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Neunundzwanzigstes Kapitel.
Die Tibeter treiben uns mit starker Kavallerie zurück.

Im Lager starb einer der Kamelveteranen, der die Wüstenwanderungen mitgemacht hatte; sein Gerippe wird als ein Andenken an unseren Besuch wohl noch dort liegen.

Wir zogen weiter, um den Selling-tso auf der Westseite zu umgehen; 63 Tibeter folgten uns. Der alte Häuptling bestürmte mich noch immer vergeblich mit Bitten und drohte mit unübersehbaren Heerscharen, die mich bald im Ernste zurücktreiben würden. Ich antwortete ihm nur, daß uns dies nicht kümmern würde, auch wenn er zehntausend Mann aufböte. Mit einer Handbewegung, als ob er das Spiel verloren gäbe, sagte er nun, er beabsichtige, uns unserem Schicksale zu überlassen und nach seinen Zelten im Nordwesten zurückzukehren; dazu konnte ich ihm nur von Herzen glückliche Reise wünschen. Die Schar zog denn auch ab, und es war wirklich schön, in Ruhe gelassen zu werden.

Am Westufer mündete ein kristallklarer Fluß, den wir ohne Schwierigkeit durchwateten. Unzählige Möwen verrieten, daß er Fische enthielt, und Wildenten waren hier auch nicht knapp; die Kosaken schossen einige. Einen so herrlichen Lagerplatz konnten wir nicht verlassen, sondern schlugen auf dem rechten Ufer das Lager auf und zwar da, wo der Fluß sich in den Salzsee ergießt.

Kaum waren wir in Ordnung, da sahen wir schwarze Reiterscharen von den Bergen im Norden herabgaloppieren; diesmal brachten sie eine Menge Packpferde mit. Sie hatten sich verproviantiert, als handelte es sich darum, sich auf einen längeren Feldzug vorzubereiten. Sie überschritten den Fluß und jagten in wildem Laufe an uns vorbei, vor, hinter und zwischen unseren Zelten hindurch, als wollten sie uns überschwemmen und zerstampfen. Sie schwangen mit Geheul ihre Speere, taten aber dabei, als bemerkten sie uns gar nicht; sie würdigten uns keines Blickes und sausten wie ein Wirbelwind, eine stäubende Lawine, vorbei. Mit ihren hübschen Sätteln, den weißroten Fähnlein, die an den Antilopenhörnern der Gabelflinten flatterten und den silbernen Säbelscheiden gewährten sie einen Anblick, um den mich ein Schlachtenmaler hätte beneiden können.

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»… und jagten dann in wildem Laufe vor, hinter und zwischen den Zelten durch, als wollten sie uns niederreiten!«

Jetzt folgte eine unerwartete Szene. Sie sammelten sich bei ihrem Lager, das nur 100 Meter von dem unseren entfernt war, in kleinen Gruppen um ihre Offiziere, die ihnen die Flinten erklärten. Von Zeit zu Zeit stießen sie alle auf einmal ein seltsames Geschrei aus. Darauf wurden alle Flinten geladen und in einer Linie, die Mündungen uns zugekehrt, auf die Gabeln gelegt. Das Lager der Tibeter befand sich auf einem kleinen Hügel, von dem aus sie das unsere völlig beherrschten, und die Kosaken fragten sich, ob sie uns über Nacht einem mörderischen Feuer auszusetzen gedächten.

Um die Sachlage überblicken zu können, ging ich, als es dunkel geworden war, mit Schagdur und dem Lama nach dem Zelte des Häuptlings, das sich sofort mit Offizieren füllte. Hier verlebten wir einen wirklich gemütlichen Abend miteinander. Ich versprach schließlich, den nächsten Tag noch hier am Ufer des Jaggju-rappga zu bleiben, wenn mir die Tibeter frühmorgens einen Fisch ins Zelt brächten. Sie hatten nämlich versichert, daß der Fluß reich an Fischen sei, und ich konnte mir das Vergnügen nicht versagen, einige zu fangen – sie würden eine erwünschte Abwechslung in unseren einförmigen Speisezettel bringen und mehrere meiner Leute, die Fischer vom unteren Tarim waren, würden sich sehr darüber freuen. Sie hatten ja auch einige Netze aus Abdall mitgenommen.

Der Tag graute kaum, als schon einige Tibeter mit einem erbärmlich kleinen Fische triumphierend an mein Zelt kamen. Sie selbst verschmähen Fische und sagen, ebensogut könne man Eidechsen und Schlangen essen. Es hatte ihnen daher unendliche Mühe gemacht, ihren jämmerlichen Fisch zu erwischen, und wie sie sagten, wären sie dabei beinahe umgekommen. Eine Möwe, die gerade ihre Beute gefangen, hatte ihnen geholfen; sie hatten sie mit Steinwürfen gezwungen, ihren Raub fahren zu lassen, – so war es, nach der Versicherung unserer Nachtwachen, bei dem Fischfange zugegangen.

Jetzt wollten wir ihnen zeigen, wie man Fische fängt. Das Boot wurde zusammengesetzt und die Netze unterhalb eines kleinen Wasserfalls ausgelegt; ich und Ördek manövrierten und im Handumdrehen hatten wir 28 schöne Fische, während die Kosaken, die von den Ufern herab angelten, nicht weniger Glück hatten. Die schwarzen Tibeter, die, Krähen vergleichbar, auf den Böschungen hockten, waren ganz Auge, konnten aber nicht begreifen, wie man etwas so Abscheuliches wie Fische essen könne.

Der Tag war herrlich und die Gegend entzückend. Ich lebte gut acht Tage nur von Fischen. Doch es gab hier auch Enten in Menge, am Ufer des Selling-tso aber hielten sich große Scharen von Wildgänsen auf. Auf den Steppen weideten Kulane und Orongoantilopen. Über der wilden, zerrissenen Bergkette, die wir unmittelbar südlich hatten, kreisten Adler, vor denen die niedlichen Bergtauben keine Furcht zeigten.

Am Abend besuchte mich der Bombo mit dreißig Mann in meinem Zelte und schenkte mir zwei Schafe und zwei Kübel Milch. Wir zeigten ihm jetzt alle unsere Sehenswürdigkeiten, und er war über die Geschenke, einen Revolver, eine Schere, ein Messer und ein Stück Zeug, die er von mir erhielt, entzückt.

Am Tage darauf ritten wir durch ein imposantes Felsentor am Ufer des Selling-tso nach Süden weiter. Ich ritt gerade voraus, als zwei Leute in gestrecktem Galopp zu mir heransprengten, um mir zu melden, daß Kalpet sehr krank geworden sei. Schlecht ging es ihm schon mehrere Tage, aber er hatte noch immer guten Appetit gehabt. Jetzt fand ich ihn mehr tot als lebendig auf einer am Boden ausgebreiteten Filzdecke liegen. Seine Augen hatten einen intensiv glänzenden, aber gläsernen Ausdruck, seine eingefallenen Wangen waren gelb und die Lippen weißgrau. Sofort machten wir Halt, und eines der Zelte wurde als Krankenhaus eingerichtet. Über das Land jagte eine so heftige Sturmbö, daß unsere leichten Behausungen fortzufliegen oder von Hagel und Regen zusammengedrückt zu werden drohten. Wieder sah es bei uns trübe und traurig aus, der Tod war in der Karawane zu Gaste. Der alte Mohammed Tokta, der die Kamele so treu besorgen half, ist ebenfalls Patient in dem improvisierten Krankenhause. Sein ganzer Leib hatte schon angefangen, aufzuschwellen, und in den Fingern hatte er das Gefühl verloren.

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Kulan.

Die Nacht verlief jedoch ruhig, und am Morgen unterhielt ich mich eine Weile mit Kalpet. Er hielt sich für ernstlich krank und beklagte sich jetzt darüber, daß einer der Kameraden ihn vor ein paar Tagen geschlagen habe. Der arme Mann war die ganze Zeit über so still für sich allein umhergegangen und machte nun den Eindruck eines von Gott und Menschen Verlassenen, hoffnungslos Einsamen. Während ich ihn zu trösten und ihm Mut und Hoffnung einzuflößen versuchte, umnebelte sich sein Bewußtsein, und er starrte stumm in eine unbekannte Ferne. Ich wäre gern geblieben, aber hier gab es weder Wasser noch Gras, und wir beschlossen, einen besseren Lagerplatz aufzusuchen. Kalpet wurde bequem auf sein Kamel gebettet, Mohammed Tokta auf sein Pferd, das er selbst lenken konnte, gehoben, und dann brach der Zug beim dumpfen Klange der Karawanenglocken auf.

Von einer kleinen Paßschwelle aus erblickten wir die herrlichste Landschaft, die wir bisher in Tibet gesehen hatten. Ein See mit dunkelblauem, kristallhellem Wasser lag eingebettet zwischen malerischen Bergketten. Nach allen Seiten hin öffneten sich großartige phantastische Aussichten tief hinein in dunkle Fjorde und Buchten, über welche regenschwere Wolken ihre Schatten warfen, während kleine wilde Felseneilande sich noch im Sonnenlichte badeten. Hier und dort fielen die Felsen steil nach dem See Nakktsong-tso ab. Erst nachdem die Kosaken rekognosziert hatten, konnten wir längs der Felsen des Nordufers nach Osten weiter ziehen, da die Tibeter uns keine Auskunft über den Weg hatten geben wollen.

Wir marschierten an einer gewaltigen Bucht entlang. Kalpet hatte ein paarmal um Wasser gebeten und gerufen, sein Kamel laufe zu schnell. Als er aber eine Stunde still geblieben war, machte die Ambulanz, die den Nachtrab der Karawane bildete, Halt. Wir wollten den Kranken umbetten. Es war nicht mehr nötig, denn Kalpet war schon tot und kalt, und seine Augen hatten ihren Glanz verloren. Nachdem der Mollah sie ihm zugedrückt hatte, setzte die Karawane unter Glockenklang ihren Weg fort. Die Muselmänner hatten wie gewöhnlich gesungen, um sich den einförmigen Marsch zu erleichtern, jetzt aber wurde es so still wie in einem Grabe. Am inneren Teile der Bucht schlugen wir in der Nähe eines aus mehreren schwarzen Zelten bestehenden Nomadendorfes unser Lager auf.

Der Beerdigungstag, der 12. September, brach mit hellem Sonnenscheine an, und in dem frischen Seewinde plätscherten die Wellen melodisch und metallisch klingend an das Ufer. Die Mohammedaner hatten mich gebeten, ihren Glaubensgenossen unter den üblichen Zeremonien beerdigen zu dürfen. Nach einem der Zelte, in welchem Kalpets Leiche die Nacht über gestanden und zwei Mann im Lande der Ungläubigen die Leichenwache gehalten hatten, begaben sich jetzt Ördek, Mollah Schah und Hamra Kul, um den Toten zu waschen und ihn in weiße Laken zu hüllen. Dabei hatten sie sich das Gesicht, außer den Augen, mit Binden umwickelt, um die Leichenluft nicht direkt einatmen zu müssen. Draußen saß Rosi Mollah, der Priester, und las laut aus dem Koran vor.

Dann wurde der Tote auf eine Kamelleiter gelegt und von seinen Kameraden nach dem in der Nähe liegenden Grabe getragen und in dessen Schoß hinabgesenkt. Dabei hielt der Mollah mit flüsternder Stimme, als sollte ihn nur der Tote hören, folgende Rede: »Du bist ein rechtschaffener, rechtgläubiger Mohammedaner gewesen, du hast nie einem von uns etwas zuleide getan, wir vermissen dich und beweinen dein Hinscheiden, du hast Tura (deinem Herrn) treu und redlich gedient.«

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Kalpets Beerdigung.

Die Kamelleiter wurde über das Grab gelegt, über sie eine Filzdecke gebreitet und dann über dem Ganzen ein Hügel aufgeschüttet. Ein vergängliches Denkmal von Erdschollen und Steinen wurde am Kopfende aufgetürmt, worauf die Mohammedaner sich um das Grab herumsetzten, die Handflächen in Gesichthöhe erhoben und Gebete murmelten. Dann kehrten wir von dem bitteren Ernste des Todes zu den kleinlichen Sorgen des Alltagslebens zurück, beluden unsere Kamele und brachen wieder auf. Ein unbekanntes Grab in einem fremden Lande; die Nomaden treiben ihre Herden darüber hin, und in den Winternächten heulen die Wölfe in der Nachbarschaft.

Die Tibeter, die unserem Vorhaben aus respektvoller Entfernung zuschauten, fanden gewiß, das Ganze sei höchst unpassend und unnötig, und fragten, weshalb wir die Leiche nicht lieber den Wölfen, Geiern und Raben hingeworfen hätten. So machen sie es nämlich, wie wir bei einer späteren Gelegenheit sehen sollten.

Hell und lächelnd verscheuchte der Tag die traurige Erinnerung des Morgens, und wieder entrollte die Erde, auf deren Oberfläche wir ein so flüchtiges, unsicheres Dasein führen, vor uns eine ihrer schönsten Landschaften. Die Tibeter waren uns dicht auf den Fersen, als wir noch ein stattliches Felsentor passierten, hinter dem sich uns nach Süden hin eine weite Landschaft öffnete. In der Ferne waren eine Gruppe schwarzer und zwei weiße Zelte sichtbar. Als wir an ihnen vorbeiritten, sprengte eine Reiterschar heran, um mir zu verkünden, daß zwei hohe Herren aus Lhasa angelangt seien und mich um eine Unterredung bitten ließen; sie hätten direkt vom Dalai-Lama Befehle und ersuchten mich, auf jeden Fall in ihrer Nähe zu lagern.

Wir brauchten nur ein paar Minuten zu warten, als zwei vornehme Häuptlinge aus den weiß-blauen Zelten traten und zu Pferd stiegen, worauf jedes der beiden Pferde von vier Fußgängern zu mir, der ich noch immer im Sattel saß, am Zügel herangeführt wurde. Sie sahen außerordentlich freundlich und jovial aus und baten mich zunächst darum, ich möchte doch in ihrer Nähe lagern, worauf ich nach einigem Zögern einging.

Nachdem wir mit allem in Ordnung waren, dauerte es mir aber doch zu lange zu warten, bis die beiden rotgekleideten Gesandten etwas von sich hören lassen würden. Ich schickte deshalb den Lama mit dem Bescheid zu ihnen, daß wir wieder aufbrechen würden, wenn sie sich nicht sputeten. Sie erschienen darauf sofort mit großem Gefolge und traten mit verbindlichem Gruße in das Küchenzelt ein, das für die Audienz mit einem bunten Teppiche aus Chotan und einer mit einer Decke belegten Kiste, die als Tisch dienen sollte, geschmückt worden war. Hier ließen wir uns nieder, während sich draußen vor dem Zelte ein ganzer Wald von Tibetern zusammendrängte.

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Tibetische Schützen.

Die beiden Gesandten des Dalai-Lama waren die Statthalter von Namru und Nakktsong, zugleich aber auch, wie sie durchfließen ließen, Mitglieder des Dewaschung, des Heiligen Rates in Lhasa, und sie waren hierher geschickt, um meinem Vorrücken ein Ende zu machen. Sie hießen Hladsche Tsering und Junduk Tsering. Wir verhandelten stundenlang, wobei Schereb Lama als Dolmetscher diente. Es war nicht meine Absicht, noch länger wider den Stachel zu locken, ich hatte für diesmal genug von Tibet und sehnte mich nach Hause, wollte aber Spaßes halber noch eine Weile mit den Herren disputieren. Sie sagten, ich dürfe keinen Schritt weiter nach Süden, und wenn wir dennoch weiterrückten, würden sie oder wir es mit dem Leben büßen; Millionen Soldaten würden mich hindern und jedes Kamel meiner Karawane würde von einem Tibeterhaufen festgehalten werden. Sie schrien, schwitzten und gestikulierten, aber ich blieb ruhig, lachte und sagte, höhere Mächte würden uns beschützen und wenn die Tibeter uns nicht vom Leibe blieben, würde es ihnen heiß um die Ohren werden.

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Die Gesandten des Dalai-Lama.

»Das macht nichts«, antworteten sie, »wir werden auf jeden Fall geköpft, wenn wir euch durchlassen; wir haben spezielle Befehle aus Lhasa.«

»Zeigt sie mir, so verspreche ich, von hier nach Ladak zu gehen«, erwiderte ich.

Jetzt wurde folgendes interessantes Dokument, das ich wortgetreu übersetze, vorgelesen. Es lautete:

»Im Jahre der eisernen Kuh, im sechsten Monate, am 21. Tage. Dieses Schreiben soll den beiden Gouverneuren von Nakktsong zu Händen kommen. Es ist vom Dewaschung und wird mit der Post befördert. Im siebenten Monate, am 22. Tage, muß es angelangt sein.

»Im Jahre der eisernen Kuh, im sechsten Monate, am 19. Tage ist hier von dem Gouverneur von Nakktschu ein Schreiben angekommen, daß der Sekretär des Mongolen Tsange Chutuktu, der Lama Sandsche, nebst mehreren Pilgern die Wallfahrt nach Dscho-mitsing in Hamdung gemacht hat und er sowohl wie Tugden Dardsche dem Gouverneur von Nakktschu (also Kamba Bombo) gewisse Mitteilungen gemacht haben.

»Der Gouverneur von Nakktschu hat seinerseits dem Dewaschung folgende Mitteilungen gemacht. Tsanges Sekretär hatte gesagt, daß er um die Zeit, als er sich auf den Weg gemacht, europäische Männer gesehen habe und eine Strecke weit in ihrer Gesellschaft gereist sei. Nachdem sie eine Menge Kleidungsstücke gekauft, seien sie weitergezogen. Im Basare habe er zwei Russen gesehen. ›Wohin reist ihr‹, habe er gefragt, ›seid ihr Lamas?‹ ›Wir sind Lamas‹, hatten sie geantwortet. Der Arzt Schereb Lama, ein Chalchamongole, sei mit ihnen zusammengereist und ihr Führer gewesen. Unterwegs habe er sechs russische Leute marschieren sehen. Eine Menge Kamele und Leute seien im Anzuge.

»Nach Namru und Nakktsong sollen schleunigst Schreiben abgesandt werden, so daß es überall bekannt wird, daß von Nakktschu an und landeinwärts, soweit mein (d. h. des Dalai-Lama) Reich reicht, russische Männer keine Erlaubnis erhalten, nach Süden, zu ziehen. An alle Häuptlinge sollen Schreiben erlassen werden. Bewacht die Grenzen von Nakktsong; es ist notwendig, das Land Stück für Stück zu bewachen. Es ist absolut unnötig, daß europäische Männer in das Land der heiligen Bücher kommen, um sich dort umzusehen. In der Provinz, die euch beiden untertan ist, haben sie durchaus nichts zu suchen. Wenn sie sagen, daß es notwendig sei, so wisset, daß diese beiden Anführer nicht nach Süden reisen dürfen. Sollten sie dennoch ihre Reise fortsetzen, so verliert ihr euren Kopf. Zwingt sie, umzukehren und den Weg, auf dem sie gekommen sind, wieder zurückzugehen.«

Dieses Schreiben klärte uns über viele dunkle Punkte auf und zeigte, daß wir für die strenge Bewachung der Grenzen teils den mongolischen Pilgerkarawanen, teils den Yakjägern zu danken hatten. Jetzt konnte ich mir das Vergnügen nicht versagen, ihnen ehrlich zu sagen, daß die von ihnen betriebene Absperrungspolitik die einzige sei, die ihr Land vom Untergange retten könne.

»Rings um Tibet herum, im Norden, Süden und Westen haben die Europäer die Staaten eurer Nachbarn entweder erobert oder sie von sich abhängig gemacht; euer Land ist das einzige in Asien, das ganz unberührt geblieben ist.«

»Re, re (wahr, wahr)«, riefen sie aus, »und so wollen wir es gerade haben!«

Schereb Lamas Name war in dem Dokumente angeführt; jetzt hatten sie ihn leibhaftig vor sich. Sie lasen dem Ärmsten mit Donnerstimme den Text und sagten ihm, daß sein Name in dem Buche der Verdächtigen eingetragen worden sei. Nun aber war der Lama auch nicht länger blöde, er nahm kein Blatt vor den Mund und machte die beiden Gesandten schonungslos herunter. Er erhob sich, hielt Hladsche Tsering die geballte Faust vors Gesicht und fragte ihn, wie er sich unterstehen könne, einen Lama, der nicht tibetischer Untertan sei, auszuschelten. Da ich fürchtete, der Zank würde in Tätlichkeiten ausarten, zog ich die Spieluhr auf, die wie Öl auf die Wogen wirkte.

Mit Schagdur und dem Lama machte ich den Gesandten am Abend einen Gegenbesuch und blieb die halbe Nacht, volle fünf Stunden, bei den beiden unter Lachen und Scherzen sitzen. Es wurden uns Tee und Tsamba vorgesetzt, und neben einem bequemen Diwane qualmte Weihrauch vor einem Altare mit mehreren Götzenbildern. Wir wurden die allerbesten Freunde, als kennten wir einander schon viele Jahre.

Am 14. September verließ ich das Lager, um eine der herrlichsten Seefahrten, die ich je gemacht habe, anzutreten. Mit Kutschuk, dem Boote und Proviant für drei Tage begab ich mich nach dem Ostufer des Nakktsong-tso. Nun ging es über das smaragdgrüne Wasser hin, und ich träumte wieder von Sommern und Siegen, als die kristallhellen Wellen gegen die Jolle schlugen.

Der See verschmälert sich nach Westen zu, das Südufer ist reich an Nomaden und ihren Herden. Wir rudern in eine Bucht hinein, ohne zu wissen, wohin es geht, haben aber mit der Karawane verabredet, daß wir uns an der Nordwestecke des Sees treffen wollten. Eine Steinhütte steht am Ufer, wo ein einsamer Hund uns immerzu anbellt, doch sobald wir hinter einem Felsvorsprunge verschwinden, verstummt er. Es dämmert, die Felsen erheben sich lotrecht auf beiden Seiten unseres schmalen Wasserweges und lassen die Ruderschläge klingend widerhallen; wir treten gleichsam in den Tempelsaal des Bergkönigs ein und gleiten auf einem Fußboden von durchsichtigem Smaragd dahin. Nicht der geringste Laut zittert zwischen den Felswänden, man stutzt und will am liebsten den Atem anhalten, um dieses erhabene, großartige Schweigen nicht zu stören. Zwei Königsadler kreisen lautlos auf regungslosen Flügeln zwischen den Bergen; ihre Spiegelbilder schweben wie Geister in dieser verzauberten, hinreißenden Natur auf dem Wasser.

Dann aber kommt die Dunkelheit und ladet uns zur Ruhe ein. Das Boot wird aufs Land gezogen, und wir kochen uns am Feuer unser Abendessen, um uns dann in unseren Pelzen schlafen zu legen. Früh am Morgen taucht Kutschuk wieder das Ruder ein, und das Boot gleitet zwischen den geheimnisvollen Bergwänden weiter. Die Bucht wird immer schmaler und ist schließlich nur noch ein enger Felskorridor. Die großartigsten Bilder, die ich in meinem Leben gesehen habe, rollen sich nach und nach vor uns auf. Doch je weiter es geht, desto länger wird unser Umweg, und wir müssen gewiß die ganze Strecke wieder zurück. Wenn das zur Rechten eine Insel ist, sind wir nicht mehr weit vom Sammelplatze entfernt. Die Bewohner einiger am Ufer liegenden Zelte betrachten uns mit grenzenlosem Erstaunen. Ein neues Bild! Nein, jetzt ist die Bucht unwiderruflich zu Ende. Wir rekognoszieren und finden, daß uns nur eine schmale Landenge den Weg versperrt. Wir nehmen unsere Sachen aus dem Boote heraus, tragen es mit unsrer ganzen Habe über Land, fügen dann das Fahrzeug wieder zusammen und rudern weiter. Der See wird immer breiter, die Tiefen betragen bis zu 22 Meter. Aber die Fahrt wird durch die zweite Nacht unterbrochen. Es ging ein frischer Wind, und das Wiegenlied des Wellengeplätschers lullte uns in den Schlaf. Ein Glück, daß es in diesen beiden Nächten, die wir unter freiem Himmel zubrachten, nicht regnete. O, diese sternhellen, so anheimelnd stillen tibetischen Nächte und diese reine, dünne, klare Hochgebirgsluft!

Am Tage darauf ruderten wir nach dem Lager und sahen gerade die von schwarzen Reitermassen umschwärmte Karawane heranziehen. Als wir den Sammelplatz erreichten, war das Lager schon in Ordnung, wir hatten 5, die Tibeter 19 Zelte. Sie waren 194, wir nur 18 Mann, einer gegen zehn, nein, einer gegen fünfzig, wenn ich nur die Kosaken rechne.

Welch seltsamer See! Er gleicht einem Wasserringe, seine ganze Mitte nimmt eine gewaltige Insel ein. Er erinnerte an einen Kratersee, an eine Festung mit ihren wassergefüllten Wallgräben. Die Gesandten waren über mein Verschwinden sehr unruhig gewesen, hatten sich aber durch Reiterpatrouillen überzeugt, daß ich mich in der Nähe befand.


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