlecht behalten, die sie nicht rasch wieder erwecken oder zusammensetzen können, werden nur wenig Stoff zur Gedankenentwickelung haben. Solche, die nicht unterscheiden, vergleichen und abstrahieren können, würden kaum imstande sein, die Sprache zu verstehen und zu gebrauchen, oder Urteile und Schlüsse in irgend wie leidlichem Maße zu bilden, sondern nur ein wenig und unvollkommen über gegenwärtige und ihren Sinnen wohlbekannte Dinge. Und in der That entstehen, wenn irgend welche der vorerwähnten Fähigkeiten fehlen oder gestört sind, entsprechende Wirkungen in dem Verstande und dem Wissen der Menschen.

§ 13. In fine, das Gebrechen der Blödsinnigen scheint aus einem Mangel an Lebhaftigkeit, Thätigkeit und Bewegung in den geistigen Fähigkeiten hervorzugehen, wodurch sie der Vernunft beraubt werden; wohingegen die Wahnsinnigen andererseits an dem entgegengesetzten Extrem zu leiden scheinen, denn sie scheinen mir das Vermögen der Schlußfolgerung nicht verloren zu haben, vielmehr halten sie gewisse, von ihnen sehr verkehrt miteinander verknüpfte Ideen fälschlich für Wahrheiten, und irren wie Leute, die aus falschen Voraussetzungen richtige Schlüsse ziehen; denn, nachdem sie infolge der Übermächtigkeit ihrer Phantasie ihre Einbildungen für Wirklichkeiten angesehen haben, ziehen sie aus ihnen richtige Schlüsse. So findet man, daß ein Wahnsinniger, der sich selbst für einen König hält, nach einem richtigen Schluß entsprechende Aufwartung, Hochachtung und Gehorsam verlangt; andere, die glaubten, daß sie aus Glas beständen, wandten die nötige Vorsicht an, um so zerbrechliche Körper zu bewahren. Deshalb kann es vorkommen, daß jemand, der in allen anderen Dingen höchst besonnen und von gesundem Verstande ist, in einer einzelnen Beziehung so verrückt wie nur irgend einer in Bedlam sein kann, wenn unzusammenhängende Ideen, sei es durch einen plötzlichen sehr starken Eindruck oder durch lange Fixierung seiner Phantasie auf eine gewisse Art von Gedanken so kräftig zusammengeschweißt worden sind, daß sie vereinigt bleiben. Es giebt aber Abstufungen des Wahnsinns so gut wie der Thorheit; das unordentliche Zusammenwerfen der Ideen hat bei einigen einen größeren Umfang bei anderen einen geringeren. Kurz gesagt, der Unterschied zwischen Idioten und Wahnsinnigen scheint darin zu liegen, daß die Wahnsinnigen in verkehrter Weise Ideen zusammenfügen, und somit falsche Vordersätze bilden, aus diesen jedoch richtig schließen und folgern, die Idioten dagegen wenig oder gar keine Vordersätze bilden, und überhaupt kaum einen Schluß ziehen.

§ 14. Die Methode. – Das sind, denke ich, die ersten Vermögen und Thätigkeiten des Geistes, deren er sich beim Erkennen bedient; und obgleich sie allgemein bezüglich aller seiner Ideen ausgeübt werden, so betreffen die von mir bisher gegebenen Beispiele doch hauptsächlich einfache Ideen, und ich habe die Erklärung dieser Geistesvermögen aus folgenden Gründen der Erklärung der einfachen Ideen hinzugefügt, bevor ich auf das übergehe, was ich von den zusammengesetzten zu sagen habe:

1. Weil einige dieser Vermögen zuerst hauptsächlich mit Bezug auf einfache Ideen ausgeübt werden, und wir dieselben deshalb, wenn wir der Natur in ihrer gewöhnlichen Methode folgen, in ihrem Ursprung, ihrem Fortschritt und ihrer allmählichen Vervollkommnung aufspüren und gewahr werden können.

2. Weil, wenn wir die Wirkungsweise der Geistesvermögen mit Bezug auf einfache Ideen beobachten, die gewöhnlich im Bewußtsein der meisten Menschen viel klarer, genauer und bestimmter sind als die zusammengesetzten, wir um so besser untersuchen und lernen können, wie der Geist bezüglich der letzteren Auszüge macht, Namen giebt, Vergleiche anstellt und seine übrigen Thätigkeiten verrichtet, wobei wir uns viel leichter irren können.

3. Weil eben die Verrichtungen, die der Geist mit den durch Sinneswahrnehmung erhaltenen Ideen vornimmt, sobald auf sie reflektiert wird, selbst eine andere Reihe von Ideen bilden, die aus jener zweiten Quelle unseres Wissens, die ich Selbstbeobachtung nenne, herrühren, und sich deshalb dazu eignen, an dieser Stelle nach den einfachen Ideen der Sinneswahrnehmung betrachtet zu werden. Von der Zusammensetzung, Vergleichung, Abstraktion etc. habe ich soeben nur wenig gesagt, weil ich Gelegenheit haben werde, sie an anderen Orten weitläufiger zu behandeln.

§ 15. Hierin liegen die Anfänge des menschlichen Wissens. – Und somit habe ich eine kurze und, wie ich glaube, wahre Geschichte der ersten Anfänge des menschlichen Wissens gegeben; davon, woher dem Geiste seine ersten Objekte zukommen, und wie er stufenweise dazu fortschreitet, die Ideen einzusammeln und anzuhäufen, woraus alles Wissen, dessen er fähig ist, gestaltet werden soll; wobei ich mich auf die Erfahrung und die Beobachtung darüber berufen muß, ob ich das Rechte getroffen habe, indem der beste Weg, zur Wahrheit zu gelangen, darin besteht, den wirklichen Sachverhalt der Dinge zu prüfen und nicht zu schließen, daß sie sein müßten, wie wir uns selbst einbilden oder uns vorzustellen von anderen gelernt haben.

§ 16. Die Berufung auf die Erfahrung. – Ehrlich gestanden, ist das der einzige Weg, den ich entdecken kann, worauf die Ideen von Dingen dem Verstande zugeführt werden; wenn andere Leute entweder angeborene Ideen oder eingeflößte Grundsätze haben, so haben sie alle Ursache, sich deren zu erfreuen, und wenn sie davon überzeugt sind, so ist es für andere unmöglich, ihnen das Privilegium abzustreiten, was sie vor ihren Nachbarn voraus haben. Ich kann nur von dem reden, was ich in mir selber finde, und was den Begriffen angemessen ist, die, wenn wir das ganze Verhalten der Menschen in ihren verschiedenen Lebensaltern, Ländern und Bildungsstufen prüfen wollen, auf den Fundamenten, die ich gelegt habe, zu ruhen, und dieser Methode in allen ihren Teilen und Stufen zu entsprechen scheinen.

§ 17. Ein dunkler Raum. – Ich mache keinen Anspruch darauf zu lehren, sondern zu untersuchen, und kann deshalb hier nur nochmals erklären, daß äußere und innere Wahrnehmung die einzigen Eingänge des Wissens in den Verstand sind, die ich finden kann. Soweit ich zu entdecken vermag, sind diese allein die Fenster, wodurch Licht in jenen dunklen Raum eingelassen wird; denn der Verstand gleicht meines Bedünkens sehr einem völlig gegen das Licht abgeschlossenen Kabinett mit nur einer kleinen übrig gelassenen Öffnung, um auswärts sichtbare Ebenbilder oder Ideen von äußeren Dingen einzulassen; würden die in solch einen dunklen Raum gelangenden Bilder nur dort verbleiben und so geordnet daliegen, daß sie sich bei gegebener Veranlassung finden ließen, so würde derselbe bezüglich aller sichtbaren Gegenstände und der Ideen von ihnen dem menschlichen Verstande sehr ähnlich sein.

Dies sind meine Mutmaßungen über die Mittel, wodurch der Verstand dazu kommt, einfache Ideen zu erlangen und zu behalten, wie auch deren Modi nebst einigen anderen sie betreffenden Verrichtungen. Ich gehe jetzt dazu über, einige der komplexen Ideen Some of these simple ideas, wie im englischen Texte steht, paßt nicht zum folgenden Kapitel. und deren Modi etwas genauer zu untersuchen.


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