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Einunddreißigstes Kapitel.
Über genaue und ungenaue Ideen.

§ 1. Genaue Ideen sind solche, die ihre Urbilder vollkommen darstellen. – Von unseren realen Ideen sind manche genau (adäquat), und manche ungenau (inadäquat). Genau nenne ich die, welche die Urbilder vollkommen wiedergeben, von denen der Geist sie als entnommen betrachtet, die sie seiner Absicht nach vertreten sollen, und worauf er sie bezieht. Ungenau sind die Ideen, wenn sie die Urbilder, worauf sie bezogen werden, nur teilweise oder unvollständig wiedergeben. Hieraus ergiebt sich deutlich:

§ 2. Die einfachen Ideen sind durchweg genau. – I. Daß alle unsere einfachen Ideen genau sind, weil sie als bloße Wirkungen gewisser Kräfte in den Dingen, die nach göttlicher Einrichtung und Anordnung bestimmte Empfindungen in uns hervorbringen sollen, notwendig diesen Kräften entsprechend und angemessen sein müssen, und wir dessen gewiß sind, daß sie mit der Realität der Dinge übereinstimmen. Denn, wenn der Zucker in uns die Ideen hervorruft, die wir Weiße und Süßigkeit nennen, so sind wir dessen gewiß, daß im Zucker die Kraft diese Ideen in unserm Bewußtsein zu erzeugen, enthalten ist, sonst wären sie von ihm nicht hervorgebracht worden. Und da so jede Empfindung der auf irgend einen unserer Sinne einwirkenden Kraft entspricht, so ist die dadurch hervorgebrachte Idee eine reale Idee (und nicht eine Erdichtung des Geistes, der keine einfache Idee zu erzeugen vermag) und kann nur genau sein, weil sie nur jener Kraft zu entsprechen braucht; deshalb sind alle einfachen Ideen genau. Allerdings werden nur wenige der Dinge, die in uns diese einfachen Ideen hervorbringen, so von uns bezeichnet, als wenn sie bloß deren Ursachen wären, sondern so, als wenn jene Ideen wirklich in ihnen existierten. Denn, wenn auch das Feuer für die Berührung schmerzhaft genannt wird, wodurch seine Kraft bezeichnet wird, in uns die Idee von Schmerz hervorzubringen, so heißt es doch auch hell und warm, als ob Licht und Wärme wirklich etwas mehr im Feuer wären wie eine Kraft, diese Ideen in uns zu erwecken, und deshalb Eigenschaften im Feuer oder des Feuers genannt würden. Weil sie aber in der That nur Kräfte sind, die solche Ideen in uns erregen, so muß es in diesem Sinne verstanden werden, wenn ich von sekundären Eigenschaften als in den Dingen vorhanden spreche, oder von ihren Ideen als Objekten, die sie in uns hervorrufen. Obgleich diese Ausdrucksweise den alltäglichen Begriffen angepaßt ist, ohne die man sich nicht gut verständlich machen kann, so werden damit in Wahrheit doch nur die in den Dingen enthaltenen Kräfte bezeichnet, gewisse Empfindungen oder Ideen in uns hervorzubringen; denn, gäbe es keine zur Aufnahme der Eindrücke, die das Feuer auf das Gesicht und das Gefühl macht, geeigneten Organe und kein mit diesen Organen verbundenes Bewußtsein, welches vermittelst jener von dem Feuer oder der Sonne herrührenden Eindrücke die Ideen von Licht und Wärme empfinge, so würde es ebensowenig Licht und Wärme in der Welt geben wie Schmerz, wenn keine empfindende Wesen da wären, um ihn zu fühlen, obgleich die Sonne ganz in ihrer gegenwärtigen Beschaffenheit fortbestände, und der Berg Ätna höher aufflammte, wie er jemals gethan hat. Solidität und Ausdehnung und deren Begrenzung, die Gestalt nebst Bewegung und Ruhe, wovon wir die Ideen haben, würden thatsächlich in der Welt so dasein, wie sie sind, gleichviel ob es ein empfindendes Wesen gäbe, um sie wahrzunehmen, oder nicht, und wir haben deshalb Grund, sie als die wirklichen Modifikationen der Materie zu betrachten, welche zugleich die erregenden Ursachen aller unserer mannigfachen Wahrnehmungen an den Körpern sind. Da diese Untersuchung indessen nicht hierher gehört, so will ich nicht weiter in sie eintreten, sondern dazu übergehen zu zeigen, welche zusammengesetzte Ideen genau sind, und welche nicht.

§ 3. Die Modi sind alle genau. – II. Da unsere komplexen Ideen von Modi willkürliche Verbindungen einfacher Ideen sind, die der Geist ohne Rücksicht auf irgend welche reale Urbilder oder irgendwo dauernd existierende Muster zusammenfügt, so sind sie genaue Ideen und können nichts anders sein. Denn, weil sie keine Abbilder wirklich existierender Dinge sein sollen, sondern Urbilder, die der Geist aufstellt, um danach die Dinge zu klassifizieren und zu benennen, so können sie keine Mängel haben, vielmehr enthält jede eben die Kombination von Ideen und besitzt somit die Vollkommenheit, die sie unserer Absicht nach haben sollten, so daß der Geist sich bei ihnen beruhigt und nichts in ihnen vermißt. Wenn ich z. ,B. die Idee einer Figur von drei Seiten habe, die in drei Winkeln zusammentreffen, so habe ich eine vollständige Idee und verlange nichts weiter von ihr, um sie vollkommen zu machen. Daß dem Geiste die Vollkommenheit dieser seiner Idee genügt, erhellt daraus, daß er sich nicht denken kann, daß irgend ein Verstand von dem Dinge, welches er, seine Existenz vorausgesetzt, mit dem Worte Dreieck bezeichnet, eine erschöpfendere oder vollkommenere Idee haben oder haben könne, wie er selbst in jener komplexen Idee von drei Seiten und drei Winkeln hat, worin alles enthalten ist, was für dasselbe wesentlich ist oder sein kann, oder zu seiner Vollendung notwendig, wo und wie es immer existieren mag. Anders verhält es sich mit unseren Ideen von Substanzen; denn, während wir hier die Dinge so, wie sie wirklich da sind, zu kopieren, und uns eben die Beschaffenheit vorzustellen wünschen, woraus alle ihre Eigenschaften beruhen, bemerken wir, daß unsere Ideen die beabsichtigte Vollkommenheit nicht erreichen; wir finden, daß ihnen immer noch etwas fehlt, was wir gerne in ihnen entdecken möchten, und daß sie somit alle ungenau sind; gemischte Modi und Relationen aber, die Urbilder ohne Muster sind, und nur sich selber darstellen sollen, können nicht anders als genau sein, weil jedes Ding sich selber entspricht. Wer zuerst die Ideen von der Wahrnehmung einer Gefahr, dem Mangel einer Verwirrung aus Furcht, ruhiger Erwägung, was am besten zu thun sei, und dessen Ausführung, ohne sich dabei stören oder durch die obwaltende Gefahr abschrecken zu lassen, zusammenfügte, der hatte gewiß die aus einer solchen Kombination entstandene komplexe Idee im Sinne, und da sie nach seiner Absicht nichts anderes sein sollte, als was sie ist, und keine anderen einfachen Ideen enthalten sollte, als die sie enthält, so konnte sie auch nur eine genaue Idee sein; und indem er diese in seinem Gedächtnis mit dem ihr beigelegten Namen »Mut« bewahrte, um sie anderen zu bezeichnen, und danach jede Handlung zu benennen, deren Übereinstimmung mit ihr er bemerken würde, hatte er damit ein Muster, woran er die Handlungen je nach ihrer Übereinstimmung mit ihm messen, und wonach er sie benennen konnte. Diese so als ein Muster ausgebildete und aufbewahrte Idee muß notwendig genau sein, da sie sich auf nichts außer ihr selbst bezieht, und aus keiner anderen Quelle entsprungen ist als aus dem Gutdünken und Belieben dessen, der diese Kombination zuerst gemacht hat.

§ 4. Im Vergleich mit gebräuchlichen Namen können Modi ungenau sein. – Freilich kann ein anderer, der nach jenem kommt, und von ihm im Gespräch das Wort »Mut« lernt, sich eine Idee bilden, und ihr den Namen »Mut« geben, die von der abweicht, worauf der erste Urheber dieses Namens ihn anwandte, und die er bei dessen Gebrauch im Sinne hat. Und wenn es in diesem Falle seine Absicht ist, daß seine Idee im Denken mit der Idee des anderen ebenso übereinstimmen solle wie der Name, dessen er sich beim Sprechen bedient, in seinem Laute mit dem des anderen übereinstimmt, von dem er ihn gelernt hat, so kann seine Idee sehr unrichtig und ungenau sein, weil in diesem Falle, wo er die Idee eines anderen Menschen im Denken ebenso zum Muster seiner Idee macht, wie das Wort oder der Laut des anderen beim Sprechen das Muster des seinigen ist, seine Idee insoweit mangelhaft und ungenau ist, wie sie von dem Urbilde und Muster abweicht, worauf er sie bezieht, und was er mit dem dafür gebrauchten Namen ausdrücken und bezeichnen will, einen Namen, der nach seiner Absicht ein Zeichen für die Idee des anderen Menschen (womit er in seinem eigentlichen Gebrauche ursprünglich verbunden ist) und seine eigene als mit jener übereinstimmend sein soll, weshalb letztere, wenn an dieser Übereinstimmung irgend etwas fehlt, mangelhaft und ungenau ist.

§ 5. Deshalb können diese zusammengesetzten Ideen von Modi, wenn sie im Denken auf die Ideen im Geiste eines anderen intelligenten Wesens, die durch die von uns für sie gebrauchten Namen ausgedrückt sind, bezogen werden und ihnen entsprechen sollen, sehr mangelhaft, verkehrt und ungenau sein, weil sie nicht mit dem übereinstimmen, was wir uns als ihr Urbild und Muster denken, und nur in dieser Hinsicht können Ideen von Modi falsch, unvollkommen oder ungenau sein. Aus diesem Grunde sind unsere Ideen von gemischten Modi der Fehlerhaftigkeit mehr ausgesetzt wie irgend welche andere, indessen betrifft dies mehr die geeignete Ausdrucksweise als die rechte Erkenntnis.

§ 6. Die Ideen von Substanzen sind als bezogen auf reale Wesenheiten nicht genau. – III. Was für Ideen wir von Substanzen haben, ist schon oben von mir gezeigt worden. Diese Ideen nun haben in unserm Geiste eine doppelte Beziehung: 1. Zuweilen beziehen sie sich auf ein vorausgesetztes wirkliches Wesen jeder Art von Dingen. 2. Zuweilen sollen sie nur Abbildungen und Darstellungen existierender Dinge im Bewußtsein mit Hilfe von Ideen der in ihnen zu entdeckenden Eigenschaften sein. So wie so sind diese Kopien jener Originale und Urbilder unvollkommen und ungenau.

Erstens pflegen die Menschen die Namen von Substanzen an die Stelle von Dingen zu setzen, denen sie gewisse reale Wesenheiten zuschreiben, wodurch sie dieser oder jener Art angehören, und da Namen nur die im Bewußtsein der Menschen befindlichen Ideen vertreten, so müssen sie ihre Ideen beständig auf solche reale Wesenheiten als auf ihre Urbilder beziehen. Daß die Menschen (namentlich die in der Gelehrsamkeit dieses Weltteils erzogenen) gewisse specifische Wesenheiten von Substanzen voraussetzen, denen entsprechend jedes Individuum in deren verschiedenen Arten gebildet ist und woran es teil hat, bedarf so wenig eines Beweises, daß es seltsam erscheinen würde, wenn jemand es anders machte. Und so legen sie die Gattungsnamen, denen sie besondere Substanzen unterordnen, gewöhnlich Dingen bei, insofern sie durch solche specifische reale Wesenheiten unterschieden seien. Wer würde es wohl nicht übelnehmen, wenn man den Zweifel äußerte, ob er sich nicht selbst in irgend einem anderm Sinne einen Menschen nenne, als insofern er das wirkliche Wesen eines Menschen habe? Und doch, wenn man fragt, worin jene realen Wesenheiten bestehen, so erhellt, daß die Menschen das nicht wissen und sie nicht kennen. Daraus folgt, daß die Ideen, die sie im Sinne haben, weil sie auf reale Wesenheiten als unbekannte Urbilder bezogen werden, so weit davon entfernt sind, genau zu sein, daß sie überhaupt nicht für irgend welche Darstellung derselben gelten können. Unsere zusammengesetzten Ideen von Substanzen sind, wie gezeigt worden, gewisse Sammlungen einfacher Ideen, deren beständiges Zusammenbestehen beobachtet worden ist oder vorausgesetzt wird. Allein solch eine zusammengesetzte Idee kann nicht das wirkliche Wesen einer Substanz sein, denn dann würden die von uns an jenem Körper entdeckten Eigenschaften auf jener zusammengesetzten Idee beruhen, und sich von ihr ableiten lassen, und deren notwendige Verbindung mit ihr würde bekannt sein; gleichwie alle Eigenschaften eines Dreiecks auf der komplexen Idee dreier einen Raum einschließenden Linien beruhen, und, soweit sie zu entdecken sind, aus dieser abgeleitet werden können. Es ist jedoch klar, daß in unseren komplexen Ideen von Substanzen keine solche Ideen enthalten sind, worauf alle anderen ihnen anhaftenden Eigenschaften beruhten. Die gewöhnliche Idee, die man vom Eisen hat, ist die eines Körpers von einer gewissen Farbe, Schwere und Härte, und eine Eigenschaft, die man ihm zuschreibt, ist die Dehnbarkeit. Diese Eigenschaft aber steht in keinem notwendigen Zusammenhange mit jener komplexen Idee oder irgend einem ihrer Teile, und wir haben nicht mehr Grund zu denken, daß die Dehnbarkeit auf jener Farbe Schwere und Härte beruhe, als daß jene Farbe oder Schwere von der Dehnbarkeit abhänge. Dennoch ist, obgleich wir von diesen realen Wesenheiten nichts wissen, nichts gewöhnlicher, als daß die Menschen die Artcharaktere der Dinge solchen Wesenheiten zuschreiben. Der eigentümliche Stoffteil, woraus der Ring an meinem Finger besteht, hat, wie die meisten Menschen unbedenklich annehmen, eine reale Wesenheit, wodurch er Gold ist, und woraus die an ihm bemerkbaren Eigenschaften entfließen, nämlich seine eigentümliche Farbe, Schwere, Härte, Schmelzbarkeit, Feuerbeständigkeit und der Farbenwechsel bei einer leichten Berührung mit Quecksilber etc. Wenn ich diese Wesenheit, woraus alle jene Eigenschaften fließen, näher untersuche und ihr nachforsche, so wird mir klar, daß ich sie nicht entdecken kann; das Äußerste, wozu ich gelangen mag, ist die Vermutung, daß, da ich es nur mit einem Körper zu thun habe, dessen wirkliches Wesen oder innere Beschaffenheit, wovon seine Eigenschaften abhängen, nur die Gestalt, Größe und Verbindung seiner soliden Teile sein könne; da ich aber keine hievon irgendwie deutlich wahrzunehmen vermag, wie kann ich denn eine Idee von seiner Wesenheit haben, die es verursacht, daß er jene eigentümliche glänzendgelbe Farbe, ein größeres Gewicht als etwas mir sonst Bekanntes von demselben Umfang und das Vermögen hat, daß seine Farbe sich bei der Berührung mit Quecksilber ändert? Wenn jemand behaupten wollte, das wirkliche Wesen und die innere Beschaffenheit, worauf jene Eigenschaften beruhen, seien nicht die Figur, Größe und Anordnung oder Verbindung seiner soliden Teile, sondern etwas anderes, was man seine eigentümliche Form nenne, so bin ich noch weiter als vorhin davon entfernt, eine Idee von seinem wirklichen Wesen zu haben, denn von der Gestalt, Größe und Lage solider Teile im allgemeinen habe ich eine Idee, wenn auch nicht von der eigentümlichen Gestalt, Größe oder Zusammenstellung von Teilen, wodurch die oben erwähnten Eigenschaften hervorgebracht werden, die ich in dem eigentümlichen Stoffteil an meinem Finger vorfinde, nicht aber in dem anderen Stoffteil, womit ich meine Schreibfeder zuschneide. Wird mir aber gesagt, daß etwas außer der Gestalt, Größe und Stellung der soliden Teile jenes Körpers dessen Wesen ausmache, etwas, was man substantielle Form nenne, so muß ich gestehen, daß ich hievon überhaupt keine Idee habe, sondern nur von dem Wortlaut »Form«, der von einer Idee seiner wirklichen Wesenheit oder inneren Beschaffenheit weit genug entfernt ist. In derselben Unwissenheit, worin ich mich über das wirkliche Wesen dieser besonderen Substanz befinde, bin ich auch dem wirklichen Wesen aller anderen natürlichen Substanzen gegenüber befangen, von deren Wesenheiten ich gestehe überhaupt keine deutlichen Ideen zu haben, und ich neige mich zu der Annahme, daß andere, wenn sie ihr Wissen prüfen, in diesem einen Punkte dieselbe Art von Unwissenheit in sich finden werden.

§ 7. Wenn nun also die Menschen auf dieses eigentümliche Stück Stoff an meinem Finger einen bereits gebräuchlichen allgemeinen Namen anwenden und es Gold nennen, geben sie ihm dann nicht – oder nimmt man nicht an, sie gäben ihm – diesen Namen, weil er einer besonderen Art von Körpern mit einer realen inneren Wesenheit zukomme, durch deren Besitz diese besondere Substanz jener Art angehöre und auf den ihr gegebenen Namen Anspruch habe? Wenn es sich so verhält, wie offenbar der Fall ist, so muß der Name, wodurch die Dinge als solche bezeichnet werden, denen jene Wesenheit zukomme, zunächst und hauptsächlich auf diese Wesenheit bezogen werden, folglich muß auch die Idee, der jener Name gegeben wird, ebenfalls auf jene Wesenheit bezogen werden, und zu ihrer Darstellung bestimmt sein. Und weil die, welche die Namen so gebrauchen, jene Wesenheit nicht kennen, so müssen ihre Ideen von Substanzen in dieser Hinsicht alle ungenau sein, weil sie jene reale Wesenheit nicht enthalten, die sie nach der Absicht der Redenden enthalten sollten.

§ 8. Die Ideen von Substanzen sind als Sammlungen ihrer Eigenschaften alle ungenau. – Zweitens kommen zwar diejenigen, die mit Beiseitesetzung jener nutzlosen Annahme unbekannter realer Wesenheiten, wodurch sie unterschieden seien, die in der Welt existierenden Substanzen zu kopieren versuchen, indem sie die Ideen der sinnlichen Eigenschaften zusammenfügen, die sich als nebeneinander bestehend in ihnen vorfinden, einem Ebenbilde derselben weit näher als die, welche sich einbilden, ich weiß nicht was für reale specifische Wesenheiten zu kennen, aber auch sie gelangen nicht zu vollkommen genauen Ideen der Substanzen, wovon sie so Kopien in ihr Bewußtsein aufnehmen möchten, und diese Kopien enthalten nicht genau und vollständig alles, was in ihren Urbildern zu finden ist, weil die Eigenschaften und Kräfte der Substanzen, woraus wir ihre komplexen Ideen bilden, so zahlreich und mannigfaltig sind, daß die komplexe Idee keines Menschen sie alle enthält. Daß unsere abstrakten Ideen von Substanzen nicht alle in den Dingen selbst vereinigten einfachen Ideen enthalten, ist einleuchtend, indem die Menschen selten in ihre komplexe Idee irgend einer Substanz alle die einfachen Ideen aufnehmen, von denen sie wissen, daß sie in ihr existieren. Da sie bemüht sind, die Bedeutung ihrer Namen so klar und so wenig schwerfällig wie möglich zu machen, so bilden sie ihre specifischen Ideen der Substanzarten meistens nur aus einigen wenigen der in ihnen zu findenden einfachen Ideen; weil aber diese keinen ursprünglichen Vorrang oder kein Recht dazu haben, eher als andere ausgelassene aufgenommen zu werden und die specifische Idee auszumachen, so ist klar, daß auch auf diesem zweiten Wege unsere Ideen von Substanzen mangelhaft und ungenau werden. Die einfachen Ideen, woraus wir unsere zusammengesetzten von Substanzen bilden, sind (mit alleiniger Ausnahme der Gestalt und Größe gewisser Arten) sämtlich Kräfte, und da diese Verhaltungsweisen zu anderen Substanzen sind, so können wir niemals gewiß sein, daß wir alle in irgend einem Körper liegenden Kräfte kennen, bis wir versucht haben, welche Veränderungen er bei ihren mannigfachen Berührungsweisen in anderen Substanzen zu bewirken, oder von ihnen zu erleiden vermag; und da es unmöglich ist, diesen Versuch auch nur mit einem Körper durchzuführen, viel weniger mit allen, so ist es für uns nicht möglich, von irgend einer Substanz eine genaue aus einer Sammlung aller ihrer Eigenschaften bestehende Idee zu haben.

§ 9. Wer zuerst auf ein Stück von der Substanzart stieß, die wir mit dem Worte »Gold« bezeichnen, konnte vernünftigerweise nicht annehmen, daß die an jenem Klumpen von ihm wahrgenommene Größe und Figur auf dessen wirklichem Wesen oder seiner inneren Beschaffenheit beruhe. Diese fanden deshalb niemals Aufnahme in seine Idee von dieser Körperart, vielmehr wurden vielleicht deren eigentümliche Farbe und Schwere zuerst davon abstrahiert, um die zusammengesetzte Idee dieser Art zu bilden. Beide sind nur Kräfte, die einen, auf unsere Augen so einzuwirken, daß Statt and to produce lies as to produce. die von uns gelb genannte Idee in uns entsteht, und die andere, irgend einen anderen Körper von gleicher Größe emporzuheben, wenn beide gegeneinander in ein Paar im Gleichgewicht stehender Wagschalen gelegt werden. Diesen fügte jemand anders vielleicht die Ideen von Schmelzbarkeit und Feuerbeständigkeit hinzu, zwei andere passive Kräfte gegenüber der Einwirkung des Feuers auf den Stoff; ein anderer seine Dehnbarkeit und Lösbarkeit in aqua regia, zwei andere Kräfte gegenüber der Bewirkung einer Veränderung seiner äußeren Gestalt oder seiner Zertrennung in unsichtbare Teile durch andere Körper. Diese oder ein Teil davon machen zusammen genommen gewöhnlich in den Gedanken der Menschen die komplexe Idee der Körperart aus, die wir Gold nennen.

§ 10. Niemand aber, der die Eigenschaften der Körper im allgemeinen oder dieser Art insbesondere beobachtet hat, kann bezweifeln, daß dies sogenannte Gold unzählige andere Eigenschaften hat, die in jener zusammengesetzten Idee nicht enthalten sind. Manche, die diese Art genauer untersucht haben, könnten, glaube ich, zehnmal so viele Eigenschaften des Goldes aufzählen, die alle von seiner inneren Beschaffenheit ebenso untrennbar wären wie seine Farbe oder Schwere, und wenn einer alle Eigenschaften, die verschiedenen Leuten von diesem Metall bekannt sind, wüßte, so würden wahrscheinlich hundertmal so viele Ideen zu der komplexen Idee des Goldes gehören, wie irgend jemand in der seinigen zusammengefaßt hat, und das doch vielleicht noch nicht der tausendste Teil der darin zu entdeckenden sein. Denn die Veränderungen, die dieser eine Körper bei gehöriger Anwendung imstande ist, durch andere Körper zu erleiden Statt to receive lies to receive from. und in ihnen zu bewirken, übertreffen bei weitem nicht nur, was wir davon wissen, sondern auch, was wir uns vorstellen können. Dies wird dem nicht allzu paradox erscheinen, der erwägen will, wie weit wir noch davon entfernt sind, alle Eigenschaften der einen nicht sehr zusammengesetzten Figur des Dreiecks zu kennen, obgleich die Anzahl der von den Mathematikern schon daran entdeckten nicht gering ist.

§ 11. Der englische Text wiederholt hier das Rubrum von § 8 Somit sind alle unsere zusammengesetzten Ideen von Substanzen unvollkommen und ungenau, und es würde sich mit den mathematischen Figuren ebenso verhalten, wenn wir unsere komplexen Ideen von ihnen nur dadurch erhielten, daß wir ihre Eigenschaften mit Bezug auf andere Figuren zusammenbrächten. Wie unsicher und unvollkommen würde unsere Idee einer Ellipse sein, wenn wir keine anderen Ideen von ihr hätten, als einige wenige ihrer Eigenschaften. Weil dagegen das ganze Wesen dieser Figur in unserer klaren Idee derselben enthalten ist, so entdecken wir von da aus ihre Eigenschaften, und erkennen durch Demonstration, wie sie von ihr abzuleiten und untrennbar sind.

§ 12. Die einfachen Ideen sind έχτυπα (Abdrücke) und genau. – Der Geist hat also drei Arten abstrakter Ideen oder nomineller Wesenheiten:

I. Einfache Ideen, die έχτυπα oder Kopien, aber dennoch sicherlich genau sind, weil sie nichts ausdrücken sollen als die Kraft der Dinge, in unserem Bewußtsein eine gewisse Wahrnehmung hervorzurufen, und diese Wahrnehmung, wenn sie entsteht, nur die Wirkung jener Kraft sein kann. Da z. ,B. das Papier, worauf ich schreibe, die Kraft hat, im Lichte (ich gebrauche das Wort Licht hier in seinem gewöhnlichen Sinne) in den Menschen die Wahrnehmung, die ich »weiß« nenne, hervorzubringen, so kann diese nur die Wirkung solch einer Kraft in etwas außerhalb des Bewußtseins Liegendem sein, weil der Geist nicht die Kraft hat, irgend eine solche Idee in ihm selber hervorzubringen, und wenn sie für nichts weiter gelten soll als für die Wirkung einer solchen Kraft, so ist jene einfache Idee real und genau; weil die Wahrnehmung des Weißen in meinem Bewußtsein die Wirkung jener in dem Papier enthaltenen Kraft zu ihrer Hervorbringung ist, so entspricht sie vollkommen genau dieser Kraft, sonst würde letztere eine andere Idee hervorbringen.

§ 13. Ideen von Substanzen sind ungenaue έχτυπα.– II. Auch die zusammengesetzten Ideen von Substanzen sind ectypa, Kopien, aber nicht vollkommene, nicht genaue, was für den Geist sehr einleuchtend ist, indem er klar erkennt, daß er bei keiner Sammlung einfacher Ideen, die er sich von irgend einer existierenden Substanz bildet, sicher sein kann, daß sie genau allen in jener Substanz enthaltenen entspreche. Denn, da er nicht alle Einwirkungen aller anderen Substanzen auf jene ausprobiert und alle Veränderungen ermittelt hat, die sie durch andere Substanzen erleiden oder in anderen bewirken würde, so kann er keine genau entsprechende Sammlung aller ihrer aktiven und passiven Fähigkeiten und folglich keine genaue komplexe Idee der Kräfte irgend einer existierenden Substanz und ihrer Relationen haben, worin das Wesen unserer komplexen Ideen von Substanzen besteht. Und selbst wenn wir in unserer zusammengesetzten Idee eine genaue Sammlung aller sekundären Eigenschaften oder Kräfte irgend einer Substanz haben wollten und wirklich hätten, würden wir damit doch keine Idee von dem Wesen jenes Dinges haben. Denn, da die für uns wahrnehmbaren Kräfte oder Eigenschaften nicht die reale Wesenheit jener Substanz ausmachen, sondern auf dieser beruhen und aus ihr entspringen, so kann keine wie immer beschaffene Sammlung dieser Eigenschaften das reale Wesen des Dinges darstellen. Daraus erhellt, daß unsere Ideen von Substanzen nicht genau und nicht das sind, was sie unserer Absicht nach sein sollten. Außerdem hat niemand eine Idee von Substanz im allgemeinen, und keiner weiß, was Substanz an und für sich selbst ist.

§ 14. Die Ideen von Modi und Relationen sind Urbilder, und können nur genau sein. – III. Zusammengesetzte Ideen von Modi und Relationen sind Originale und Urbilder: sie sind keine Kopien und nicht nach dem Muster irgend einer realen Existenz gebildet, der sie nach der Absicht unseres Geistes angemessen und genau entsprechend sein sollten. Da sie aus solchen Sammlungen einfacher Ideen bestehen, die der Geist selbst zusammenfügt, und von denen jede genau das in sich schließt, was sie nach der Absicht des Geistes enthalten sollte, so sind sie Urbilder und Wesenheiten von Modi, die existieren können; sie sind somit nur für solche Modi bestimmt und kommen nur solchen zu, die, wenn sie existieren, mit jenen komplexen Ideen genau in Übereinstimmung stehen. Deshalb können die Ideen von Modi und Relationen nicht ungenau sein.


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