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Vierundzwanzigstes Kapitel.
Vorwärts nach Lhasa!

Während des notwendigen Ruhetages, der hier der müden Karawane geschenkt wurde, durchstreiften mehrere Männer die Gegend. Die Kosaken entdeckten einige Kilometer weiter talabwärts vortreffliches Weideland auf sandigen Hügeln. Sofort begab sich Turdu Bai mit allen Kamelen dorthin, und Hamra Kul folgte mit seiner Karawanenabteilung dem Beispiele Turdus. Jetzt faßte ich meinen Entschluß. Am nächsten Morgen, 24. Juli, wollten wir uns nach dem neuentdeckten Weidelande begeben und dort das Hauptquartier anlegen. Es war auch hohe Zeit zum Aufbrechen nach Lhasa, denn einige von den Leuten hatten beim Umherstreifen in weiter Ferne Flintenschüsse gehört. Auch hier hatten wir also Nachbarn – Freunde oder Feinde? Es galt, aufzupassen!

Am 24. Juli ritten wir talabwärts. Die Stimmung war ernst; hier stand eine verhängnisvolle Trennung bevor. Ich musterte während des Zuges meine Leute, Kamele und Pferde und fragte mich, ohne Antwort zu erhalten, ob ich wohl zum letztenmal in ihrer Gesellschaft zu Pferde säße. Das Tal fällt stark, der Fluß bildet schäumende Stromschnellen, die Weide auf den Seiten wird immer besser und an der Stelle, die die Kosaken zum Lager vorgeschlagen hatten, war sie geradezu üppig, besonders auf den Halden, die der Südsonne ausgesetzt und gegen die Nordwinde geschützt lagen. Die Höhe war jedoch 5127 Meter – ein Eiffelturm auf dem Gipfel des Montblanc, aber in südlicherer Breite. Von strategischem Gesichtspunkte aus war das Lager ungeeignet, da der Platz von allen benachbarten Hügeln beherrscht wurde, und falls ein räuberischer Stamm auf den Gedanken käme, einen nächtlichen Überfall zu machen, würde sich kaum eine wirksame Verteidigung durchführen lassen.

Während der beiden Tage, die ich noch im Lager Nr. 44 zubrachte, wurde alles zum Aufbruche geordnet. Die fünf Maulesel und vier Pferde, die wir mitnehmen wollten, wurden mit der größten Sorgfalt gepflegt und durften unseren letzten Maisvorrat auffressen. Sie wurden beschlagen und ihre Sättel und Decken ausgebessert.

Unser Gepäck wurde in zwei mongolische Kisten gepackt. Ich nahm einige kleinere Instrumente mit, damit ich meine geographischen Beobachtungen nicht zu unterbrechen brauchte, eine kleine Camera, drei Paar dunkle Korbbrillen, Schreibmaterial, Rasiermesser und Seife, – denn jetzt mußten wir am ganzen Kopf rasiert sein; andere Toilettensachen waren nicht erforderlich, es war im Gegenteil notwendig, daß wir bald möglichst schmutzig wurden, um einen natürlichen, mongolischen Farbenton zu erhalten. Eine Schere, eine Laterne, ein Beil, ein Dutzend Stearinkerzen, einige Schachteln Streichhölzer, Pfeifen, Tabak und 10 Jamben Silber (ca. 2000 Mark) gehörten zu dem Notwendigen. Der Proviant bestand aus Mehl, Reis, Talkan und Fleisch. Einige Konservenbüchsen sollten in den ersten Tagen noch geöffnet und dann ins Wasser geworfen werden, um kein Mißtrauen zu erregen.

Das Arsenal bildeten ein russisches Magazingewehr und ein schwedischer Offiziersrevolver, nebst 50 Patronen für jede Waffe.

Im übrigen war unsere ganze Ausstattung echt mongolisch. Auch ich trug einen Rosenkranz und ein »Gawo«, ein Amulett mit Götzenbild, um den Hals, und am Gürtel hing ein Messer, in dessen Scheide auch Taschen für die üblichen chinesischen Elfenbeinstäbchen, die bei den Mahlzeiten gebraucht werden, angebracht sind, ferner Feuerzeug, Zunder und Feuerstein, Tabaksbeutel und eine lange Pfeife. Alle Gefäße, Töpfe, Kannen, Näpfe und Tassen waren echt mongolisch. Für jeden nahmen wir einen Reserveanzug mit, da wir alle Aussicht hatten, bald durchnäßt zu werden. Das kleinste, leichteste Zelt wurde unsere Wohnung, und der Lama nähte von weißem Filz einen gewaltigen Mantel, in den sich die Wache bei Regenwetter hüllen sollte. Für Uhr, Kompaß, Aneroid und Thermometer hatte ich besondere Geheimtaschen, die nur ein sehr dreister Untersucher hätte entdecken können. Alle in Europa hergestellten Sachen wurden in der einen Kiste unter dem Proviant versteckt, und das meiste war so beschaffen, daß wir es ins Wasser werfen konnten, wenn unsere Lage verzweifelt wurde.

Sirkin wurde zum Oberbefehlshaber des Hauptquartiers ernannt und alle ermahnt, ihre Pflicht zu tun und ihm ebenso zu gehorchen, wie sie mir gehorcht hatten. Jedoch stand Turdu Bai als Sachverständigem das Recht zu, ein Fortziehen nach anderen naheliegenden Weideplätzen vorzuschlagen, wenn das Gras bei dem Lager Nr. 44 abgeweidet war. Bei solchen Umzügen sollte stets ein von Sirkin russisch geschriebenes Dokument in einem Steinhaufen beim Lager Nr. 44 niedergelegt werden, damit wir die Unseren bei unserer Rückkehr zu finden wüßten. Mit Sirkin hatte ich eine Unterredung unter vier Augen, und er war sich vollständig darüber klar, daß ich mich in ein mehr als gewagtes Unternehmen stürzte. Er saß ganz stumm da und schüttelte nur den Kopf. »Sind wir in 75 Tagen nicht zurückgekehrt«, sagte ich, »so sind wir verloren, und dann gehst du mit der Karawane nach Tscharchlik und von dort nach Kaschgar.« Ich glaubte keinen Augenblick, daß uns die Tibeter töten würden, aber man mußte doch auf alles gefaßt sein, und meine Karten und Aufzeichnungen sollten wenigstens unversehrt nach Hause kommen. Schließlich verschloß ich alle meine Kisten, aber Sirkin erhielt den Schlüssel zu der Silberkiste, um nötigenfalls in Tscharchlik eine neue Karawane für den Rückzug nach Kaschgar ausrüsten zu können.

Am Abend meldete einer, daß in einem benachbarten Tale frische Spuren von tibetischen Fußgängern und Reitern zu sehen seien und daß die Hunde nachts wütend nach dieser Richtung hin gebellt hätten. Es wurde schon im Lager davon geflüstert, daß wir von Spionen bewacht seien. Die schwarzen Furien, die in Rabengestalt über dem Lager kreisten, sahen diesen Abend noch abscheulicher aus als sonst. So kroch ich denn zum letzten Male unter »zivilisierten Verhältnissen« ins Bett, schlief lange und gut und erwachte erst, als Schagdur mich zu der verhängnisvollen Reise weckte.

Das Anziehen ging sehr schnell, und innerhalb einiger Minuten war ich ein vollständiger Mongole. Der lange dunkelrote Rock war weich und behaglich, um den Leib hatte ich einen gelben Gürtel und auf dem Kopfe eine kleine gelbe Mütze mit aufgekrempten Zipfeln. Schon nach vierzehn Tagen hatte ich mich an die plumpen Mongolenstiefel gewöhnt, die sich infolge ihrer Zehenspitzen und dicken Sohlen zum Gehen auf weichem, feuchtem Boden vorzüglich eigneten. Sogar mein hoher Mongolensattel mit seinem Holzgestelle und seinem weichen Sattelkissen war sehr bequem, und die breiten, an kurzen Riemen befestigten Steigbügel gaben den Knien gerade die rechte Biegung. Hinter dem Sattel war mein gelber Schafpelz festgeschnallt; ich brauchte ihn jetzt nicht, denn die Sonne schien freundlich und warm.

Unsere kleine Karawane war fertig. Wir saßen auf und ritten fort. Die guten Mohammedaner hätten das Weinen und Jammern recht gut unterlassen können, ich fand, daß das Ganze ohnehin schon genug an ein Begräbnis erinnerte. Vermutlich fürchteten sie, daß wir uns nie wiedersehen würden. Ich selbst zweifelte nicht an der mächtigen Hand, die meine Schritte während so vieljähriger einsamer Wanderungen in dem großen Asien durch Wüsten und über Gebirge gelenkt hatte.

Schagdur schwelgte in dem Bewußtsein, daß wir nun wirklich unterwegs waren, und der Lama saß wie festgegossen ruhig im Sattel. Ich fragte ihn, ob er noch unschlüssig sei und vielleicht lieber bei Sirkin und Tscherdon bleiben wollte. Nein, sollte es ihm auch das Leben kosten, jetzt wolle er mit. Ich ritt meinen prächtigen Schimmel, der in vorzüglichem Zustande war, Schagdur ein falbes Pferd, und der Lama den kleinen Maulesel »Gelbohr«, der uns einmal beinahe eingegangen wäre, jetzt aber zu unseren besten Tieren gehörte. Malenki und Jollbars wurden mitgenommen, die übrigen Hunde wurden solange angebunden, und Jolldasch heulte erbärmlich, als ihn sein Herr und Meister so treulos verließ. Ördek begleitete uns, um in der ersten Nacht unsere Tiere zu bewachen.

Der Leser zerbricht sich wohl den Kopf darüber, weshalb ich mich eigentlich in diesen Strudel von Gefahren stürzte, die mit einem Ritte nach Lhasa, unbedingt verbunden waren. Seit dem Besuche des Jesuitenpater Huc, der ebenfalls in Verkleidung in die heilige Stadt gelangt war, hatten die Tibeter ihr Land ängstlich gegen europäische Besuche bewacht. Der Amerikaner Rockhill hatte es, als wandernder Lama verkleidet, zweimal versucht, dorthin zu gelangen. Bonvalot und Prinz Heinrich von Orléans, Dutreuil de Rhins und Grenard, Littledale, Bower und mehrere andere, von Kosloff und Prschewalskij nicht zu reden, hatten es ebenfalls unternommen, waren aber stets in der energischsten Weise zurückgewiesen worden. Da es zu meinem Reiseprogramm gehörte, von möglichst vielen Teilen des unbekannten Tibet eine Kartenaufnahme zu machen und sie geographisch zu untersuchen, und da ich mich dabei in nicht zu großer Entfernung von der heiligen Hauptstadt befinden würde, hatte ich auf dieses an und für sich wahnwitzige Unternehmen nicht verzichten wollen. Was ich dadurch gewinnen wollte? Vielleicht die Gelegenheit, ein Bild von Lhasa zu geben, einen Plan der Stadt und ihrer Tempel? Nein, diese Stadt ist in jeder Beziehung viel besser bekannt als irgendeine andere Stadt im innersten Asien, weil sie so lange Gegenstand der Neugier aller Europäer gewesen ist. Die Russen haben Burjaten, die Engländer Punditen, alles wissenschaftlich gebildete, kluge Leute, mit den vorzüglichsten Instrumenten versehen, dorthin geschickt, und wir besitzen daher sowohl gründliche Beschreibungen wie Pläne und wissen, wie man in Lhasa lebt, dem Rom, Jerusalem und Mekka des Lamaismus.

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Wir drei »Pilger« beim Aufbruch aus dem Hauptquartier.

»Aber was hattest du vernünftigerweise dort zu suchen?« fragt der Leser. Es war wohl das Blut des alten Wiking, das sich in mir regte; ich sehnte mich unwiderstehlich nach einem Abenteuer, ich wollte mich nach all der Ruhe in der Wüste in eine Lage stürzen, wo das Leben an einem Haare hängen sollte, wollte mich so tief in lebensgefährliche Situationen verwickeln, daß es mit jedem Tage schwieriger werden würde, mich wieder herauszuwinden. Es ist vielleicht ein großer Fehler bei mir, aber ich kann nicht dafür, daß mir ein unsicheres, gefährliches Leben mehr zusagt als ein ruhiges und sicheres. Ein Sieg, den man sich durch Mühen erkämpft, ist mehr wert als jeder andere, und das Leben ist demjenigen besonders teuer, der fühlt, daß er jeden Augenblick Gefahr läuft, es zu verlieren. Alles dieses lockte mich unwiderstehlich; ich wollte meine Nerven stählen und zeigen, daß ich es wagte, mit nur zwei Begleitern gerade in den Haufen von Tibetern hineinzureiten, und ich war entschlossen, nicht eher nachzugeben, als bis man uns absolut unwiderstehliche Hindernisse in den Weg legte. Und wenn dies geschähe, würde ich mit unerschütterlichem Gleichmut umkehren, denn dann würde ich meinen Ehrgeiz befriedigt haben. Hiermit verglichen, spielte es keine Rolle, ob ich die heilige Stadt sah oder nicht, ich kannte sie schon zur Genüge. Der Lama hatte mir ihre Straßen, Plätze und Tempel schon beinahe bis zum Überdrusse beschrieben. Und Tempel würden wir in Westtibet übergenug sehen, wenn wir je soweit gelangten.

Jetzt ging es in ziemlich schnellem Trab am Flusse hinunter, an dessen Ufer hier und dort ausgebrannte Feuerstellen zu sehen waren. Ein vor langer Zeit geschossener, ganz vertrockneter Jak legte auch Zeugnis von menschlichen Besuchen ab. Gestern oder heute war ein Bär hier gewesen und hatte den Kadaver umgedreht.

Wir gelangten in ein großes, offenes Tal und lagerten an einer kleinen, klaren Quelle mit gutem Grase, wo ich Brennmaterial sammelte und Feuer anzündete, während die anderen das Zelt aufschlugen und für die Tiere sorgten. Die Mahlzeit wurde auf mongolische Weise eingenommen; es war jetzt nötig, sich in seine Rolle ganz einzuleben. Wir drei Pilger gingen früh zur Ruhe, während Ördek unsere Tiere bewachte. Der Mond schien auf die stille Gegend herab; es war ein Segen, daß wir sein Licht während dieser Nächte hatten!

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Lager der drei Pilger.

Am 28. Juli wurde beschlossen, daß Ördek uns noch einen Tag begleiten sollte, denn teils würden wir dann noch eine Nacht ausschlafen können, teils war der Lama so krank, daß er sich kaum im Sattel halten konnte und ich schon darauf gefaßt war, ihn ins Hauptquartier zurückschicken zu müssen. Ich sprach darüber mit Schagdur, und wir beschlossen, in letzterem Falle die Reise zu zweien fortzusetzen. Zum Glück erholte sich der Lama wieder auf dem Ritte von 40 Kilometer, den wir machten. Der Boden war hart und vortrefflich. Keine Menschenspuren zeigten sich, aber Yake und Kulane waren häufig. Dann und wann reitet einer von uns auf einen Hügel hinauf, um mit dem Fernglase Umschau zu halten. Hätten wir ein Nomadenlager gesehen, so wären wir wie ehrliche Pilger dorthin geritten, aber in diesem Falle hätte Ördek schleunigst umkehren müssen.

Auf der schmalen, niedrigen Landenge zwischen einem Salzsee und einem kleineren Süßwassersee schlugen wir unser Lager auf. Beim Feuer berieten wir uns über die Weiterreise; ich rechnete den zurückgelegten Weg aus und sagte den anderen, wie weit wir noch zu reiten hätten. Der Lama schilderte in lebhaften Farben die Strenge, mit der die tibetischen Behörden in Nakktschu, 220 Kilometer nördlich von Lhasa, alle Pilger aus der Mongolei untersuchen, und wir hielten es infolgedessen für das Klügste, diesen Ort ganz zu vermeiden und südlich davon die große Straße nach Lhasa einzuschlagen, wo wir hofften, leicht unter den Pilgermassen verschwinden zu können.

Jetzt sollte mit meinem äußeren Menschen eine tragikomische Verbesserung vorgenommen werden. Ich setzte mich ans Feuer, und Schagdur hauste mit der Schere wie ein Vandale in meinen Haaren. Nachdem der Rest gebührend eingeseift worden war, erschien Ördek mit dem Rasiermesser, und nach einer Weile glänzte mein Kopf wie eine Billardkugel. Schließlich machte ich mich selbst an den Schnurrbart und – man denke nur, welche Kaltblütigkeit – schnitt ihn mir ganz und gar ab. Meine Brüder, der Mongole und der Burjate, die bartlos waren, fanden gewiß, daß ich jetzt manierlich auszusehen anfing, mir selbst aber kam es beinahe sündhaft vor, mein an sich nicht unvorteilhaftes Aussehen so zu verderben. Brauen und Wimpern durfte ich zum Glück noch behalten. Was machte es übrigens auch aus, wie ich aussah, hier war nicht einmal eine Katze, mit der ich hätte kokettieren können!

Noch hatte ich zu meinem Troste eine gewisse Ähnlichkeit mit Cäsars Büste, aber diese Freude dauerte nicht lange. Wie ein alter, geübter Quacksalber begann der Lama mit sachverständiger Miene in seinen Arzneibeuteln umherzusuchen, schmierte mir mit leichter Hand das Gesicht mit Schaffett und einer braunen Salbe ein und betrachtete mich dann mit auf die Seite gelegtem Kopfe aus einiger Entfernung. »Ihe sän bane« (es ist sehr gut), erklärte er. Ich konnte nicht einstimmen, als ich mich in der blanken Innenseite meines Uhrgehäuses besah. War dieser fettige, glänzende, kupferbraune, glattrasierte mongolische Pavian wirklich mit meiner Person identisch? Allmählich trocknete die Schminke und nahm von Staub und Wind einen schmutzig grauen Ton an. Jedesmal, wenn ich lachte oder meine Gesichtsmuskeln in irgendeiner Art bewegte, brannte die Haut greulich. Aber bald sollten wir keine Gelegenheit zum Lachen mehr haben, das lustige Lachen war von diesem Tage an ein seltener Gast in unserer Karawane.

Das Lager lag offen auf der Landzunge zwischen den Seen, nur im Südosten erhoben sich einige niedrige Hügel. Spuren von Menschen hatten wir hier nicht gesehen, die Hunde verhielten sich ruhig, und die Gegend schien vollkommen sicher zu sein. Gegen 5 Uhr erhob sich ein heftiger Nordsturm, der ganze Wolken von Sand und Staub über den Salzsee und den Lagerplatz hinjagte. Wir nahmen daher unsere Zuflucht zum Zelte, in dessen Schutze wir plauderten und rauchten, bis wir um 8 Uhr nichts Besseres zu tun wußten, als uns schlafen zu legen. Ördek hütete zweihundert Schritt westlich vom Lager unsere Tiere. Er sollte die ganze Nacht wachen, damit wir noch einmal, zum letzten Male für lange, ruhig ausschlafen konnten, und am Morgen sollte er dann auf einem der vier Pferde nach dem Hauptquartiere zurückreiten dürfen.

Um Mitternacht wurde das Zelttuch zurückgeschlagen, Ördek, auf allen vieren kriechend, steckte den Kopf herein und zischelte mit zitternder, verschüchterter Stimme: » Ein Mann ist dagewesen!« Wir hörten nicht, was er sonst noch zu sagen hatte, sondern ergriffen unsere Waffen und stürmten in die Nacht hinaus. Der Sturm tobte mit ungeschwächter Heftigkeit, der Mond glänzte matt zwischen schnell dahineilenden, zerrissenen Wolken. Ördek führte uns zu den am entferntesten weidenden Pferden, zwischen denen er eine dunkle Gestalt hatte umherschleichen sehen. Bei diesem Anblicke hatte der Held, dessen Mut sich auf die stillen Wüsten beschränkte, vollständig den Kopf verloren und war, statt Lärm zu schlagen, zu uns gelaufen. Wir kamen infolgedessen zu spät. In dem matten Mondlichte sahen wir zwei dunkle Reiter, die zwei ledige Rosse vor sich herjagten, über die Hügel fortsprengen. (Siehe Bild auf dem Einband.) Eine ihnen von Schagdur nachgeschickte Kugel tat keinen Schaden. Er, Ördek und der Lama stiegen zu Pferd und verfolgten die Spur, während ich bei den übrigen Tieren blieb, die vielleicht von einer ganzen Räuberbande umringt waren. Nach einer Stunde aber kamen sie wieder, ohne in der Dunkelheit irgend etwas Verdächtiges gesehen oder gehört zu haben.

Wir gingen zu der ruhig weidenden Herde zurück; alle fünf Maulesel und die beiden schlechtesten Pferde waren da, aber mein liebes Reitpferd und Schagdurs Falber waren gestohlen worden. Wie der Überfall vor sich gegangen war, ergab sich deutlich aus den Spuren. Drei tibetische Reiter, Professions- oder Gelegenheitsdiebe, hatten uns augenscheinlich den ganzen Tag verfolgt und sich genau mit der Lage des Lagers im Terrain vertraut gemacht. In einer heimtückisch versteckten Bodenfalte war einer von ihnen, als alles still war, gegen den starken Nordwind nach der Herde hingekrochen, dann im geeigneten Moment aufgesprungen und auf die beiden äußersten Pferde losgestürmt, hatte sie zum Scheuen gebracht und sie westwärts gejagt, wo die anderen Tibeter mit ihren Pferden zur Hand gewesen, worauf alle drei über die Hügel geflüchtet waren.

Nie vorher in meinem Leben habe ich gefühlt, wie mein Inneres vor Wut kochte. Anfangs beseelte mich nur der eine Gedanke: die Schurken zu verfolgen und sie für ihren Streich teuer büßen zu lassen. Schagdur war außer sich, die Flinte brannte ihm in den Händen. Doch bald kämpfte ich meinen Zorn nieder und erwog die Sachlage mit wiedergewonnener Ruhe. Wir hatten nicht die geringste Aussicht, die Tibeter, die natürlich so klug sein würden, ein paar Tage nicht zu rasten, mit unseren ermüdeten Tieren einzuholen. Wenn zwei sie verfolgten und zwei im Lager blieben, teilten wir unsere Streitkräfte, was gerade jetzt, da wir sichtlich unter feindlicher Bewachung standen, höchst unklug gewesen wäre. Nein, bei dieser Sache ließ sich nichts tun; wir hatten einen ordentlichen Denkzettel bekommen, das war alles. Das Spiel hatte sich in Ernst verwandelt, jeden Augenblick konnten wir einen neuen Überfall erwarten; hier hieß es, unausgesetzt die Augen offen halten.

Aus dem Schlafe wurde diese Nacht nichts mehr. Wir setzten uns, in unsere Mäntel gehüllt, um ein kleines Kohlenfeuer, zündeten unsere Pfeifen an und hielten Rat, während unheilverkündende Wolken in eilender Fahrt unter dem Monde hinsegelten. Nachher wurde Tee gekocht, der nebst Reis und Brot unser Frühstück bildete. Dann sattelten wir im Morgengrauen die beiden uns noch gebliebenen Pferde und den Maulesel und packten unsere Sachen zusammen. Eine ungemütliche Nacht hatten wir hinter uns, aber man darf nicht glauben, daß auch nur ein Wort vom Umkehren gesprochen wurde. Umkehren! Pfui, welche Schande, der Gedanke daran kam mir überhaupt nicht in den Sinn! Ein Schwede weicht nicht zurück, wenn er eine Spur von Stolz auf die Geschichte seines Landes besitzt.

Als das Morgenrot die unbekannten Hügel im Osten purpurn färbte, saß Ördek weinend am Feuer. Er flehte und bat, uns begleiten zu dürfen, statt allein zurückkehren zu müssen durch dieses heimtückische Land, wo Banditen und Räuber wie Schatten aus der Erde aufstiegen. Als ich jedoch fest blieb, bat er, wenigstens den Revolver mitnehmen zu dürfen. Nein, jetzt wußten wir, daß wir selbst der Feuerwaffen bedürfen könnten.

Meine Augen schmerzten in dem starken Sonnenlichte, wir hatten ja auch die Nacht nicht geschlafen. Auf ein Blatt Papier schrieb ich einige Zeilen an Sirkin und empfahl ihm, um das Lager größte Wachsamkeit zu beobachten. Ferner befahl ich, daß Tscherdon, Li Loje und noch einer eine Woche darauf verwenden sollten, die Spur der Diebe zu verfolgen. Ördek steckte den Brief in den Gürtel und machte ein Gesicht wie ein zum Tode Verurteilter, der nur noch ein paar Schritte vom Schaffott entfernt ist. Kaum saßen wir in unseren Sätteln, so sahen wir ihn auch schon am Ufer entlang laufen und in der Ferne verschwinden. Er war so außer sich vor Angst, daß er glaubte, es werde den ganzen Tag Räuber regnen.

Wie eine Wildkatze schlich er durch Schluchten und Flußbette und wagte nicht, auf freiem Felde in unserer Spur zurückzugehen; er sehnte sich nach der Dämmerung und nach der Nacht. Dann aber war er ebenso angsterfüllt vor der Dunkelheit und glaubte, in jedem Schatten einen Feind zu sehen. Ein paar friedliche Kulane erschreckten ihn beinahe zu Tode, und in einer Schlucht kauerte er sich wie ein Igel zusammen. Der Regen goß wie aus Mulden herab, und das rauschende Plätschern erregte seine Phantasie noch mehr. Endlich erreichte er den Eingang unseres Tales, wo das Rauschen des Flusses alle anderen Geräusche übertönte; hier glaubte er überall, leise Schritte hinter sich zu hören. Wie er im Stockfinstern den Weg gefunden, begriff er nachher selbst nicht; er stolperte, fiel, stand wieder auf, lief wie ein Verrückter über die Hügel, watete – bis unter die Arme im Wasser – durch den Fluß und wäre, als er endlich anlangte, von der Wache, die Lärm schlug, beinahe erschossen worden. Bei der Ankunft war er zu Tode erschöpft. Er war buchstäblich zusammengeklappt und nicht zu bewegen gewesen, den Mund aufzutun. Die anderen waren außer sich vor Schrecken, denn sie glaubten, er sei der einzige Überlebende von unserer kleinen Schar und wir drei Pilger seien ermordet worden. Erst nach gründlichem Ausruhen war er wieder lebendig geworden und hatte nun unser Abenteuer erzählt und meinen Brief abgeliefert.

Tscherdons Verfolgung führte zu dem Resultate, daß wir erfuhren, daß die Diebe vom See 40 Kilometer weiter nach einer Stelle geritten waren, wo mehrere andere Tibeter sie erwartet hatten, und daß die ganze Schar nachher so lange in einem Flusse geritten war, bis sich ihre Spur nicht mehr verfolgen ließ.


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