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§ 1. Nicht zusammengesetzte Erscheinungen. – Um die Natur, die Art und den Umfang unseres Wissens um so besser zu verstehen, ist ein auf unsere Ideen bezüglicher Umstand sorgfältig zu beachten, nämlich daß einige von ihnen einfach und andere zusammengesetzt sind.
Obgleich die Eigenschaften, die auf unsere Sinne einwirken, in den Dingen selbst so miteinander vereinigt und vermischt sind, daß es zwischen ihnen keine Trennung, keinen Abstand giebt, so ist doch klar, daß die von ihnen im Geiste erzeugten Ideen einzeln und unvermischt durch die Sinne eintreten. Denn, obgleich durch das Gesicht und den Tastsinn oft zu gleicher Zeit von demselben Gegenstande her verschiedene Ideen uns zukommen, wie z. B. jemand zugleich Bewegung und Farbe erblickt, und die Hand Weichheit und Wärme an demselben Stücke Wachs fühlt; so sind doch die auf solche Weise in demselben Subjekt vereinigten einfachen Ideen ebenso vollkommen voneinander unterschieden, wie die durch verschiedene Sinne eingeführten, indem die Kälte und Härte, die man einem Eisstücke anfühlt, im Geiste ebenso unterschiedene Ideen ausmachen wie der Geruch und die Weiße einer Lilie, oder wie der Geschmack des Zuckers und der Geruch der Rose. Und nichts kann für den Menschen deutlicher sein als die klare und bestimmte Wahrnehmung, die er von diesen einfachen Ideen hat, von denen jede, weil sie in sich nicht zusammengesetzt ist, nichts enthält als eine einförmige Erscheinung oder Vorstellung im Bewußtsein, und sich nicht in verschiedene Ideen zerlegen läßt.
§ 2. Der Geist kann sie weder hervorbringen noch zerstören. – Diese einfachen Ideen, der Rohstoff alles unseres Wissens, werden dem Geiste nur auf den beiden obenerwähnten Wegen zugeführt und geliefert, nämlich durch Sinneswahrnehmung und Selbstbeobachtung. Wenn der Verstand einmal mit einem Vorrat solcher einfachen Ideen versehen ist, dann hat er die Kraft sie zu wiederholen, zu vergleichen und in fast endloser Mannigfaltigkeit zu verbinden, und kann so nach Belieben neue zusammengesetzte Ideen bilden. Aber es steht nicht in der Macht des erhabensten Genies oder des ausgebildetsten Verstandes durch irgend welche Lebhaftigkeit oder Mannigfaltigkeit der Gedanken im Geiste auch nur eine neue einfache Idee zu erfinden oder zu gestalten, die nicht auf den vorerwähnten Wegen hineingekommen wäre; und ebensowenig kann irgend eine Kraft des Verstandes die dort vorhandenen zerstören. Denn mit der Herrschaft des Menschen über diese kleine Welt seines eigenen Verstandes ist es beinahe ebenso bestellt, wie mit der über die große Welt der sichtbaren Dinge, worin seine Macht, mit wie viel Kunst und Geschicklichkeit sie auch gehandhabt werden möge, nicht weiter reicht als bis zur Zusammensetzung und Teilung der ihm in die Hände gelieferten Stoffe; dagegen unfähig ist, auch nur die kleinste Partikel von neuem Stoff hervorzubringen, oder ein Atom des schon vorhandenen zu zerstören. Dieselbe Unfähigkeit wird jeder in sich finden, der es unternimmt, in seinem Verstande eine einzige einfache Idee zu gestalten, die er nicht durch seine Sinne von äußeren Gegenständen oder durch Selbstbeobachtung von seinen eigenen auf diese Nämlich die durch die Sinne erhaltenen Ideen. bezüglichen Geistesthätigkeiten erhalten hat. Ich fordere jedermann zu dem Versuche auf, sich einen Geschmack vorzustellen, den sein Gaumen nie verspürt hat, oder sich von einem Geruche, den er nie in der Nase empfunden hat, eine Idee zu bilden; und wenn er das kann, dann werde ich schließen, daß auch ein Blinder Ideen von Farben, und ein Tauber wahre deutliche Vorstellungen von Tönen habe.
§ 3. Aus diesem Grunde ist es meiner Meinung nach für niemanden möglich, sich an Körpern, sie mögen beschaffen sein, wie sie wollen, andere Eigenschaften, wodurch man von ihnen Kunde erhielte, vorzustellen, als Töne, Geschmack, Gerüche, sichtbare und bei der Betastung fühlbare Qualitäten, obgleich wir nicht glauben können, daß es für Gott unmöglich sei, ein Wesen mit anderen Organen zu erschaffen und mit mehr Wegen, dem Verstande die Kenntnis körperlicher Dinge zuzuführen, als die fünf, die er der gewöhnlichen Zählung nach dem Menschen gegeben hat. Und wären die Menschen nur mit vier Sinnen erschaffen worden, so hätten die Eigenschaften, die den Gegenstand des fünften Sinnes bilden, unserer Erkenntnis, unseren Vorstellungen und Begriffen ebenso fern gelegen, wie jetzt möglicherweise die, welche zu einem sechsten, siebenten oder achten Sinne gehören, obgleich es eine große Anmaßung wäre, zu leugnen, daß gewisse andere Geschöpfe in gewissen anderen Teilen dieses gewaltigen und erstaunlichen Weltalls letztere gleichwohl haben können. Wer sich nicht selbst hochmütig an die Spitze aller Dinge stellt, sondern die Unermeßlichkeit jenes Gebäudes und die große Mannigfaltigkeit ins Auge faßt, die sich in dem kleinen und unbeträchtlichen Teile davon, womit er zu thun hat, finden läßt, wird sich der Ansicht zuneigen, daß es in anderen Wohnungen desselben andere und anders geartete intelligente Wesen geben könne, von deren Fähigkeiten er ebensowenig eine Kenntnis oder Vorstellung habe, wie ein Wurm, der in einem Auszug eines Schrankes eingeschlossen ist, von den Sinnen oder dem Verstande des Menschen, da solche Mannigfaltigkeit und steigende Vortrefflichkeit der Weisheit und Macht des Schöpfers angemessen sind. Ich bin hier der gewöhnlichen Meinung, daß der Mensch nur fünf Sinne habe, gefolgt, obwohl man vielleicht mit Recht mehr zählen könnte; aber die eine wie die andere Annahme dient für meinen gegenwärtigen Zweck gleich gut.