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§ 1. Woher wir die Ideen davon erhalten. – Bei der Kenntnis, die unsere Sinne von dem beständigen Wechsel der Dinge nehmen, können wir nicht umhin zu bemerken, daß manche einzelne Eigenschaften sowohl wie Substanzen zu existieren anfangen, und daß sie dieses ihr Dasein der gehörigen Anwendung und Einwirkung eines anderen Wesens verdanken. Aus dieser Beobachtung gewinnen wir unsere Ideen von Ursache und Wirkung. Das, was irgend eine einfache oder komplexe Idee hervorbringt, bezeichnen wir mit dem allgemeinen Namen Ursache und das, was hervorgebracht wird, mit dem Namen Wirkung. Weil wir z. B. finden, daß in der »Wachs« genannten Substanz die Flüssigkeit, die eine vorher in ihm nicht vorhandene Idee ist, beständig durch die Anwendung eines gewissen Grades von Wärme hervorgebracht wird, so nennen wir die einfache Idee von Wärme mit Beziehung auf die Flüssigkeit des Wachses deren Ursache und die Flüssigkeit ihre Wirkung. Ebenso, weil wir finden, daß die Substanz Holz, die eine gewisse so benannte Sammlung einfacher Ideen ist, durch die Anwendung von Feuer in eine andere »Asche« genannte Substanz umgewandelt wird, d. i. in eine andere aus einer Sammlung einfacher Ideen bestehende komplexe Idee, die von der »Holz« genannten komplexen Idee ganz verschieden ist, so betrachten wir das Feuer mit Beziehung auf die Asche als Ursache und die Asche als Wirkung. Genau genommen findet ein Kausalverhältnis nur zwischen zwei Vorgängen (d. h. Bewegungen oder Veränderungen) statt, nicht aber zwischen zwei Dingen oder deren Eigenschaften oder Zuständen. Die Wärme des Wachses ist nicht die Ursache seiner Flüssigkeit, und das Feuer nicht die Ursache der Asche, sondern die Erwärmung des Wachses ist die Ursache seines Schmelzens, und die Erhitzung des Holzes die Ursache seines Verbrennens, letzteres aber die Ursache der Aussonderung der Aschenbestandteile des Holzes. So daß alles, was unserer Auffassung nach zur Hervorbringung irgend einer einzelnen einfachen Idee oder einer Sammlung von einfachen Ideen, sei sie Substanz oder Modus, die vorher nicht existierten, beiträgt oder mitwirkt, deswegen in unserem Geiste die Relation einer Ursache erhält, und so von uns genannt wird. Bekanntlich glaubte Hume, den Gedanken eines kausalen oder notwendigen Zusammenhanges zweier aufeinander folgender Ereignisse aus unserer Gewohnheit, deren Succession wahrzunehmen, erklären zu können, und gab hierdurch Kant den Anlaß zu der Entdeckung, daß nicht bloß die Kausalität, sondern noch elf andere Verstandesbegriffe vor aller Erfahrung a priori in unserem Geiste enthalten seien; Schopenhauer aber sprach diesen elf die Apriorität wieder ab, um sie desto energischer für die Kausalität als alleinige Form der Verstandesthätigkeit festzuhalten. Bei diesen und den später nachgefolgten Erörterungen anderer Philosophen über den Kausalitätsbegriff ist vielleicht der Umstand noch nicht genügend gewürdigt worden, daß derselbe zu den allgemeinen Begriffen gehört, die bereits seit unvordenklicher Zeit traditionell geworden sind. Für seine Auffassung sind deshalb die kindlichen Gehirne wohl schon erblich prädisponiert, und er wird den Kindern, sobald diese sprechen und denken lernen, von ihrer erwachsenen Umgebung beigebracht. Daher kommt es, daß wir ihn, wenigstens allen bekannten Ereignissen gegenüber, so unwillkürlich anwenden, als ob wir die Notwendigkeit ihres Zusammenhanges mit unsern Augen wahrnähmen. Deshalb muß man, wenn man nach seinem Ursprung forschen will, bis in die vorhistorische Zeit zurückgehen, in der Sprache und Vernunft sich bei dem Menschengeschlecht zuerst entwickelten, und vielleicht wird man dann auf die Vermutung geführt werden, daß wohl der Zweckbegriff der Vater des Kausalitätsbegriffes sein möchte. Die Sprachforschung hat ergeben, daß die ersten Sprachlaute zur Bezeichnung von Thätigkeiten gedient haben, die von den herdenweise lebenden Urmenschen gemeinschaftlich verrichtet zu werden pflegten; diese Thätigkeiten aber hatten immer eine den Menschen nützliche Veränderung äußerer Dinge zum Zweck. Ohne Zweifel waren die Urmenschen sich dieser Zwecke und deren Erreichbarkeit durch ihre Handlungsweise von Anfang an bewußt, nach und nach aber mußten sie sich auch dessen bewußt werden, was ihre Thätigkeit zu einem geeigneten Mittel für die Erreichung eines gewissen Zweckes machte, und das war ja der Kausalzusammenhang zwischen der Thätigkeit und der durch den Zweck geforderten Umgestaltung äußerer Dinge. (Vgl. L. Noiré, die Lehre Kants und der Ursprung der Vernunft, Mainz 1882, S. 459.) Gleichwie sich nun der Sprachlaut von der Bezeichnung der Thätigkeit auf deren Erfolg, auf das davon betroffene Objekt und weiter auf die äußeren Gegenstände überhaupt ausbreitete, so wird auch der Gedanke der Kausalität von der eigenen Thätigkeit des Menschen sich auf Vorgänge in der äußeren Natur ausgedehnt haben, zunächst natürlich auf solche, die – wie z. B. die Wirkungen des Feuers – den menschlichen Bedürfnissen und Zwecken dienstbar gemacht wurden. Die Frage nach dem Ursprung des Kausalitätsbegriffs ist in der That identisch mit der Frage nach der Entstehung allgemeiner Begriffe überhaupt (d. i. des Denkens, der Vernunft, der Sprache), denn man braucht nur den einzelnen Fall einer Succession zweier Vorgänge zu verallgemeinern, die Succession von allen Vorgängen derselben Art auszusprechen, so liegt darin ohne weiteres ihre Notwendigkeit, d. h. die Kausalität, und diese Notwendigkeit wird dann in Gedanken unwillkürlich aus der allgemeinen Regel auf den einzelnen darunter subsumierten Fall übertragen. Bei welchen bestimmten Vorgängen aber eine solche Verallgemeinerung statthaft und richtig ist, läßt sich nur durch Beobachtung und Erfahrung entscheiden oder induktiv beweisen; nirgends ist die Notwendigkeit eines Kausalzusammenhanges a priori zu erkennen (was natürlich auch weder Kant noch Schopenhauer behauptet haben).
§ 2. Schöpfung, Erzeugung, Bewirken einer Veränderung. – Nachdem er so aus dem, was unsere Sinne in den Wirkungen der Körper aufeinander zu entdecken vermögen, die Vorstellung von Ursache und Wirkung gewonnen hat, nämlich daß eine Ursache das ist, wodurch irgend ein anderes Ding, sei es eine einfache Idee, eine Substanz oder ein Modus, dazusein beginnt, und eine Wirkung das, dessen Anfang von einem anderen Dinge herrührt: findet der Geist es nicht besonders schwer, die verschiedenen Ursprungsweisen der Dinge in zwei Klassen zu teilen.
1. Wenn ein Ding ganz von neuem gebildet wird, so daß kein Teil davon jemals vorher existierte; wie wenn ein neues Stoffteilchen, was vorher kein Dasein hatte, in rerum natura zu existieren anfängt; und dies nennen wir Schöpfung.
2. Wenn ein Ding aus Teilchen, die alle schon früher existierten gebildet, aber eben dieses Ding aus den vorher bestehenden Partikeln so zusammengesetzt ist, daß sie, alle miteinander betrachtet, eine Sammlung einfacher Ideen von solcher Art bilden, wie sie vorher noch gar nicht existierte, z. B. dieser Mensch, dieses Ei, diese Rose oder Kirsche etc. Wenn sich dies auf eine in dem gewöhnlichen Laufe der Natur durch ein inneres Prinzip hervorgebrachte Substanz bezieht, welches von einem äußeren Agens oder einer äußeren Ursache empfangen und durch diese in Thätigkeit gesetzt ist, und auf unsichtbare von uns nicht wahrgenommene Weise wirkt, so nennen wir das Erzeugung; wenn die Ursache äußerlich ist, und die Wirkung durch eine sichtbare Trennung oder Zusammenfügung unterscheidbarer Teile hervorgebracht wird, so nennen wir es Anfertigung, und von dieser Art sind alle Kunstprodukte. Wenn irgend welche einfache Idee hervorgebracht wird, die sich an dem davon betroffenen Subjekt vorher nicht befand, so nennen wir das Veränderung. So wird ein Mensch erzeugt, ein Gemälde angefertigt, und beide werden verändert, wenn in jedem von ihnen eine neue, vorher dort nicht befindliche, sinnlich wahrnehmbare Eigenschaft oder einfache Idee hervorgebracht wird; und die vorher dort nicht vorhandenen so zur Existenz gebrachten Dinge sind Wirkungen, die Dinge aber, die auf deren Existenz hinwirkten, sind Ursachen. In diesen und in allen übrigen Fällen Statt causes lies cases. läßt sich erkennen, daß die Vorstellung von Ursache und Wirkung aus Ideen entspringt, die von der Sinneswahrnehmung oder Selbstbeobachtung herrühren, und daß diese Relation, so umfassend sie auch ist, schließlich auf solche hinausläuft. Denn um die Idee von Ursache und Wirkung zu haben, genügt es irgend eine einfache Idee oder Substanz als ihre Existenz durch die Thätigkeit einer anderen beginnend zu betrachten, ohne daß man die Art und Weise dieser Thätigkeit zu kennen brauchte.
§ 3. Relationen der Zeit. – Zeit und Ort sind auch die Grundlagen sehr umfänglicher Relationen, und alle endlichen Wesen wenigstens werden von diesen betroffen. Da ich aber schon an einem anderen Orte gezeigt habe, wie wir zu diesen Ideen gelangen, so mag es hier genügen darauf hinzuweisen, daß die meisten von der Zeit herrührenden Benennungen der Dinge nur Relationen sind. Wenn z. B. jemand sagt, daß die Königin Elisabeth 69 Jahre lebte und 45 Jahre regierte, so bedeuten diese Worte nur das Verhältnis jener Dauer zu einer anderen, und haben mir den Sinn, daß die Dauer ihres Daseins gleich 69, und die Dauer ihrer Regierung gleich 45 jährlichen Umläufen der Sonne gewesen sei, und dasselbe gilt von allen Worten, die auf die Frage »wie lange«? eine Antwort geben. Ferner meint der Satz: »Wilhelm der Eroberer fiel um das Jahr 1066 in England ein«, daß, wenn man die Dauer von der Lebenszeit unseres Heilands bis zur Gegenwart als eine große Zeitlänge betrachte, aus ihm ersichtlich werde, wie weit jener Einfall von deren beiden äußersten Punkten abstehe; und denselben Sinn haben alle eine Zeit bezeichnenden Ausdrücke, die auf die Frage »wann«? antworten; sie zeigen nur den Abstand eines Zeitpunktes von der Epoche einer längeren Dauer, von der aus wir messen, und worauf wir ihn somit als bezogen betrachten.
§ 4. Außer diesen giebt es noch andere die Zeit betreffende Wörter, von denen man gewöhnlich glaubt, daß sie positive Ideen bezeichnen, die sich jedoch bei näherer Überlegung als relative herausstellen; dahin gehören jung, alt etc., die das Verhältnis in sich schließen und andeuten, worin irgend etwas zu einer gewissen Länge der Dauer steht, deren Idee wir im Sinne tragen. So meinen wir, wenn wir in unseren Gedanken die Idee der regelmäßigen Lebensdauer eines Menschen auf 70 Jahre festgestellt haben, und dann jemanden jung nennen, daß sein Alter nur erst einen kleinen Teil des gewöhnlich von den Menschen erreichten ausmache, und wenn wir ihn alt nennen, so meinen wir, daß seine Lebensdauer sich schon beinahe bis an das Ende derjenigen erstrecke, worüber die Menschen gewöhnlich nicht hinauskommen. Wir vergleichen somit nur das diesem oder jenem Menschen eigentümliche Alter oder seine besondere Lebensdauer mit der Idee derjenigen Lebensdauer, die wir als dieser Art von lebenden Wesen gewöhnlich zukommend im Sinne tragen, was aus der Anwendung desselben Namens auf andere Dinge klar wird; denn ein Mensch heißt jung bei zwanzig Lebensjahren und sehr jung bei sieben, während wir doch ein Pferd mit zwanzig und einen Hund mit sieben Jahren alt nennen, weil wir bei jedem von diesen sein Alter mit einer anderen Idee der Dauer vergleichen, die in unserem Geiste als jenen verschiedenen Arten lebender Wesen dem gewöhnlichen Laufe der Natur nach zukommend feststehen. Aber die Sonne und die Sterne nennen wir nicht alt, obgleich sie manche Menschengeneration überdauert haben, weil wir nicht wissen, welche Periode Gott dieser Art von Wesen vorgeschrieben hat. Denn dieser Ausdruck bezieht sich eigentlich auf solche Dinge, die im gewöhnlichen Verlauf der Welt durch einen natürlichen Verfall in einer gewissen Zeitperiode das Ende ihres Daseins erreichen, was wir beobachten und so in unserem Geiste gleichsam ein Normalmaß gewinnen, womit wir die verschiedenen Teile ihrer Dauer vergleichen, und nach deren Verhältnis dazu sie jung oder alt nennen können, was uns für einen Rubin oder Diamanten – Dinge, deren regelmäßige Bestandsdauer wir nicht kennen – unmöglich ist.
§ 5. Relationen des Ortes und der Ausdehnung. – Auch das Verhältnis, in dem die Dinge rücksichtlich ihrer Örter und Entfernungen zu einander stehen, ist sehr leicht zu beobachten, wie: über, unter, eine Meile von Charing-croß entfernt, in England und in London. Aber wie bei der Dauer, so giebt es auch mit Bezug auf die Ausdehnung und Größe gewisse ihrem Wesen nach relative Ideen, die wir mit für positiv geltenden Namen bezeichnen, wie z. B. groß und klein in der That Relationen sind. Denn auch hier setzen wir mit Hilfe der Beobachtung in unserm Geiste die Ideen der Größe von verschiedenen Arten der Dinge nach den uns am häufigsten vorgekommenen Exemplaren fest, und machen diese gleichsam zu Musterstücken, um danach die Größe der anderen zu beurteilen. So nennen wir einen solchen Apfel groß, der die für uns gewöhnliche Sorte von Äpfeln an Größe übertrifft, und ein solches Pferd klein, welches das Maß der Idee nicht erreicht, die in unseren Gedanken regelmäßig dem Pferde zukommt, so daß einem Walliser dasselbe Pferd als groß erscheint, das ein Flamländer für klein hält, weil beide von den verschiedenen Rassen ihrer Länder verschieden bemessene Ideen entnommen haben, womit sie vergleichen, und im Verhältnis wozu sie ein Pferd groß oder klein nennen.
§ 6. Absolute Ausdrücke bezeichnen häufig Relationen. – Ebenso sind schwach und stark nur relative Bezeichnungen einer Kraft im Vergleich mit gewissen Ideen, die wir zur Zeit von einer größeren oder geringeren Kraft haben. So meinen wir, wenn wir von einem schwachen Menschen sprechen, jemanden, der nicht soviel Stärke oder Kraft zu bewegen hat, wie die Menschen oder solche von seiner Größe gewöhnlich besitzen, und darin liegt ein Vergleich seiner Stärke mit unserer Idee von der gewöhnlichen Stärke der Menschen oder so großer Menschen. Gleichermaßen ist »schwach«, wenn wir sagen: »alle Geschöpfe sind schwache Wesen,« nur ein relativer Ausdruck, und bezeichnet das zwischen der Macht Gottes und der seiner Geschöpfe bestehende Mißverhältnis. Und ebenso bezeichnet eine große Menge von Wörtern in der gewöhnlichen Sprache (und vielleicht der größte Teil), die auf den ersten Blick eine solche Bedeutung nicht zu haben scheinen, nur Relationen; z. B. »das Schiff ist mit den nötigen Vorräten versehen.« »Nötig« und »Vorrat« sind beide relative Wörter, indem sich das eine auf die Ausführung der beabsichtigten Reise, das andere auf den zukünftigen Gebrauch bezieht. Wie alle diese Relationen auf Ideen beschränkt sind und hinauslaufen, die aus der Sinneswahrnehmung oder Selbstbeobachtung herstammen, liegt zu sehr auf flacher Hand, als daß es eines weiteren Nachweises bedürfte.