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Siebzehntes Kapitel.
Über die Unendlichkeit.

§ 1. Unendlichkeit in ihrem ursprünglichen Sinne wird dem Raume, der Dauer und der Zahl zugesprochen. – Wer erkennen will, von welcher Art die Idee ist, der wir den Namen Unendlichkeit beilegen, kann dazu nicht besser gelangen, als wenn er erwägt, wem die Unendlichkeit von dem Verstande am unmittelbarsten zugeschrieben wird, und dann wie der Verstand dazu kommt, diesen Begriff zu bilden.

Endlich und unendlich scheinen mir vom Verstande als Modi (Beschaffenheiten) der Quantität angesehen, und ursprünglich in ihrem ersten Sinne nur solchen Dingen zugeschrieben zu werden, die Teile haben, und der Vermehrung oder Verminderung durch die Zulegung oder den Abzug irgend welcher kleinsten Teile fähig sind; und von solcher Art sind die Ideen des Raumes, der Dauer und der Zahl, die wir in den voraufgehenden Kapiteln betrachtet haben. Freilich müssen wir überzeugt davon sein, daß der große Gott, von dem und aus dem alle Dinge da sind, unbegreifbar unendlich ist; wenn wir aber auf dieses erste und höchste Wesen in unserm schwachen und beschränkten Denken unsere Idee des Unendlichen anwenden, so thun wir das gleichwohl hauptsächlich mit Bezug aus seine Dauer und Allgegenwart und, wie ich meine, in einem mehr bildlichen Sinne mit Bezug auf seine Macht, Weisheit und Güte und anderen Eigenschaften, die genauer gesagt unerschöpflich, unbegreiflich u. ,s. ,w. sind. Denn, wenn wir sie unendlich nennen, so haben wir von dieser Unendlichkeit nur insofern eine Idee, als wir uns zu einer gewissen Betrachtung und Nachahmung der Zahl oder des Umfangs der Akte oder Objekte von Gottes Macht, Weisheit und Güte hingeführt finden, die sich niemals als so groß oder so zahlreich vorstellen lassen, daß diese Attribute sie nicht immer noch übertreffen und weiter reichen sollten, mögen wir sie auch in unseren Gedanken soweit vervielfachen, wie es uns die ganze Unendlichkeit der unbegrenzten Zahlenreihe erlaubt. Ich maße mir nicht an, zu sagen, wie diese Attribute in Gott beschaffen seien, der über den Bereich unserer beschränkten Fassungskraft weit hinaus liegt. Ohne Zweifel enthalten sie alle mögliche Vollkommenheit in sich; ich sage nur, dies ist unsere Weise sie uns vorzustellen, und so sind unsere Ideen von ihrer Unendlichkeit beschaffen.

§ 2. Die Idee des Endlichen wird leicht erworben. – Wenn demnach das Endliche und das Unendliche von dem Geiste als Modalitäten der Ausbreitung und der Dauer angesehen werden, so ist die nächste Aufgabe unserer Betrachtung die Frage, wie der Geist zu ihnen gelangt. Dabei erhebt sich, was die Idee des Endlichen anbetrifft, keine große Schwierigkeit. Die vor uns liegenden Teile der Ausdehnung, die auf unsere Sinne einwirken, bringen die Idee des Endlichen mit sich in das Bewußtsein, und die regelmäßigen Perioden der Succession, womit wir Zeit und Dauer messen, wie Stunden, Tage und Jahre, sind begrenzte Längen. Die Schwierigkeit liegt darin, wie wir zu den grenzenlosen Ideen der Ewigkeit und Unermeßlichkeit gelangen, während doch die Objekte, mit denen wir zu thun haben, weit hinter jeder Annäherung oder Verhältnismäßigkeit zu einer solchen Größe zurückbleiben.

§ 3. Wie wir zu der Idee der Unendlichkeit gelangen. – Jedermann, der von irgend einer bestimmten Raumlänge wie z. B. einem Fuße eine Idee hat, findet, daß er diese Idee wiederholen, und, indem er sie der ersten hinzufügt, die Idee von zwei Fuß bilden kann, und durch Hinzufügung einer dritten von drei Fuß u. ,s. ,w., ohne daß er jemals mit seiner Addition zu Ende käme, mag er nun immer dieselbe Idee eines Fußes hinzufügen oder, wenn es ihm beliebt, sie verdoppeln, oder irgend welche andere Idee, die er von einer Länge hat, z. ,B. eine Meile oder den Durchmesser der Erde oder des orbis magnus. Denn, welche davon er auch nimmt, und wie oft er sie auch verdoppelt oder auf andere Art vervielfacht, nachdem er in seinen Gedanken die Verdoppelung fortgesetzt und seine Idee, soviel ihm beliebt, erweitert hat, findet er, daß er nicht mehr Grund hat aufzuhören, und dem Ende einer solchen Addition nicht um ein Jota näher ist, als er beim ersten Anfang war. Weil das Vermögen, seine Idee des Raumes durch fernere Zusätze zu erweitern, immer dasselbe bleibt, so entnimmt er daraus die Idee des unendlichen Raumes.

§ 4. Unsere Idee des Raumes ist grenzenlos. – Auf diesem Wege meine ich kommt der Geist zu der Idee des unendlichen Raumes. Eine ganz andere Frage ist es, zu untersuchen, ob der Geist die Idee von solch einem grenzenlosen Raume als wirklich existierend hat, weil unsere Ideen nicht immer Beweise für die wirkliche Existenz der Dinge sind; indessen, da wir hier auf diese Frage stoßen, so glaube ich sagen zu dürfen, daß wir geneigt sind zu denken, der Raum selbst sei tatsächlich grenzenlos; eine Vorstellung, wozu uns die Idee des Raumes oder der Ausbreitung von selbst natürlicherweise hinleitet. Denn da wir ihn entweder als die Ausdehnung der Körperwelt, oder als für sich bestehend denken ohne von einem soliden Stoff erfüllt zu sein (denn wir haben nicht nur die Idee eines leeren Raumes, sondern ich glaube aus der Bewegung von Körpern die Notwendigkeit seiner Existenz bewiesen zu haben), so ist es unmöglich, daß der Geist irgend ein Ende desselben jemals sollte auffinden oder annehmen können, oder bei seinem Vorwärtsgehen in diesem Raume, wie weit er auch seine Gedanken ausdehnen möge, irgendwo sollte angehalten werden. Irgend welche durch Körper gebildete Grenzen, selbst diamantene Mauern, sind so weit davon entfernt, dem Geiste bei dessen weiterem Vorwärtsschreiten in den Raum und die Ausdehnung Halt zu gebieten, daß sie dieses vielmehr erleichtern und befördern, denn so weit jene Körper reichen, so weit reicht zweifellos auch ihre Ausdehnung, und wenn wir an den äußersten Rand der Körperwelt gelangen, was giebt es denn daselbst, das dort Halt gebieten und den Geist davon überzeugen könnte, daß er sich am Ende des Raumes befinde, während er das Gegenteil wahrnimmt, ja sich davon überzeugt, daß selbst ein Körper sich dahinein bewegen kann? Denn wenn es für die Bewegung eines Körpers notwendig ist, daß es hier unter den Körpern einen, wenn auch noch so kleinen, leeren Raum gebe, Empirisch beruht die Möglichkeit der Bewegung eines einzelnen Körpers innerhalb des von Materie erfüllten Raumes auf dem Unterschiede des Aggregatzustandes und auf der hohen Elasticität der Gase; wenn man aber etwa diese Dinge durch die Annahme leerer Räume zwischen den Atomen der Materie erklären will, so ist das bloße Hypothese oder Theorie, die überdies für unser Verständnis wohl mindestens ebensoviel neue Schwierigkeiten schafft, wie sie zu lösen vorgiebt. Vgl. Kapitel XIII, § 23. und wenn es für den Körper möglich ist, sich in diesen leeren Raum hinein oder durch denselben hindurch zu bewegen, ja wenn kein Stoffteilchen sich anders bewegen kann als in einen leeren Raum hinein: so wird die Möglichkeit der Bewegung eines Körpers in einen leeren Raum jenseits der äußersten Grenzen der Körperwelt hinein stets ebenso klar und einleuchtend bleiben wie die in einen zwischen die Körper eingestreuten leeren Raum, weil die Idee des leeren reinen Raumes, sei es innerhalb oder außerhalb der Grenzen der gesamten Körperwelt, genau dieselbe bleibt, indem sich beide zwar der Größe aber nicht ihrem Wesen nach unterscheiden, und es nichts giebt, was einen Körper hindern könnte, sich hinein zu bewegen. So daß der Geist, wo er auch in Gedanken seinen Standpunkt wählen möge, mitten unter den Körpern oder entfernt von allen, in dieser einförmigen Idee des Raumes nirgends irgend welche Grenzen, irgend ein Ende finden kann, und deshalb aus der eigenen Natur und Idee eines jeden Teiles davon notwendig schließen muß, daß er thatsächlich unendlich sei.

§ 5. Und ebenso unsere Idee der Dauer. – Wie wir durch das in uns vorhandene Vermögen jede Idee von Raum, so oft wir wollen, zu wiederholen, die Idee der Unermeßlichkeit gewinnen, so gelangen wir zu der Idee der Ewigkeit dadurch, daß wir imstande sind, die Idee von irgend einer Länge der Dauer, die wir im Sinne tragen, mit der ganzen Endlosigkeit des Zählens zu wiederholen. Denn wir finden in uns selbst, daß wir ebensowenig an das Ende solcher wiederholten Ideen wie an das Ende der Zahlen kommen können, wovon jeder die Unmöglichkeit einsieht. Aber auch hier ist es eine andere von unserem Besitz der Idee der Ewigkeit ganz verschiedene Frage, ob wir wissen, daß es ein reales Wesen giebt, dessen Dauer ewig gewesen ist. Und darauf antworte ich: wer etwas gegenwärtig Existierendes betrachtet, der muß notwendig zu etwas Ewigem gelangen. Da ich aber hievon an einem anderen Orte Buch IV, Kapitel 10. gesprochen habe, so will ich hier nicht mehr darüber sagen, sondern zu einigen anderen Betrachtungen unserer Ideen der Unendlichkeit fortschreiten. Durch Wahrnehmung und Erinnerung entsteht in unserem Bewußtsein die objektive Welt, deren Daseinsformen deshalb Raum und Zeit sind. Abstrahieren wir von dem mannigfachen Inhalt dieser Welt, denken wir uns alle Dinge und Ereignisse derselben aus unserm Bewußtsein verschwunden, so bleiben gleichwohl die leeren Formen von Raum und Zeit zurück. Diese können wir nicht aus unserm Bewußtsein wegdenken, weil damit dessen objektive Seite völlig vernichtet, oder der Gegensatz von Subjekt und Objekt aufgehoben sein würde, worin doch das Wesen des Bewußtseins besteht. Ein absolutes Nichts, in dem auch Raum und Zeit negiert wären, ist deshalb für uns ein undenkbarer Gedanke, so lange unser Bewußtsein fortdauert. Hieraus erklärt es sich, daß wir uns auch keine räumliche oder zeitliche Grenze denken können, die nur an ihrer einen Seite Raum oder Zeit hätte, denn dann müßten wir uns an der anderen Seite das absolute Nichts vorstellen. Raum und Zeit sind also für unser Denken unbegrenzbar (jede räumliche oder zeitliche Grenze hat notwendig zu beiden Seiten den Raum oder die Zeit, sie grenzt nur zwei Räume oder zwei Zeiten gegeneinander ab), und diese Unbegrenzbarkeit, die auf ihrer Nicht-weg-Denkbarkeit beruht, nennt man gewöhnlich Unendlichkeit, indem man sich Raum und Zeit als außerhalb unseres Bewußtseins und unabhängig von demselben bestehend denkt. Allein der leere Raum ist nichts anderes als das Gesichtsfeld für mögliche Wahrnehmungen, und die leere Zeit nichts anderes als die Perspektive für mögliche Erinnerungen, beide setzen, auch wenn wir uns das nicht klar machen, stillschweigend das wahrnehmende und erinnernde Subjekt voraus. Können wir aber uns ebensowenig Raum und Zeit ohne unser Bewußtsein wie dieses ohne jene denken, dann haben wir kein Recht, dem Raume und der Zeit außerbewußte (transcendente) Realität zuzuschreiben.

§ 6. Warum andere Ideen der Unendlichkeit nicht fähig sind. – Wenn es richtig ist, daß unsere Idee der Unendlichkeit aus dem Vermögen einer endlosen Wiederholung unserer Ideen entspringt, was wir in uns selbst beobachten, so läßt sich die Frage aufwerfen, warum wir die Unendlichkeit nicht anderen Ideen ebensogut beilegen, wie denen des Raumes und der Dauer, da sie ja in unserem Geiste sich ebenso leicht und ebenso oft wiederholen lassen wie die letzteren, während doch niemand jemals an unendliche Süßigkeit oder unendliche Weiße denkt, obgleich er die Idee des Süßen oder des Weißen ebenso häufig wiederholen kann wie die einer Elle oder eines Tages?

Darauf erwidere ich: alle Ideen, die als aus Teilen bestehend angesehen werden, und sich durch Hinzufügung gleicher oder kleinerer Teile vermehren lassen, bieten uns durch ihre Wiederholung die Idee der Unendlichkeit dar, weil durch diese endlose Wiederholung fortwährend eine Vergrößerung bewirkt wird, die kein Ende nehmen kann. Bei anderen Ideen ist das nicht der Fall, denn an der größten Idee von Ausdehnung oder Dauer, die ich gegenwärtig habe, bewirkt die Hinzufügung auch nur des kleinsten Teiles einen Zuwachs; wenn ich aber zu der vollkommensten Idee, die ich von der weißesten Weiße habe, eine andere von einer geringeren oder gleichen Weiße hinzufüge (und die Idee einer noch weißeren, als ich habe, kann ich nicht hinzufügen), so bewirkt das keinen Zuwachs und erweitert meine Idee ganz und gar nicht, und deshalb werden die verschiedenen Ideen von Weiße etc. Grade genannt. Denn die aus Teilen bestehenden Ideen lassen sich durch jeden Zusatz auch nur des kleinsten Teiles vermehren; nehmen wir aber die Idee der Weiße, die ein Stück Schnee gestern unserm Anblick darbot, und eine andere Idee der Weiße von einem anderen Stück Schnee, das wir heute sehen, und fügen sie in unserer Vorstellung zusammen, so verleiben sie gleichsam einander wechselseitig ein, so daß aus beiden nur eine wird, während die Idee der Weiße durchaus nicht zunimmt, und wenn wir einen geringeren Grad von Weiße einem höheren hinzufügen, so vermehren wir sie nicht bloß nicht, sondern vermindern sie. Die nicht aus Teilen bestehenden Ideen lassen sich nicht, so viel man will, vermehren, oder über das, was die Sinneswahrnehmung ergiebt, hinaus ausdehnen; Raum, Dauer und Zahl dagegen erwecken, weil sie durch Wiederholung vermehrt werden können, im Geiste die Idee einer endlosen Möglichkeit weiterer Vermehrung, auch können wir uns nirgendwo ein Hindernis für ein weiteres Hinzufügen oder Vorwärtsgehen denken, deshalb führen diese Ideen allein unsern Verstand zu dem Gedanken der Unendlichkeit. Die Ausführungen dieses Paragraphen sind offenbar unklar und verfehlt. Die »Weiße« besteht nur in der Farblosigkeit des diffus reflektierten Lichtes, gleichviel wie stark oder schwach letzteres sein möge; sie ist so wenig eine intensive wie eine extensive Größe, und folglich keiner Vermehrung oder Verminderung fähig, sondern nur einer Verunreinigung durch Beimischung von Schwarz oder Farben in so kleinen Flächen, daß unser Auge sie nicht getrennt von der weißen Fläche auffassen kann. Stelle ich aber in einem sonst dunkeln Raume vor eine weiße Tafel ein Licht, so erscheint mir die »Weiße« in einer gewissen Helligkeit, füge ich dem ersten Lichte ein zweites, drittes, viertes ec. von gleicher Stärke hinzu, so verdoppelt, verdreifacht, vervierfacht etc. sich die Helligkeit der weißen Tafel. In derselben Weise lassen sich alle intensiven Größen (z. ,B. Wärme, Druck, Geschwindigkeit einer Bewegung, Stärke eines Tones oder eines elektrischen Stromes) durch Verstärkung ihrer Entstehungsursachen – übernatürlich nicht durch extensive Ausdehnung ihrer Erscheinung, z. ,B. Verdoppelung einer Schneefläche – vermehren, und in der bloßen Vorstellung einer solchen Vermehrung sind wir keineswegs an die Schranken unserer Sinneswahrnehmungen gebunden. (Man denke nur an die Hitze der Sonne und an die Kälte des Weltraums.) Richtig ist, daß, wo diese Schranken überschritten werden, wir uns eigentlich nicht mehr den die intensive Größe bildenden Zustand selbst vorstellen, sondern nur noch die Zahl, die das Maß seiner Intensität im Verhältnis zu deren wirklich bekannten Graden bezeichnet. Aber dasselbe gilt, wie Locke oben im Kapitel XV, § 9 richtig bemerkt hat, auch von den extensiven Größen. Daß wir uns die Vermehrung dieser als beliebig weit fortgesetzt vorstellen können, ist in der That nicht das, was uns auf den Gedanken der Unendlichkeit führt, denn wir sind bei materiell extensiven Größen zu einer endlosen Fortsetzung nicht genötigt, können uns vielmehr jede solche Größe als begrenzt vorstellen, und unsere Beobachtung zeigt, so weit sie reicht, uns alle diese Größen als begrenzt (Locke selbst hält ja auch das materielle Weltall für begrenzt); die Vorstellung von der Unendlichkeit des leeren Raumes und der leeren Zeit beruht vielmehr auf der Unmöglichkeit uns für diese eine Grenze zu denken, die nicht zu ihren beiden Seiten Raum oder Zeit hätte. Diese Unmöglichkeit gilt für materiell extensive Größen so wenig wie für intensive, dagegen auch für die Zahl, weil diese nichts ist als der abstrakte Ausdruck der Teilbarkeit und Zusammensetzbarkeit von Raum und Zeit.

§ 7. Unterschied zwischen der Unendlichkeit des Raumes und einem unendlichen Raume. – Obgleich unsere Idee der Unendlichkeit aus der Betrachtung der Quantität und der endlosen Vermehrung entsteht, die der Geist durch wiederholtes Hinzufügen beliebiger Teile derselben mit der Quantität vornehmen kann, so meine ich doch, daß wir große Verwirrung in unseren Gedanken anrichten, wenn wir die Unendlichkeit mit irgend einer vorausgesetzten Idee von Quantität verbinden, die der Geist möglicherweise haben kann, und somit über eine unendliche Quantität, nämlich einen unendlichen Raum oder eine unendliche Dauer, reden oder disputieren. Denn, da unsere Idee von Unendlichkeit, wie ich meine, eine endlos wachsende Idee ist, so heißt es, einer zunehmenden Größe ein festes Maß vorschreiben, wenn man mit der Idee irgend einer vom Geiste aufgefaßten Quantität, die zur Zeit in dieser Idee ihre Grenze findet (denn, sie mag so groß sein, wie sie will, so kann sie doch nicht größer sein, als sie ist), die Unendlichkeit verknüpfen will, und deshalb, meine ich, ist es nicht eine bedeutungslose Spitzfindigkeit, wenn ich sage, daß wir sorgfältig zwischen der Idee der Unendlichkeit des Raumes und der Idee eines unendlichen Raumes unterscheiden müssen; die erstere ist nur die Annahme eines endlosen Weitergehens des Geistes über so viele wiederholte Raumideen, wie ihm gefällt; aber, um thatsächlich die Idee eines unendlichen Raumes im Sinne zu haben, müßte man voraussetzen, daß der Geist über alle die wiederholten Raumideen, die eine endlose Wiederholung ihm niemals vollständig vorführen kann, bereits hinweggegangen sei, und sie thatsächlich alle überschaue, worin offenbar ein Widerspruch enthalten ist.

§ 8. Von einem unendlichen Raume haben wir keine Idee. – Das wird vielleicht etwas klarer werden, wenn wir es mit Bezug auf die Zahl betrachten. Die Unbegrenztheit der Zahlenreihe, an deren Ende, wie jeder einsieht, man durch Addition nicht gelangen kann, leuchtet leicht jedem ein, der darüber nachdenkt; wie klar aber auch diese Idee von der Unendlichkeit der Zahl sein mag, so giebt es doch nichts Augenscheinlicheres als die Absurdität der wirklichen Idee einer unendlichen Zahl. Alle positiven Ideen eines Raumes, einer Dauer oder einer Zahl, die wir in unserem Geiste haben, mögen sie auch noch so groß sein, sind immer endlich; aber wenn wir einen unerschöpflichen Rest voraussetzen, dem wir alle Begrenzung absprechen, und worin wir dem Geiste einen endlosen Gedankenfortschritt zugestehen, ohne daß er jemals zur Vollendung der Idee käme, dann gewinnen wir unsere Idee der Unendlichkeit, die zwar ganz deutlich zu sein scheint, wenn wir in ihr nur die Negation eines Endes ins Auge fassen, aber sehr dunkel und verworren wird, wenn wir in unserem Geiste die Idee eines unendlichen Raumes oder einer unendlichen Dauer bilden wollen, weil diese aus zwei sehr verschiedenen, wenn nicht unvereinbaren, Teilen besteht. Denn, mag jemand in seinem Geiste eine Idee von einem Raume oder einer Zahl, wie groß er nur will, bilden, so hält der Geist offenbar bei dieser Idee an und bleibt bei ihr stehen, was der Idee der Unendlichkeit widerspricht, die auf der Annahme eines endlosen Fortschreitens beruht; und hierin liegt glaube ich der Grund, weshalb wir so leicht in Verwirrung geraten, wenn wir anfangen über den unendlichen Raum oder die unendliche Dauer etc. zu argumentieren und zu diskutieren, weil wir nicht bemerken, daß die Bestandteile einer solchen Idee, was doch der Fall ist, unvereinbar sind, und deshalb bei allen Konsequenzen, die wir aus ihrer einen Seite ziehen, die andere uns immer Verlegenheiten bereitet, gerade wie die Idee einer nicht weiter kommenden Bewegung jedem, der aus ihr Schlüsse ziehen wollte, in Verlegenheit setzen würde, da sie nicht besser ist als die Idee einer stillstehenden Bewegung; und von eben solcher Art scheint mir die Idee eines unendlichen Raumes oder (was dasselbe ist) einer unendlichen Zahl zu sein, d. ,h. eines Raumes oder einer Zahl, die der Geist wirklich hat, als solche anschaut und abschließend bestimmt, und eines Raumes oder einer Zahl, wozu er während eines beständigen und endlosen Vergrößerns und Weitergehens im Gedanken niemals gelangen kann. Denn, eine wie große Idee des Raumes ich auch immer im Sinne haben mag, so ist sie doch nicht größer wie in dem Augenblick, wo ich sie habe, wenn ich gleich imstande bin, sie in dem nächsten Augenblick zu verdoppeln, und so fort in infinitum, denn unendlich ist nur das, was keine Grenzen hat, und die Idee der Unendlichkeit ist die, worin unsere Gedanken keine finden können.

§ 9. Die Zahl giebt uns die klarste Idee der Unendlichkeit. – Unter allen anderen Ideen aber ist es, wie gesagt, die Zahl, die uns meiner Ansicht nach die klarste und deutlichste Idee der Unendlichkeit darbietet, deren wir fähig sind. Denn, wenn der Geist die Idee der Unendlichkeit verfolgt, so bedient er sich selbst bei dem Raume und der Dauer der Ideen und Wiederholungen von Zahlen, z. ,B. von Millionen und Millionen von Meilen oder Jahren, was so viele verschiedene Ideen sind, daß sie am besten durch die Zahl daran verhindert werden, in einen verwirrten Haufen zusammen zu laufen, worin der Verstand sich verlieren würde; und wenn er so viele Millionen etc. bekannter Längen des Raumes oder der Dauer, wie ihm beliebt, zusammen addiert hat, so ist die klarste Idee der Unendlichkeit, die er gewinnen kann, der verworrene unfaßbare Überrest endloser hinzufügbarer Zahlen, der keine Aussicht auf Anhalt oder Begrenzung darbietet.

§ 10. Die Verschiedenheit unserer Auffassung der Unendlichkeit von Zahl, Dauer und Ausbreitung. – Vielleicht wird es etwas mehr Licht über unsere Idee der Unendlichkeit verbreiten und uns zeigen, daß sie nichts ist als die auf bestimmte Teile, deren deutliche Ideen wir im Sinne haben, angewandte Unendlichkeit der Zahl, wenn wir erwägen, daß wir uns die Zahl nicht als allerseits unendlich vorstellen, wogegen Dauer und Ausdehnung, so zu sein scheinen, was daher rührt, daß wir bei der Zahl gleichsam an deren einem Ende stehen; denn da es keine kleinere Zahl giebt als die Einheit, so machen wir bei dieser Halt und sind am Ende, aber dem Addieren oder der Vermehrung der Anzahl können wir keine Schranke setzen. Und so ist die Zahl einer Linie gleich, deren eines Ende bei uns festliegt, während das andere sich vorwärts immer weiter über jede Möglichkeit der Vorstellung hinaus ausdehnt; bei dem Raum und der Dauer verhält sich die Sache jedoch anders. Denn bei der Dauer sehen wir es so an, als wenn die Zahlenreihe nach beiden Seiten hin zu einer unfaßbaren, unbestimmten und unendlichen Länge ausgedehnt wäre, was jedem einleuchten wird, der nur über die Vorstellung nachdenken will, die er sich von der Ewigkeit macht, indem er, meine ich, finden wird, daß diese nur in einer Hinwendung der Unendlichkeit der Zahl nach beiden Richtungen besteht, aparte ante und a parte post, wie man zu sagen pflegt. Denn wenn wir die Ewigkeit a parte ante betrachten wollen, was thun wir anders, als daß wir, bei uns selbst und unserer Gegenwart anfangend, in unserem Sinne die Idee von Jahren oder Menschenaltern oder irgend einem anderen bestimmbaren Teil der vergangenen Dauer mit der Aussicht wiederholen, diese Addition mit der ganzen Unendlichkeit der Zahl fortsetzen zu können? Und wenn wir die Ewigkeit a parte post betrachten wollen, dann beginnen wir genau in derselben Weise bei uns selbst und rechnen mit vervielfachten künftigen Perioden, indem wir die Zahlenreihe wie vorhin immer weiter ausdehnen. Und diese beiden bilden zusammengefügt jene unendliche Dauer, die wir Ewigkeit nennen, die, mögen wir unsern Blick nun vorwärts oder rückwärts wenden, unendlich erscheint, weil wir immer nach eben dieser Richtung das grenzenlose Ende der Zahl hinwenden, d. ,h. das Vermögen, beständig noch mehr hinzuzufügen.

§ 11. Ebenso geht es uns mit dem Raume, indem wir uns gleichsam in dessen Mitte versetzen, verfolgen wir nach allen Seiten hin die unbegrenzbaren Zahlenreihen, und indem wir von uns selbst aus in jeder Richtung eine Elle, eine Meile, den Durchmesser der Erde oder des orbis magnus rechnen, fügen wir ihnen vermöge der Unendlichkeit der Zahl, so oft wir wollen, andere hinzu, und da wir nicht mehr Ursache haben, der Wiederholung dieser Ideen ein Ziel zu setzen, als dem Zählen, so gewinnen wir die unbestimmbare Idee der Unermeßlichkeit.

§ 12. Unendliche Teilbarkeit. – Und weil bei irgend welcher materiellen Größe unsere Gedanken niemals zum Ende der Teilbarkeit gelangen können, so zeigt sich uns auch hierin eine Unendlichkeit, die ebenfalls auf der Unendlichkeit der Zahl beruht, jedoch mit dem Unterschiede, daß wir bei den früheren Betrachtungen der Unendlichkeit des Raumes und der Dauer nur von der Addition der Zahlen Gebrauch machten, wogegen diese der Teilung einer Einheit in ihre Brüche gleich ist, wobei der Verstand ebensogut wie bei den früheren Additionen in infinitum vorwärts gehen kann, da sie in der That nur in der beständigen Hinzufügung neuer Zahlen besteht; obgleich wir bei dem Addieren der einen die positive Idee eines unendlich großen Raumes ebensowenig gewinnen können, wie bei dem Dividieren der anderen die Idee eines unendlich kleinen Körpers, weil unsere Idee der Unendlichkeit sozusagen eine wachsende oder entfliehende Idee ist, beständig in einem grenzenlosen Fortschritt begriffen, der nirgends stillstehen kann. Schopenhauer hat im zweiten Bande seiner Parerga und Paralipomena § 44 ein Verzeichnis gewisser, allgemein beliebter, fest akkreditierter und täglich nachgesprochener Irrtümer angefangen und andere um dessen Fortführung gebeten. Darin könnte ganz füglich auch der Satz Aufnahme finden, daß Raum und Zeit ins Unendliche teilbar seien. Gewöhnlich giebt man zu, daß zwar die praktische Ausführung ihrer Teilung auf mechanischem Wege eine Grenze habe, behauptet jedoch, daß sich in der bloßen Vorstellung die Teilung über diese Grenze hinaus beliebig fortsetzen lasse. In der That liegt die Sache gewissermaßen umgekehrt, nämlich so, daß die mechanische Ausführung der Teilung sich zwar nicht ins Grenzenlose, aber doch bedeutend weiter fortsetzen läßt, als die Vorstellbarkeit der Teile reicht (wie z. ,B. die künstlichen Probeobjekte für Mikroskope beweisen), über die Vorstellbarkeit der Teile hinaus kann man sich aber selbstverständlich auch die Teilung nicht als fortgesetzt vorstellen. Denn unsere Vorstellungen entstehen aus der Erinnerung von Wahrnehmungen, deshalb kann niemand sich etwas vorstellen, was weder er selbst noch ein anderer jemals wahrgenommen hat. Nun hat aber unser Wahrnehmungsvermögen für kleinste Raum- und Zeitteilchen bekanntlich ihre Grenze; über ein gewisses (individuell variables) Minimum hinaus können wir einzelne Raum- oder Zeitteilchen nicht mehr erkennen, und mehrere solche neben- oder nacheinander nicht mehr unterscheiden. Über diese Grenze hinaus können wir uns deshalb auch den Raum und die Zeit nicht als geteilt vorstellen. Wenn man gleichwohl behauptet, man könne sich aber doch die Teilung als noch weiter fortgesetzt denken, so schiebt sich hiebei unvermerkt die Zahl an die Stelle des Objektes, dessen Maß sie bezeichnen soll. Weil man die Teilung einer Raum- oder Zeiteinheit durch einen Zahlenbruch ausdrücken, und einen solchen beliebig in infinitum verkleinern kann, so glaubt man, daß man sich auch die Teilung von Raum und Zeit in infinitum fortgesetzt denken könne. Dabei wird ferner noch übersehen, daß die Verkleinerung eines Zahlenbruchs in der Vergrößerung seines Nenners besteht, und man sich also nicht eine Teilung, sondern eine Zusammenlegung von Einheiten vorstellt, wenn man sich einen Zahlenbruch verkleinert denkt. Vgl. auch Kapitel XV, § 9 i. ,f. und Kapitel XXIX, § 16.

§ 13. Es giebt keine positive Idee der Unendlichkeit. – Obgleich man, glaube ich, schwerlich jemanden finden wird, der absurd genug wäre zu behaupten, daß er die positive Idee einer wirklich unendlichen Zahl habe, deren Unendlichkeit nur in dem Vermögen besteht, beständig irgend welche Kombination von Einheiten irgend einer früheren Zahl hinzuzufügen, und das so lange und so oft, wie man will; und obgleich dasselbe auch von der Unendlichkeit des Raumes und der Dauer gilt, wobei jenes Vermögen dem Geiste immer Platz für endlose Zusätze übrig läßt: so giebt es doch Leute, die sich einbilden von der unendlichen Dauer und dem unendlichen Raume positive Ideen zu haben. Um irgend eine solche positive Idee des Unendlichen zu zerstören, würde es, denke ich, genügen, den, der sie zu haben glaubt, zu fragen, ob er ihr etwas hinzufügen könne oder nicht, wodurch das Irrtümliche solch einer positiven Idee leicht aufgezeigt werden würde. Wir können meiner Meinung nach von keinem Raume und von keiner Dauer eine positive Idee haben, die nicht aus einer Anzahl wiederholter Fuße oder Ellen oder Tage und Jahre zusammengesetzt und danach abgemessen sind, d. h. nach den gewöhnlichen Maßstäben, deren Ideen wir im Sinne tragen, und wonach wir die Größe dieser Art von Quantitäten beurteilen. Und deshalb kann eine unendliche Idee von Raum oder Dauer, weil sie notwendig aus unendlich vielen Teilen zusammengesetzt sein muß, keine andere Unendlichkeit als die der Zahl haben, die immer noch einer weiteren Vermehrung fähig ist, aber nicht der wirklichen positiven Idee einer unendlich großen Zahl. Denn es ist denke ich einleuchtend, daß die Zusammenzählung endlicher Dinge (wie aller Längen, wovon wir positive Ideen haben) niemals die Idee des Unendlichen auf andere Weise hervorbringen kann, wie die Zahl thut, die, indem sie aus der successiven Zusammenlegung endlicher Einheiten besteht, uns auf die Idee des Unendlichen nur dadurch bringt, daß wir uns imstande finden, die Summe immer noch zu vergrößern und noch mehr von derselben Art hinzuzufügen, ohne dem Ende einer solchen Progression nur um ein Jota näher zu kommen.

§ 14. Die, welche ihre Ideen des Unendlichen als etwas Positives beweisen wollen, scheinen sich mir dabei eines hübschen Arguments zu bedienen, hergenommen von der Negation des Endes, das ein negativer Begriff sei, also sei dessen Negation positiv. Wer erwägt, daß das Ende eines Körpers nur dessen Extremität oder Oberfläche ist, wird vielleicht mit dem Zugeständnis, daß das Ende etwas rein Negatives sei, nicht rasch bei der Hand sein, und wer bemerkt, daß das Ende seiner Feder schwarz oder weiß sei, der wird geneigt sein, das Ende für etwas mehr als eine bloße Negation zu halten. Ebensowenig ist es, auf die Dauer angewendet, die reine Negation des Daseins, sondern im eigentlichen Sinne der letzte Moment desselben. Wenn man aber auch das Ende für nichts als die reine Negation der Existenz halten will, so wird man doch gewiß nicht leugnen können, daß der Anfang der erste Augenblick des Daseins ist, und von niemandem als eine reine Negation aufgefaßt wird, und deshalb ist selbst nach dem obigen Argument die Idee der Ewigkeit a parte ante, oder einer Dauer ohne Anfang nur eine negative Idee.

§ 15. Was in unserer Idee des Unendlichen positiv und was darin negativ ist. – Ich gebe zu, daß die Idee des Unendlichen bei allen Dingen, worauf wir sie anwenden, etwas Positives an sich hat. Wenn wir uns den unendlichen Raum oder die unendliche Dauer denken wollen, so bilden wir uns gewöhnlich bei dem ersten Schritt eine sehr umfassende Idee, z. ,B. von Millionen von Menschenaltern oder Meilen, die wir möglicherweise verdoppeln und mehremal vervielfachen. Alles, was wir so in unseren Gedanken aufhäufen, ist positiv, und die Ansammlung einer großen Zahl von positiven Ideen des Raumes oder der Dauer. Von dem aber, was darüber hinaus immer noch übrigbleibt, haben wir ebensowenig eine positive deutliche Vorstellung, wie ein Schiffer von der Tiefe der See, wo er keinen Boden findet, nachdem er einen großen Teil seiner Lotleine hinabgelassen hat; er weiß dann, daß die Tiefe so und so viele Faden und mehr beträgt, davon aber, wie viel dieses Mehr ausmacht, hat er überhaupt keine deutliche Vorstellung, und wenn er beständig neue Leine hinzufügen könnte und fände, daß das Bleilot immer tiefer sinke, ohne jemals anzuhalten, so würde er sich so ziemlich in der Lage des Geistes befinden, der die vollständige und positive Idee der Unendlichkeit zu erreichen sucht. Mag in diesem Falle die Leine zehn oder tausend Faden lang sein, was darüber hinaus ist, entdeckt sie gleich gut, indem sie nur die verworrene und vergleichende Idee liefert, daß die erreichte Tiefe nicht die ganze sei, man vielmehr noch weitergehen könne. Von so vielem, wie der Geist sich von irgend einem Raume vorstellt, hat er eine positive Idee; bei dem Versuche aber, sie unendlich zu machen, bleibt die sich beständig erweiternde, beständig vorrückende Idee immer unfertig und unvollständig. So viel Raum, wie der Geist bei seiner Betrachtung der Größe überschaut, ist ein klares Bild und positiv im Verstande, aber das Unendliche ist noch größer. 1. Die Idee von »so viel« ist also positiv und klar; 2. die Idee von »größer« ist auch klar, aber sie ist nur eine vergleichende Idee, nämlich die Idee von so viel größer, wie sich nicht begreifen läßt; und diese ist offenbar negativ, nicht positiv. Denn eine positive klare Idee von der Größe einer Ausdehnung (und die wird in der Idee des Unendlichen gesucht) hat der nicht, der keine deren Dimensionen in sich begreifende Idee hat, und darauf, denke ich, macht niemand bei dem Anspruch, was unendlich ist. Denn zu sagen, jemand habe eine positive klare Idee von irgend einer Quantität, ohne zu wissen, wie groß sie sei, das ist ebenso vernünftig, als zu sagen, daß jemand die positive klare Idee von der Anzahl der Sandkörner am Seeufer habe, der nicht weiß, wie viele sich dort befinden, sondern nur, daß es mehr sind als zwanzig. Denn gerade solch eine vollkommene und positive Idee hat von einem unendlichen Raume oder einer unendlichen Dauer der, welcher sagt, sie seien größer als die Länge oder Dauer von zehn, hundert, tausend oder irgend einer anderen Zahl von Meilen oder Jahren, wovon er eine positive Idee hat oder haben kann, und das ist, meine ich, die ganze Idee, die wir von dem Unendlichen haben. Was jenseits unserer positiven Idee nach der Unendlichkeit zu liegt, das befindet sich somit im Dunkel, und hat die unbestimmte Verworrenheit einer negativen Idee, von der ich weiß, daß ich in ihr weder alles begreife noch begreifen kann, was ich möchte, da sie für eine endliche und beschränkte Fassungskraft zu groß ist; und von einer positiven vollständigen Idee bleibt das notwendig weit entfernt, worin der größte Teil dessen, was ich darunter begreifen wollte, mit der unbestimmten Andeutung, daß es noch größer sei, ausgelassen wird; denn zu sagen, wenn man von irgend einer Quantität so viel gemessen habe, oder darin so weit gegangen sei, dann sei man noch nicht zu Ende, das heißt nur sagen, die Quantität sei noch größer. Die Negation eines Endes von irgend welcher Quantität sagt also mit anderen Worten nur, daß sie größer sei, und die totale Negation eines Endes besteht nur darin, daß man bei allen Fortschritten, die unsere Gedanken in der Quantität machen, dieses »größer« beständig mit sich führt, und diese Idee des »noch größer« allen Ideen der Quantität, die man hat oder möglicherweise haben kann, hinzufügt. Ob solch eine Idee wie diese positiv ist, überlasse ich der Erwägung eines jeden.

§ 16. Von einer unendlichen Dauer haben wir keine positive Idee. – Ich frage die, welche eine positive Idee der Ewigkeit zu haben behaupten, ob ihre Idee der Dauer Succession in sich schließt oder nicht. Wenn nicht, so sollten sie den Unterschied ihres Begriffes von Dauer in seiner Anwendung auf ein ewiges und auf ein endliches Wesen nachweisen, weil es vielleicht außer mir noch andere giebt, die ihnen ihr schwaches Verständnis in diesem Punkte gestehen und anerkennen werden, daß der Begriff, den sie von der Dauer haben, sie zu der Annahme nötige, daß alles, was fortdauert, heute seit länger besteht, als es gestern that. Wenn man, um in der ewigen Statt external lies eternal. Existenz die Succession zu vermeiden, auf das nunc So ist wohl hier und einige Zeilen weiterhin statt punctum zu lesen. stans der Schulen zurückkommt, so glaube ich, wird man damit die Sache wenig besser machen, und uns kaum zu einer deutlicheren und positiveren Idee der unendlichen Dauer verhelfen, indem es für mich nichts Unbegreiflicheres giebt, als eine Dauer ohne Succession. Außerdem kann jenem nunc stans weder Endlichkeit noch Unendlichkeit zukommen, weil es, wenn es überhaupt etwas bedeutet, kein Quantum ist. Wenn aber unsere schwache Fassungskraft die Succession von keiner Art der Dauer trennen kann, so kann unsere Idee der Ewigkeit nur die einer endlosen Succession von Augenblicken der Dauer sein, während der irgend etwas besteht; und ob jemand von einer wirklich unendlichen Anzahl eine positive Idee hat oder haben kann, das überlasse ich seiner Erwägung, bis seine unendliche Zahl so groß geworden ist, daß er selbst nichts mehr hinzufügen kann, und so lange er sie noch vergrößern kann, wird er wahrscheinlich selbst seine Idee von ihr als etwas zu knapp für die positive Unendlichkeit ansehen.

§ 17. Ich halte es für unvermeidbar für jedes denkende vernünftige Geschöpf, das nur seine eigene oder irgend eine andere Existenz prüfen will, den Gedanken eines ewigen weisen Wesens zu gewinnen, das keinen Anfang gehabt hat, und ich bin gewiß, solch eine Idee von unendlicher Dauer zu haben. Weil aber diese Negation eines Anfangs nur die Negation von etwas Positivem ist, so giebt sie mir schwerlich eine positive Idee der Unendlichkeit, und jedesmal, wenn ich versuche meine Gedanken zu dieser auszudehnen, muß ich mir mein Unvermögen dazu eingestehen, und finde, daß ich davon keinen irgendwie klaren Begriff erhalten kann.

§ 18. Es giebt keine positive Idee des unendlichen Raumes. – Wer von dem unendlichen Raume eine positive Idee zu haben meint, wird, wenn er genauer nachdenkt, finden, daß er von dem größten Raume ebensowenig eine positive Idee haben kann, wie von dem kleinsten. Denn, was den letzteren anbetrifft, der von beiden als der leichter faßbare erscheint, so sind wir nur zu einer vergleichenden Idee von Kleinheit imstande, die immer noch kleiner sein werde, als irgend eine, wovon wir eine positive Idee haben. Alle unsere positiven Ideen von irgend welcher Quantität, groß oder klein, haben immer Schranken, obgleich unsere vergleichende Idee, wodurch wir beständig der einen etwas hinzufügen und von der anderen etwas abnehmen können, unbeschränkt ist; denn das Übrigbleibende, sei es groß oder klein, liegt, da es in unserer positiven Idee nicht einbegriffen ist, im Dunkeln, und wir haben davon keine andere Idee als von dem Vermögen, unaufhörlich das eine zu vermehren, das andere zu vermindern. Ein Stößel und ein Mörser werden irgend ein Stoffteilchen ebenso bald zur Unteilbarkeit bringen, wie der schärfste Gedanke eines Mathematikers, und ein Landmesser kann mit seiner Kette den unendlichen Raum ebenso rasch ausmessen, wie ein Philosoph mit dem schnellsten Geistesfluge sein Ende erreichen, oder mit seinem Denken ihn begreifen, d. h. eine positive Idee von ihm gewinnen. Wer sich einen Würfel von einem Zoll Seitenlänge ( diameter) vorstellt, hat in seinem Sinne eine klare und positive Idee desselben, und kann sich auch einen von ½, ¼, ⅛ etc. konstruieren, bis er in seinen Gedanken die Idee von etwas sehr Kleinem hat, aber er erreicht nicht die Idee der unbegreiflichen Kleinheit, die durch Teilung hervorgebracht werden kann. Was an Kleinheit übrigbleibt, ist von fernen Gedanken ebenso weit entfernt wie beim ersten Anfang, und er kommt deshalb überhaupt niemals dazu, eine klare und positive Idee von der Kleinheit zu gewinnen, die sich aus der unendlichen Teilbarkeit ergiebt.

§ 19. Der englische Text wiederholt hier das Rubrum von § 15. Wer in die Unendlichkeit schauen will, macht sich, wie gesagt, beim ersten Ausblick eine sehr große Idee von dem, worauf er sie anwendet, mag dies Raum oder Dauer sein, und ermüdet vielleicht sein Denken dadurch, daß er die erste große Idee in seinem Sinne vervielfacht; dadurch aber kommt er nicht näher daran, von dem, was zur Vollendung eines positiv Unendlichen noch übrigbleibt, eine positive klare Idee zu haben, als der Bauer von dem Wasser hatte, das noch kommen und das Flußbett, an dem er stand, passieren sollte:

» Rusticus expectat, dum defluat amnis, at ille
Labitur, et labetur in omne volubilis aevum.
«

§ 20. Manche glauben, daß sie von der Ewigkeit eine positive Idee haben, nicht aber von dem unendlichen Raume. – Es giebt, wie ich erfahren habe, Leute, die zwischen unendlicher Dauer und unendlichem Raume einen so großen Unterschied machen, daß sie überzeugt sind, von der Ewigkeit eine positive Idee zu haben, von dem unendlichen Raume dagegen irgend welche Idee weder zu haben noch haben zu können. Der Grund dieses Irrtums ist, glaube ich, folgender: da sie nach gehöriger Erwägung der Ursachen und Wirkungen die Notwendigkeit erkennen, ein ewiges Wesen anzunehmen, und somit dessen wirkliche Existenz als Erfüllung ihrer Idee der Ewigkeit und von gleichem Maße mit dieser zu betrachten, während sie es andererseits nicht notwendig finden, sondern im Gegenteil augenscheinlich absurd, daß die Körperwelt Das no vor body ist zu streichen. unendlich sein sollte, so schließen sie vorschnell, daß sie von dem unendlichen Raume keine Idee haben, weil sie keine von einer unendlichen Materie haben können. Das ist meiner Ansicht nach eine sehr schlecht begründete Folgerung, weil die Existenz der Materie für die des Raumes keineswegs notwendig ist, ebensowenig wie die Existenz der Bewegung oder der Sonne für die Dauer, obgleich die Dauer gewöhnlich daran gemessen wird, und zweifellos kann jemand die Idee von 10 ,000 Meilen im Quadrat ebensogut haben, ohne daß es einen so großen Körper gäbe, wie die Idee von 10 ,000 Jahren, ohne daß ein Körper so alt wäre. Man kann, scheint mir, ebenso leicht die Idee eines von Körpern leeren Raumes haben, als sich den Binnenraum eines Scheffels ohne Korn, oder die Höhlung einer Nußschale ohne einen Kern darin denken, indem es ebensowenig notwendig ist, daß eine unendlich ausgedehnte solide Materie existieren müsse, weil wir eine Idee von der Unendlichkeit des Raumes haben, als daß die Welt ewig sein müsse, weil wir eine Idee von unendlicher Dauer haben. Und warum sollten wir denken, unsere Idee des unendlichen Raumes bedürfe zu ihrer Unterstützung der wirklichen Existenz der Materie, wenn wir finden, daß wir von einer zukünftigen unendlichen Dauer eine ebenso klare Idee haben wie von einer vergangenen, obgleich niemand, glaube ich, es für begreiflich hält, daß in der zukünftigen Dauer etwas existiere oder existiert habe? Unsere Idee von zukünftiger Dauer läßt sich ebensowenig mit gegenwärtiger oder vergangener Existenz verbinden, wie sich die Ideen von gestern, heute und morgen in eine verschmelzen, oder vergangene und künftige Menschenalter dergestalt zusammenbringen lassen, daß sie gleichzeitig werden. Wenn aber jene Leute der Meinung sind, daß sie von der unendlichen Dauer klarere Ideen als von dem unendlichen Raume haben, weil ohne Zweifel Gott von aller Ewigkeit her existiert habe, während es keine wirkliche Materie von gleicher Ausdehnung mit dem unendlichen Raume gebe, so muß man doch zugeben, daß die Philosophen, die der Meinung sind, daß der unendliche Raum ebensogut von Gottes unendlicher Allgegenwart eingenommen werde, wie die unendliche Dauer von seiner ewigen Existenz, eine ebenso klare Idee von dem unendlichen Raume haben wie von der unendlichen Dauer; obgleich keine von beiden, wie ich meine, weder in dieser noch in jener Hinsicht eine positive Idee der Unendlichkeit haben. Denn jede positive Idee von irgend einer Quantität, die jemand im Sinne hat, kann er wiederholen, und der ersten ebensoleicht hinzufügen, wie er die Ideen von zwei Tagen oder zwei Schritten – d. ,h. zwei positive Ideen von Länge, die er im Sinne hat – addieren kann, und so fort, so lange es ihm gefällt; demnach würde, wenn jemand eine positive Idee des Unendlichen hätte, er zwei Unendlichkeiten zusammen addieren, ja eine Unendlichkeit unendlich viel größer machen können als die andere – Absurditäten, die zu grob sind, als daß sie einer Widerlegung bedürften.

§ 21. Der Glaube an positive Ideen der Unendlichkeit ist eine Quelle von Irrtümern. – Da es aber trotz alledem Leute giebt, die überzeugt sind, daß sie von der Unendlichkeit klare, positive, umfassende Ideen haben, so ist es ganz in der Ordnung, daß sie im Genuß dieses Vorzuges verbleiben, und es würde mich (wie auch einige andere mir bekannte Personen, die zugeben, daß sie dergleichen nicht haben) sehr erfreuen, durch eine Mitteilung ihrerseits hierüber besser unterrichtet zu werden. Denn bisher bin ich geneigt gewesen zu denken, daß die großen und unentwirrbaren Schwierigkeiten, worin sich alle Reden über die Unendlichkeit, gleichviel ob des Raumes, der Dauer oder der Teilbarkeit, beständig verwickeln, sichere Anzeichen eines Mangels in unseren Ideen von der Unendlichkeit und des Mißverhältnisses ihrer Natur zu der Fassungskraft unserer beschränkten Fähigkeiten gewesen seien. Denn, so lange die Menschen von dem unendlichen Raum oder der unendlichen Dauer reden und darüber disputieren, als wenn sie davon ebenso vollständige und positive Ideen hätten, wie sie von den dafür gebrauchten Namen, oder von einer Elle, oder einer Stunde, oder irgend einer anderen bestimmten Quantität haben, so lange ist es kein Wunder, wenn die unbegreifliche Natur des Dinges, wovon sie reden und worüber sie disputieren, sie in Schwierigkeiten und Widersprüche verwickelt, und ihr Verstand durch einen Gegenstand erdrückt wird, der zu groß und mächtig ist, als daß sie ihn übersehen und handhaben könnten.

§ 22. Alle diese Ideen stammen aus der Sinneswahrnehmung und der Selbstbeobachtung. – Wenn ich ziemlich lange bei der Erörterung von Dauer, Raum und Zahl und der aus deren Betrachtung sich ergebenden Unendlichkeit verweilt habe, so ist das vielleicht nicht mehr, als die Sache erfordert, indem es wenig einfache Ideen giebt, deren Modi den Menschen mehr Gelegenheit zur Übung im Nachdenken bieten als diese. Meine Absicht ist nicht, in ihrem ganzen Umfange von ihnen zu handeln, es genügt mir zu zeigen, wie der Geist sie, so wie sie sind, aus der Sinneswahrnehmung und Selbstbeobachtung erhält, und wie sogar unsere Idee der Unendlichkeit, wie fern sie immer jedem sinnlichen Objekt und jeder Geistesthätigkeit zu liegen scheint, gleichwohl, wie alle unsere übrigen Ideen, dort ihren Ursprung hat. Vielleicht mögen einige Mathematiker, deren Spekulationen besonders weit gehen, andere Methoden haben, um Ideen der Unendlichkeit in ihren Geist einzuführen, das hindert aber nicht, daß auch diese selbst, so gut wie alle übrigen Menschen, die ersten Ideen, die sie von der Unendlichkeit hatten, in der hier von uns angegebenen Weise aus der Sinneswahrnehmung und der Selbstbeobachtung gewonnen haben.


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