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§ 1. Die Idee ist das Objekt des Denkens. – Da jedermann sich bewußt ist, daß er denkt, und da das, womit sein Geist während des Denkens beschäftigt ist, die vorhandenen Ideen sind, so ist es zweifellos, daß in dem Bewußtsein der Menschen mancherlei Ideen enthalten sind, wie z. B. die mit den Wörtern: Weiße, Härte, Süßigkeit, Denken, Bewegung, Mensch, Elefant, Armee, Trunkenheit u. a. m. bezeichneten. An erster Stelle bedarf es also der Untersuchung, wie man zu ihnen gelangt. Bekanntlich geht eine herrschende Lehre dahin, daß die Menschen angeborene Ideen haben, daß ihrem Geiste beim ersten Anfang seines Daseins ursprüngliche Schriftzüge aufgeprägt seien. Diese Ansicht habe ich schon ausführlich geprüft und ich hoffe, was ich in dem vorigen Buche gesagt habe, wird viel leichter Aufnahme finden, wenn ich gezeigt haben werde, woher der Verstand alle seine Ideen gewinnen kann, und auf welchen Wegen und Stufen sie in das Bewußtsein gelangen mögen, wobei ich mich auf jedermanns eigene Beobachtung und Erfahrung berufen werde.
§ 2. Alle Ideen entspringen aus Sinneswahrnehmung oder Selbstbeobachtung. – Sensation or reflection. Laßt uns also annehmen, das Bewußtsein sei, sozusagen, ein weißes Blatt Papier, frei von irgend welchen Schriftzügen, ohne alle Ideen; wie wird es damit versehen? Woher empfängt es jene gewaltige Menge, womit die geschäftige und schrankenlose Phantasie des Menschen es in fast endloser Mannigfaltigkeit beschrieben hat? Woher hat es allen den Stoff für das Denken und Erkennen erhalten? Darauf antworte ich mit einem Worte: aus der Erfahrung; in dieser ist unser ganzes Wissen begründet, und aus dieser leitet es schließlich sich selbst ab. Unsere Betrachtung, die entweder auf äußere sinnlich wahrnehmbare Objekte gerichtet ist, oder auf die innere Thätigkeit unseres Geistes, die von uns selbst wahrgenommen und zum Gegenstande der Betrachtung gemacht wird, versieht unseren Verstand mit allem Material für das Denken. Diese beiden sind die Quellen der Erkenntnis, aus welchen alle Ideen entspringen, die wir haben, oder natürlicherweise haben können.
§ 3. Die Gegenstände der Sinneswahrnehmung sind die eine Quelle der Ideen. – Erstens bringen unsere Sinne, indem sie mit fühlbaren Gegenständen von besonderer Beschaffenheit in Berührung treten, eine Mehrzahl unterschiedener Wahrnehmungen von Dingen in das Bewußtsein gemäß der mannigfachen Art und Weise, wie jene Gegenstände auf sie einwirken, und so kommen wir zu den Ideen, die wir von gelb, weiß, warm, kalt, weich, hart, bitter, süß und alledem haben, was wir sinnlich wahrnehmbare Eigenschaften nennen, von denen ich sage, die Sinne bringen sie ins Bewußtsein, indem ich meine, sie bringen von äußeren Gegenständen das ins Bewußtsein, was hier solche Wahrnehmungen hervorruft. Weil diese große Quelle der meisten unserer Ideen ganz von unsern Sinnen abhängt, und durch sie dem Verstande zufließt, nenne ich sie Sinneswahrnehmung.
§ 4. Die Tätigkeiten unseres Geistes sind die andere Quelle derselben. – Zweitens ist die andere Quelle, aus welcher die Erfahrung den Verstand mit Ideen versieht, die Wahrnehmung der Thätigkeiten unseres eigenen Geistes in uns bei seiner Beschäftigung mit den Ideen, die er erhalten hat; aus denen der Verstand, wenn die Seele dazu kommt sie zu betrachten und zu erwägen, mit einer anderen Reihe von Ideen versehen wird, die sich aus äußeren Dingen nicht hätten gewinnen lassen; als da sind: wahrnehmen, denken, zweifeln, glauben, folgern, wissen, wollen und alle die verschiedenen Thätigkeiten unseres Geistes, von welchen wir, indem wir uns ihrer bewußt sind und sie in uns beobachten, ebenso deutliche Ideen für unsern Verstand gewinnen, wie von den Körpern, die auf unsere Sinne einwirken. Diese Quelle von Ideen liegt für jedermann ganz in seinem eigenen Innern, und obgleich sie nicht sinnlich ist, insofern sie mit äußeren Gegenständen nichts zu thun hat, ist sie doch etwas sehr ähnliches und könnte ganz passend der innere Sinn genannt werden. Während ich die andere Sinneswahrnehmung nenne, bezeichne ich jedoch diese als Selbstbeobachtung, weil die von ihr gelieferten Ideen nur aus solchen bestehen, die der Geist dadurch gewinnt, daß er seine eigenen Thätigkeiten in seinem Innern in Betracht zieht. Ich wünsche demnach, daß man in dem nächsten Abschnitt dieser Abhandlung unter Selbstbeobachtung die Kenntnisnahme des Geistes von seinen eigenen Thätigkeiten und deren Art und Weise verstehe, worin der Grund dafür liegt, daß der Verstand Ideen dieser Thätigkeiten erhält. Diese beiden, sage ich, nämlich äußere materielle Dinge, als Objekte der Sinneswahrnehmung, und unsere eignen inneren Geistesthätigkeiten, als Objekte der Selbstbeobachtung, sind für mich die einzigen Ursprungsstellen, woher alle unsere Ideen ihren Anfang nehmen. Den Ausdruck »Tätigkeiten« brauche ich hier in einem weiten Sinne, so daß er nicht bloß die Einwirkungen bezeichnet, die der Geist auf seine Ideen ausübt, sondern auch eine gewisse Art von Einwirkungen, die er zuweilen von ihnen erleidet, wie z. B. die aus einem Gedanken entspringende Zufriedenheit oder Unruhe.
§ 5. Alle unsere Ideen sind aus der einen oder der anderen dieser Quellen entsprungen. – Der Verstand scheint mir nicht den geringsten Schimmer irgend welcher Ideen zu haben, die er nicht aus einer von diesen beiden Quellen empfängt. Äußere Gegenstände versehen den Geist mit den Ideen sinnlicher Eigenschaften, die aus allen den verschiedenen Wahrnehmungen bestehen, die sie in uns hervorbringen, und der Geist versieht den Verstand mit den Ideen seiner eigenen Tätigkeiten.
Wenn wir uns eine vollständige Übersicht von diesen, ihren verschiedenen Modalitäten, Verbindungen und Beziehungen erworben haben werden, dann werden wir finden, daß darunter unser ganzer Vorrat von Ideen begriffen ist, und daß sich in unserem Bewußtsein nichts befindet, was nicht auf einem von diesen beiden Wegen hineingelangt ist. Man möge nur seine eigenen Gedanken prüfen und seinen Verstand gründlich untersuchen und mir dann sagen, ob unter allen ursprünglichen Ideen, die man dort findet, irgend welche sind, die nicht entweder die Objekte unserer Sinne, oder unsere zu Objekten der Selbstbeobachtung gemachten Geistesthätigkeiten beträfen; und wie groß auch die Masse von Kenntnissen sein möge, die jemand dort untergebracht glaubt, nach genauer Durchmusterung wird er gewahr werden, daß er in seinem Bewußtsein auch nicht eine einzige Idee hat, die nicht durch eine von jenen beiden Klassen von Objekten ihm eingeprägt wäre, obwohl vielleicht, wie wir später sehen werden, durch den Verstand mit unendlicher Mannigfaltigkeit zusammengesetzt und erweitert.
§ 6. Das läßt sich an Kindern beobachten. – Wer den Zustand eines Kindes bei dessen erstem Eintritt in die Welt aufmerksam betrachtet, der wird wenig Ursache finden, es für angefüllt mit einer Menge von Ideen zu halten, die den Kern seines künftigen Wissens bilden sollen: vielmehr wird es nach und nach mit solchen versehen. Und wenn auch die Ideen von auf der Hand liegenden und alltäglich vorkommenden Eigenschaften der Dinge sich ihm einprägen, bevor das Gedächtnis anfängt über Zeit oder Ordnung Register zu führen, so begegnen ihm doch noch manche ungewöhnliche Eigenschaften oft so spät, daß es wenig Menschen giebt, die sich nicht des Anfangs ihrer Bekanntschaft mit solchen erinnern können; und falls es der Mühe wert wäre, so ließe sich ein Kind ohne Zweifel so erziehen, daß es nur sehr wenige auch von den gewöhnlichen Ideen erlangte, bis es zum Mannesalter herangewachsen wäre. Weil aber alle zur Welt Geborenen von Körpern umgeben sind, die beständig und verschiedenartig auf sie einwirken, so wird, man mag dafür sorgen oder nicht, eine Mannigfaltigkeit von Ideen dem Bewußtsein des Kindes eingeprägt. Licht und Farben sind überall geschäftig zur Hand, wenn das Auge nur offen ist: Töne und gewisse tastbare Eigenschaften verfehlen nicht, die ihnen entsprechenden Sinne zu reizen, und den Eintritt in das Bewußtsein zu erzwingen; aber es wird doch, denke ich, leicht zugegeben werden, daß, wenn ein Kind auf einen Ort beschränkt würde, wo es nie etwas anderes als schwarz und weiß sähe, bis es erwachsen wäre, der Mann von Scharlach oder Grün nicht mehr Ideen haben würde als jemand, der von Kindesbeinen auf niemals eine Auster oder eine Ananas geschmeckt hat, von diesen besonderen Genüssen.
§ 7. Die Menschen werden mit verschiedenartigen Ideen versehen gemäß den verschiedenen Gegenständen, womit sie sich beschäftigen. – Die Menschen werden also mit mehr oder weniger einfachen Ideen von außen her versehen, je nach dem die Gegenstände, womit sie sich beschäftigen, eine größere oder geringere Mannigfaltigkeit darbieten, und von innen her durch ihre Geistesthätigkeit, je nach dem sie mehr oder weniger auf diese reflektieren. Denn obgleich jemand, der die Tätigkeiten seines Geistes betrachtet, richtige und klare Ideen von ihnen erhalten muß, so wird er doch, falls er nicht sein Denken darauf hinwendet und sie aufmerksam beobachtet, von allen seinen Geistesthätigkeiten und allem, was sich daran wahrnehmen läßt, ebensowenig klare und deutliche Ideen gewinnen, wie von den Einzelheiten einer Landschaft, oder den Teilen und Bewegungen eines Uhrwerks, wenn er nicht seine Augen diesen zuwenden und auf alle ihre Stücke mit Aufmerksamkeit achten will. Das Gemälde oder das Uhrwerk mögen so aufgestellt sein, daß sie ihm jeden Tag in den Weg kommen, dennoch wird er nur eine verworrene Vorstellung von allen den Teilen haben, woraus sie bestehen, bis er sich die Mühe giebt, jeden von diesen besonders mit Aufmerksamkeit zu betrachten.
§ 8. Die Ideen der Selbstbeobachtung werden später erworben, weil dazu Aufmerksamkeit erforderlich ist. – Und hierin erblicken wir den Grund, weshalb die meisten Kinder erst ziemlich spät von ihren eigenen Geistesthätigkeiten Ideen erhalten; ja, manche haben ihr ganzes Leben lang von dem größten Teile derselben keine besonders klaren oder vollkommenen Ideen, weil sie, obgleich ihr Verlauf ununterbrochen stattfindet, doch wie flüchtige Visionen keinen Eindruck machen, der tief genug wäre, um in dem Geiste klare, deutliche, dauernde Ideen zurückzulassen, bis der Verstand sich nach innen auf sich selbst zurückwendet, auf seine eigenen Thätigkeiten reflektiert und sie zum Gegenstande seiner eigenen Betrachtung macht. Wenn die Kinder zuerst zur Welt kommen, sind sie von einer Menge neuer Dinge umgeben, die durch eine beständige Reizung ihrer Sinne den Geist fortwährend auf sich ziehen, der eifrig neue Gegenstände kennen zu lernen sucht und geneigt ist, sich an dem Wechsel derselben zu ergötzen. So werden die ersten Jahre gewöhnlich auf die Zerstreuung des Umherschauens verwendet. In ihnen sind die Menschen damit beschäftigt, sich mit dem bekannt zu machen, was sie außer sich vorfinden, und indem sie so während des Heranwachsens ihre Aufmerksamkeit beständig auf die äußeren Sinneswahrnehmungen richten, reflektieren sie selten in irgend beträchtlichem Maße auf das, was in ihnen vorgeht, bevor sie zu reiferen Jahren gelangen, und manche überhaupt kaum jemals.
§ 9. Die Seele fängt an, Ideen zu haben, wenn sie mit der Wahrnehmung beginnt. – Die Frage, wann der Mensch zuerst Ideen habe, ist gleichbedeutend mit der Frage, wann er anfange wahrzunehmen, denn Ideen haben und wahrnehmen sind eins und dasselbe. Bekanntlich besteht die Meinung, daß die Seele immer denke, daß sie beständig, so lange wie sie existiere, in sich Ideen wirklich wahrnehme, und daß wirkliches Denken von der Seele ebenso untrennbar sei wie wirkliche Ausdehnung vom Körper. Wäre dies richtig, dann hieße, nach dem Anfange der Ideen eines Menschen fragen, ebensoviel wie, nach dem Anfange seiner Seele fragen, denn jener Meinung zufolge würden die Seele und deren Ideen wie der Körper und dessen Ausdehnung beide zu gleicher Zeit anfangen zu existieren.
§ 10. Die Seele denkt nicht immer; dafür mangelt es an Beweisen. – Ob man annehmen soll, daß die Seele vor, oder zugleich mit, oder etwas nach den ersten Rudimenten der Organisation oder den Anfängen des leiblichen Lebens entstehe, das überlasse ich der Erörterung anderer, die sorgfältiger über dieses Thema nachgedacht haben. Ich gestehe aber, daß ich eine von den einfältigen Seelen besitze, die nicht bemerken, daß sie immer Ideen betrachten und auch nicht begreifen können, daß es für die Seele irgendwie notwendiger sei, immer zu denken, als für den Körper, sich immer zu bewegen, da die Wahrnehmung von Ideen (meiner Auffassung der Sache nach) für die Seele dasselbe ist, was die Bewegung für den Körper, nicht ihr Wesen, sondern eine von ihren Thätigkeiten; weshalb es, so gewiß auch das Denken als die eigentümliche Thätigkeit der Seele betrachtet werden mag, doch nicht notwendig ist anzunehmen, daß diese beständig denkend, beständig in Thätigkeit sein müsse. Vielleicht ist dies das Vorrecht des unendlichen Schöpfers und Erhalters der Dinge, der niemals schlummert oder schläft, es kommt aber keinem endlichen Wesen zu, wenigstens nicht der menschlichen Seele. Aus der Erfahrung wissen wir mit Sicherheit, daß wir zuweilen denken, und ziehen daraus den unfehlbaren Schluß, daß es in uns etwas giebt, was die Kraft zu denken besitzt; ob aber diese Substanz beständig denkt oder nicht, darüber können wir keine weitere Gewißheit haben, als die Erfahrung uns darbietet; denn wenn man sagt, das wirkliche Denken sei der Seele wesentlich und von ihr untrennbar, so setzt man stillschweigend voraus, was gerade fraglich ist, und beweist es nicht mit Gründen, was notwendig geschehen muß, wo es sich nicht um einen von selbst einleuchtenden Satz handelt. Ob aber: »die Seele denkt immer«, ein von selbst einleuchtender Satz sei, dem jedermann beim ersten Hören zustimme, das möge ein jeder sich selbst sagen. Ob ich während der letzten Nacht überhaupt gedacht habe oder nicht, wird bezweifelt; da hier eine Thatsache in Frage steht, so begeht man eine petitio principii, wenn man als Beweis dafür einen Obersatz beibringt, der gerade mit der bezweifelten Thatsache identisch ist; ein Verfahren, wodurch sich alles Mögliche beweisen läßt; man braucht nur vorauszusetzen, daß alle Uhren denken, während ihre Unruhe schwingt, dann ist es hinlänglich bewiesen und außer Zweifel, daß meine Uhr die ganze letzte Nacht hindurch gedacht hat. Wer aber nicht sich selbst täuschen will, muß seinen Obersatz auf Thatsächliches stützen und aus sinnlicher Erfahrung ableiten, und nicht schließen, daß sich etwas thatsächlich so oder so verhalte wegen seines Obersatzes, d. h. weil er voraussetzt, es sei so; eine Art des Beweisens, die darauf hinausläuft, daß ich notwendig die ganze letzte Nacht hindurch gedacht haben muß, weil jemand anders annimmt, daß ich immer denke, obgleich ich selbst es nicht bemerken kann, daß ich das immer thue.
Aber Leute, die in ihre eigenen Ansichten verliebt sind, setzen nicht bloß das voraus, was gerade fraglich ist, sondern behaupten auch falsche Thatsachen; wie könnte sonst jemand mir den Beweis unterschieben, ein Ding sei nicht, weil wir es nicht bemerken, während wir schlafen. Ich sage nicht, der Mensch habe keine Seele, weil er deren Existenz während seines Schlafes nicht bemerke, sondern ich sage, er könne zu keiner Zeit im Wachen oder Schlafen denken, ohne dies gewahr zu werden. Daß wir es gewahr werden, ist für nichts sonst notwendig als für unsere Gedanken; für diese aber ist es notwendig und wird es für sie stets sein, so lange wir nicht denken können, ohne uns dessen bewußt zu sein.
§ 11. Sie ist sich dessen nicht immer bewußt. – Ich gebe zu, daß die Seele eines wachenden Menschen niemals ohne Gedanken ist, weil das Denken den Zustand des Wachseins ausmacht; ob aber der traumlose Schlaf nicht den ganzen Menschen ergreift, seinen Geist so gut wie den Körper, mag wohl der Erwägung eines Wachenden wert sein, da es schwer begreiflich ist, daß ein Wesen denken, und sich dessen nicht bewußt sein sollte. Wenn die Seele in einem Schlafenden denkt, ohne sich dessen bewußt zu sein, so frage ich, ob sie während solches Denkens irgendwie Lust oder Leid empfindet, oder glücklich oder unglücklich sein kann? Ich bin gewiß, der Mensch kann das ebensowenig, wie das Bett oder der Erdboden, worauf er liegt, denn glücklich oder unglücklich sein, ohne ein Bewußtsein davon zu haben, scheint mir ein völliger Selbstwiderspruch und ganz unmöglich zu sein. Oder, wenn es möglich wäre, daß die Seele, während der Körper im Schlafe läge, ihre Gedanken, Genüsse und Sorgen, ihre Freuden oder Leiden für sich besonders haben könnte, so daß der Mensch davon nichts wüßte, und keinen Teil daran nähme, dann würde es gewiß sein, daß der schlafende Sokrates und der wachende Sokrates nicht dieselbe Person wären; vielmehr würden dessen Seele während seines Schlafes und der aus Leib und Seele bestehende Mensch Sokrates, während er wachte, zwei Personen sein, weil der wachende Sokrates von dem Glück oder Unglück seiner Seele, welche diese während seines Schlafes für sich allein empfände, ohne daß er etwas davon bemerkte, ebensowenig Kunde haben oder sich darum bekümmern würde, wie um das Glück oder Unglück eines ihm unbekannten Menschen in Indien; denn, wenn wir alles Bewußtsein von unsern Handlungen und Empfindungen, insbesondere von Lust und Leid, und das begleitende Interesse völlig fortnehmen, dann läßt sich kaum noch erkennen, worauf die persönliche Identität beruhen soll.
§ 12. Wenn ein schlafender Mensch denkt, ohne es zu wissen, dann sind der schlafende und der wachende Mensch zwei Personen. – »Die Seele denkt während eines festen Schlafes«, behauptet man. Während sie denkt und wahrnimmt, ist sie sicherlich für Freude oder Leid ebensogut empfänglich, wie für irgend welche anderen Wahrnehmungen, und sie muß sich ihrer eigenen Wahrnehmungen notwendig bewußt sein. Aber sie behält alles das für sich; der schlafende Mensch, so viel ist klar, hat von allem dem kein Bewußtsein. Laßt uns nun einmal annehmen, daß die Seele des Kastor, während er schläft, seinen Körper verlasse, was für die Leute, mit denen ich hier zu thun habe, keine unmögliche Annahme ist, da sie so freigebig sind, allen anderen Tieren das Leben ohne eine denkende Seele zuzugestehen (diese Leute können es deshalb nicht für unmöglich oder sich selbst widersprechend halten, daß der Körper ohne die Seele lebe, oder daß die Seele ohne den Körper bestehe, denke und Wahrnehmungen, sogar von Freude oder Leid, habe); laßt uns einmal annehmen, sage ich, daß die Seele des Kastor, während seines Schlafes von seinem Körper getrennt, für sich allein denke; laßt uns ferner annehmen, daß sie zum Schauplatz ihrer Gedanken den Körper eines anderen ohne eine Seele schlafenden Mannes, z. B. des Pollux, wähle (denn wenn Kastors Seele, während er schläft, Gedanken haben kann, von denen Kastor nie etwas erfährt, so kommt nichts darauf an, welchen Ort sie wählt, um dort zu denken), dann haben wir die Körper zweier Menschen, von denen wir annehmen wollen, daß sie wechselsweise schlafen und wachen, mit nur einer Seele zwischen ihnen vor uns, und die Seele fährt in dem wachenden Menschen fort zu denken, während der schlafende sich dessen nie bewußt wird, davon niemals die geringste Wahrnehmung hat. Ich frage nun, ob Kastor und Pollux mit nur einer zwischen ihnen wechselnden Seele, die in dem einen denkt und wahrnimmt, was der andere niemals erfährt, und warum er sich niemals bekümmert, nicht zwei voneinander ebenso verschiedene Personen sind, wie Kastor und Herkules, oder wie Sokrates und Plato waren? und ob nicht der eine von ihnen sehr glücklich, und der andere sehr unglücklich sein könnte? Diejenigen, die der Seele für sich besonders ein Denken zuschreiben, dessen sich der Mensch nicht bewußt wird, machen eben hiemit aus der Seele und dem Menschen zwei Personen; denn ich denke, niemand wird die Identität der Person darin setzen wollen, daß die Seele gerade mit denselben numerisch identischen Stoffpartikeln verbunden sei; denn wenn das zur Identität erforderlich wäre, dann würde es bei dem beständigen Wechsel der Partikeln unseres Leibes unmöglich sein, daß irgend jemand zwei Tage oder zwei Augenblicke hintereinander dieselbe Person bliebe.
§ 13. Es ist unmöglich denen, die schlafen ohne zu träumen, zu beweisen, daß sie denken. – So erschüttert meiner Meinung nach jedes feste Schläfchen die Lehre derer, die behaupten, daß die Seele beständig denke. Denen wenigstens, die irgend einmal schlafen ohne zu träumen, läßt sich niemals überzeugend darthun, daß ihre Gedanken mitunter vier Stunden lang geschäftig seien, ohne daß sie etwas davon wissen, und wenn sie auf der That betroffen, und mitten in jener schlafenden Betrachtung aufgeweckt werden, irgendwie Auskunft darüber geben können.
§ 14. Mit Unrecht wird geltend gemacht, daß die Menschen träumten, ohne sich dessen zu erinnern. – Vielleicht wird man sagen, die Seele denke selbst im tiefsten Schlafe, aber das Gedächtnis halte dies nicht fest. Daß die Seele des schlafenden Menschen in dem einen Augenblick mit Denken beschäftigt sein, und im nächsten Augenblick die des wachenden von allen ihren Gedanken nicht ein Jota erinnern und außer stande sein sollte, sich etwas davon wieder zu vergegenwärtigen, ist schwer zu begreifen, und es würde ein besserer Beweis als die bloße Versicherung dazu gehören, es glaublich zu machen; denn wer kann ohne weitere Umstände, bloß, weil es ihm gesagt wird, sich vorstellen, daß der größte Teil der Menschen während ihrer ganzen Lebensdauer täglich einige Stunden lang etwas dächte, wovon sie sich schlechthin nichts erinnern könnten, selbst wenn sie mitten in jenen Gedanken danach gefragt würden? Ich glaube, die meisten Menschen bringen einen großen Teil ihres Schlafes hin, ohne zu träumen. Ich kannte einmal jemanden, der zum Gelehrten erzogen war, und kein schlechtes Gedächtnis besaß, der sagte mir, er habe in seinem Leben niemals geträumt, bis er das Fieber bekommen habe, wovon er damals (etwa in seinem 25. oder 26. Lebensjahre) soeben genesen war. Vermutlich bietet die Welt mehr solche Beispiele dar, wenigstens wird die Bekanntschaft eines jeden ihn zur Genüge mit Beispielen solcher Personen versehen, die die Mehrzahl ihrer Nächte hinbringen ohne zu träumen.
§ 15. Nach dieser Annahme müßten die Gedanken eines schlafenden Menschen höchst vernünftig sein. – Oft zu denken, ohne jemals eine Erinnerung davon auch nur für einen Augenblick zu behalten, ist eine sehr nutzlose Art des Denkens, und bei einer solchen Beschaffenheit desselben übertrifft die Seele sehr wenig, wenn überhaupt, die eines Spiegels, der beständig eine Mannigfaltigkeit von Bildern oder Ideen aufnimmt, aber keines davon behält; sie entschwinden und vergehen, ohne daß eine Spur von ihnen übrig bliebe; der Spiegel ist niemals besser wegen solcher Bilder und die Seele auch nicht wegen solcher Gedanken. Vielleicht wird man sagen: »in dem wachenden Menschen würden die Stoffe des Leibes beim Denken verwendet und benutzt, und durch die auf das Gehirn gemachten Eindrücke und die nach solchem Denken dort zurückbleibenden Spuren werde die Erinnerung der Gedanken festgehalten; bei ihrem Denken aber, was in einem schlafenden Menschen nicht wahrnehmbar sei, denke die Seele für sich allein, und lasse, weil sie die Organe des Leibes nicht gebrauche, keine Eindrücke auf diesen zurück und folglich keine Erinnerung solcher Gedanken.« Um nicht nochmals auf die Absurdität zweier verschiedener Personen zurückzukommen, die sich aus dieser Annahme ergiebt, erwidere ich ferner, daß man vernünftigerweise schließen muß, der Geist werde alle Ideen, die er ohne Beistand des Körpers auffassen und betrachten kann, auch ohne Hilfe desselben behalten können, sonst würde die Seele oder irgend ein für sich bestehender Geist aus dem Denken nur wenig Vorteil ziehen. Wenn er sich seiner eigenen Gedanken nicht erinnert, wenn er sie nicht für seinen eigenen Gebrauch aufbewahren kann, und nicht fähig ist, sie bei vorkommender Gelegenheit wieder hervorzurufen, wenn er auf das Vergangene nicht zurückblicken, und von seinen früheren Erfahrungen, Folgerungen und Betrachtungen keinen Gebrauch machen kann, zu welchem Zwecke denkt er dann? Die, welche aus der Seele um diesen Preis ein denkendes Wesen machen, werden sie kaum zu einem edleren Dinge machen als die, welche von ihnen verdammt werden, weil sie leugnen, daß die Seele etwas mehr sei als der feinste Teil des Stoffes. In den Staub gezeichnete Schriftzüge, die der erste Windhauch verwischt, oder auf einen Atomhaufen gemachte Eindrücke, oder Lebensgeister, sind allesamt ebenso nützlich, und machen das Subjekt ebenso edel, wie die Gedanken einer Seele, die beim Denken vergehen, die, einmal außer Sicht, für immer dahin sind, und keine Erinnerung ihrer selbst zurücklassen. Die Natur bildet nie vortreffliche Dinge für unbedeutende oder gar keine Zwecke, und es ist schwer zu begreifen, daß unser unendlich weiser Schöpfer eine so bewundernswürdige Fähigkeit wie das Denkvermögen, die Fähigkeit, die der Erhabenheit seines eigenen unbegreiflichen Wesens am nächsten kommt, dazu geschaffen haben sollte, um wenigstens während eines Vierteils ihrer Dauer hier so vergeblich und fruchtlos angewendet zu werden, daß sie beständig Gedanken erzeugte, ohne irgend einen davon zu erinnern, ohne sich selbst oder anderen irgendwie Gutes zu thun, oder irgend welchem anderen Teil der Schöpfung irgendwie nützlich zu sein. Wenn wir diesen Punkt untersuchen wollten, würden wir, glaube ich nicht finden, daß die Bewegung des toten und empfindungslosen Stoffes irgendwo im Weltall so wenig zu Nutzen kommt, und so völlig weggeworfen wird.
§ 16. Nach dieser Annahme müßte die Seele Ideen haben, die weder von der Sinneswahrnehmung noch von der Selbstbeobachtung herrührten; solche zeigen sich aber nicht. Dies Rubrum gehört wohl zu § 17. – Wir haben allerdings mitunter Beispiele von Wahrnehmung, während wir schlafen, und behalten eine Erinnerung an diese Gedanken; aber wie ungereimt und zusammenhanglos sie meistenteils sind, wie wenig sie zu der Vollkommenheit und dem geordneten Zustand eines vernünftigen Wesens passen, braucht man niemandem zu sagen, der die Träume kennt. Darüber möchte ich gerne Auskunft erhalten, ob die Seele, wenn sie so für sich allein und gleichsam getrennt von dem Körper denkt, weniger vernünftig verfährt als in Verbindung mit ihm, oder nicht. Wenn ihr abgesondertes Denken weniger vernünftig ist, dann müssen meine Gegner sagen, die Seele verdanke die Vollkommenheit des vernünftigen Denkens dem Leibe; wenn nicht, dann ist es wunderbar, daß unsere Träume meistenteils so gehaltlos und unvernünftig sind, und daß die Seele von ihren vernünftigeren Selbstgesprächen und Betrachtungen nichts behält.
§ 17. Wenn ich denke, ohne es zu wissen, so kann auch sonst niemand etwas davon gewahr werden. – Dies Rubrum gehört wohl zu § 19. Diejenigen, die uns so zuversichtlich sagen, daß die Seele beständig wirklich denke, sollten uns doch auch mitteilen, welche Ideen es sind, die sich in der Seele des Kindes vor oder gerade bei ihrer Vereinigung mit dem Körper befinden, ehe sie irgend welche durch Sinneswahrnehmung erhalten hat. Die Träume schlafender Menschen bestehen meiner Auffassung nach lediglich aus den wenn auch meistens wunderlich zusammengesetzten Ideen der wachenden. Wenn die Seele ihr eigentümliche Ideen hat, die nicht von Sinneswahrnehmung oder Selbstbeobachtung herrühren (und das muß sie, wenn sie gedacht hat, bevor sie irgend welche Eindrücke aus dem Körper empfing), dann ist es seltsam, daß sie niemals bei ihrem alleinigen Denken (so alleinig, daß der Mensch selbst es nicht bemerkt) eine davon in dem Augenblicke ihres Erwachens aus diesem festhält, und die Menschen mit neuen Entdeckungen erfreut. Wer kann es vernünftig finden, daß die Seele in ihrer Abgeschlossenheit während des Schlafes viele Stunden lang Gedanken hegen, und doch niemals auf irgend eine der nicht von der Sinneswahrnehmung oder Selbstbeobachtung erborgten Ideen verfallen, oder wenigstens nur solche im Gedächtnis behalten sollte, die, als durch den Körper veranlaßt, notwendigerweise für einen Geist weniger natürlich sein müssen? Es ist seltsam, daß die Seele auch nicht einmal während eines ganzen Menschenlebens sich einen ihrer reinen angeborenen Gedanken und der Ideen, die sie besaß, bevor sie irgend etwas von dem Körper erborgte, wieder vergegenwärtigen sollte; daß sie niemals in den Gesichtskreis des wachenden Menschen andere Ideen bringen sollte, als solche, die nach dem Fasse schmecken, und ihren Ursprung augenscheinlich aus ihrer Verbindung mit diesem herleiten. Wenn sie beständig denkt, und somit vor ihrer Vereinigung mit dem Körper Ideen hatte, oder bevor sie von ihm solche empfing, so kann man nicht umhin anzunehmen, daß sie sich während des Schlafes ihrer angeborenen Ideen erinnere, und daß während jener Zurückgezogenheit aus dem Verkehr mit dem Körper, während sie für sich allein denkt, die Ideen, womit sie sich beschäftigt, mitunter wenigstens jene ihr mehr natürlichen und wesensgleichen sein würden, die sie in sich trug, ohne sie vom Körper oder ihren eigenen auf solche D. h. auf die vom Körper abgeleiteten Ideen. bezüglichen Tätigkeiten abgeleitet zu haben; und da der wachende Mensch sich dieser niemals erinnert, so müssen wir aus jener Voraussetzung schließen, entweder daß die Seele sich einer Sache erinnert, deren sich der Mensch nicht erinnert, oder aber, daß das Gedächtnis nur Ideen zu bewahren vermag, die vom Körper abgeleitet sind oder von den auf solche bezüglichen Geistesthätigkeiten.
§ 18. Woher weiß jemand, daß die Seele beständig denkt? Denn, wenn das kein von selbst einleuchtender Satz ist, so bedarf er des Beweises. – Es würde mir auch lieb sein, von denen, die so zuversichtlich behaupten, daß die menschliche Seele, oder, was dasselbe ist, daß der Mensch beständig denke, zu erfahren, wie sie zu diesem Wissen gelangen, ja, wie sie zu dem Wissen davon gelangen, daß sie selbst denken, ohne dies selbst gewahr zu werden? Ich fürchte, das heißt so viel wie ohne Beweise überzeugt sein, und ohne Wahrnehmung wissen. Das ist, wie mir scheinen will, ein unklarer Gedanke, der zur Unterstützung einer Hypothese aufgegriffen worden, nicht aber eine der klaren Wahrheiten, die wir entweder um ihrer eigenen Augenscheinlichkeit willen zugeben müssen, oder weil es der allgemeinen Erfahrung gegenüber unverschämt wäre, sie zu leugnen. Denn das Äußerste, was sich darüber sagen läßt, ist, es sei möglich, daß die Seele immer denke, aber sich dessen nicht immer erinnere; worauf ich erwidere, es ist ebensogut möglich, daß die Seele nicht immer denkt, und viel wahrscheinlicher, daß sie zuweilen nicht denke, als daß sie oft und noch dazu geraume Zeit hindurch denke, sich aber dessen im nächsten Augenblick hernach nicht mehr bewußt sei.
§ 19. Daß jemand sich mit Denken beschäftigen, und doch im nächsten Augenblick dessen nicht mehr erinnern sollte, ist höchst unwahrscheinlich. Dieses Rubrum, eine Wiederholung der Schlußworte des vorigen Paragraphen, ist wohl zu streichen. – Voraussetzen, daß die Seele denke, der Mensch aber dies nicht wahrnehme, heißt, wie gesagt, so viel wie zwei Personen in einem Menschen annehmen, und wenn man die Redeweise derer, die das thun, genau betrachtet, so kann man sich des Verdachtes nicht erwehren, daß sie in der That diese Annahme machen; denn diejenigen, die uns versichern, daß die Seele beständig denke, sagen niemals, soweit mir erinnerlich, daß der Mensch beständig denke. Kann die Seele denken, ohne daß der Mensch denkt, oder der Mensch denken ohne sich dessen bewußt zu sein? Das würde man bei anderen vielleicht für Kauderwelsch halten. Wenn man sagt, der Mensch denke immer, sei sich dessen aber nicht immer bewußt, so könnte man ebensogut sagen, sein Körper sei ausgedehnt, ohne Teile zu haben, denn es ist ganz ebenso verständlich zu sagen, ein Körper ohne Teile sei ausgedehnt, als daß ein Wesen denke, ohne sich dessen bewußt zu sein oder sein Denken gewahr zu werden. Die so reden, könnten mit ebenso gutem Grunde, wenn ihre Voraussetzung das erforderte, sagen, der Mensch habe beständig Hunger, fühle ihn jedoch nicht immer, weil der Hunger gerade so in seinem Gefühl besteht, wie das Denken in dem Bewußtsein davon, daß man denke. Wenn man sagt, der Mensch sei sich immer seines Denkens bewußt, so frage ich, woher man das weiß? Bewußtsein ist die Wahrnehmung dessen, was in dem eigenen Geiste des Menschen vor sich geht. Kann jemand anders wahrnehmen, daß mir etwas bewußt sei, während ich selbst das nicht wahrnehme? Das Wissen keines Menschen kann hier über seine Erfahrung hinausreichen. Man erwecke jemanden aus einem tiefen Schlafe, und frage ihn, woran er in dem Augenblicke gedacht habe. Wenn er selbst von nichts weiß, woran er damals dachte, so muß der ein merkwürdiger Gedankenerrater sein, wer ihm versichern kann, daß er Gedanken hatte; könnte dieser nicht mit mehr Grund ihm versichern, daß er nicht geschlafen habe? Das geht über die Philosophie hinaus, und es kann nichts Geringeres als Offenbarung sein, wodurch für jemand anders in meinem Geiste Gedanken aufgedeckt werden, während ich selbst keine dort finden kann; und diejenigen müssen notwendig einen durchdringenden Blick haben, die mit Sicherheit sehen können, daß ich denke, während ich selbst es nicht wahrnehmen kann und erkläre, daß ich nicht denke, und die gleichwohl sehen können, daß Hunde oder Elefanten nicht denken, während diese alle Anzeichen davon geben, die man sich nur vorstellen kann, mit der alleinigen Ausnahme, daß sie es uns nicht mit Worten sagen. Man könnte das wohl für einen Schritt noch über die Rosenkreuzer hinaus halten, da es leichter zu sein scheint, sich selbst für andere unsichtbar, als die ihnen selbst unsichtbaren Gedanken anderer für uns sichtbar zu machen. Man braucht aber nur die Seele als »eine beständig denkende Substanz« zu definieren, und die Sache ist abgemacht. Wenn diese Definition irgend welche Autorität besitzt, so weiß ich nicht, wozu sie anders dienen kann, als bei vielen Leuten den Argwohn hervorzurufen, daß sie überhaupt keine Seelen haben, weil sie finden, daß ein guter Teil ihres Lebens vergeht, ohne daß sie dächten; denn keine mir bekannten Definitionen, keine Annahmen irgend welcher Sekte sind stark genug, um die beständige Erfahrung zu vernichten, und vielleicht liegt darin, daß man sich den Schein giebt, etwas über die Schranken der Erfahrung hinaus zu wissen, die Ursache von vielem nutzlosen Zank und Lärm in der Welt.
§ 20. Die Beobachtung von Kindern macht es einleuchtend, daß alle Ideen aus Sinneswahrnehmung und Selbstbeobachtung entspringen. – Ich sehe deshalb keinen Grund für den Glauben, daß die Seele denke, bevor die Sinne sie mit Ideen als Denkobjekten versehen haben, und in dem Maße, wie diese sich vermehren und festgehalten werden, gelangt sie durch Übung dazu, ihr Denkvermögen in seinen verschiedenen Zweigen auszubilden, wie auch hernach durch die Zusammensetzung dieser Ideen und die Reflexion auf ihre eigenen Tätigkeiten; sie vermehrt ihren Vorrat sowohl wie ihre Fertigkeit durch Erinnern, Vorstellen, Folgern und andere Weisen des Denkens.
§ 21. Wer sich durch Beobachtung und Erfahrung belehren lassen, und nicht seine eigene Hypothese zum Gesetz der Natur machen will, wird in einem neugeborenen Kinde wenig Zeichen einer an vieles Denken gewöhnten Seele und noch weniger von irgend welchen vernünftigen Schlußfolgerungen finden; und doch kann man sich schwer vorstellen, daß eine vernünftige Seele so viel denken, aber gar keine Schlußfolgerungen ziehen sollte. Und wer erwägen will, daß eben zur Welt gekommene Kinder den größten Teil ihrer Zeit im Schlafe zubringen und selten wach sind, wenn nicht entweder der Hunger sie an die Mutterbrust treibt, oder irgend ein Schmerz (die zudringlichste aller Empfindungen) oder ein anderer heftiger Eindruck auf den Körper den Geist zur Wahrnehmung und Beachtung seiner zwingt: wer, sage ich, dies erwägt, wird vielleicht Grund zu der Annahme finden, daß der Zustand des Fötus im Mutterleibe sich von dem einer Pflanze nicht sehr unterscheidet, jener vielmehr den größten Teil seiner Zeit ohne Wahrnehmung oder Gedanken hinbringt, und sehr wenig Thätigkeit an einem Orte entwickelt, wo er nicht nach Nahrung zu suchen braucht, und von einer immer gleichmäßig weichen Flüssigkeit von nahezu derselben Temperatur umgeben ist, wo die Augen kein Licht trifft, und die so verschlossenen Ohren für Töne wenig empfänglich sind, und wo es wenig oder gar keine Mannigfaltigkeit oder Wechsel der Objekte giebt, wodurch die Sinne erregt werden könnten.
§ 22. Man verfolge das Verhalten eines Kindes von seiner Geburt an und beobachte die von der Zeit zuwege gebrachten Veränderungen, und man wird finden, daß der Geist in dem Maße, wie ihm die Sinne mehr und mehr Ideen zuführen, mehr und mehr erwacht, daß er um so mehr denkt, je mehr Stoff er zum Denken erhält. Nach einiger Zeit fängt das Kind an, die Gegenstände zu kennen, die, weil sie ihm am häufigsten vorkommen, dauernde Eindrücke gemacht haben; so kommt es nach und nach dazu, die Personen, mit denen es täglich verkehrt, zu kennen, und unterscheidet sie von fremden, was ein Beispiel und die Wirkung davon ist, daß es anfängt, die ihm von den Sinnen zugeführten Ideen zu unterscheiden und zu behalten. Und so können wir beobachten, wie der Geist sich allmählich in dieser Fähigkeit vervollkommnet, und zu der Übung jener anderen Fähigkeiten fortschreitet, seine Ideen zu erweitern, zusammenzusetzen und zu abstrahieren, aus ihnen Urteile und Schlüsse zu bilden, und auf alle diese zu reflektieren, wovon ich weiterhin mehr zu reden Gelegenheit finden werde.
§ 23. Wenn man nun fragt, wann der Mensch anfange Ideen zu haben, so, meine ich, lautet die wahre Antwort, wenn er zuerst irgend welche Sinneswahrnehmung hat; denn, weil sich im Geiste keine Ideen als vorhanden zeigen, bevor die Sinne solche hineingeführt haben, so schließe ich, daß die Ideen gleichzeitig mit der Sinneswahrnehmung im Verstande auftreten, die ein Eindruck auf oder eine Bewegung in einem gewissen Teile des Körpers von solcher Art ist, daß dadurch eine Wahrnehmung im Verstande hervorgebracht wird. Diese von äußeren Gegenständen auf unsere Sinne gemachten Eindrücke sind es, womit der Geist sich zuerst in den Tätigkeiten zu beschäftigen scheint, die wir Wahrnehmung, Erinnerung, Betrachtung, Schlußfolgerung u. s. w. nennen.
§ 24. Der Ursprung alles unseres Wissens. – Mit der Zeit kommt der Geist dazu, auf das zu reflektieren, was er selbst mit den durch die Sinneswahrnehmung erhaltenen Ideen vornimmt, und versieht sich dadurch mit einer neuen Klasse von Ideen, die ich Ideen der Selbstbeobachtung nenne. Diese Statt These are the impressions lies: These, the impressions etc. – die auf unsere Sinne von äußeren Gegenständen gemachten Eindrücke, die für den Geist etwas von außen Kommendes sind, und seine eigenen aus inneren ihm selbst angehörigen Kräften entspringenden Thätigkeiten, die, wenn er selbst auf sie reflektiert, ebenfalls Objekte seiner Betrachtung werden – sind, wie gesagt, der Ursprung alles Wissens. Die erste Fähigkeit des menschlichen Verstandes ist also, daß der Geist imstande ist, die Eindrücke aufzufassen, die entweder von äußeren Objekten durch die Sinne auf ihn gemacht werden oder durch seine eigenen Thätigkeiten, wenn er auf diese reflektiert. Dies ist der erste Schritt, den der Mensch macht, um irgend etwas zu entdecken, und das Grundwerk, um alle Erkenntnis darauf zu bauen, die er in dieser Welt jemals natürlicherweise erlangen wird. Alle jene erhabenen Gedanken, die über die Wolken emporragen, und bis zum Himmel selbst hinaufreichen, haben hier ihren Ausgangs- und Stützpunkt; in dem ganzen ausgedehnten Gebiet, das der Geist durchwandert, in jenen fernliegenden Spekulationen, wodurch er emporgehoben scheinen mag, kommt er auch nicht ein Jota über die Ideen hinaus, die seiner Betrachtung durch die Sinneswahrnehmung oder die Selbstbeobachtung dargeboten sind.
§ 25. Bei der Aufnahme einfacher Ideen ist der Verstand meistenteils passiv. – Hiebei ist der Verstand rein passiv, und es steht nicht in seiner Macht, ob er diese Anfänge und gewissermaßen Rohstoffe des Wissens haben will oder nicht, denn die Gegenstände unserer Sinne dringen vielfach ihre eigentümlichen Ideen unserem Geiste auf, wir mögen wollen oder nicht, und die Thätigkeiten unseres Geistes lassen uns wenigstens nicht ohne eine gewisse dunkle Kunde von ihnen bleiben. Niemand kann von dem, was er thut, wenn er denkt, völlig unwissend bleiben. Wenn diese einfachen Ideen dem Geiste dargeboten sind, so kann der Verstand ihre Annahme ebenso wenig ablehnen, oder sie ändern, wenn sie eingeprägt sind, oder sie auslöschen und selbst neue machen, wie ein Spiegel die Bilder oder Ideen ablehnen, verändern oder auslöschen kann, die die vor ihn gebrachten Gegenstände in ihm hervorrufen. Je nachdem die uns umgebenden Körper verschieden auf unsere Organe einwirken, ist der Geist genötigt die Eindrücke zu empfangen, und kann die Wahrnehmung der mit ihnen verbundenen Ideen nicht vermeiden.